Zwischen den Fronten von kaloubet , Rochefort, Aramis  und Armand-Jean-du-Plessis

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Kapitel Ein gefährlicher Auftrag

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Kapitel Über den Rubicon

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Kapitel Shamrock

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Kapitel Buckingham

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Kapitel Empfang

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Kapitel Rohan

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Kapitel Nachricht

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Kapitel Jolly Roger

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Kapitel Jean Guiton

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Kapitel Hindernisse

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Kapitel Freunde

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Kapitel Spielerglück

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Kapitel Dinner

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Kapitel A Gentlemen`s Disagreement

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Kapitel Vom Regen in die Traufe

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Kapitel Nachrichten

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Kapitel Erneut La Rochelle

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Kapitel Saint Blanceaux

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Kapitel Toiras

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Kapitel Schwarzmond

Die Atmosphäre im Salon des Hôtel de Marsans war deutlich ungemütlicher als noch vor einigen Tagen. Das lag allerdings nicht an Cathérine de Parthenay, der Herrin des Hauses. Sie saß ruhig und gelassen in einem bequemen Fauteuil und blickte Shamrock mit sichtlichem Interesse an. Ihr Sohn hingegen starrte ihn wütend an. Er stand hinter seinem Lehnstuhl, mit den Händen im Zorn die Lehne umklammernd, als würde er sein Gegenüber erwürgen wollen.

„Jetzt erklärt Euch endlich, und keine Ausflüchte! Ihr seid ein englischer Spion! Für wen arbeitet Ihr, und wie könnt Ihr es wagen, in meine Dienste zu treten? Für Spione haben wir hier in Frankreich nur den Strick. So sprecht doch! Hat Lord Buckingham es nötig, mir einen Spitzel ins Haus zu setzen? Das könnte er noch bereuen. Diese Unverschämtheit hat Konsequenzen. Dafür sorge ich höchstpersönlich. Glaubensbrüder und Verbündete sollten so ein Gebaren nicht an den Tag legen. Und eingeschmeichelt hat er sich bei mir, seine Dienste als Übersetzter angeboten, um mich zu bespitzeln. Eine Ungeheuerlichkeit!" 

Der junge Ire war bei dieser Tirade bisher gar nicht zu Wort gekommen. „Mylord...", schnell verbessert er sich auf Französisch, „Monsieur le duc, Euch und Eurer Sache ist kein Schaden entstanden. Dies diente zu Eurem Schutz und um mögliche französische Agenten zu enttarnen."

„Was für eine freche Ausrede, ich…" Zu mehr kam er nicht, denn die leise aber mit Autorität erfüllte Stimme seiner Mutter erklang. Benjamin de Rohan verstummte sofort. „Mein Sohn, bitte beherrscht Euch. Seine Lordschaft, der Herzog von Buckingham, mag ein kluger Feldherr sein, doch die Umsicht, einen Mann seines Vertrauens heimlich in Euren Haushalt zu installieren, hat er wohl nicht. Das ist das Werk eines Mannes mit Weitblick und Vorsicht. Eines Mannes wie Lord Walsingham zu Beispiel, nicht wahr?"

Erneut war Shamrock beeindruckt. Die Analyse war so treffend, und Cathérine de Parthenay schien wirklich gut informiert. Höflich erwiderte er: „Madame, ich bewundere Eure Scharfsinnigkeit und bitte untertänigst um Verzeihung, wenn ich dies so nicht zugeben kann. Was ich allerdings zugeben kann, ist, dass ich ein besonderes Auge auf jenen Musketier Aramis habe, den Seine Lordschaft Buckingham mit so offenen Armen empfangen hat und ihn jetzt sogar als militärischen Berater einsetzt. Ein Verräter unter den königlichen Musketieren Frankreichs ist doch höchst selten und auch seltsam."

„Aramis?", war die nachdenkliche Antwort der Hausherrin, „ich denke ich habe den Namen schon einmal gehört, im Zusammenhang mit unserer Königin, Anna von Österreich, der katholisch-spanischen Habsburgerin Anna von Österreich, wohlgemerkt. Und ein Musketier des Königs also, ja, das ist wahrlich seltsam, ich würde sogar sagen, verdächtig."

„Das waren auch meine Gedanken, Madame", mischte sich de Rohan wieder ins Gespräch ein, "und ich ließ ihn sogar beobachten, aber außer ein paar vagen Indizien war nichts zu entdecken, und Lord Buckingham blockiert jeden Versuch, ihn zu warnen."

„Auch ein Buckingham wird wohl auf einen Mann hören, der für Lord Walsingham arbeitet, insbesondere dann, wenn er Beweise vorlegen kann, aber ich sehe Euch an, über die verfügt Ihr zur Zeit noch nicht. Aber es gibt eine wichtigere Angelegenheit, wegen der ich Euch rufen ließ."

Seamus dachte bei sich: „Sie hat es mir angesehen? Mit dieser Madame würde ich gern eine Partie Karten spielen, welche Herausforderung!" Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder, wie absurd, er, der kleine irische Spieler und Agent, Sohn eines Buchhalters, und die Herzoginmutter, der Inbegriff anständiger Hugenotten, am Spieltisch! Inzwischen fuhr sie fort, und Shamrock konzentrierte sich wieder.

„Unsere englischen Verbündeten werden Hilfe benötigen, wenn sie die Île de Ré besetzen wollen. Fort Saint Martin sollte man als Befestigung nicht unterschätzen. Aber es gibt dort einen gottesfürchtigen, braven Calvinisten, nur ein junger Unteroffizier, aber er kennt die Anlage genau, und sicher auch die Stärke der Besatzung und weitere nützliche Informationen. Bei Neumond wird er eine Nachricht, die um einen Stein gewickelt wird, an der Südseite der Mauer fallen lassen. Unsere englischen Freunde werden diese Informationen gut gebrauchen können, aber jemand muss sie holen und durch die Linien zum englischen Oberkommando bringen. Und er muss vorgelassen werden, das ist entscheidend. Mein Sohn wird nicht nur seinen Groll gegen Euch fallen lassen, die Familie de Rohan hat noch nie einen Gefallen unerwidert gelassen."

Seamus wusste als Spieler genau, wann sein Blatt zu schwach war, um ein Spiel zu gewinnen. Er konnte sich vielleicht auf Lord Walsingham berufen, aber das würde ihm nicht viel nützen. Im Grunde würde auch dieser wollen, dass er genau das tun würde, was Cathérine de Parthenay von ihm verlangte. Innerlich seufzte er, das Risiko wurde immer größer, so wie der Einsatz, ob auch der Gewinn das wirklich ausgleichen konnte, war ungewiss. Diesmal blieb seine Miene aber unbewegt und sein Stimme stoisch: „Es ist mir eine Ehre der Familie de Rohan zu Diensten sein zu dürfen, da ich damit zugleich meinem Land diene."


***

Neumond, oder besser Schwarzmond, wie der Volksmund ihn nannte. Wenn eine Nacht wie diese auch noch wolkenverhangen war, so blieb man besser in seinem sicheren Haus. Doch diesen Luxus konnte sich Shamrock nicht leisten. Heute sollte er die Nachricht aus Fort Saint Martin erhalten. Auf die Île de Ré zu gelangen war überhaupt kein Problem gewesen. Englische Pinassen kontrollierten den Seeweg von La Rochelle zur Insel. Nachdem aber die Tagesschriften der Protestanten von einem ersten glorreichen Sieg Buckinghams berichtet hatten, waren Freiwillige aus La Rochelle zur Unterstützung für ihre englischen Glaubensbrüder auf die Insel geströmt. Ihre Anzahl war nicht so groß, dass sie irgendetwas bewirkt hätte, sie war eher symbolträchtig. Auch waren es keine Soldaten, vielmehr junge tatendurstige Hugenotten, ein paar Söldner, die sich verdingen wollten und Männer ohne viel Besitz, die sich schnellen Reichtum und Beute erhofften. Seamus hatte dieser Haufen nicht gefallen, und er hatte sich schnell absentiert, nachdem sie angelandet waren.

Nördlich der Festung lag eine Ortschaft, die ebenfalls Saint Martin hieß. Dort hatte er einen kleinen Zwischenstop gemacht. Sie war zwar von englischen Truppen besetzt worden, aber sonst bisher verschont geblieben. Der junge Ire musste einen langen Umweg um die Festung in Kauf nehmen. Sie östlich zu umgehen war unmöglich, denn dort lag der kleine Hafen der Festung. Der war zwar auch in englischer Hand, aber die Augen und Kanonen der Franzosen waren dieser Seite stets zugewandt. Auf der West- und Südseite hatte man begonnen, Gräben für die Belagerung auszuheben. Der Belagerungsring um das Fort war aber noch nicht vollständig geschlossen. Immer noch wurden weitere Truppen aus den Schiffen an Land gebracht, die restliche Insel erkundet, und viele Männer wurden für Patrouillen auf See benötigt. Seamus hatte nicht vor, irgendjemand von den englischen Kommandeuren über seinen Plan in Kenntnis zu setzen. Das würde ihn nur aufhalten, und er wollte diesen Auftrag so schnell als möglich beenden.

Das war nicht sein Krieg, und ein Krieg würde es werden, davon war er felsenfest überzeugt, auch wenn es die Einwohner von La Rochelle nicht wahr haben wollten. Der französische König konnte es sich niemals gefallen lassen, dass eine französische Stadt offen mit England paktierte und englische Soldaten eine Insel direkt vor der französischen Küste besetzten. Ludwig XIII. sollte angeblich kein starker Monarch sein, aber die Ehre des Königs war damit verletzt worden. Und selbst wenn der König so schwach war, wie manche Gerüchte lauteten, ein Kardinal Richelieu war das sicher nicht, und er würde es nicht zulassen, dass Frankreich sein Gesicht in der Weltöffentlichkeit verlor. Nein, es war besser so schnell wie möglich diese Gegend zu verlassen. Dieser Auftrag noch und nichts wie weg.

Das Umgehen der englischen Gräben und Befestigungen hatte doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als er gedacht hatte. Er sollte sich besser etwas beeilen. Hier südlich der Festung gab es nur wenig Deckung. Zum Glück war es eine so finstere Nacht. Ein paar einzelne Höfe, das war alles, dann etwa vierhundert Meter offenes Gelände bis zum Felsen, auf dem Fort Saint Martin errichtet worden war. Obwohl Teile der Festung mit Fackeln beleuchtet waren, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Feind nächtens annäherte, war der Südturm kaum auszumachen. Was wohl im Kopf des jungen Hugenotten vorging, der ihm den verräterischen Bericht vom Turm herabwerfen sollte? Glaubte er, seine Kameraden im Namen seines protestantischen Gottes verraten zu müssen? Versprach er sich, im Falle eines Sieges der Hugenotten belohnt und befördert zu werden? Wie auch immer, Shamrock würde es wohl nie erfahren.

Nun noch an diesem Gehöft vorbei. Es wirkte verlassen, was wohl kein Wunder war, da es so nah an der Festung lag. Kein Geräusch war zu vernehmen, und natürlich auch keinerlei Lichtschein. Die Türe stand sperrangelweit offen, aber das war jetzt egal. Nur noch diese Wand entlang und dann in geduckter Haltung in Richtung des Turmes huschen…

Kapitel Frechheit siegt

Das Segel des robusten Fischerbootes blähte sich im Wind. Zielstrebig steuerte das dicht mit Männern unterschiedlichen Alters besetzte Fahrzeug den Hafen von St. Martin auf der Île de Ré an. Die Passagiere waren hugenottische Freiwillige, die den Herzog von Buckingham bei der Belagerung des Forts unterstützen wollten.

Der Geheimdienstchef Seiner Eminenz fiel unter ihnen nicht im Geringsten auf. Seine Grafschaft lag in der unmittelbaren Nachbarschaft von La Rochelle, etwa ein Drittel der dortigen Bevölkerung hing ebenfalls dem hugenottischen Glauben an und Armand war mit der Art dieser Menschen sich zu kleiden und sich zu geben vollkommen vertraut. Sogar der Verwalter seines eigenen Schlosses war Hugenotte! Das Gesicht des Grafen verdüsterte sich kurz. Er hoffte inständig, dass sich diese Krise hier nicht zu einem Flächenbrand ausweiten würde, der auch seine Heimat erfasste. Wie schon sein Vater vor ihm hatte er auf seinen Ländereien immer eine Politik größmöglicher Toleranz gegenüber den Anhängern des reformierten Glaubens verfolgt, was auch Früchte getragen und zu einem einigermaßen konfliktfreien Miteinander geführt hatte. Doch niemand konnte voraussehen, wie sich die Dinge entwickeln würden, wenn die Menschen durch Einflüsse von außen fanatisiert und verhetzt wurden.

Rasch verscheuchte er die sorgenvollen Gedanken wieder. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Was er heute vor hatte, war beileibe nicht ungefährlich. Nach seiner Ankunft im Lager des Herzogs von Angoulême, wo er auch Quartier bezogen hatte, war er seinem Auftrag gemäß viel unterwegs gewesen, hatte die Stimmung unter den königlichen Offizieren genauso ausgelotet wie die in La Rochelle und einer seiner ersten Wege hatte ihn zu Comte de Toiras nach Fort Saint Martin geführt. Er hatte ihm sowohl die Informationen aus England weitergegeben als auch die politischen Erwägungen des Kardinals ausgeführt und den Kommandanten solcherart darauf vorbereitet, dass er im Falle eines englischen Angriffs möglicherweise eine zeitlang auf sich alleine gestellt sein würde. Was ihn weiter zu der Frage geführt hatte, ob es eine Möglichkeit gäbe, in Kontakt zu bleiben, auch wenn die Festung belagert würde. Toiras hatte ihm daraufhin eine vertrauliche Mitteilung gemacht: Beim Bau des Forts war ein geheimer Tunnel angelegt worden, welcher in einem Erdkeller an der Südseite des Festungshügels mündete. Theoretisch konnte man durch diesen Gang Nachrichten hinaus oder auch hinein schmuggeln – vorausgesetzt es gelang dem Überbringer, sich durch die englischen Linien zu schleichen!

Nun, vielleicht würde das Schleichen heute nur bedingt notwendig sein… die Hände auf die Reling gestützt, blickte er einer kleinen, schnellen englischen Pinasse entgegen, die auf das Boot zuhielt und dann längsseits beidrehte. Wer sie seien und was sie wollten, rief die befehlsgewohnte Stimme eines Offiziers herüber. "Kann wer von Euch Englisch?", fragte jemand etwas ratlos in die Runde. Während Rochefort noch überlegte, ob er sich melden sollte, gab schon ein Anderer Antwort: "Volunteers for the Duke’s army, Sir!" Der Graf musterte den Sprecher, einen jüngeren Mann etwa in seinem Alter. Ziemlich sicher kein Franzose, ging es ihm durch den Kopf. Sein Englisch hatte keinen französischen Akzent aufgewiesen, und auch das dunkle Kupferrot seines Haars und sein Teint gemahnten eher an einen Briten. Vermutlich einer von Buckinghams Leuten, der sich in La Rochelle umgesehen hatte, vielleicht sogar mit dem Auftrag, Hugenotten für den Kriegsdienst anzuwerben.

Die Auskunft schien die Engländer auf der Pinasse zufrieden zu stellen. "Well, fine, then follow us!" Das Schiff wendete wieder und eskortierte das Fischerboot in den Hafen. Am Kai teilte ihnen ein junger Fähnrich mit, welche Richtung sie einschlagen sollten, um ins Feldlager Buckinghams zu gelangen, und nannte den Namen des Offiziers, der für die Rekrutierung der Freiwilligen zuständig war. Armand registierte, dass sich der Rothaarige sogleich von der Gruppe trennte und seiner eigenen Wege ging. Kurz überlegte er, ob er es ihm gleichtun sollte, doch dann entschied er sich, an seinem ursprünglichen Plan festzuhalten. Manchmal ließen sich mit der Devise "Frechheit siegt" erstaunliche Erfolge erzielen. Er würde es riskieren.

