Auf Messers Schneide von Petalwing
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 20 BewertungenKapitel ein unmoralisches Angebot
Inspiriert durch den Wunsch einer einzelnen, von mir sehr geschätzten Dame, habe ich mich tatsächlichan die Erstellung einer Vampir/Musketier FF gemacht. Übrigens mein erster Versuch, Slash zu schreiben.
Die Vampire und ihre Clans sind dem RPG "Vampire the Maskerade" bzw. der "World of Darkness" entnommen. Ich habe mir allerdings ein paar Änderungen vorbehalten. Zum Beispiel ist die Disziplin "Fortidude" hier wesentlich mächtiger als im Spiel und Vampire müssen hereingebeten werden. WOD-Spieler sollten das hier nicht allzugenau nehmen. ;)
Ansonsten wünsche ich allen Lesern viel Spaß und Vergnügen!
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Kapitel 1 – Ein unmoralisches Angebot
Ich stehe wieder einmal in deiner Straße und blicke zu deinem Fenster hinauf. Es ist erleuchtet, aber du bist noch nicht zu Hause. Du hast Dienst, bis die Uhren acht schlagen, dann wirst du etwa eine Stunde brauchen, bis du müde und erschöpft die Treppen zu diesem winzigen Verschlag hochsteigst, den Du Wohnung nennst. Ich kenne Deine Gewohnheiten. Du wärst erschreckt, wenn Du wüsstest, wie viel ich über Dich weiß. Ich habe wieder meinen üblichen Platz eingenommen, halb verborgen hinter der Auslage des Gemischtwarenhändlers, ein Stück die Straße hinab. Er wird in einer Viertelstunde packen, wie all die anderen Straßenhändler, auch der Schuhputzer wird seine kümmerlichen Einkünfte zusammenkratzen und in die kleine Taverne tragen, wo Du nie anzutreffen bist, weil sie Dir zu schäbig ist und der Wirt den Wein verwässert. Du treibst Dich mit Deinen Freunden im Tannenzapfen herum. Euer Stammlokal. Aber nicht heute. Deine Freunde sind alle beschäftigt, zwei müssen Wache schieben und der dritte hat ein Stelldichein, obwohl er Dir sicher erzählt hat, dass er noch ein paar Elegien zu Ende bringen muss. Du glaubst ihm nicht, aber es ist Dir im Grunde egal was er tut, solange er Euch nicht in Schwierigkeiten bringt. Und du weißt, dass er das nicht tun wird. Ja, wie ich schon sagte, du wärst höchst erstaunt über mein Wissen.
Nun, Meisterspion seiner Eminenz zu sein, hat deutliche Vorteile. Ich weiß alles, was es über Dein Leben zu wissen gibt. Deine Ideale, dein Unglück, das dunkle Verbrechen, das Deine Seele quält und für das Du keine Sühne findest. Ich kennen Deinen wahren Namen und Deine Geschichte. Das zumindest wirst Du bald genug herausfinden.
Heute ist die perfekte Nacht für das, was ich vorhabe. Wenn Du nur einen Augenblick lang ahnen könntest, wie lange ich Dich gesucht habe. Selbst für einen von meiner Sorte war es eine lange Zeit. Fast ein ganzes Jahrhundert. Meine Suche hat mich erst hierher nach Paris geführt und in die Kreise, in denen ich mich jetzt bewege. Ich habe all ihre Bälle, Soiréen und Lustbarkeiten besucht, habe die aufstrebenden, vielversprechenden Häupter des Landes gesehen, aber ich fand unter ihnen keinen, der mich gereizt hätte, der jener Gabe würdig gewesen wäre, die Du teilen wirst. Du bist es. Erst, als ich, in meiner Verzweiflung sogar unter den Musketieren zu suchen begann, fand ich unter Kieseln jenen Rohdiamanten, den ich heute zu schleifen beginne, auf dass sein Glanz in der Welt der Nacht erstrahle. Im Gegensatz zu Dir bin ich ein Schatten in Deiner Welt, man übersieht mich leicht. Bis auf Deinen heißblütigen kleinen Freund, der wie eine Klette an meinen Fersen hängt, wie an dem Tag vor einigen Wochen, als er zum ersten Mal bei Tréville aufkreuzte. Ich beobachtete die Vieux-Colombier an diesem Tag. Du hattest eine üble Verletzung davon getragen, und ich war nicht sicher, wie schwer diese Wunde war, und ob ich im Notfall eingreifen müsste, denn Dein vorzeitiges Ableben entspricht nicht meinen Plänen.
