Wein aus der Gascogne von Percy 

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Kapitel Wein aus der Gascogne

„Ob das etwas ist?“ Er hob zweifelnd die Flasche an, betrachtete das Etikett. Hm…. Côtes de Gascogne….. Der Preis war überaus attraktiv gewesen, aber das mußte ja nicht unbedingt einen Rückschluß auf die Qualität liefern.

Schnell blickte er sich um, als er Schritte hinter sich hörte.

„Ah, mon ami, was habt Ihr denn da?“ D’Artagnan trat zu ihm an den Tisch, musterte die Flaschenkollektion. Ob er ihn wohl bezüglich der zu erwartenden Qualität fragen sollte? Ein Seitenblick zu dem stolzen Musketier belehrte ihn eines Besseren. D’Artagnans Augen glitzerten, er reckte die Schultern…. Nun, wenn er ihn fragte, ob dieser Wein wohl etwas tauge, würde er mit höchster Wahrscheinlichkeit eine Qualitätsversicherung des Gascogners erhalten. Lokalpatriotismus war eine gefährliche Sache! Würde er dagegen seine Frage so formulieren, daß er aufgrund des niedrigen Preises mit minderer Qualität rechne, lief er Gefahr, daß d’Artagnan ihn womöglich auf der Stelle forderte! Niemand stellte schließlich seine Heimat einschließlich deren Erzeugnisse ungestraft in Frage!

Hier war also keine objektive Antwort zu erwarten. Wen könnte er…?

Athos! Ja, das war die Lösung!

Als ob er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, wurde die Tür geöffnet und Athos trat ein. Er grüßte die beiden Männer am Tisch und gesellte sich zu ihnen.

Schweigend nahm er mehrere Flaschen in die Hand, genau beobachtet von den beiden Zuschauern.

Athos edle Gesichtszüge verrieten nichts. Verdammt, warum war er kein Pokerspieler? Immerhin kannte sich Athos aufgrund seiner noblen Herkunft und seines hohen Bildungsstandes sicherlich exzellent mit Weinen aus! Und konnte das theoretische Wissen aufgrund der genossenen Quantität mit eigenen Erfahrungen untermauern.

Er grinste: Hier würde er sicher Auskunft erhalten.

„Athos, ist Euch diese Lage bekannt? Ist dies wohl ein guter Wein? Ich habe ihn bei einem Landhändler zu einem….äh…..recht vorteilhaften Preis (hier sah ihn d’Artagnan scharf an) erstanden. Und da ja Ostern vor der Tür steht, können wir uns doch den ein oder anderen guten Tropfen (hier wurde der Blick des Gascogners milder) gönnen.“

Athos hatte den Blickwechsel genau bemerkt, gab jedoch vor, das Etikett einer Flasche genau zu studieren. Ihr neuer Freund spielte offensichtlich genauso gern mit dem Feuer wie der Gascogner! Er hätte den Wein einfach anbieten, öffnen und servieren können, aber nein: Immer erst einmal alles in Erfahrung bringen!

Fast hätte Athos geseufzt. Einer von der Sorte war schon anstrengend genug!

„Wißt Ihr, mein Freund, ob Euch dieser Wein schmecken wird, läßt sich in der Tat nur durch Verkostung feststellen. Alles andere ist grobe Theorie! Das Äußere, in diesem Fall ein adrettes Etikett, oder die Herkunft, in diesem Fall die Gascogne (Blick zu d’Artagnan) besagen fast nichts! Seht doch unseren Kameraden hier an: Wer hätte gedacht, daß der provinzlerisch gekleidete, ungestüme Kerl mit den Manieren einer Axt zum besten Freund von Aramis, Porthos und mir wird?“ D’Artagnan murmelte leicht pikiert: „Also bitte, Athos, so schlimm war ich doch hoffentlich nicht…..“ „Schlimmer! Ihr wart schlimmer!“ bestätigte Athos, woraufhin der andere Mann übermütig kicherte, was ihm einen Rippenstoß von d’Artagnan einbrachte.

„Oder seht Euch selbst an:“ fuhr Athos fort „Ihr seid nicht sonderlich groß, eher untersetzt, so daß man Euch im Kampf unterschätzt, doch ihr besitzt Feuer und Präsenz.“ Der andere sah verlegen und auch etwas geschmeichelt zu Athos auf.

„Außerdem versteht Ihr es, Eure neuen Freunde zu unterhalten!“ Hier zwinkerte Athos d’Artagnan zu.

Wie auf ein unsichtbares Kommando wurde die Türe erneut aufgerissen und Porthos, dicht gefolgt von Aramis, stürmte herein.

„Was höre ich da? Unser neuer Freund hat Wein gekauft?“ dröhnte Porthos begeistert. „Das gefällt mir!“

„Porthos, bitte!“ zischte Aramis und warf dem neuen Freund einen entschuldigenden Blick zu. „Er wird uns schon sagen, was er damit vorhat….“

„Na, was wohl? Auf unser Aller Wohl anstoßen?“ Porthos lachte und ergriff eine Flasche.

Athos und d’Artagnan lehnten sich lächelnd zurück. Die Angelegenheit verselbständigte sich, und noch dazu in eine höchst wünschenswerte Richtung.

„Ich hole Gläser! Porthos, würdet ihr den Wein öffnen?“ Der neue Kamerad erwies sich als umgänglich.

Aramis nestelte umständlich an seiner Tasche herum und zog zur Überraschung der Freunde ein kleines Päckchen hervor. Mit feingliedrigen Fingern packte er es aus. Unwillkürlich dachten seine Freunde daran, daß es genauso aussehen mußte, wenn Aramis einer Dame das Mieder aufschnürte. Aramis spürte ihre Blicke und sah errötend auf. „Es ist von meiner Cousine in Tours…..sie backt so gerne….und diese Bisquit passen einfach hervorragend zu einem guten Wein, ich wollte sie euch nicht vorenthalten!“

Gut gelaunt nahmen alle am Tisch Platz, Porthos schenkte ein.

D’Artagnan fühlte den Rippenstoß von eben in behutsamer Form retourniert, immerhin hielt er ein gefülltes Glas in der Hand. Der Neue blinzelte ihm verschwörerisch zu und in seinen braunen Augen blitzte der Schalk: „Na, dann wollen wir mal schauen, ob die Gascogner auch Wein keltern können….!“

Zu sich selbst vermerkte er, vor Ostern auf jeden Fall noch Wein kaufen zu müssen.