So erreichte er zusammen mit den Hugenotten nach einem Stück Fußmarsch das englische Lager, welches sich südlich und westlich des Forts zu erstrecken begann und das, wie man sehen konnte, noch im Wachsen begriffen war. Eine Vielzahl von Zelten stand bereits ordentlich in Reih und Glied, doch zahlreiche andere wurden gerade erst aufgebaut und es herrschte allenthalben emsiges Getriebe; das Ganze gemahnte an ein überdimensionales Ameisennest. Nach einer kurzen Kontrolle durch die Lagerwachen ließ man sie passieren. Indem er unbedarftes Staunen ob all dieses martialischen Gepränges vorspiegelte, musterte der Agent Seiner Eminenz nun alles mit höchster Aufmerksamkeit. Er versuchte sich möglichst viel einzuprägen, überschlug die ungefähre Anzahl der hier lagernden Feinde, machte sich so gut es ging ein Bild von deren Ausrüstung, Bewaffnung und Disziplin. Schließlich langten sie vor dem Offizierszelt an, wohin man sie gewiesen hatte, und nach einigem Warten in der Reihe seiner "Kameraden" stand der Graf vor dem Werbetisch. Er hatte sich zurechtgelegt, sich als Angestellter eines Weinhändlers aus La Rochelle auszugeben, der seinen Dienstgeber auch auf Handelsreisen zur See begleitete, was seine Englischkenntnisse wie auch die in seinem Besitz befindlichen Waffen, ein schlichtes, schartiges Rapier, einen Dolch sowie eine schon etwas altertümlich anmutende Radschlosspistole, erklärte. Seine Antworten und vor allem die Tatsache, dass er eigene brauchbare Waffen vorweisen konnte, schienen den Werbeoffizier zufrieden zu stellen. Armand erfasste ein kurzer Anflug unbändiger Heiterkeit – den er natürlich sorgfältig zu verbergen wusste – bei dem Gedanken, was Buckingham wohl dazu sagen würde, dass seine Leute soeben ihn, den Comte de Rochefort, als Freiwilligen in ihre Reihen aufgenommen hatten! Apropos Buckingham – was es freilich unter allen Umständen zu vermeiden galt, war eine zufällige Begegnung mit dem Herzog hier im Lager. Der Graf hatte zwar sein Aussehen ein wenig verändert, sein schulterlanges schwarzes Haar, das er sonst offen trug, im Nacken mit einem Lederband zusammengefasst und sich einen Drei-Tage-Bart stehen lassen. Trotzdem war ihm klar, dass Buckingham ihn von Angesicht zu Angesicht in jedem Fall erkennen würde.

Man informierte die Freiwilligen noch darüber, welchem Regiment man sie zuteilen würde. "Doch zuvor", hieß es dann, "brauchen wir noch jede helfende Hand beim Ausheben der Gräben an der Südseite. Ihr könnt Euch alle gleich dorthin begeben und mit anpacken." Rochefort jubelte innerlich. Besser konnte es nicht laufen. Genau in dem Bereich mündete der Geheimgang! Er brauchte sich also nicht mehr zu überlegen, wie er möglichst unauffällig dorthin kam. Dafür nahm er gern einige Stunden anstrengender Arbeit in Kauf. Die Männer machten sich auf den Weg. In einiger Entfernung erspähte Armand eine Ansammlung großer, prunkvoller Zelte – offenbar die des Herzogs und der kommandierenden Offiziere. Da kam ihnen aus dieser Richtung ein schlanker junger Kavalier entgegen. Aramis! durchzuckte es den Grafen. Ihre Blicke trafen sich. Rochefort verzog keine Miene, doch im Vorübergehen zwinkerte er dem Musketier unmerklich zu, aufmunternd und beruhigend. Etwa eine Woche nach seinem Eintreffen vor La Rochelle hatte Hector Rochefort eine Information von de Wardes weitergeleitet, die besagte, dass Aramis, gerüchteweise auf Buckingshams persönliche Intervention hin, aus seiner Haft im Tower entlassen worden war. Trotzdem war es beruhigend, den jungen Mann hier mit eigenen Augen zu erblicken. Er hatte blass gewirkt und etwas angespannt, schien aber ansonsten heil und unversehrt zu sein. Rochefort musste zugeben, dass er sich, von der unseligen Duell-Geschichte einmal abgesehen, bisher gut gehalten hatte. Er war nicht enttarnt worden und hatte dem Kardinal die Informationen geliefert, die dieser dringend benötigt hatte. Doch je länger er bei den Engländern blieb, desto riskanter wurde dieses Spiel natürlich…

Diable! Aramis glaubte seinen Augen nicht zu trauen - der Comte de Rochefort hier auf der Île de Ré?! Noch dazu mitten unter diesen hugenottischen Freiwilligen, mit Hacke und Schaufel in Händen?! Parbleu! Was hatte der Graf vor? Doch schon marschierten die Männer festen Schrittes an ihm vorbei, mit flüchtigem Gruß, und er wagte es nicht, sich nach ihnen umzusehen. Parbleu, hoffentlich hatte niemand hier seine grenzenlose Verblüffung im Anblick jenes gewissen Herrn bemerkt! Das konnte gefährlich werden, denn woher sollten der vermeintliche Hugenotte aus La Rochelle und er, der königliche Musketier, einander kennen? Doch Aramis war nach wie vor allein, niemand folgte ihm, keiner der englischen Offiziere kreuzte seinen Weg, und so wagte er es endlich, tief aufzuatmen, während seine vor Überraschung empfindlich bleichen Wangen wieder ihre natürliche Farbe zurückgewannen. Hm, hatte der Graf vor, sich heimlich in die Festung zu begeben? Überbrachte er dem Gouverneur womöglich gar persönliche Instruktionen Seiner Eminenz? Verdammt, wenn er, Aramis, doch nur Kontakt mit dem Comte aufnehmen, eine geheime Unterredung mit ihm herbeiführen könnte! Doch dies schien schlicht unmöglich, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als inständigst zu hoffen, Monsieur de Rocheforts riskanter Plan, worin auch immer dieser bestand, möge erfolgreich und reibungslos gelingen!


******


Die nächsten Stunden bis zum Abend verbrachte Rochefort mit Schaufel und Spitzhacke hantierend. Als es schließlich zu dunkel zum Weiterarbeiten war, wurden die Männer ins Lager zurück beordert. "Ich muss nur mal kurz austreten, ich komme gleich nach", ließ er den am nächsten Stehenden wissen, als sie sich gerade auf den Weg machen wollten. Der nickte nur müde und desinteressiert und trottete mit den Anderen davon. Armand hoffte, dass sein Fehlen später niemandem auffallen würde. Rasch huschte er im Schutz der Gräben dahin, die ihm nun hervorragend Deckung boten. Er orientierte sich an einem verfallenen Gehöft, das schemenhaft in der Dunkelheit zu erkennen war. Das letzte Stück dorthin führte über freies Feld, doch die Nacht war mondlos, und sich dicht am Boden auf Händen und Knien fortbewegend langte der Agent Seiner Eminenz ungesehen dort an. Der Eingang zu dem Erdkeller lag etwa 20 Meter von dem Gebäude entfernt an einer kleinen Böschung. Er konnte es nicht wagen, Licht zu entfachen, doch da er schon einmal hier gewesen war, fiel es ihm nicht so schwer, sich zu orientieren. Der Raum war vollgeräumt mit altem Gerümpel, hauptsächlich zerbrochene Regale zur Lagerung von Lebensmitteln. Ein solches stand auch an der hinteren Wand, die er vorsichtig tastend erreichte. Er schob sich hinter das Regal und ging dann in die Hocke. Der Eingang in den Tunnel war niedrig und hatte eine unscheinbare, mit einem Riegel versehene Holztür. Der Graf schlüpfte hinein, verschloss die kleine Pforte wieder hinter sich und atmete tief durch – die erste Hürde war überwunden. Er entzündete eine Kerze und machte sich auf den Weg in die Festung.

Der Gang mündete in den Vorratskellern, und auch der Ausstieg war, mit Absicht, sehr eng und schmal angelegt, sodass man sich auf alle Viere niederlassen musste um ihn zu passieren. Eine Steinplatte, die man mit Hilfe eines in der Wand verborgenen Mechanismus verschieben konnte, sicherte ihn. Unter der Besatzung des Forts wurde ab und an darüber gewitzelt, dass der Kommandant die Vorratsräume so streng bewachen ließ, als lagere dort die Kriegskasse der gesamten französischen Armee. Nur einige Eingeweihte wussten, dass es noch einen anderen Grund dafür gab, als den Diebstahl von Lebensmitteln zu verhindern. Und so sah sich der Graf auch bereits wenige Augenblicke später vier Soldaten mit gezogenen Rapieren und schussbereiten Pistolen gegenüber. "Wer seid Ihr und woher kommt Ihr? Legt Eure Waffen ab!"

"Ich bin der Comte de Rochefort. Meldet dem Kommandanten, dass ich hier bin. Er wird mich sehen wollen." Während er sprach, händigte er den Männern wie gefordert seine Waffen aus.

Die Soldaten tauschten einen kurzen Blick, dann erwiderte der Dienstälteste knapp: "Kommt mit." Sie nahmen ihn in die Mitte, stiegen eine Treppe empor, durchquerten unter den fragenden und verwunderten Blicken einiger Kameraden einen Hof und langten vor dem Hauptgebäude der Festung an, das auch das Quartier des Comte de Toiras beherbergte. Nachdem sie einige leise Worte mit den Wachen am Eingang gewechselt hatten, eilte eine von diesen rasch ins Innere des Hauses. Es dauerte nicht lange und der Mann war wieder zurück: "Führt den Herrn hinauf." Im Vorzimmer zu Toiras` Gemächern trafen sie auf den Leutnant de Souches. Er hatte den Geheimdienstchef des Kardinals bei dessen erstem Besuch hier getroffen und erkannte ihn sogleich. "Monsieur le Comte, seid willkommen. Der Herr Kommandant möchte Euch sofort sprechen." Zu den vier Soldaten gewandt, sagte er: "Ihr könnt dem Herrn Grafen seine Waffen zurück geben und Euren Posten wieder einnehmen." Ein anerkennendes Nicken für ihre Aufmerksamkeit und ihr korrektes Verhalten begleitete seine Anweisung.

Im nächsten Moment öffnete sich eine Tür auf der Gegenüberseite des Raumes und Jean du Caylar de Saint Bonnet, Comte de Toiras, trat heraus. Ein Ausdruck freudiger Überraschung lag auf seinem Gesicht. „Parbleu! Herr Graf!", rief er und steckte die Hand aus, um Rochefort willkommen zu heißen, „Ihr in eigener Person hier in dieser Festung! Bei allen Teufeln, was führt Euch zu mir?"

„Ein Plan, den ich mir überlegt habe, angesichts der Herren Engländer da draußen vor Euer Tür", antwortete der späte Besucher.

"Ein Plan?" Der Gouverneur runzelte gedankenvoll die Brauen, bat den Grafen mit einladender Gebärde hinein in sein Büro und schloss sorgfältig die Türe hinter sich, "ich nehme an, Monsieur le comte, Ihr steht mit jenem königlichen Musketier in Buckinghams Reihen, Monsieur Aramis, in geheimer Verbindung?"

„Ihr wisst über Monsieur Aramis Bescheid?", gab der Graf verblüfft zurück.

"Er kam zu mir auf die Festung, offiziell als Unterhändler Buckinghams, und vertraute sich mir in einem Gespräch unter vier Augen an. Und dies war auch gut so, denn ansonsten hätte ich ihn auf der Stelle als Deserteur verhaften lassen!", erklärte Toiras mit allem Nachdruck. "Pardon, Monsieur le comte," fuhr er fort, nun ein wenig unsicher, "hätte der junge Mann mir seinen geheimen Auftrag nicht offen mitteilen sollen? Doch wie gesagt, Schweigen wäre für ihn fatal gewesen."

„Nein, nein, das war schon in Ordnung so. Ich hatte nur keine Ahnung, dass Aramis hier bei Euch auf der Festung war. Er wurde im Auftrag Seiner Eminenz nach England entsandt und bei Buckingham eingeschleust, um dessen Kriegspläne auszukundschaften und konnte uns in der Tat von dort aus wertvolle Informationen zukommen lassen. Nur, seit er sich mehr oder minder gezwungenermaßen des Herzogs Kampagne hier anschließen musste, um jedweden Verdacht gegen seine Person zu zerstreuen, hatten wir keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mehr. Ich sah Aramis rein zufällig unten im Lager, bevor ich zu Euch kam. Aber es scheint mir zu riskant, hier persönlich Verbindung mit ihm aufzunehmen – wenn auch nur der leiseste Verdacht aufkommt, dass er für uns spioniert, ist er ein toter Mann." Rochefort schüttelte bedenklich den Kopf. „Das ist ein verdammt gefährliches Spiel, das er hier spielt. Er hätte hier bei Euch bleiben und nicht mehr ins englische Lager zurückkehren sollen. Ich nehme an, seine Absicht ist es nun, Buckingham falsche Informationen zukommen zu lassen, liege ich da richtig?"

"Jawohl.", bestätigte der Gouverneur. "Monsieur Aramis hielt es für besser, ins englische Lager zurückzukehren, um Buckingham nicht durch sein Ausbleiben womöglich zu einem sofortigen Sturmangriff zu reizen. Und er gedachte, dem Herzog bei dieser Gelegenheit falsche Angaben über die Stärke meiner Besatzung hier im Fort zu machen, um die Engländer zur Vorsicht zu mahnen und eine feindliche Attacke zu verhindern." Er hielt einen Augenblick inne, ehe er leise fortfuhr: "Ja, auch ich mache mir größte Sorgen um den jungen Mann, und ich habe ihm dies nicht verhehlt. Doch er entschloss sich dennoch, zusammen mit den freigelassenen englischen Offizieren den Rückweg ins Feldlager anzutreten - gebe Gott, dass seine heimliche Tätigkeit weiterhin unentdeckt bleibt! Doch ich muss Euch gestehen, Monsieur le comte, wir werden uns hier auf dieser Festung nicht mehr lange halten können! Meine Männer sind vom Kampf geschwächt, ihre Zahl ist empfindlich dezimiert, und unsere Vorräte gehen allmählich zur Neige!"

„Genau das ist der Grund meines Kommens. Ich habe diesbezüglich einen Plan, den ich mit Euch besprechen möchte. Wie ich schon bei meinem ersten Besuch berichtet habe, kann es aufgrund politischer Faktoren und leider auch aufgrund der ewigen leidigen Diskussionen über Befindlichkeiten und Zuständigkeiten der Herren Oberkommandierenden – ich nehme an, Ihr wisst, wovon ich rede – dauern, bis Entsatz hier eintrifft. Dies zu beschleunigen liegt leider nicht in meiner Macht. Das heißt, Ihr müsst durchhalten, und um durchzuhalten benötigt die Festung Vorräte. Die Engländer kontrollieren den Hafen von St. Martin, und ihre Schiffe patrouillieren rund um die gesamte Insel. Trotzdem könnte es mit einer gut durchdachten Aktion gelingen, Buckinghams Leute auszumanövrieren und das Fort mit Nachschub zu versorgen. Folgendes habe ich mir überlegt: - "

Der Geheimdienstchef der Kardinals schilderte Toiras sein Vorhaben; nachdem er geendet hatte, fragte er: „Und? Was haltet Ihr davon? Mir ist klar, es ist ein verwegener Plan, und wir brauchen auch eine Portion Glück, damit er gelingt. Aber allemal besser, als tatenlos abzuwarten, bis sie Euch aushungern."

„Ja, in der Tat!", erklärte der Gouverneur grimmig. „Ich muss zugeben, Euer heimliches Vorhaben scheint mir mehr als gewagt, ja, schlichtweg tollkühn und dazu schlau wie der Teufel selbst! Doch es ist und bleibt wohl unsere einzige Rettung! Ohne ausreichenden Proviant kann ich diese Festung nicht halten, gebe also Gott, Euer Plan möge gelingen!" Und damit reichte er dem Comte de Rochefort die Hand.

 

 

Kapitel Riskantes Spiel

Rochefort verließ den Erdkeller und spähte in die Runde – alles ruhig. Rasch huschte er zu dem Gehöft hinüber. Es musste nun etwa um Mitternacht herum sein. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ob er noch einen Tag länger im englischen Lager bleiben und doch versuchen sollte, mit Aramis Kontakt aufzunehmen. Nein, zu riskant. Sowohl für ihn als auch für den jungen Musketier. Er bewegte sich an der Wand der Schmalseite des Hofes entlang auf die Hausecke zu. Ein wenig abgelenkt durch seine Überlegungen registrierte er die Gefahr im allerletzten Moment – da war jemand! Keine Zeit mehr, eine Waffe zu ziehen, er bog bereits um die Ecke! Der Graf reagierte im Reflex und blitzschnell, rammte dem Mann den linken Ellbogen in die Magengrube und versetzte ihm mit der Rechten einen Fausthieb gegen den Kopf. Doch entweder der Kerl hatte einen ziemlich harten Schädel, oder er hatte ihn in der Hast schlecht erwischt, jedenfalls ging der Fremde zwar zu Boden, war aber keineswegs außer Gefecht, sondern versuchte sich wegzurollen und langte mit der Hand zu seinem Stiefel, wohl um ein Messer zu ziehen. Der Agent Seiner Eminenz kam ihm abermals zuvor, riss seine Pistole aus dem Gürtel und schlug mit dem Kolben zu. Betäubt blieb der Mann liegen.