Du musstest Dich natürlich justamente duellieren. Erst mit dem Gascogner, dessen Temperament ich beinahe amüsant finden würde, wenn er mir nicht langsam auf die Nerven ginge. Dann mit diesem Cahusac, der natürlich im falschen Augenblick auftauchen musste. Du bist wirklich unverbesserlich. Langsam glaube ich, dass es Dir eine gewisse grimmige Freude bereitet, den Tod herauszufordern. Bist Du am Ende zu den Musketieren gegangen, weil Du hoffst, abenteuerlich und für ein höheres Ziel zu sterben? Nun, diesen Gefallen kann ich Dir gern tun, zu Deinen Diensten, der Tod trägt Schwarz.
Ah, da kommst du die Straße entlang. Wie erwartet, bist Du bist müde, gehst ein wenig langsamer als sonst. Das lange Stehen auf der Wache hat Dich ermattet. Man sieht es kaum. Nur jemand, der so viel Zeit hatte wie ich, die Menschen und ihre Reaktionen zu studieren, kann den Unterschied und Deine Erschöpfung wahrnehmen. Die Anwohner sehen Dir hinterher, Du spürst ihre bewundernden Blicke nicht, bist blind für das einladende Lächeln Deiner Wirtin, die Dir aus dem Fenster entgegen schaut. Du erlaubst Dir nicht, andere eine Gefühlsregung oder Schwäche sehen zu lassen, denn Du bist der perfekte Soldat seiner Majestät. Jetzt verschwindest Du im Haus. Die Treppe hinauf, Dein Diener öffnet Dir sicher just in diesem Augenblick die Tür. Du wirfst Dich in einen Sessel, lässt Dir eine Flasche Wein bringen.
Ich warte noch eine Weile, gebe Dir Zeit, die Stiefel auszuziehen, Dich auf einen ruhigen Abend einzustellen. Dass er alles andere als ruhig wird, musst Du nicht wissen. Ich warte noch eine halbe Stunde. Jetzt hast Du bereits die erste Flasche gelehrt und hast Dich leidlich entspannt. Die Sonne ist untergegangen und die letzten Spaziergänger haben sich in Häuser und Herbergen verzogen. Der Augenblick, an dem ich meinen Plan in die Tat umsetze, ist gekommen. Ich überquere die Straße, langsam, koste jeden Schritt aus, denn er ist ein unwiderrufliches Zeugnis meines Entschlusses. Ich fühle die Schicksalhaftigkeit unserer nahenden Begegnung. Unser beider Leben wird verändert, heute Nacht.
Ich öffne die Haustür, und nehme mühelos, beinahe lautlos, die Stufen nach oben. Für einen Moment ziehe ich es in Erwägung, an Deiner Tür zu klopfen, entscheide mich aber dagegen. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für dramatische Auftritte. Das Schloss Deiner Tür bietet keine große Herausforderung. Du fürchtest keine Einbrecher. Angesichts Deiner Anwesenheit, hast Du es nicht einmal für nötig befunden abzuschließen, und es kostet mich kaum mehr als einen Lidschlag und eine Drehung des Handgelenks, um die Tür aufzustoßen.
