Kapitel Verhängnis
Er spürte weder die Kälte noch die Nässe des Bodens, auf dem sie knieten. Er sah nicht die dunklen Wolken, roch nicht den Gewitterwind, hörte nicht das Käuzchen noch das Grollen des Wassers. Das einzige, was seine Sinne wahrnahmen, war das Fährboot, auf dem der Henker und die, die noch seine Frau war, hinübersetzten. Hinüber auf die andere Seite. Auf die andere Seite des Styx. Er hatte Charon die Münze mitgegeben, sie würde nicht am Ufer weilen müssen, sie war willkommen im Hades. Doch nicht nur in Münzen hatte er bezahlt, nicht nur diesen Obolus nahm sie mit. Sie nahm auch seine Seele mit - und für ihn hatte niemand bezahlt.
Er sah, wie der Henker sein Schwert hob, sah ihren Körper fallen, sah, wie sich die Wasser endlich über das Bündel schlossen, das einst seine ganze Welt gewesen war, seine Liebe, sein Leben. Dann sah er nichts mehr, seine Seele verharrte dort am Ufer, sein Körper stumm und kalt starrte er blicklos auf die bleiernen Fluten der Lys, die gleichgültig und ewig an ihm vorüberrauschten. Es war vorbei. Würde nie mehr sein. Nie mehr. Nie mehr würde er in ihre Augen blicken, nie mehr ihre Haut berühren, nie mehr ihren Duft riechen, nie mehr ihr begegnen, auf dieser Erde. Er hatte sie ausgelöscht, töten lassen, getötet, dieses wunderschöne Wesen, seine Frau. Tot durch seinen Willen. Er hatte sich die Gerichtsbarkeit angemaßt, hatte seine Seele mit Schuld beladen. Schuld, für die niemand zahlen würde, nur er selbst, verdammt dazu, auf ewig am Fluss des Styx zu wandern. Die Wasser hatten sich nicht nur über dem Körper seiner Frau geschlossen, sie schlossen sich auch über ihm, rissen ihn mit, ertränkten ihn, ertränkten sein Sein und schlossen es aus von jeglicher Helligkeit. Das war von nun an sein Reich, die Zwischenwelt all jener, deren schuldbeladene Seelen Charon nicht bezahlen konnten …
Nach der Anmeldung geht es weiter!
Dieses Kapitel und viele weitere sind verfügbar für Mitglieder. Jetzt anmelden!
Noch kein Account? Jetzt registrieren!