Gespanntes Lauschen, doch die Nacht blieb still – offenbar hatte niemand den kurzen Kampf bemerkt. Armand fluchte innerlich. Auf Situationen wie diese konnte er gut und gerne verzichten. Ihm war klar, dass er den Unbekannten eigentlich nicht am Leben lassen konnte. Aber es war eine Sache, einen Gegner im Kampf auszuschalten – einem Wehrlosen die Gurgel durchzuschneiden eine ganz andere. Er wollte wissen, wen er hier eigentlich überwältigt hatte. Den Bewusstlosen unter den Achseln fassend, schleifte er ihn auf den offenen Hauseingang zu. Bei seinem ersten Besuch auf der Insel hatte er sich dieses Gebäude auch von innen angesehen und wusste daher, dass es hinter der Küche noch einen kleinen, fensterlosen Raum gab, wohl eine ehemalige Vorratskammer. Dort hinein schleppte er den Mann, lehnte ihn gegen die rückwärtige Wand und zog schwer atmend die morsche Holztür hinter sich zu. Nun konnte er es wagen, Licht zu entzünden. Die Kerze hochhaltend nahm er seinen Gefangenen in Augenschein – und hielt überrascht inne. Das war doch der Engländer, den er auf dem Boot gesehen und der sich dann nach der Landung von der Gruppe getrennt hatte! Er machte nicht den Eindruck eines Soldaten oder Söldners, auch seine Hände sahen nicht aus wie die eines Menschen, der körperlich hart arbeiten musste oder täglich mit Waffen hantierte. Sein Gesicht wirkte intelligent, einnehmend, ja sympathisch. Der Graf durchsuchte ihn gründlich nach Waffen, tastete auch die Kleidung und deren Innenfutter nach verborgenen Briefen oder Dokumenten ab. Was er fand, waren ein Beutel mit Feuerstein, Stahl, Zunder, nebst einer Kerze, ein kleiner Geldbeutel mit ein paar kleineren französischen Münzen sowie zwei fein geschnitzte Würfel, vielleicht aus Elfenbein, und ein Päckchen abgegriffener Spielkarten. Und da waren natürlich der Stiefeldolch, den Rochefort erwartet hatte, und zwei weitere Dolche, die sehr ausbalanciert wirkten und wohl Wurfklingen waren. Nichts jedoch, was ihm einen genaueren Aufschluss über die Identität des Mannes oder dessen Absichten gegeben hätte. Er platzierte die Dinge neben sich auf dem Boden, holte eine kleine Feldflasche hervor und spritzte dem Betäubten etwas Wasser ins Gesicht, worauf dieser benommen blinzelnd die Augen aufschlug. Rasch drückte er dem Mann mit der anderen Hand seinen Dolch an die Kehle. „Wenn Ihr zu schreien versucht, seid Ihr tot."

Shamrock war noch halb betäubt, erkannte aber sofort, dass er in Lebensgefahr war. Der Dolch an seiner Kehle und die Worte waren deutlich gewesen. Und der Mann bluffte nicht, das hatte er am Tonfall herausgehört. Andererseits, wenn ihn der Fremde hätte töten wollen, wäre das bereits geschehen. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er versuchen sollte, vorsichtig nach seinen versteckten Klingen zu greifen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Zu gefährlich, er musste auf Zeit spielen. Er stöhnte daher leise, besser er tat so als wäre er schwerer verletzt. „Was wollt Ihr von mir?", röchelte er unter einem weiteren gequälten Stöhnen.

Rochefort kniff leicht die Augen zusammen und musterte sein Gegenüber eindringlich. Verstellte sich der Fremde nur, oder ging es ihm tatsächlich so schlecht? An dessen Haaransatz begann sich zwar eine ansehnliche Beule zu zeigen, doch der Graf hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass er seinen Kontrahenten ernsthaft verletzt hatte. „Wer seid Ihr und was wolltet Ihr hier?" fragte er scharf.

„Patrick, und ich wollte mir die Befestigungen der Südseite des Forts ansehen - für gute Informationen gibt es gutes Geld von den Offizieren", antworte der junge Ire gepresst. Ein guter Bluff musste immer einen Teil Wahrheit enthalten, es gab ja wirklich Belohnungen für Informationen, und zur Südseite der Festung wollte er ja auch.

Der Agent Seiner Eminenz schwieg einige Atemzüge lang. „Wenn Ihr vernünftig seid und keinen Lärm schlagt, dann können wir uns in einer etwas angenehmeren Position unterhalten", schlug er dann vor und sah seinen Gefangenen dabei fragend an.

„Sure", und dann ergänzend auf Französisch: „Aber sicher doch", war die kurze Erwiderung.

Vorsichtig zog Rochefort daraufhin seinen Dolch zurück und ließ sich zirka in einem Meter Abstand auf dem Boden nieder. Er griff nochmals nach seiner Feldflasche und hielt sie dem Mann entgegen: „Wasser?"

„Danke". Shamrock griff sich an den Kopf. Er schmerzte, aber er konnte nicht umhin, etwas zu übertreiben. Vorsichtig blickte er sich um. Der Fremde hatte ihm natürlich seinen Stiefeldolch abgenommen, und auch seine beiden Wurfklingen. Ob er das kleine Rasiermesser übersehen hatte, das im Kragen der Jacke versteckt war? Aber das war egal, es hatte ihm schon bei vielen Gelegenheiten geholfen, aber das war keine von ihnen. Der Mann ihm gegenüber war extrem aufmerksam. Ein einfacher hugenottischer Freiwilliger, wie man aus der Kleidung hätte schließen können, war das sicher nicht. Vorsichtig nahm er die Wasserflasche entgegen, nahm einen Schluck und gab sie ebenso vorsichtig zurück. Die Gefahr, abgestochen zu werden war noch lange nicht gebannt. Er musste das Gespräch am Laufen halten und abwarten. Bitten oder gar Betteln war hier der falsche Weg, soviel hatte er bereits erkannt. Daher fragte er ganz offen: „Und wie geht es jetzt weiter?"

Ein leises ironisches Lächeln glitt über das Gesicht des Grafen. "Um ehrlich zu sein: darüber bin ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren. Es wird wohl in erster Linie von Euch abhängen." Eine kurze nachdenkliche Pause. "Ihr seid vermutlich weder Soldat noch Söldner. Und den kleinen Habenichts, der für ein paar Münzen Kopf und Kragen riskiert, indem er hier kundschaften geht, nehme ich Euch auch nicht ab." Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf "Patricks" Kleidung, die zwar schlicht und zweckmäßig, aber durchaus nicht ärmlich, sondern von guter Qualität war. "Außerdem: Warum solltet Ihr hier in der Nacht herumschleichen, wenn es nur darum geht, Euch die Befestigungen anzusehen? Bei Tag sieht man die viel besser. Die englischen Truppen haben die ganze Insel besetzt, einen Belagerungsring um das Fort angelegt, sie können hier tun und lassen, was sie wollen. Um die Festung näher in Augenschein zu nehmen bedarf es also keiner Heimlichtuerei. Und wenn man nicht in Schussweite geraten will – nun, es gibt Fernrohre…. Ich habe Euch auf dem Fischerboot gesehen. Wisst Ihr, was ich denke: Ihr arbeitet für Buckingham, seid aus seinem Stab oder seid ein Militärkundschafter aus seinen Regimentern und werbt vielleicht auch Freiwillige in La Rochelle an." Gespannt wartete Rochefort, wie der Mann auf diese Analyse reagieren würde.

Seamus erwiderte das Lächeln: „Ah, so wie Ihr sprecht und an der Art wie Ihr darüber redet lässt sich also schließen, Ihr seid ein Kundschafter der sich nähernden französischen Truppen. Nun, Eure Abneigung gegen die Handlungen von Buckingham kann ich als Ire sogar gut verstehen, aber in diesen Zeiten muss man sehen, wo man bleibt. Und da Ihr ein guter Stratege zu sein scheint, wisst Ihr sicher auch Folgendes: Jede Festung hat ihre Schwachstellen… Abfallschächte, Aborte, Brunnen, die nicht im Festungskranz liegen, tote Winkel, die die Kanonen nicht abdecken... Das kann man nicht mit einem Fernrohr einschätzen, und bei Tageslicht riskiert man eine Kugel vom Fort herab. Es scheint mir also, wir gehen einer ähnlichen Profession nach. Bleibt die Frage, ob wir uns für ein paar gesammelte Informationen wirklich gegenseitig umbringen müssen?"

Rochefort hörte ihm mit wachsendem Interesse zu. Ein Ire also. Interessant. Und seine erste Einschätzung hatte ihn offenbar nicht getrogen. Der Fremde war klug und besaß, das musste man ihm lassen, eine gehörige Portion Mut und Kaltblütigkeit. Armand gewann immer mehr den Eindruck, einen „Berufskollegen" vor sich zu haben. Äußerlich blieb seine Miene kühl und unbewegt, als er bei dessen letzter Frage einhakte: „Damit wären wir genau beim Punkt. Im Moment", er warf einen kurzen Seitenblick auf das Spielkartenpäckchen, das mit den anderen gefundenen Sachen neben ihm auf dem Boden lag, „habe ich die besseren Karten. Aber das Blatt kann sich rasch wenden. Ich kann Euch gehen lassen und darauf zählen, dass Ihr mich nicht verratet. Tut Ihr es allerdings doch, habe ich ein Problem. Ich könnte Euch auch fesseln und knebeln und dann hier lassen. Aber wenn Ihr Pech habt, findet Euch keiner, und Ihr krepiert elendiglich. Weder das eine noch das andere scheint mir eine besonders erfreuliche Option. Daher frage ich Euch nun: Habt Ihr eine Idee, wie Ihr mich davon überzeugen könntet, Euch zu vertrauen? Wenn ja, dann hätten wir vielleicht eine Lösung für dieses Dilemma."

„Ich gebe zu, das ist etwas schwierig. Ihr könntet meinem Wort vertrauen, aber Ihr kennt mich nicht. Aber das Risiko ist für Euch vielleicht nicht so groß, wie Ihr denkt. Schusswaffe habe ich keine, also könnte ich nicht sofort Alarm schlagen. Wenn ich schreie, fange ich mir wahrscheinlich eine Kugel ein – vielleicht sogar von der eigenen Seite, nicht gerade meine Vorstellung von klugem Verhalten. Ich könnte zurück zum englischen Lager, jemand Kompetenten wecken lassen, Bericht erstatten und nach Euch suchen lassen. Optimistisch geschätzt dauert das zwei Stunden, und dann suchen sie nach einem französischen Spion in hugenottischer Kleidung, den ich beschrieben habe, wie ich ihn im Schein einer Kerze gesehen habe. Dass es französische Spione geben könnte, kann sich das englische Oberkommando denken, selbst wenn es mehr Feste feiert als Pläne auszuarbeiten. Euer einziges Risiko wäre es also, von der Insel herunterzukommen, ohne dass ich Euch persönlich wiedererkenne. Ich kann Euch versichern, dass ich Euch nicht jagen werde. Ihr habt mein Leben verschont, und meine Mutter hat keinen undankbaren Schurken großgezogen. Wir mögen auf verschieden Seiten stehen, und in den nächsten Wochen mag so manches Gräuel geschehen, aber noch gibt es Männer, die zu ihrem Wort stehen." Shamrock hatte versucht, Überzeugung in das Gesagte einfließen zu lassen. Wenn er den Fremden nicht überzeugen konnte, würde es einen Kampf auf Leben und Tod geben, den er höchstwahrscheinlich verlieren würde. Seine Worte waren ehrlich gewesen, aber was würde er in umgekehrter Lage tun? Nun, seinem Instinkt als Spieler mit Menschenkenntnis vertrauen - aber sein Gegenüber? Er konnte ihn noch nicht richtig einschätzen, aber seine Chancen hatten sich in den letzten Minuten wieder etwas verbessert.

Eine ganze Weile sah der Graf den Iren an, ohne etwas zu erwidern. Widerstreitende Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Im Grunde hatte er sich bereits entschieden, aber konnte er das auch verantworten? Konnte es nicht auch sein, dass dieser „Patrick" einen Hinweis auf den Geheimgang hatte und danach suchen wollte? Wenn der Tunnel entdeckt würde, könnte das den Fall des Forts nach sich ziehen, und es wäre dann seine, Rocheforts, Schuld. Doch andererseits war der Mann nicht in Richtung des Erdkellers unterwegs gewesen, als er ihn überrumpelt hatte, sondern eher in die Gegenrichtung... Und dass der Ire ihn täuschen und doch ans Messer liefern wollte, dieses Gefühl hatte er eigentlich nicht... Er atmete tief durch. „Also gut. Ich habe Euer Wort, dass Ihr nicht versucht, mir zu folgen, und keinen Alarm schlagt. Ihr habt mein Wort, dass ich Euch unbehelligt gehen lasse." Er streckte seinem Gegenüber die Hand hin – und entschied sich spontan, seinen Einsatz noch etwas zu erhöhen: „Ich bin der Comte de Rochefort."

„Der Comte de Rochefort…", Seamus wiederholte diese Wort langgezogen. Die wandelnde Klinge des Kardinal Richelieu, dachte er bei sich, oh my dear – und das sagt er mir auch noch so offen. Jetzt gäbe es einen triftigen Grund, Buckingham und seine Offiziere zu verständigen. Man munkelte, Rochefort war auch der Leiter des französischen Geheimdienstes. Was wollte er persönlich hier? Hmm… mit dem Festungskommandanten reden? Eine Nachricht in die Festung rein- oder rausschmuggeln? Dann griff er entschlossen nach der dargebotenen Hand. „Monsieur le Comte gehen ein großes Risiko ein, mir seinen Namen zu nennen. Mir ist nicht ganz klar, warum, außer vielleicht, um herauszufinden, ob mir Euer Name geläufig ist. Nun, ein gegebenes Wort ist ein gegebenes Wort." Vorsichtig, damit es nicht missverstanden würde, griff der junge Ire mit seiner linken Hand offen und deutlich unter seinen Ärmelaufschlag, holte ein kleines getrocknetes Kleeblatt heraus und hielt es Rochefort hin. „Ihr könnt mich Shamrock nennen, wer weiß, vielleicht sieht man sich eines Tages wieder, ich bin ein freier Mann, und meine Heimat ist Irland."

Armand nahm das Kleeblatt entgegen, betrachtete es kurz und verstaute es dann behutsam in einem Beutel an seinem Gürtel. Dann ruhte der Blick seiner nachtdunklen Augen wieder auf Shamrock. „Ich danke Euch für dieses Zeichen des Vertrauens." Nachdenklich fuhr er fort: „Warum ich dieses Risiko eingehe? Nun, Eure Vermutung ist zwar auch nicht ganz unrichtig, aber der eigentliche Grund ist das, was Ihr zuvor gesagt habt: Keiner weiß, wohin all dies hier noch führen wird ... zu nichts Gutem, vermutlich. Da kann es gewiss nicht schaden, auf der jeweils anderen Seite jemanden zu kennen, auf dessen Wort man zählen kann, oder?"

„Dem kann ich nur zustimmen, aber wenn sich die ganze unerfreuliche Angelegenheit zu einem Krieg ausweitet, dann ist das nicht mein Krieg. Ich stehe jemandem im Wort, einem Mann wie Ihr einer seid, und ich denke, auch in einer sehr ähnlichen Position. Aber ich gedenke mich nicht in einen längeren Konflikt hineinziehen zu lassen. Ich wünsche Euch viel Glück, viel Erfolg zu wünschen, wäre dann doch etwas übertrieben." Über Seamus` Gesicht zuckte ein freundliches Lächeln, doch dann wurde er sofort wieder ernst. „Es bleibt noch zu regeln, wer von uns zuerst geht und wie lange der andere wartet."

"Ich denke", meinte Rochefort, während er sich erhob, "ich werde jetzt einfach aufbrechen, und Ihr geht danach, wenn Ihr es für richtig haltet. Es tut mir leid, dass unsere Begegnung anfangs für Euch so … hmm … unangenehm verlaufen ist. Vielleicht gibt es ja einmal ein Wiedersehen unter erfreulicheren Umständen." In seiner Stimme, die bisher neutral und emotionslos geklungen hatte, lagen nun Respekt und auch eine Spur von Wärme. Er nickte grüßend. "Au revoir. – Und gebt auf Euch Acht."

„Same to you", war die kurze Replik.

 

Kapitel Konfrontation

Shamrock blieb noch einige bange Minuten, nachdem Rochefort gegangen war, in dem verlassenen Haus. Ob der Graf noch draußen war und ihn beobachten würde, sobald er das Gehöft verließ? Aber die Zeit drängte. Wenn er seinen Auftrag noch beenden wollte, musste er schleunigst zum Südturm der Festung. Sollte er das wirklich riskieren? Aber auch der Comte hatte so einiges zu verlieren, wenn er blieb, oder? Nachdenklich spielte er mit den Elfenbeinwürfeln in der Hand. Dann war es entschieden. Geduckt und vorsichtig ging es Richtung Festung. Mehrmals blickte sich Seamus um und lauschte in die dunkle Nacht hinein, aber es war nichts Verdächtiges zu sehen oder zu hören.

Endlich war er an der Stelle angekommen, die man ihm genannt hatte. Dort oben war die Schießscharte. Er setzte sich, zog sein weißes Taschentuch hervor und hielt es ausgebreitet in seinen Händen. Mit dem Körper deckte er die der Festung abgewandte Seite ab. Von oben war selbst in einer mondlosen Nacht so ein Stück weißer Stoff sicher gut zu sehen. Es dauerte aber trotzdem aus Shamrocks Sicht eine kleine Ewigkeit, bevor sich etwas tat. Dann jedoch fielen ein paar winzige Kiesel von der Mauer. Er stand auf, blickte nach oben und wich etwas zurück. Und da fiel auch schon ein Stein herab. Das Geräusch des Aufschlags war dumpf, trotzdem zuckte der junge Ire zusammen. Wieder blickte er sich um und lauschte, aber das Glück schien ihm wieder hold zu sein. Rasch ergriff er den Stein, löste das Lederband darum und steckte die Papiere ein.

Ein paar Stunden später betrachtete Shamrock die Papiere, die ihn fast das Leben gekostet hätten, in einem sicheren Versteck. Gründlich waren diese Calvinisten, das musste er zugeben. Fein säuberlich war da aufgezählt, dass es von den ursprünglich 200 Mann Kavallerie und 1000 Mann Infanterie 29 tote und 67 verwundete Kavalleristen und 108 tote und 134 verwundete Infanteristen gäbe. Weitere 82 Mann, darunter 4 Offiziere, vermutete man als gefangen. 31 Engländer hatte man als Gefangene, die höheren Offiziere unter ihnen waren bereits freigelassen worden. 57 Pferde waren getötet oder von den Engländern erbeutet worden. Auch Skizzen des Forts waren vorhanden, und ebenso, wo die Kanonen standen und welches Kaliber sie hatten, war eingezeichnet. Seamus schüttelte verwundert den Kopf – wenn schon Verräter, dann aber gründlich, schien das Motto dieses hugenottischen Unteroffiziers gewesen zu sein. Eine Täuschung schien nicht vorzuliegen, denn sonst wären die Zahlen wohl höher gewesen.

Es war nur wenig Zeit geblieben, um sich frisch zu machen und die Kleidung zu säubern, von Schlaf gar nicht die Rede. Shamrock wollte aber die Papiere so schnell wie möglich loswerden. Für ihn bedeuteten sie nur eine Gefahr, und sobald er sie übergeben hatte, betrachtete er seine Schuld als beglichen und seinen Auftrag für beendet. Und dann weg von hier, es roch schon jetzt bereits überall nach Blut und Tod am Rande des englischen Hauptlagers. Kurz bevor er auf den Lagerposten traf, brach Shamrock einen längeren, sehr dünnen Zweig von einem Busch ab. Diesen knickte er dreimal, ohne den Zweig dabei ganz zu brechen. Dadurch entstand, wenn man es richtig betrachtete, ein großes „W". Das war ein Erkennungszeichen, das der legendäre Großvater des jetzigen englischen Geheimdienstchefs, Francis Walsingham, der Meisterspion Königin Elisabeths I., eingeführt hatte. Es war völlig unauffällig, und neben eingeweihten Agenten kannten es nur die Mitglieder der königlichen Familie und wichtige Minister. Der Posten war unwirsch und unfreundlich, als ihm Shamrock einen gefalteten Brief mit dem darin enthaltenen Stöckchen überreichte und ihn bat, ihn dem Herzog von Buckingham persönlich zu übergeben und dass er auf Antwort warten würde. Man ließ ihn warten. Das hatte er befürchtet, aber daran ließ sich nichts ändern. Auf Nachfrage erfuhr er, der Herzog habe sich entschlossen, ein morgendliches Bad zu nehmen, dann eine ausführliche Morgentoilette, gefolgt von einem ausgiebigen Frühstück, sowie einer wichtigen Anprobe seines Schusters, da eines seiner liebsten Paar Stiefel beim Angriff beschädigt worden war. Seamus kochte innerlich. Am liebsten hätte er die so wichtigen Papiere ins Lagerfeuer geworfen.

Endlich, es war in der Zwischenzeit fast Mittag, kam eine prunkvoll gekleidete Ordonnanz und befahl ihm, ihr zu folgen. Das Kommandozelt glich eher einem glitzernden Bazar, den Seamus nur aus den Beschreibungen des fernen Orients kannte, als einem militärischem Hauptquartier. Überall waren kostbare Teppiche, Seidentücher, vergoldete Kandelaber, ja sogar Ölgemälde mit Portraits von Buckingham. Dazu ein penetranter Geruch nach verschiedenen süßlichen Parfums, der in Seamus eher Brechreiz als Wohlbefinden auslöste. Der Herzog selbst empfing ihn in einem violetten Seidenmorgenmantel, der mit Brüssler Spitze besetzt war. Er thronte auf einem hohen Lehnstuhl aus Ebenholz, nur der riesige Tisch mit einigen Landkarten und Schiffsmodellen und Modellen für Truppen erinnerte daran, dass man sich im englischen Oberkommando eines Kriegszuges befand und nicht im Salon einer teuren Kurtisane.

„Ah, der Spion von Lord Walsingham", wurde er begrüßt, „was habt Ihr zu berichten? Aber nur in aller Kürze. Auf mich warten wichtige Verhandlungen."

Kurz kann er haben, dachte Shamrock bei sich und hielt Buckingham die Papiere hin. Er versuchte, seinen Ärger herunter zu schlucken, dieser arrogante Schnösel hatte ihn als Spion bezeichnet, und das in Anwesenheit der Ordonnanz, zweier Leibwachen und eines Dieners, der dem Herzog gerade Wein nachschenkte. „Mit ergebensten Grüßen von Euren hugenottischen Verbündeten, Eure Lordschaft", waren die einzigen Worte, die er sagte.

Der Oberbefehlshaber der englischen Truppen nahm die Papiere, überflog die Aufstellung kurz und warf auch einen recht kurzen Blick auf die Skizzen. „Die Zahlen können unmöglich stimmen", und zur Ordonanz gewandt: „Bittet den Herzog von Rohan, ob es ihm möglich wäre, mir so bald als möglich seine Aufwartung zu machen und lasst nach dem Chevalier d’Herblay schicken."


*****


"Seine Lordschaft wünscht mich zu sehen?"
Aramis erhob sich von seinem Feldstuhl im Offizierszelt, das er mit Lord Fairchild, einem jungen Leutnant, teilte, und griff mit gezwungenem Lächeln nach Hut und Handschuhen. Zum Teufel, was wollte Buckingham jetzt schon wieder?! Ihm zum wiederholten Male die Ohren vollsingen, welch grandiose Schlacht er doch gegen Toiras` Truppen geschlagen habe, als oberster Befehlshaber der ruhmreichen englischen Flotte? Ihm abermals in den grellsten Farben ausmalen, wie erbärmlich und schlichtweg aussichtslos nun des Herrn Gouverneurs Lage sei? Mon Dieu! Ihm, Aramis, blieb beim Anhören jener triumphierenden Tiraden nichts anderes übrig, als ergeben zu nicken, mit unbewegter Miene und heimlich loderndem Zorn im Herzen - er war immerhin Franzose und noch dazu königlicher Musketier! Genierte sich der Herr Herzog denn gar nicht, vor ihm in höchster Begeisterung über die unmittelbar bevorstehende vernichtende Niederlage der französischen Besatzung zu fantasieren?! Peste! Am liebsten wollte er dieses elende Spiel beenden, seine Karten auf den Tisch werfen und stehenden Fußes zu Toiras zurückkehren! Sollte er sich nicht doch bei Nacht und Nebel davonstehlen, hinüber zum Fort, und dort um Einlass bitten? Doch wer weiß, was dann geschah! Und sich unbemerkt aus dem Feldlager zu schleichen, erwies sich wohl als äußerst schwierig. Zudem gab er damit seinen geheimen Auftrag preis, und der Himmel allein wusste, was daraus wohl erwuchs! Nein, er musste ausharren, bis zum bitteren Ende, ihm blieb schlicht und einfach nichts anderes übrig!

Jene düsteren Gedanken wälzend, folgte der junge Mann dem Offizier zu Buckinghams Prunkzelt, das sich in seiner opulenten Pracht wie ein märchenhaftes Traumgebilde inmitten der schier endlosen Zeltreihen erhob, und als Aramis darauf zustrebte, gewahrte er einen dunkelhaarigen Herrn, begleitet von zwei farbenprächtig livrierten Lakaien, der sich ebenfalls raschen Schrittes dem Zelteingang näherte. Der Duc de Rohan! Parbleu, was hatte Buckingham vor? Wollte er etwa Kriegsrat halten, mit seinem hugenottischen Verbündeten, um die belagerte Festung schnellstmöglich zu Fall zu bringen?

Der Duc de Rohan hielt ebenfalls inne, als er den jungen Musketier gewahrte, und nickte bloß gnädig, als dieser respektvoll seinen Hut zog und sich verneigte. Doch Rohans Gedanken schweiften sofort ab, im Angesicht des imposanten Feldlagers - ja, es war tatsächlich geschehen wie zu erwarten, die englischen Truppen hatten gesiegt! Toiras, sein Feind, war zum Rückzug gezwungen und musste sich nun notgedrungen hinter den Mauern seines Forts verschanzen! Ha, welche Genugtuung! Nun hatte sich das Blatt gewendet, für jenen verwegenen Herrn! Er, der vordem die Hugenotten und damit auch ihn, Rohan, mit Waffengewalt von der Île de Ré vertrieb, war nun von ihnen eingekesselt und zur Kapitulation gezwungen! Jawohl, Toiras` Schmach mit eigenen Augen zu sehen, lohnte allein schon die Überfahrt! Parbleu, wie wollte er, Rohan, triumphieren, wenn die mühsam verteidigte Festung seines Gegners endlich fiel!

Der Herzog lächelte siegesgewiss und reckte seine gedrungene Gestalt, die Wachen am Zelteingang verneigten sich ehrerbietig und wichen zurück, als er, seine beiden pompös bekleideten Lakaien im Schlepptau und in gehörigem Abstand von Aramis gefolgt, in Buckinghams prunkvolle Behausung trat.

„Ah! Monsieur le duc!", rief dieser sofort, im Kreise seiner Offiziere, erhob sich majestätisch, als wäre er der König selbst, und breitete in theatralischer Geste die Arme aus. „Seid willkommen! - Und ebenso Ihr, Monsieur Aramis! Meine Herren, tretet bitte näher, wir haben etwas äußerst Wichtiges zu besprechen! Yes, I say, a matter of vital importance!"

Der junge Musketier verneigte sich schweigend vor seinem Gönner, in tiefer, pflichtschuldiger Reverenz, doch als er sich wieder aufrichtete und seinen Blick über die Schar der anwesenden Offiziere gleiten ließ, war ihm mit einem Mal, als durchzuckte ein Blitz alle seine Glieder. Zum Teufel, sah er recht?! Dort drüben stand doch kein anderer als dieser junge Kerl, jener gewisse Shamrock, wie er sich zu nennen beliebte! Was in aller Welt hatte der in diesem kriegerischen Kreis zu suchen? Aramis spürte, wie sich seine Muskeln spannten, plötzlich war er hellwach, alle seine Sinne geschärft - parbleu, was ging hier vor?

Shamrock wurde innerlich immer grimmiger. Buckingham hatte seinen ganzen Offiziersstab holen lassen. Wollte er all diesen Leuten seine Identität als Agent von Lord Walsingham preisgeben, auch diesem Aramis, der wohl ein französischer Spion war? Zum Glück hatte er vor wenigen Augenblicken wenigstens den kleinen Ast wieder unauffällig an sich nehmen können und ihn zerbrochen. Auch de Rohan konnte ihn noch vor den anderen Anwesenden enttarnen, und es reichte eigentlich schon, dass er anwesend sein musste. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Aber aufgepasst, seine Lordschaft schwadronierte weiter…

„Mylords", erklärte der Herzog mit erhobener Stimme, „I really must say, I`m completely astonished! Ich erhielt soeben eine höchst seltsame, um nicht zu sagen erstaunliche Botschaft, der Überbringer derselben weilt hier in unserer Mitte!" Und damit wandte er sich um und nickte dem jungen Iren gnädig und herablassend zu.

Sofort wandten sich alle Köpfe, die anwesenden Offiziere blickten Shamrock überrascht und stirnrunzelnd ins Gesicht. Devil, was hatten Lord Buckinghams Worte zu bedeuten? Wer zum Teufel war dieser rotlockige Zivilist?! Schon wollte sich Gemurmel erheben, doch der Herzog brachte seine Stabsangehörigen mit brüskem Wink zum Schweigen. Mit schwungvoller Gebärde nahm er das erwähnte Schreiben vom Tisch und präsentierte es seinen Männern. „Man übermittelt uns hiermit genaue Nachricht über die Stärke der französischen Besatzung im Fort Saint Martin! Und diese soll, wie ich mit Erstaunen las, weit geringer sein als - !" Doch weiter kam er nicht, denn im selben Augenblick näherten sich von draußen rasche, sporenklirrende Schritte, das Zelttuch vorm Eingang flog auseinander, und ein junger Mann in Uniform drang brüsk in die militärische Versammlung. „Mylord, meine Herren Offiziere!", stieß er hervor, heiser und sichtlich außer Atem, „ich habe die Ehre, mich zurückzumelden!"

„Goodness gracious! Sergeant Keeley!", riefen die Offiziere wie aus einem Munde, und auch Lord Buckingham starrte dem Neuankömmling verblüfft ins Gesicht, „haben Euch die Franzosen endlich freigelassen? Teufel noch eins! Das wurde auch Zeit!"

„Sergeant, ich beglückwünsche Euch!", fuhr Buckingham, sichtlich ungehalten ob der Störung, mit ärgerlichem Stirnrunzeln fort, „doch ersuche ich die Herren, ihre Freudensbezeugungen gefälligst auf später zu verschieben! Wie ich eben sagte, erhielt ich von jenem jungen Mann hier eine Nachricht unserer hugenottischen Verbündeten über Stärke und Bewaffnung der französischen Besatzung im Fort Saint Martin, doch weichen ihre Angaben beträchtlich davon ab, was Monsieur Aramis mir unlängst berichtet hat. Und nun, Mylords, frage ich mich, wie in aller Welt kommt dies? Will Toiras uns etwa eine Falle stellen, indem er uns heimtückisch falsche Zahlen übermittelt?"

Einen Augenblick lang herrschte konsternierte Stille, dann erhob sich immer lauteres Gemurmel, wie drohendes Donnergrollen - Aramis überlief es kalt, verflucht, er hatte es gewusst! Dieser Shamrock stand in hugenottischem Sold und verrichtete heimliche Dienste für Buckingham! Parbleu, nicht umsonst traf er, Aramis, den jungen Mann in des Herrn Herzogs fürstlichem Palais! Jawohl, Buckingham und Rohan führten diesen Feldzug, und Shamrock war ihr geheimer Mittelsmann! Sacrédieu! Was sagte Buckingham gerade eben? Detaillierte Zahlen?! Somit musste sich unter Toiras` Männern ein Verräter befinden! Wie sonst hätte der junge Engländer an diese ominöse Botschaft kommen können! Verdammt! Er, Aramis, musste nun schleunigst reagieren! „Mylord, Ihr habt recht, diese Angaben müssen falsch sein!", erklärte er mit allem Nachdruck und unter enerviertem Räuspern. „Bitte verzeiht, doch berichtete Euch der Herr Überbringer, wie er an diese Botschaft kam? Der Feind könnte gezielt versuchen, Euch zu täuschen!"

„Nein, das hat er nicht!", gab Buckingham zu, während sich eine steile Falte auf seiner Stirne bildete. Er wandte sich brüsk um, dem jungen Iren zu. „So sagt mir denn", forderte er vehement und mit erhobener Stimme, „wer übergab Euch dieses Schreiben?!"

„Verzeiht mir, Eure Lordschaft, aber es genügt völlig, dass meine Identität in diesem Kreis bekannt ist", ein vielsagender Blick richtete sich in Richtung Aramis, „meine Quelle ist auf jeden Fall wesentlich zuverlässiger als die Angaben eines französischen Musketiers. Ich werde Euch den Namen des Mannes sicher nicht nennen, von dem diese detaillierten Informationen stammen, die ja auch Skizzen der Befestigung und die Ausrichtung und Stärke der Kanonen enthalten. Aber seid versichert, der Herr Herzog von Rohan und auch seine überaus geschätzte Frau Mutter können die Zuverlässigkeit der Quelle bestätigen." Seamus hatte etwas lauter gesprochen als er eigentlich gewollt hatte, aber die Borniertheit von Buckingham ging ihm langsam wirklich auf die Nerven.

„Nun, in diesem Punkt hat der Mann wohl Recht.", erklang die leicht polternde Stimme des angesprochenen Hugenottenführers.

Buckingham zog prompt die stolzen Brauen hoch. „Monsieur le duc, Ihr vertraut somit vollkommen diesen anonymen Informationen?", versetzte er scharf. „Bitte verzeiht, wenn ich nach wie vor Zweifel daran hege! Toiras ist Euer erklärter Gegner, und er scheint mir, Monsieur Aramis` Schilderung zufolge, zudem ein Mann zu sein, der beileibe nicht auf den Kopf gefallen ist! Besteht nicht Gefahr, er könnte versuchen, Euch wie mich mit einer raffinierten Finte zu übertölpeln? Goddam, das sieht mir wahrhaftig nach einer abgefeimten Kriegslist aus! Und daher meine ich, man sollte - !"

„Eure Lordschaft!", unterbrach da eine ärgerliche Stimme Buckinghams enervierten Sermon, und ein älterer Offizier von muskulöser Gestalt und scharfgeschnittenen Zügen wies mit ungeduldiger Geste auf das Schreiben in der Hand des Herzogs. „Bitte verzeiht, doch wir, die Herren Offiziere Eures Stabes, können Eurem eindringlichen Vortrag mitnichten folgen, solange wir über den genauen Inhalt dieser Botschaft nicht informiert sind! Hättet Ihr, Mylord, nun bitte die Güte, uns diesen mitzuteilen, damit wir darüber im Bilde sind?"

Der Herzog warf dem kühnen Sprecher einen wütenden Blick zu – zum Teufel, was erlaubte sich dieser Herr, ihn, Lord Buckingham, High Admiral und obersten Befehlshaber der königlichen Flotte, mitten in seiner Rede zu unterbrechen?! Er fasste den Offizier scharf ins Auge, doch dann besann er sich, zückte mit grimmiger Miene das bewusste Schreiben und begann mit erhobener Stimme, die detaillierten Angaben der Botschaft laut und übertrieben deutlich artikuliert zu deklamieren, als stünde er auf der Bühne eines öffentlichen Theaters. „Nun, meine Herren?", fragte er verächtlich, nachdem er seine Vorlesung beendet hatte, „was meint Ihr dazu? Ich für meinen Teil sage nur: It`s ridiculous! Wäre die französische Besatzung samt ihrer Bewaffnung tatsächlich so schwach, hätte Toiras sich uns bereits längst ergeben!"

„Mylord, Ihr irrt Euch!", fuhr nun Rohan auf, mit zorngeröteter Stirne, „ich darf Euch versichern, diese Botschaft spricht wahr! Parbleu, nicht ihrem Urheber haben wir zu misstrauen! Im Gegenteil, wenn hier einer ein falsches Spiel treibt, dann ist es - !"

„Woher wollt Ihr dies so dermaßen sicher wissen, Monsieur le duc?! Toiras führt Euch wie uns womöglich an der Nase herum und lässt uns ins offene Feuer rennen!", schrie Buckingham erbost zurück, während sich unter seinen Offizieren abermals erregtes Gemurmel erhob. „Sollen wir uns blutige Köpfe holen?! Nein, Monseigneur, ich bin der Oberbefehlshaber hier, und ich allein entscheide, was hiervon zu halten ist! Also befehle ich - !"

Doch da unterbrach ihn abermals eine Stimme, eine jugendliche diesmal, und sprach klar und vernehmlich: „Mylord, bitte verzeiht! Doch der Herr Herzog hat Recht! Ich befand mich bis heute als Kriegsgefangener im Fort Saint Martin, und während dieser Zeit war es mir möglich, die französische Besatzung in Augenschein zu nehmen. Die Angaben dieser Botschaft stimmen mit meinen dortigen Beobachtungen überein, daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel."

Buckingham sah dem jungen Sprecher konsterniert ins Gesicht – wie bitte? Was sagte dieser Keeley da?! „Das kann doch nicht - !", stammelte er zutiefst verblüfft, „Monsieur Aramis erklärte doch - ! By all the devils, Sergeant, Ihr redet irre! Die Gefangenschaft hat Euch den Verstand verwirrt!"

„Goddam! Nein, das glaube ich nicht!", rief da jener kühne Stabsoffizier mit lauter Stimme dawider, und seine Waffengefährten sekundierten ihm sofort mit ebenso grimmigen Mienen, „on the contrary, Mylord, die Zeit scheint nun gekommen, die Loyalität Eures französischen Beraters einer genaueren Prüfung zu unterziehen!" Und damit sah er Aramis scharf ins Gesicht.

Dieser erbleichte, ihm war plötzlich, als wanke der Boden unter seinen Füßen, als stünde er auf brechendem Eis über tiefen, reißenden Fluten - verflucht, nimm dich zusammen!, durchzuckte es ihn glühend heiß wie Feuer, los, rede, rette, was zu retten ist! „Monsieur le colonel!", konterte er also mit rauer Stimme, „ich habe meine Angaben nach bestem Wissen gemacht! Wenn ich Unrecht hatte und diese von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichen, so ist dies einem empfindlichen Irrtum meinerseits geschuldet, den ich hiermit zutiefst bedaure! Doch ich hatte keine Gelegenheit, längere Zeit in der Festung zu verweilen und die Stärke ihrer Besatzung genauer zu überprüfen! Ich musste von dem, was ich zu Gesicht bekam, notgedrungen auf das Vorhandene schließen, und da Vorsicht allemal besser ist als Nachsehen, so dachte ich, es wäre sicher angebrachter, die Bewaffnung des Forts und die Zahl seiner Verteidiger nicht zu unterschätzen!"

„Oder Ihr sollt den Angriff im Auftrag der französischen Krone verzögern", grollte Benjamin de Rohan. „Was meint Ihr, Monsieur Shamrock, Ihr solltet doch das Kundschaften übernehmen?"

Der junge Ire seufzte innerlich. Ich hätte die Papiere einfach mit Lord Walsinghams Zeichen abgeben sollen und verschwinden, dachte er bei sich. Laut sagte er: „Französische Truppen sind zweifelsfrei im Anmarsch, aber auf See sind ihnen die Truppen des Herrn Herzogs weitaus überlegen. Ein Sturmangriff auf die Festung ist nicht sehr ratsam, da der massive Fels Kanonenfeuer relativ unwirksam macht. Ob allerdings genügend Zeit bleibt, um die Festung auszuhungern, überlasse ich den Herrn Offizieren und den bewährten Händen Seiner Lordschaft. Ich empfehle aber, die Ziehbrunnen außerhalb der Festung unter Kontrolle zu bringen, da es innerhalb des Forts kaum Wasser gibt. Was jenen Chevalier d’Herblay betrifft, steht mir kein Urteil zu, ich würde aber nicht empfehlen, ihn an einem englischen Kriegsrat teilnehmen zu lassen."

„As you say, Sir!", zischte die Schar der Offiziere einmütig und mit grimmigem Lachen, und ihr Sprecher, jener scharfsichtige Oberst, erhob sogleich laut seine Stimme. „Eure Lordschaft", erklärte er eisern und kalt, an Buckingham gewandt, „die Lage ist ernst, höchste Gefahr im Verzug! Daher verlangen wir, dass Monsieur d`Herblay sofort und stehenden Fußes in sicheren Gewahrsam gebracht wird, bis seine Schuld oder Unschuld einwandfrei geklärt ist!"

„What?!" Dem Herzog stockte der Atem. By all the devils, was hörte er da?! „This is - outrageous!", stammelte er, bleich vor Wut, „Ihr wagt es, hier vor meinem Angesicht zu fordern, ich solle meinen vertrauten Freund verhaften lassen?! Mylords, dies ist ungeheuerlich! Offene Rebellion! Jawohl, Meuterei!"

„Mylord, mitnichten!", fauchte der Colonel sofort dawider, die Zornesröte fuhr ihm auf - war Buckingham denn total blind?! „Niemand ist Eurer Lordschaft und unserem Vaterland ergebener als wir! Und eben darum ersuchen wir Euch untertänigst, doch mit allem Nachdruck, unserer berechtigten Forderung stattzugeben! Sollte sich unser dringender Verdacht hinterher als bloßer Irrtum herausstellen", er grinste Aramis maliziös zu, „werden wir Eurem Herrn Protegé reumütig Abbitte leisten!" Und damit trat er, ohne Buckinghams Antwort abzuwarten, auf den jungen Musketier zu. „Sir, Euren Degen!"

Aramis fühlte kalten Schweiß auf seine Stirne treten - bei allen Göttern! Das war sein Ende! Gegen die Phalanx seiner vereinten Offiziere kam Buckingham niemals an, und wenn er zehnmal Oberbefehlshaber war! Und in der Tat, der Admiral starrte seinem Oberst so dermaßen bleich ins martialische Gesicht, als wäre dieser der Teufel in Person -

„Nein!", krächzte der fassungslose Herzog endlich, nun beinahe bar aller contenance, „meine Herren, Ihr irrt Euch! Ich lasse niemals zu, dass - !"

„Sir, übergebt mir Eure Waffen!", wiederholte der Colonel leise und scharf, zu Aramis gewandt und ohne Buckinghams Worte zu beachten. Der junge Musketier wich unwillkürlich einen Schritt zurück, doch schon traten die Offiziere geschlossen hinter ihn, um ihm jeden Fluchtweg abzuschneiden, und so griff er, wie betäubt, an sein Rapier, zog es mitsamt der Scheide aus dem Bandelier und ebenso den Dolch aus dem Gürtel -

„Wohin nun mit dem Herrn, Mylord?", wandte sich der Oberst an den Herzog, „ihn hier im Lager zu belassen, scheint mir zu riskant! Ich schlage vor, ihn auf einem unserer Schiffe zu internieren! Von dort ist jeder Fluchtversuch mit Sicherheit unmöglich!"

Buckingham blickte dem Colonel starr ins Gesicht, totenbleich und wie vom Donner gerührt - wilder Zorn schoss in ihm hoch, trieb ihm Schweiß auf die Stirne, doch was konnte er tun?! Er brauchte seine Männer, ohne sie kein Sieg, er war auf seine Offiziere angewiesen! Zähneknirschend vor Wut und an allen Gliedern bebend stieß er endlich heiser hervor: „Well, I see! Aber ich befehle Euch, Sir, Monsieur Aramis auf mein Admiralsschiff zu bringen! Er steht nach wie vor unter meinem persönlichen Schutz und ist mit allem Respekt zu behandeln! Habt Ihr verstanden, Colonel?!"

„Mylord, keine Sorge! Dies soll dem Herrn gewährt sein!", konterte der Oberst leise und scharf, während er Keeley, dem jungen Sergeanten, einen knappen, befehlenden Wink gab -

 

Kapitel Rückkehr und Wiedersehen

Die Versuchung war groß, doch abzuwarten und zu beobachten, was der junge Ire tatsächlich vor hatte, aber Rochefort entfernte sich zielstrebig und ohne inne zu halten von dem Gehöft. Er war stolz darauf, selbst einem Feind gegenüber noch niemals ein gegebenes Wort gebrochen zu haben, und er würde heute nicht damit anfangen.

Mitternacht musste lange vorüber sein – Eile tat not, es lag noch ein mehrstündiger Fussmarsch vor ihm. Unter äußerster Wachsamkeit, um nicht unversehens noch einem Posten oder einer Patrouille in die Hände zu laufen, entfernte er sich mehr und mehr vom englischen Heerlager und strebte in Richtung Saint Blanceaux. Er hatte lange überlegt, auf welchem Wege er die Île de Ré wieder verlassen konnte. Von La Rochelle herüber zu kommen, war aufgrund seiner Tarnung als Freiwilliger vergleichsweise einfach gewesen. Doch zurück aufs Festland durfte ohne Erlaubnis und strenge Kontrolle der englischen Besatzer niemand mehr. Schließlich sollten keine Informationen zu den französischen Truppen durchdringen. Schwimmen schied aus. Er war ein leidlich guter Schwimmer, doch diese Strecke traute er sich nicht zu. Es unter irgendeinem Vorwand offen im Hafen von St. Martin zu versuchen, war ihm zu unsicher. Jemand konnte ihn nach entsprechenden Papieren oder Befehlen fragen oder ihn wiedererkennen. Und irgendwo ein kleines Boot zu stehlen und selbst zu rudern war ebenfalls wenig erfolgversprechend, weil zwischen dem Festland und der Insel ständig englische Schiffe präsent waren. Blieb die Möglichkeit, auf die Hilfe Einheimischer zu zählen und zu hoffen, dass sich die Engländer bei ihnen unbeliebt genug gemacht hatten…

Während er durch die Nacht hastete, kehrten seine Gedanken zu Shamrock zurück. Er war inzwischen geneigt, seine ursprüngliche Vermutung, der Mann arbeite für Buckingham, zu revidieren. Aus ein, zwei Bemerkungen war zu entnehmen gewesen, dass er keine besondere Sympathie für den englischen Oberkommandierenden zu hegen schien. Und er hatte mehrmals betont, dass er Ire und ein freier Mann sei. Ich stehe jemandem im Wort, einem Mann wie Ihr einer seid, und ich denke, auch in einer sehr ähnlichen Position. Konnte er damit Lord Walsingham gemeint haben, der das Spionagenetz der englischen Krone koordinierte?  Wie auch immer, dieser Shamrock schien ein interessanter Mensch zu sein und vermutlich auch ein fähiger Agent. Vielleicht ergab sich ja einmal die Gelegenheit, mehr über ihn heraus zu finden.

Einige Meilen vor Saint Blanceaux lag noch ein kleines Dorf, das hauptsächlich eine Fischersiedlung war. Als er es endlich erreicht hatte und die Hütten schemenhaft vor sich liegen sah, zeigte sich im Osten bereits ein erster Hauch der Dämmerung. Bald würden die Fischer mit der Morgenflut auslaufen. Der Graf verließ seine Deckung hinter einer niedrigen Hecke und wanderte nun offen den Strand entlang, auf das erste Haus zu, das etwas abseits von den anderen lag. Davor war ein Mann gerade damit beschäftigt, sein Boot klar zu machen. “Bonjour”, grüßte Rochefort den Fischer. Dieser hielt überrascht in seiner Arbeit inne. Als er einen bewaffneten Fremden auf sich zukommen sah, wich er unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Der Ankömmling hatte zwar Französisch gesprochen, aber das hieß noch nichts… “Keine Sorge”, beschwichtigte Armand sogleich, als er die Reaktion gewahrte, “ich gehöre nicht zu den Engländern.” Der Mann schien sich etwas zu entspannen, war aber immer noch misstrauisch. “Ich stehe im Dienst Seiner Majestät, unseres Königs Louis XIII.”, fuhr der Graf fort. “Ich hatte einen Auftrag hier auszuführen, damit wir diese englische Plage wieder los werden. Und nun bräuchte ich Deine Hilfe.” Der Graf hatte mit einer gewissen Autorität gesprochen, sich aber Mühe gegeben, gleichzeitig vertrauenerweckend zu wirken.

Sein Gegenüber hatte mit gerunzelter Stirne zugehört. “Meine … Hilfe?” “Ja.” Rochefort deutete aufs Meer hinaus. “Ich muss wieder zurück zum Festland, ohne dass die Engländer mich schnappen. Ich habe gesehen, dass sie euch Fischer nicht am Auslaufen hindern…” Der wettergegerbte Einheimische nickte. “Das ist schon richtig. Wir dürfen rausfahren. Und die Herren Engländer schlagen sich dann mit unserem Fang die Bäuche voll.” Er spuckte verächtlich in den Sand. “Aber es ist niemandem gestattet, drüben anzulanden. Wer’s versucht, den hängen sie auf, hat es geheißen.”

“Das ist mir klar. Ich möchte Dich auch nur bitten, mit mir so weit hinüber zu fahren, wie Du es wagen kannst, ohne Verdacht zu erregen. Den Rest der Strecke schwimme ich.” Während er sprach, hatte er sein Wams aufgeknöpft und aus seiner Innentasche einen Beutel hervor geholt. “Natürlich gehst Du ein Risiko ein. Dafür sollst Du aber auch nicht unbelohnt bleiben.” Er hielt dem Mann eine Handvoll Silbermünzen entgegen. Dessen Augen weiteten sich  - das war weit mehr, als er in einem ganzen Jahr mit dem Fischfang verdienen konnte! Entschlossen streckte er die Hand nach dem Geld aus. “Abgemacht. Ich fahr’ Euch rüber.” Er hielt kurz inne und blickte nachdenklich vor sich hin. “Ich glaube, ich würd’s auch tun, wenn Ihr mir nichts dafür gegeben hättet. Vor zwei Tagen waren ein paar von diesen verfluchten englischen Bastarden hier. Sie wollten all unsere Vorräte. Mein Sohn hat sich ihnen in den Weg gestellt. Da haben sie ihn so brutal zusammengeschlagen, dass nur Gott allein weiß, ob er je wieder ganz gesund werden wird.” In hilflosem Zorn presste er die Kiefer zusammen. “Ich bin gleich soweit.” Einige Handgriffe noch, dann begann er das Boot ins Wasser zu schieben. Rochefort packte mit an. Als das Fahrzeug von der Flut erfasst wurde, sprangen sie hinein. “Man darf Euch nicht sehen”, sagte der Fischer. “Ich hoffe, der Herr hat kein Problem damit, unter ein paar stinkenden Netzen zu liegen.”

“Nein, mach’ nur!” Rochefort kauerte sich am Boden des Bootes zusammen und sein Fluchthelfer bedeckte ihn zur Tarnung mit Fischnetzen. Bange Minuten waren auszustehen, als ihm der Mann nach einiger Zeit zuflüsterte: “Ein englisches Schiff kommt.” Doch es fuhr vorbei, ohne dass die Besatzung dem kleinen Boot mehr als einige prüfende Blicke zuwarf. “Es ist soweit”, meldete sich der Fischer schließlich wieder zu Wort. “Ich muss jetzt umkehren.” Armand schlüpfte aus seinem Versteck. “Danke!” Er schwang sich über Bord und ließ sich ins Wasser gleiten. Es wurde bereits langsam hell. Immer wieder spähte er während des Schwimmens in die Runde; einige feindliche Schiffe waren zu erkennen, doch keines nah genug um ihm gefährlich zu werden. Trotzdem seufzte Armand zutiefst erleichtert auf, als er endlich festen Boden unter den Füßen spürte und ans Ufer watete. Die Anspannung hatte ihn hellwach gehalten, doch nun schlug bleierne Müdigkeit wie eine Welle über ihm zusammen. Er versuchte abzuschätzen, wie weit es von hier zum französischen Lager war. Egal, irgendwie würde er die Strecke bewältigen…

*******

Eigentlich hatte Shamrock ursprünglich vorgehabt auf der englischen Pinasse mitzufahren. Sie sollte die Nachricht des ersten Triumphes von Lord Buckingham in die Heimat bringen und dort Begeisterungsstürme auslösen - den glorreichen Sieg der calvinistischen Kräfte auf der Insel Ré. Das sollte auch Geld in die nicht besonders gut gefüllte Kriegskassa spülen. Der junge Ire bezweifelte stark, dass dies gelingen würde. Der Admiral überschätzte seine Beliebtheit bei weitem. Doch nach den Ereignissen im Kommandozelt hatte sich Shamrock spontan dazu entschlossen, nicht mitzusegeln. Stattdessen hatte er einem Gewährsmann einen codierten Brief an Lord Walsingham mitgegeben, in dem er geschildert hatte, welche Dienste er für den englischen Geheimdienst geleistet und dass er damit seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte. Seine Lordschaft kannte ihn, und er würde wissen, dass er das Angebot, ständig für ihn zu arbeiten, ablehnen würde. Das war früher schon so gewesen und wurde von beiden Seiten akzeptiert.

Der Graf von Rochefort mit seiner großzügigen Tat, ihn zu verschonen, und der Mut dieses Aramis, von dem er jetzt sicher war, dass er ein französischer Spion war, hmm, zumindest zeitweise, hatten ihn doch stark beeindruckt. Darum war er in die Nähe der heranrückenden französischen Truppen gereist. Etwas schwieriger war es gewesen, einen Unterschlupf zu finden. Doch schließlich hatte er eine kleine Schäferhütte entdeckt, die vor Kurzem aufgegeben worden war. Wahrscheinlich hatte der Schäfer seine Tiere in Sicherheit gebracht. So ein Tross war immer hungrig. Dann hatte er einen kurzen Brief geschrieben:

Wenn Ihr an dem weiteren Schicksal eines Mannes interessiert seid, der sich Aramis nennt, so könnt Ihr mich in der kleinen Kate jenseits des Wäldchens, nordöstlich des Lagers, in den nächsten 3 Tagen antreffen. Ihr könnt Euch gerne versichern, dass ich alleine bin.

Den Brief hatte er an den Comte de Rochefort adressiert und mit einem Kleeblatt versehen. Ein Bauernbursch, der recht zuverlässig gewirkt und eine Silbermünze erhalten hatte, nebst dem Versprechen, dass der Adressat im französischen Lager ihm eine weitere geben würde, sollte in der Zwischenzeit den Brief überbracht haben. Shamrock war gespannt, ob der Graf kommen würde. Es war ja auch nicht sicher, ob er im Lager war.

Falls er nicht kommen würde, könnte er hier noch eine Nachricht hinterlassen, allzu lange wollte er in dieser Gegend nicht mehr verweilen. In den Pariser Salons wurde neuerdings öfters Karten gespielt, und um recht nette Sümmchen, hatte er gehört…

*******

Rochefort versuchte seine Ungeduld zu zügeln. Würde man seinen Plan in Paris gut heißen? Und vor allem: Würde man rasch genug eine Entscheidung fällen, um das Unternehmen in der nächsten Schwarzmondnacht durchführen zu können, wie er es mit Toiras abgesprochen hatte? Ruhelos streifte er durch die Lagergassen. Untätigkeit war ihm zuwider; vielleicht würde er heute Nachmittag noch einmal nach La Rochelle gehen, um sich dort umzuhören.

„Monsieur le Comte!“ rief da eine Stimme hinter ihm. Ein junger Offizier kam raschen Schrittes heran und streckte ihm einen Brief entgegen. „Das hat so ein Bauernlümmel bei der Lagerwache abgegeben. Die Nachricht ist an Euch adressiert. War ganz schön unverschämt, der Kerl. Er meinte, er bekäme von Euch ein Silberstück dafür.“
Wortlos faltete der Stallmeister Seiner Eminenz das Schreiben auseinander, las – und war augenblicklich alarmiert.
„Soll ich ihn davonjagen lassen?“ fragte indes der Offizier, der wohl Rocheforts Blick falsch gedeutet hatte und sich gern ein wenig wichtig machen wollte.
„Niemand wird davongejagt! Und ob seine Forderung unverschämt ist oder nicht, entscheide ich, haben wir uns verstanden?“ entgegnete Armand scharf. Er konnte es nicht brauchen, dass man Leute vergraulte, die wichtige Informationen überbrachten. „Ich will den Mann sehen.“
„Jawohl, Monsieur le Comte“, beeilte sich der Zurechtgewiesene zu antworten, doch ihm war anzusehen, dass es ihm sauer aufstieß, dass ein Zivilist hier im Feldlager etwas zu sagen hatte.

Der Bauernbursch war noch da. Er fühlte sich sichtlich unwohl, doch harrte er tapfer aus, der versprochenen Belohnung wegen. Eingeschüchtert und ein wenig unbeholfen verbeugte er sich vor dem Grafen. „Komm“, forderte dieser ihn auf, „gehen wir ein paar Schritte.“ Nachdem sie außer Hörweite der Soldaten waren, fragte Rochefort ihn nach dem Aussehen des Mannes, der ihm den Brief übergeben hatte. Die Beschreibung passte auf Shamrock. Armand nickte dem jungen Mann freundlich zu und drückte ihm eine Silbermünze in die Hand. „Das hast Du gut gemacht!“

Wenig später saß er bereits im Sattel seines braunen Wallachs „Bacardi“ und galoppierte aus dem Lager. Wohin der Ritt ging, hatte er niemandem gesagt. Die Botschaft des Iren konnte eigentlich nur eines bedeuten: Aramis war enttarnt worden! Theoretisch gab es freilich noch eine zweite Möglichkeit, nämlich, dass man ihn in eine Falle locken wollte. Es war denkbar, dass Shamrock später doch mit jemandem über seine nächtliche Begegnung gesprochen und man dem Agenten eine hohe Summe geboten hatte, wenn er dabei mithalf, den Leiter von Richelieus Geheimdienst unschädlich zu machen. Es gab nur wenige Menschen, die nicht käuflich waren...  Es galt daher vorsichtig zu sein, alles andere wäre unprofessionell und sträflich leichtfertig gewesen.

Da er täglich auszureiten pflegte, hatte er bereits die gesamte Umgebung des Heerlagers durchstreift und wusste, wo die Schäferhütte zu finden war, die in dem Brief genannt wurde. Nun näherte er sich nicht in direkter Richtung, sondern auf Umwegen und prüfte sorgsam die Umgebung, ob sich irgendwo ein Hinweis auf einen Hinterhalt fand, doch alles schien in Ordnung zu sein. So ritt er schließlich auf die Wiese hinaus, auf der die Kate stand, hielt aber in sicherer Distanz davor sein Pferd an und verharrte abwartend.

*******

Shamrock hatte es sich in der Hütte so gut es ging gemütlich gemacht. Die Gegend hatte er natürlich ausgekundschaftet. Sie war recht einsam gelegen, aber da sie von einer großen Wiese umgeben war, konnte man sich nähernde Personen schon auf eine gewisse Distanz bemerken. Es war ein lauer Sommerabend, die Sonne stand schon tief, wärmte aber noch kräftig. Die Zikaden sangen ihren Lockruf, und nichts deutete darauf hin, dass nur wenige Kilometer entfernt auf der Insel Ré weiterhin gestorben wurde. Seamus hatte es sich auf dem nur leicht abgeschrägten Dach bequem gemacht. Hier oben konnte man den Sommer genießen und ein wenig Abstand von den Anstrengungen der letzte Tage bekommen. Aber natürlich hatte man von hier auch einen guten Überblick, falls sich wer nähern sollte. Und richtig, da kam ein einzelner Reiter. Der junge Ire zückte sein Fernrohr mit einem Lächeln. Dieser Comte de Rochefort hatte ihn mit seiner Bemerkung, dass man damit das Fort auskundschaften konnte, auf die Idee gebracht, dass er sich ein solches zulegen sollte. Der englische Leutnant hatte sich gar nicht so ungern davon getrennt, da er dafür seinen Schuldschein zurückbekam, mit einer doch beträchtlichen Summe. Englische Offiziere spielten sehr gerne Karten und auch Würfel, auch wenn es eigentlich im Felde strikt verboten war. Das hieß aber nicht, dass sie gute Spieler waren...

Es war wirklich der französische Geheimdienstchef, den Shamrock dort im Glas erblickte, und er schien allein zu sein. Zumindest konnte man sonst niemand sehen. Vorsichtig stand der junge Ire auf, sodass man ihn am Dach der Kate gut erkennen konnte. Dann kletterte er hinab, öffnete die Türe und das Fenster, damit man sehen konnte, dass in der Hütte sonst niemand war. Dann holte er ein Tischchen und zwei Schemel nebst einer Flasche Rotwein und stellte sie so vor die Tür, dass die Strahlen der Abendsonne sie noch beschienen, und wartete.

********

Armand bemerkte Shamrock im selben Moment, als er sich vom Dach der kleinen Hütte erhob. Mit einem gewissen Erstaunen, das schließlich sogar in einen Hauch von Amüsement umschlug, verfolgte er dessen Aktivitäten. Offenbar versuchte der Ire alles zu tun, um seinem Besucher zu demonstrieren, dass dies hier keine Falle war. Unter anderen Umständen hätte den Grafen vielleicht gerade das misstrauisch gemacht, aber er empfand hier nicht das geringste Gefühl einer Bedrohung. Also schwang er sich vom Pferd und ging langsam auf die Schäferkate zu. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Bacardi, dessen feine Sinne ihn schon oft vor einem Hinterhalt gewarnt hatten, doch der Braune schritt ruhig und entspannt neben ihm her, die Ohren interessiert nach vorne gerichtet.

Auf dem kleinen Holztischchen stand sogar eine Flasche Wein. Der Mann hatte wirklich Stil! „Mit einem so raschen Wiedersehen habe ich nicht gerechnet“, begrüßte er den Iren. Während er ihm kurz zulächelte, wurde ihm bewusst, dass er sich tatsächlich freute, ihm abermals zu begegnen. Doch sofort wurden seine Züge wieder ernst, als er fortfuhr: „Allerdings dürften die Umstände auch diesmal nicht sonderlich angenehm sein, wenn ich Eure Nachricht richtig deute.“

„Bonsoir, Monsieur le Comte“, grüßte Shamrock freundlich zurück, „nun, da mögt Ihr im Prinzip Recht haben, für mich sind die Umstände aber erfreulicher.“ Er setzte sich, nahm aus seinem Ranzen noch etwas Brot und Käse und zwei schlichte Holzbecher heraus. Er schnitt Brot und Käse auf, öffnete den Wein und schenkte ein. „Wenn Ihr nicht in besonderer Eile seid, dann plaudern wir doch etwas. Ich fange mal an. Ich stehe zur Zeit nicht mehr in englischen Diensten. Kurz bevor mein Auftrag beendet war, traf ich auf einen jungen Musketier, der sich Aramis nannte. Der junge Mann befand sich gerade in einer für ihn äußerst unangenehmen Lage. Er wurde mitten in Lord Buckinghams Kommandozelt festgenommen. Da Ihr gekommen seid, gehe ich davon aus, dass Euch die näheren Umstände interessieren werden.“ Seamus macht eine kurze Pause und gönnte sich einen Schluck Wein und einen Bissen vom Käsebrot.

Der Graf nahm Shamrock gegenüber Platz. „Nein, ich bin nicht in Eile und ja, ich würde gern Näheres erfahren.“ Dass der Ire Aramis als Musketier bezeichnet hatte, bewies, dass er gut informiert war. Rochefort griff ebenfalls zu seinem Weinbecher und war gespannt, was er zu hören bekommen würde. Aramis verhaftet! Verdammt, so waren die Engländer ihm offenbar doch auf die Schliche gekommen...

„Ich hatte ein paar Gelegenheiten, den Chevalier d’Herblay kurz kennen zu lernen. Im Nachhinein betrachtet, muss ich seinen Mut und seine Entschlossenheit bewundern. Ich weiß nicht, ob er einer Eurer Agenten ist oder er nur einen Auftrag ausführt, aber das Risiko war wohl von Anfang an sehr hoch. Insbesondere der Duc de Rohan misstraute ihm immer. Auch wenn es nicht mein Auftrag gewesen ist, so muss ich gestehen, dass ich indirekt dazu beigetragen habe, dass er nun in einer sehr misslichen Lage steckt. Aber es geht ihm gut, wenn Euch das beruhigt. Ich schulde Euch mein Leben, und da ich ein Mann bin, der ungern Schulden hat, werde ich versuchen, diese zu begleichen. Das wird wohl einige Zeit dauern, vielleicht wird es mir nie gelingen, aber versuchen werde ich es. Darum könnt Ihr gerne verlangen, dass ich Euch die Details erzähle, und ich betrachte das als erste Rate. Oder wir regeln das anders.“ Bei diesen Worten holte er ein Päckchen Spielkarten aus seinem Beutel. „Ich nehme an, Ihr spielt Piquet? Ich gedenke nach Paris zu reisen. Monsieur könnte mir vielleicht den einen oder anderen Salon empfehlen, wo man ein gepflegtes Spiel schätzt, wenn er hier eine Partie verliert. Vielleicht könntet Ihr auch gestatten, dass ich mich auf Euch berufe, um Einlass zu finden. Natürlich nur, wenn Ihr verlieren würdet. Ich setze die Informationen, die Ihr benötigt. Aber selbst wenn Euch Fortuna heute nicht zugetan ist, so könnt Ihr immer noch einen Gefallen von mir einfordern. Nun?“ Seamus war gespannt, ob sich Rochefort darauf einlassen würde.

Der Stallmeister Seiner Eminenz zog eine Augenbraue hoch, als er sich dergestalt herausgefordert sah. Mit anderen, auch gegnerischen, Agenten „Geschäfte“ zu machen, war ihm nicht fremd. Man musste sich nicht immer gleich an die Gurgel gehen. Manch eine Information, die für einen selbst nebensächlich war, konnte für den anderen wichtig sein und umgekehrt. Aber um Informationen spielen? Das war eine neue Variante! Wenn Shamrock ihn zum Glücksspiel aufforderte, dann war er vermutlich gut darin. Ob er wohl ein professioneller Spieler war, da er nach Salons in Paris gefragt hatte? Der Graf rückte seinen Schemel ein wenig zurecht, sodass er sich mit dem Rücken an die warme, von der Abendsonne beschienene Holzwand der Hütte lehnen konnte, schlug lässig die Beine übereinander und erwiderte: „Ein interessanter Vorschlag. Warum nicht? Spielen wir.“

„Ausgezeichnet, ich gebe, damit habt Ihr den minimalen Vorteil, die erste Vorhand zu sein.“ Karten wurden ausgeteilt, und das Spiel begann. Wie üblich sollten sechs Spiele gespielt werden, also eine ganze Partie. Zu Shamrocks Überraschung entschied der Graf die ersten beiden Spiele klar für sich, er war sowohl bei den Rummel, als auch bei den Sequenzen klar überlegen, aber ihm schien auch das Kartenglück hold zu sein. „My part“, meinte Seamus nach jedem verloren Spiel, und er erzählte, dass Aramis auf Betreiben der Offiziere verhaftet worden war, da seine Angaben über die französische Truppenstärke von Fort Saint Martin sich als falsch erwiesen hatten und man einem französischen Musketier den Verrat an Heimat und Corps auf Dauer nicht abgenommen hatte. Er erwähnte aber auch, dass Buckingham immer noch an Aramis glaubte. „Seine Lordschaft hat die Weitsicht eines Maulwurfs“, war sein Kommentar dazu. Dann schien sich Fortune wieder dem jungen Iren zuzuwenden. Es gelang ihm, die nächsten drei Spiele zu gewinnen und auch Kunststücke zu erzielen sowie Punkte durch Stiche zu erreichen. Vielleicht setzte sich nun ein wenig die Routine des geübten Spielers durch.

Rochefort hatte sein Gegenüber genau beobachtet, entdeckte jedoch keinen Hinweis darauf, dass der junge Ire falsch spielte. Natürlich hielt er sich an seinen Teil der Abmachung und zählte einige Pariser Spielsalons auf, erwähnte, wo man welche Schichten der Pariser Gesellschaft anzutreffen pflegte und wo es zusätzliches Service, wie etwa die Verfügbarkeit hübscher, junger „Damen“, gab. Schließlich nannte er auch einen Salon, wo man ihm gewiss bevorzugte Behandlung angedeihen lassen würde, wenn er sich auf den Comte de Rochefort berief.

Das letzte Spiel war lange offen und hart umkämpft. Mit nur einem Punkt Vorsprung konnte sich aber der Comte durchsetzen. „Eine wirklich gute Partie“, war Shamrocks ehrliche Meinung. „Wenn man die einzelnen Punkte der Spiele zusammenzählt, bin ich ein klein wenig im Vorteil, aber das sechste Spiel ging an Euch. Lord Buckingham hat erreicht, dass Aramis auf seinem Flaggschiff, der „Triumph“, unter Hausarrest gestellt wird. Falls Ihr das Schiff nicht sowieso kennt, so ist es zu jeder Tages- und Nachtzeit an seinen teilweise purpurnen und goldenen Segeln leicht zu erkennen.“ Seamus verdrehte seine Augen bei diesen Worten nach oben. „Dort ist der Musketier für die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen, vorerst in Sicherheit. Er wird aber sicher streng bewacht, und eine Flucht wird ihm ohne Hilfe kaum möglich sein. Sollte sich aber ein Beweis finden, dass er ein französischer Spion ist, zum Beispiel, wenn ein französischer Offizier gefangen wird und so etwas aussagt, so wird man ihn wohl an der Rah aufhängen, Protegé des Admirals oder nicht.“ Nachdenklich nahm der Ire noch einen Schluck Wein. „Das würde ich bedauern, ich denke, unter anderen Umständen hätte ich den Chevalier gerne näher kennengelernt. Mehr kann ich Euch nicht erzählen, wie gesagt, mein Auftrag ist beendet, aber alle Details kann ich nicht aufzählen, ich möchte nicht zum Verräter werden. Was ich Euch berichtet habe, hättet Ihr vielleicht selbst herausgefunden, wahrscheinlich aber erst viel später. Nutzt diesen Zeit- und Informationsvorsprung, wenn Ihr könnt, auf mich wartet Paris.“

Was ihm sein Spielpartner soeben berichtet hatte, löste in Rochefort Erleichterung und Frustration zugleich aus. Gut, Aramis befand sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr. Doch wie zur Hölle sollte er ihn aus den Klauen der Engländer befreien, wenn er auf dem Flaggschiff des Admirals interniert war? Ihn aus dem Lager vor St. Martin heraus zu holen hätte er für machbar gehalten, doch an das Schiff heranzukommen war momentan ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab nur eine Chance, nämlich es im Rahmen seines Rettungsplanes für das belagerte Fort zu versuchen... Er sagte zu Shamrock: „Es war mir ein Vergnügen, mit Euch zu spielen, und ich danke Euch für die wertvollen Informationen. Der junge Mann sollte vorerst nicht direkt bedroht sein, denn über seinen Auftrag weiß nur eine Handvoll Leute Bescheid; einer davon bin ich, und die anderen befinden sich nicht vor Ort. Verraten kann ihn also niemand. Und ich werde mir etwas einfallen lassen.“ Nach einer kurzen Pause, während derer er den letzten Bissen seines Käsebrotes verspeiste, fuhr der Graf fort: „Gestattet mir eine offene Frage: Ihr scheint mir ein Mann mit vielen Talenten zu sein. Warum riskiert Ihr Euer Leben mit Aufträgen für einen Schwachkopf wie Buckingham? Es ist nicht zu übersehen, dass Ihr ihn nicht ausstehen könnt.“

„Ich arbeite nicht für Buckingham. Ich habe einmal gesagt, es wäre für einen Mann wie Ihr einer seid. Und das habe ich auch so gemeint, man erzählt sich, Ihr leitet eine Art französischen Geheimdienst. In England gibt es spätestens seit Königin Elisabeth auch eine derartige Institution, aber das sollten keine Neuigkeiten für Euch sein. Ich stand…“, für einen kurzen Moment zögerte Seamus, aber ein Graf von Rochefort würde den Namen wohl kennen, „… Lord Walsingham im Wort. `A deal is a deal!´, so sagt man bei uns. Manchmal arbeite ich für ihn. Aber nicht ständig, ich mag eine gewisse Unabhängigkeit. Aber warum fragt Ihr? Ich muss Euch warnen, ich wechsle nicht so schnell die Seiten, insbesondere wenn es den vorigen Auftrag sabotieren würde.“

Armand nickte nachdenklich. Walsingham. So war seine diesbezügliche Vermutung doch richtig gewesen. Laut erwiderte er: „Hmm, ich gebe zu, ich hatte soeben den Entschluss gefasst, Euch zu fragen, ob Ihr für mich arbeiten würdet. Aber wenn Ihr ablehnt, verstehe und respektiere ich das. Trotzdem könnte ich mir auch in diesem Fall für die Zukunft eine gewisse Art des Zusammenspiels vorstellen, beispielsweise auf der Basis des Austausches von Informationen, wie wir es gerade eben gemacht haben. Immerhin haben England und Frankreich auch gemeinsame Feinde...“. Abwartend blickte er Shamrock an.

„Zum jetzigen Zeitpunkt für Euch arbeiten möchte ich nicht“, war die ehrliche Antwort. „Versteht das bitte nicht falsch, ich stehe in Eurer Schuld, aber auch wenn es nicht so wäre, hätte ich keine Bedenken, für Euch zu arbeiten, da ich Euch als Mann kennengelernt habe, der zu seinem Wort steht. Aber ich möchte nicht in Konflikt mit Lord Walsingham kommen. Wenn ich jetzt gleich in Eure Dienste treten würde, dann könnte das mit meinem vorigen Auftrag in Konflikt geraten. Auch wenn die Angelegenheit abgeschlossen ist, so schulde ich Seiner Lordschaft Loyalität in Bezug auf meine letzte Tätigkeit. Alles andere wäre sehr nahe am Verrat. Genau so würde ich auch Euch gegenüber handeln, falls ich für Euch einmal Dinge erledige. Und das kann ich mir in Zukunft gut vorstellen. Einen Informationsaustauch auf jeden Fall.“ Shamrock nahm den letzten Bissen Brot mit Käse und schenkte die letzten Schlucke Wein in die Becher. Er hob seinen Becher und zitierte einen alten irischen Trinkspruch: “May the best day of your past be the worst day of your future.”


Kapitel Aufruf

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Kapitel Intermezzo

Einen interessanten Spielsalon hatte ihm der Comte der Rochefort empfohlen. Hier im Untergeschoss des Théâtre de l’hôtel de Bourgogne spielte man um hohe Summen, während oben die Tragödien und Pastoralen von Alexandre Hardy aufgeführt wurden. Shamrock gefiel die Idee, dass man offiziell ins Theater ging und dann mehr oder weniger heimlich nach unten abbog, um dem Kartenspiel zu frönen. Paris war ein teures Pflaster, und die meist adeligen Gäste des Spielsalons waren keine leicht auszunehmenden Höflinge. Man musste sich durchaus anstrengen und auch ein wenig auf Fortunas Hilfe hoffen, wenn man mit Gewinn nach Hause gehen wollte. Trotzdem mochte der junge Ire die Atmosphäre hier. Es wurde nicht aus Langeweile gespielt, sondern des Nervenkitzels wegen, wenn die Summen im Laufe eines Abends höher und höher wurden.

Seamus war vorsichtig genug, keine allzu großen Summen zu setzen. Seit einer Woche kam er nun hierher, und so manch interessante Bekanntschaft hatte er bereits gemacht. Heute aber sah er zu seinem Erstaunen jemanden, den er von seinem Besuch in Den Haag her kannte. Nun, Besuch war wohl das falsche Wort, aber das war eine andere Geschichte. Auch der Neuankömmling erkannte ihn sofort und schien erstaunt, ihn zu sehen. Wie immer war Alvise Contarini elegant und fast überkorrekt gekleidet. „Sieh an, ein Ire in Paris“, wurde er begrüßt, „welch‘ interessante Überraschung“.

„Nicht überraschender, als den Botschafter der Republik Venedig in England hier zu sehen“, erwiderte Shamrock.

„Ich bin auf der Rückreise aus meinem geliebten Venedig nach London. Die aktuelle Politik gönnt mir keine Pause. Aber sagt, was bringt Euch hierher? Und verzeiht meine Neugier“, plauderte der Botschafter weiter, während er mit Shamrock in Richtung eines Cabinet particulière schlenderte, wo man ungestörter war. „Mir kommt da eine spontane Idee. Seid Ihr zurzeit ungebunden oder ist diese Frage zu indiskret? Eure Dienste, als ich noch Botschafter in den Freien Niederlanden war, sind nicht vergessen.“

Seamus wurde nachdenklich. War dieses Treffen wirklich zufällig? Aber wer konnte von seiner Anwesenheit hier wissen? Vorsichtig erwiderte er: „Ich stehe in niemandes Diensten, aber das heißt nicht, dass ich dies im Moment ändern möchte.“

„Es wäre nur für einen Tag, und Ihr müsstet nichts weiter tun als mich zu begleiten und Eure Augen und Ohren offen zu halten – nicht ein Wort sprechen, nur mir nach diesem Nachmittag und Abend sagen, was Eure Meinung dazu ist“, versuchte ihn der Venezianer zu überreden.

Shamrocks Neugier war geweckt, doch blieb er weiter zurückhaltend. „Das hört sich interessant an, so what's the catch?“

„Nun, der Haken bei der Geschichte ist, dass es bereits übermorgen ist und ich Euch noch einkleiden lassen muss. Schließlich sollte man angemessen erscheinen, bei einer Audienz Seiner Majestät Ludwigs XIII., in Anwesenheit Seiner Eminenz, des Kardinals Richelieu, der Prinzen von Geblüt und der Pairs von Frankreich“, meinte Contarini lächelnd.

Als professioneller Kartenspieler und Gelegenheitsagent war Seamus nicht so leicht zu überraschen, geschweige denn aus der Fassung zu bringen, aber diesmal blieb ihm der Mund offen, nicht nur sprichwörtlich. Einige Sekunden starrte er den Diplomaten an wie ein Karpfen, der nach Luft schnappt. Dann riss er sich zusammen: „Das scheint Euer Ernst zu sein, aber warum, und warum ich, Eure Exzellenz?“

„Weil ich Eure ausgezeichnete Menschenkenntnis in Den Haag zu schätzen lernte und ich nur eine sehr kleine Entourage auf dieser Reise habe. Mir fehlt also ein Botschaftssekretär, und die Einladung erging ausdrücklich an das gesamte corps diplomatique. Wie bereits erwähnt möchte ich nur Eure Einschätzung, nichts weiter. Die Audienz ist eigentlich für Henri de La Mothe-Fouquet, Baron Saint-Surin, einen jungen Edelmann, der unter Toiras dient. Lord Buckingham hat dem Baron gestattet, die Festung auf der Insel Ré zu verlassen, die er gerade belagert. Saint-Surin ist zusammen mit dem Abgesandten des englischen Admirals hier nach Paris gereist. Es ist aber fraglich, ob John Ashburnham als Vermittler Buckinghams überhaupt empfangen wird.“

Bei den Ausführungen war Shamrock immer neugieriger geworden. Es schien so, als wolle der Herzog mit Frankreich verhandeln, die Belagerung von Fort St. Martin schien also nicht günstig zu verlaufen. Nun, das verwunderte ihn wenig, er hatte die Unfähigkeit des englischen Oberkommandierenden ja zur Genüge kennengelernt. Wie würden der französische König und sein Erster Minister Richelieu reagieren? Ja, diese Audienz reizte ihn sehr. Diesmal aber wirklich nur Zuseher und nicht Akteur! Der junge Ire blickte dem venezianischen Diplomaten in die Augen, und jetzt war er wieder ganz der gewiefte Spieler: „Nun gut, zugegeben, Ihr habt meine Neugier geweckt, aber auch mein Rat ist nicht ganz umsonst…“

***

Das Palais du Louvre war ein wuchtiger Vierkantbau. Kalt und trutzig wirkte es, trotz der zahlreichen Umbauten in der Renaissance und auch in den letzten Jahren. Und hier im Nordteil des alten Palastes war an allen Ecken und Enden noch die Wehrhaftigkeit der vergangen Jahrhunderte spürbar. Die gediegene Inneneinrichtung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dies war nicht der Teil, wo rauschende Hoffeste gegeben wurden. Aber warum fand die große Audienz hier statt und nicht zum Beispiel im Palais des Tuileries mit seinen hellen, freundlichen Fenstern hin zu der riesigen Parkanlage mit ihren vielen Bildsäulen? Das war auch sicherlich nicht der eigentliche Thronsaal oder ein Ballsaal des Louvre. Zugegeben, dachte sich Shamrock, sehr beeindruckend war der Raum schon, mit seinen wuchtigen Säulen und dem riesigen offenen Doppelflügeltor zu einem weiteren Saal mit einem fast podestartig erhöhten Boden mit mehreren Stufen, auf denen drei schwere, prunkvolle Sessel standen und davor ein so schwerer und wuchtiger Eichentisch, dass er wohl nicht in einem Stück aus dem großen Raum gehievt werden konnte. An der Seite des Tisches waren kleinere weitere Stühle, die aber nicht so wirkten, als ob sie dort hingehörten.

Auch das Hofzeremoniell erschien Seamus etwas seltsam, obwohl er sich nicht so gut darin auskannte. Die Szenerie wirkte martialisch. Zwei Dutzend königliche Musketiere umsäumten die Wände beider Säle, zwar in ihrem königlichen blauen Tabart, aber gut bewaffnet. Ludwig XIII. saß auf dem mittleren Stuhl, ihm zur Seite sein königlicher Bruder und Thronfolger, Jean-Baptiste Gaston, Herzog von Orléans, und die Mutter des Monarchen, Maria de Medici. An der Längsseite des Tisches saßen die Herzöge und Pairs von Frankreich, soweit sie zurzeit in Paris waren. Rechts vorne, gleich bei der royalen Vorderseite, befand sich unverkennbar der Erste Minister Armand-Jean du Plessis, genannt Kardinal Richelieu, im kirchlichen Ornat. Er schien aus Bequemlichkeit seinen Stuhl ein wenig verrückt zu haben, aber so saß er leicht schräg, konnte alles gut überblicken und seine Sitzrichtung war dadurch etwas verschoben in die Richtung, die nur der Königsfamilie zustand. Die Gäste der Audienz mussten selbstverständlich stehen, es waren alle in Paris anwesende Diplomaten und einige adelige Höflinge. Obwohl anschließend auch eine kleine Festlichkeit stattfinden sollte, waren nur wenige Damen anwesend, selbst die Königin fehlte.

Für den jungen Iren wirkte die ganze Szenerie gestellt, nun gut, das war ein öffentlicher Empfang, aber diese Details waren nicht zufällig arrangiert worden. Auch hatte er beim Hineingehen gehört, dass ein Gast sich gewundert hatte, wieso der König im „La Tribunal“, dem Sitz der allerhöchsten Gerichtsbarkeit, einen Empfang gäbe. Jetzt begann die eigentliche Audienz.

Henri de La Mothe-Fouquet, Baron Saint-Surin, trat vor, um vor seinem Souverän aufs Knie zu sinken und ihm untertänigst zu danken, dass man ihn empfangen habe. Dann brachte er umständlich im Namen von John Ashburnham, der wiederum der Abgesandte von George Villiers, 1st Duke of Buckingham, war, sein Anliegen vor: dass er Grüße des Herzogs bestellen solle und man bereit sei, die Belagerung der Festung St. Martin aufzuheben, da England nur die Stadt La Rochelle in ihren berechtigten Ansprüchen unterstützen wolle. Der Herzog von Buckingham würde es sehr bedauern, wenn die Verteidiger weiter Hunger leiden würden.

Im (Gerichts-)saal wurde es totenstill. Alles wartete wie gebannt auf die Antwort des Königs. Dieser wirkte verwundert, aber Shamrock glaubte ihm diese Verwunderung nicht. „Was hat dieser Schritt des Herzogs zu bedeuten?“, fragte Ludwig XIII. und wandte sich Kardinal Richelieu zu. Ein einziges Wort erwiderte der Erste Minister mit scheidender, aber deutlich erhobener Stimme: „Schwäche“.

Zustimmendes Nicken kam aus den Reihen der Herzöge und leises Gemurmel von den Gästen. Shamrock beobachtete die Botschafter. Der englische Gesandte in Paris lief leicht rot an, er schien erregt zu sein und seinen Zorn nur mühsam zu beherrschen, der spanische Botschafter hingegen wirkte amüsiert. Mit einer Geste in Richtung Richelieu brachte der König den Hofstaat wieder zum Schweigen. Der Kardinal senkte sittsam und unterwürfig seinen Blick in Richtung seines Monarchen, bevor er abermals seine Stimme erhob: „Der König wird nicht unterhandeln, solange sich ein englischer Soldat auf seinem Boden befindet, und falls die Engländer sich zurückziehen sollten, so behält er sich seine Entschlüsse vor.“

Bevor die entstehende Stille unangenehm werden konnte, trat ein Zeremonienmeister hervor, bekundete, dass die Audienz zu Ende sei und man nun zum festlichen Teil des Tages übergehen werde. Alvise Contarini trat an Shamrock heran. „Nun, was haltet Ihr von dieser Audienz?“

Seamus schmunzelte: „Audienz? Welche Audienz? Was für ein großartiges Theaterstück, und gerade ist der Vorhang gefallen. Der Regisseur und Autor war brillant und hat auch die Hauptrolle übernommen, wie das bei einer solchen Tragödie heutzutage üblich ist. Das Bühnenbild war exzellent gewählt, mit dem Gerichtssaal. Und das Publikum war natürlich erlesen, die Kunde von diesem Stück wird in ganz Europa verbreitet. Die Dialoge wirkten gut einstudiert, die Schauspieler haben sich gewissenhaft darauf vorbereitet. Wenn dies der dritte Akt einer Tragödie war, dann möchte ich kein Akteur im fünften Akt sein.“

Der Botschafter wirkte nachdenklich: „Ja, ich denke, Ihr habt es auf den Punkt gebracht - werdet Ihr das so nach London berichten?"

„Ich, oh nein, diese Ehre überlasse ich Euch, Eure Exzellenz, aus diesem Theaterstück verabschiede ich mich, denn ich möchte den Epilog noch erleben!“

 

Kapitel Brouage

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Kapitel Auf See

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Kapitel Die "Triumph"

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Kapitel In Sicherheit

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Kapitel Atempause

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Kapitel Verräter?

Caporal Gaspard de Pontevy biss herzhaft in den köstlichen geräucherten Schinken. Sicherlich war dies das Beste, was er jemals gegessen hatte. Er bemühte sich langsam zu kauen und zu schlucken, aber es gelang ihm nicht so recht. Sein Körper schien der Vernunft nicht gehorchen zu wollen. Die Belagerung von Fort Saint Martin und vor allem der Hunger hatten ihren Preis gefordert. Ironie des Schicksals oder Gottes nicht zu verstehender göttlicher Plan? – Was von beiden war wohl geschehen, der junge Caporal konnte es kaum fassen. Zuerst die Belagerung durch die englischen Glaubensbrüder, der Hunger und die Verzweiflung. Er fürchtete den Tod im Kampf nicht, aber elendig an Hunger und Siechtum verrecken? Und jetzt die Rettung in letzter Minute. Und durch wen? Durch einen Entsatz der katholischen Mörder! Aber der Hunger war zu Ende. „Hunger“ – immer noch dröhnte das Wort in seinen Ohren – gierig verschlang er ein weiteres Stück des Schinkens. So sehr hatte er gehofft, dass die Belagerung durch einen gezielten Angriff bald vorüber gewesen wäre. Er hatte seine Glaubensbrüder doch mit allen wichtigen Informationen versorgt. Die Stellung der Kanonen, wie sie ausgerichtet waren, welchen Winkel sie schlecht abdeckten, die Truppenstärke, ja sogar die ungefähre Dicke der Mauern. Aber der entscheidende Angriff war nicht erfolgt. Hatte man den Boten entdeckt? Das war natürlich möglich. Dann war vielleicht sein Leben in Gefahr.

Würde er Francine je wiedersehen, mit ihr in der Blavet schwimmen gehen, sie in der Abendsonne in den Hügeln in den Armen halten und auf Pontevy herabblicken? Aber was sollten diese Gedanken?  -  Mit einem Ruck legte er das letzte Stück des Schinkens beiseite. Ein Gebet war angebracht, und nicht Gier nach Essen und romantische Fantasien. Er dankte Gott dem Herrn für seine Rettung. Sein Wille geschehe. Er hatte überlebt, also war ihm das vorbestimmt gewesen. Sein Schicksal stand bereits fest, auch wenn er es nicht kannte. Den verhassten Katholiken schuldete er keinen Dank. Seine Großmutter hatte ihn gelehrt, dass selbst gute Werke nicht zur Erlösung führen. Sie war einst eine Zeit lang bei Cathérine de Parthenay in Diensten gestanden, bevor sie sich zurückgezogen hatte, um ihren Enkel zu erziehen. Für Gaspard war sie nach dem frühen Tode der Eltern das Zentrum seiner Welt gewesen. Obwohl die Familie in den Hugenottenkriegen fast alles verloren hatte, hatte seine Großmutter ihm eine anständige, sittsame Erziehung zu Teil werden lassen und ihm den Weg einer bescheidenen militärischen Karriere ermöglicht. In früheren Zeiten hätte der Name und Rang „de Pontevy“ für ein Offizierspatent gereicht, aber Gaspard hatte es mit calvinistischem Fleiß auch so immerhin zum Caporal gebracht. Er tastete nach seinem rechten Knie, der Verband hielt noch, und die Schmerzen waren auch viel besser geworden. Er sollte seinen Platz im Lazarett wohl jemand anderem überlassen. Er wollte gerade aufstehen, da entstand etwas Unruhe, als ein neuer Patient mit viel Aufwand hereingebracht wurde. Aber das waren keine Kameraden aus dem Fort. Vorsichtig ließ sich der hugenottische Caporal wieder auf sein Lager sinken und wartete vorerst ab.

Zuerst konnte Gaspard nicht alles verstehen, was gesprochen wurde, doch dann wurde es deutlicher. Einige königliche Musketiere hatten einen verletzten Kameraden ins Lazarett gebracht und sprachen nun mit Leutnant de Tréguier. Der Verwundete war dieser Aramis. War der nicht als Unterhändler Lord Buckinghams ins Fort gekommen und hatte wegen eines Gefangenenaustausches verhandelt? Und jetzt war er hier und ein königlicher Musketier, ja hatte anscheinend auch an der Aktion teilgenommen, um Proviant hierher zu bekommen. Verdammter Musketier. Er war wahrscheinlich als Spion bei Buckingham gewesen, und diese Männer waren für das Scheitern der calvinistischen Sache verantwortlich. Dass sie ihn wahrscheinlich vor dem Hungertod gerettet hatten, war irrelevant. Darum also hatte ihn Gott der Allmächtige verschont. Für sein erstes Versagen war er bereits bestraft worden, als er schmählich vor Schwäche eingeknickt und eine Treppe am Wehrgang der Festung hinuntergefallen war. Sein Knie begann wieder zu schmerzen, als er daran dachte. Mit schierer Willensstärke schob er den Schmerz beiseite, er musste jetzt nachdenken. Was war seine Bestimmung? Diesen Aramis töten? Sollte er der Vollstrecker der göttlichen Strafe für Verrat sein? Oder sollte er versuchen, zu fliehen? Wenn Lord Buckingham von den neuen Verhältnissen im Fort Kenntnis erlangte, so konnte vielleicht doch noch ein Sieg errungen werden. Der Geheimgang! Er hatte schon während der letzten Tage so oft an ihn gedacht. Wenn er doch nur früher davon erfahren hätte. Seine Überraschung war damals grenzenlos gewesen, als die verschmutzte Gestalt aus dem Vorratskeller gekommen war. Doch die Übergabe der Papiere hatte nur wenig später stattgefunden, und er hatte damals keine Gelegenheit gehabt, herauszufinden, wo der Gang außerhalb der Mauern endete, um dies auf der Karte für die Engländer einzuzeichnen. Aber Toiras ließ den Zugang im Vorratskeller stets gut bewachen, und dazu kam sein verletztes Knie. Doch jetzt herrschte Euphorie in der Festung. Frisches Essen war ausgegeben worden, und so manche Flasche Wein. Jetzt wäre die Wachsamkeit wohl am geringsten. Das musste er ausnutzen. Ob er beide Pläne kombinieren konnte? Den Verräter eliminieren und durch den Geheimgang entkommen? Er hatte den Geheimgang in der Zeit der Belagerung nicht nutzen können. Und doch war dieser Gang der letzte Trumpf, den er noch hatte. Jetzt mussten die englischen Verbündeten davon erfahren. Dann, ja dann, konnte das Schicksal wieder den Lauf nehmen, den es nehmen sollte.

Vielleicht konnte er die Entbehrungen in seiner Heimat in der Bretagne wieder vergessen. Der raue Wind würde seinen Kummer verblasen, und er würde Trost in den Armen seiner geliebten Francine finden. Aber noch musste er sich gedulden, er durfte jetzt nicht unvorsichtig werden. Noch gab es keinen konkreten Verdacht gegen ihn. Zu lange durfte er aber auch nicht warten, denn die Zeit drängte. Es dämmerte schon fast, und das Ultimatum Lord Buckinghams zur Übergabe von Fort Saint Martin lief ab. Bei Tag wäre eine Flucht kaum mehr möglich.

Mühsam erhob sich Gaspard von seinem Lager. Der großgewachsene Musketier wachte am Bett seines Kameraden. Zwar schien auch dieser verletzt zu sein, wie man an seinem Verband unschwer erkennen konnte, doch der junge Hugenotte war unbewaffnet. Die Waffen lagen im Nebenraum des Behandlungszimmers. Er seufzte innerlich. Im Moment konnte er den Verräter also nicht richten. Mit seinem verletzten Bein war er sicher nicht schnell genug, sich die Waffen des Musketiers zu schnappen und beide zu töten. Und schon gar nicht lautlos – nein, das war leider keine Option – also der Geheimgang. Mit einem kurzen Gruß humpelte er nach draußen.

Caporal de Pontevy unterdrückte einen Fluch. Er hatte nicht gedacht, wie schwer ihm das Gehen fallen würde. Die kurzen Strecken im Lazarett waren doch so einfach gewesen, und er hatte jetzt seinen Waffen wieder, aber bereits die ersten Stufen waren die Hölle gewesen. Er hatte sich sogar einen Spaten als behelfsmäßige Krücke nehmen müssen. Als er beim Vorratslager ankam, erwartete ihn die nächste unangenehme Überraschung. Aus dem Keller kamen die Geräusche feiernder Kameraden. Sie hatten ihren Posten nicht wie gehofft verlassen, sondern einfach Wein und Braten nach unten gebracht. Aber vielleicht konnte er sich vorbeischleichen oder sie kurz wegschicken. Den Spaten stellte er weg, der war zu laut, auch wenn die Stütze höchst willkommen gewesen wäre.

Wie sollte er das bloß schaffen, im Geheimgang musste man ja sogar kriechen, und er quälte sich schon bei ein paar Kellerstiegen. Die beiden Soldaten unterhielten sich laut über die Lage. Sie freuten sich schon über die Gesichter der Engländer – wie man sie verhöhnen und das Ultimatum ablehnen würde. Fast war er unten angekommen, die Soldaten waren stark angeheitert und völlig unaufmerksam – doch da - plötzlich sackte sein rechtes Knie einfach weg, er verlor komplett das Gleichgewicht, polterte die letzten Stufen hinab und landete direkt vor den völlig verdutzten Wachen.

„Monsieur le caporal, was tut Ihr hier? Habt Ihr Euch verletzt?“

Gaspard stöhnte -  dieser unerträgliche Schmerz! „Ich wollte zu den Schinken und Hühnern“, röchelte er, „ein paar auf Spieße stecken und den Engländern entgegenschwenken, wenn sie kommen. Wäre das nicht köstlich?“

Die Wachposten lachten: „Und ob, Kamerad, aber Ihr seid ernsthaft verletzt. Euer Knie sieht nicht gut aus. Wir bringen Euch ins Lazarett“.

***

Hier war er also wieder. Doktor La Fleur hatte ihn angesehen, als ob er ihn abstechen und nicht verbinden wollte. „Verdammter Narr“ waren noch die nettesten Worte, die er zu hören bekam. Und ein verdammter Narr war er auch wirklich gewesen. Mit seinem kaputten Knie durch den Geheimgang zu entkommen war unmöglich, das wusste er jetzt. Aber die Geschichte mit dem Essen schwenken und die Engländer verhöhnen hatte man ihm abgenommen. „Mont Blond“, wie der hünenhafte Sanitäter von seinen Kameraden scherzhaft wegen seines strohblonden Haars und seine riesigen Gestalt genannt wurde, hatte ihn, nachdem er einen neuen Verband und eine Schiene erhalten hatte, wie einen nassen Sack zurück in den Lazarettraum getragen.

Am Triumph der französischen Besatzung und der Schmähung der Engländer hatte er nicht teilnehmen können. Es wäre ihm auch schwergefallen, die englischen Glaubensbrüder, die La Rochelle zur Hilfe gekommen waren, zu verspotten. Er hatte Frankreich und dem König bis jetzt treu gedient. Aber der König stand völlig unter dem Einfluss dieses Teufels in Rot. Dieser verhasste Kardinal Richelieu wollte die Hugenotten vernichten. Man durfte nicht abwarten, bis das Morden wieder losging. Gaspard hatte seinen Großvater in den Unruhen nach der Bartholomäusnacht verloren – einen Großvater, den er nie gekannt hatte, aber die Geschichten hatte ihm seine Großmutter wohl hunderte Male erzählt.

Am Bett des Verräters tat sich wieder einiges. Diesmal waren sogar noch mehr Männer gekommen. Gaspard versuchte angestrengt, durch die zugezogenen Laken zu lauschen, doch was er hörte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Diese Musketiere wussten von ihm, auch wenn sie ihm noch nicht persönlich auf der Spur waren. Und dieser Comte, hatte der Verräter ihn nicht Rochefort genannt? Den Namen hatte er schon gehört. Stand der nicht in Diensten Richelieus? Seine Gedanken überschlugen sich, wie einige Stunden zuvor. Was war der wirkliche Plan des Allmächtigen? Den Spion Aramis bestrafen? Gar diesen Comte de Rochefort erledigen? Aber die Engländer hatten die Festung noch nicht angegriffen. Das würden sie aber doch sicher noch! Sollte er während des Angriffs ein Feuer legen oder gar versuchen, die Pulverkammer zu sprengen? Er musste wieder zur Ruhe kommen, die Zeit war noch nicht reif. Lord Buckingham würde Fort Saint Martin sicherlich erstürmen lassen. Das war der Zeitpunkt, um zuzuschlagen. Jetzt wurde Aramis bewacht, und dieser Rochefort war zu aufmerksam. Zum jetzigen Zeitpunkt war es zu früh für ein Feuer, und an die Pulverkammer würde er nicht rankommen. Aber wenn die Schlacht tobte, sah die Sache vollkommen anders aus. Vielleicht sandte Gott ihm ein Zeichen, und er würde wissen, welchen Plan er umsetzen musste. Wichtig war jetzt auch, sein Knie noch ein paar Stunden zu schonen. Seine Zeit würde kommen – und er wäre Gottes Werkzeug. Wieder glitten seine Gedanken ab. Warum konnte er nicht einfach abwarten, wie die Schlacht ausging? War nicht das Schicksal der Menschen bereits vorherbestimmt? Vielleicht war es ihm vorherbestimmt, mit Francine glücklich zu werden, gemeinsame Kinder großzuziehen. Eine neue Generation Calvinisten, die Gott priesen und ihr Werk ihm zu Ehren taten. Er sehnte sich nach dem Rat eines Predigers, aber die wichtigsten Entscheidungen im Leben musste man immer alleine mit Gott treffen…

 

Kapitel Kriegsrat

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Kapitel Sturm

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Kapitel Gottes Wege sind unergründlich

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Kapitel Wie das Schicksal spielt

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Kapitel Sieg und Niederlage

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Kapitel Epilog

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