Du sitzt in Deinem Sessel genau gegenüber der Tür und blickst auf. Vor Dir der obligatorische Becher mit Wein. Wie ich auf Dich wirken muss, ein Fremder, ganz in Schwarz, mit einer hässlichen Narbe auf der Wange und finsteren Augen, die aus dem bleichen, hageren Gesicht hervorstechen. Ich weiß. Ich bin nicht sonderlich anziehend. Im Gegensatz zu Dir. Du kneifst die Augen zusammen, angesichts meines offensichtlichen Mangels an Höflichkeit. Ich ziehe langsam den Hut und verneige mich in der nachlässigen Andeutung einer Begrüßung, Du runzelst die Stirn. Erkennst mich. Sicher hat Dir Dein kleiner Gascogner schon eine Beschreibung geliefert. Der Mann aus Meung.
„Guten Abend, Monsieur.“
Meine Stimme klingt so, wie ich sie haben will. Dunkel, provozierend, und ein wenig bedrohlich. Ich habe dieses Auftreten lange verinnerlicht, es wird auch bei Dir seine Wirkung nicht verfehlen. Du bist erstaunt, lässt Dir aber nichts anmerken. Du erhebst dich und verneigst dich ebenfalls, hast in mir den Edelmann erkannt und bist wohl entschlossen, mich auch so zu behandeln.
„Monsieur, was wünscht Ihr?“ Deine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken. Bereits jetzt ist sie klar, präzise, wohlklingend. Wenn ich mit Dir fertig bin, wirst Du die Massen betören. Ich lächle ein wenig und entscheide mich für einen grandiosen Auftakt.
Ich ziehe das erste As aus meinem Ärmel.
„Ich suche den Grafen de la Fère.“
Deine Selbstbeherrschung ist meisterlich. Bis auf eine leichte Blässe und das kurze Zucken Deiner Lider verrät nichts Deine Bestürzung.
„Ich bedauere, aber Ihr müsst Euch irren. Einen Grafen findet Ihr hier wohl kaum, nur einen einfachen Musketier seiner Majestät.“
Mein Lächeln wird ein wenig breiter.
„Wenn es sein muss, nehme ich auch mit einem Musketier vorlieb.“
Du lächelst verächtlich.
„Einen Grafen gegen einen Musketier zu tauschen, Ihr macht einen schlechten Handel, mit Verlaub.“
Mir scheint, ich bin nicht der erste, der einen solchen Tausch vorgezogen hat.“
Jetzt wird Dein Mistrauen zur Gewissheit. Du presst die Lippen aufeinander. Gerade höflich genug, um nicht beleidigend zu sein, fragst Du „Euer Begehr?“
Mein Begehr? Oh, da gibt es einiges, aber beginnen wir beim Anfang.
„Ich habe Euch gesucht.“
„Ihr meint, den Grafen.“
„Und fand den Musketier. Aber das Angebot, das ich dem Grafen de la Fère vorzuschlagen gedachte, gilt auch für den einfachen Athos.“
Du ziehst kaum merklich eine Augenbraue hoch. „Ach...“
Langsam wird es im Türrahmen ein wenig ungemütlich.
„Wollt Ihr mich nicht hereinbitten?“
„Vielleicht. Ihr hattet noch nicht die Güte, Euch vorzustellen.“
Schlagfertig bist Du auch? Das imponiert mir.
„Charles-Cèsar, Graf Rochefort.“ Ich verneige mich wieder, diesmal noch weniger tief als zuvor. Du neigst ebenfalls das Haupt.
„Nun, tretet ein, Graf.“
Ohne es zu ahnen, hast Du Dein Schicksal besiegelt. Erst Dein Wort erlaubt es mir, einen Fuß über Deine Schwelle zu setzen. Ich trete näher und nehme Dir gegenüber Platz. Du runzelst die Stirn, ob meiner Unhöflichkeit, setzt Dich dann aber gleichfalls. Du winkst Deinem Diener. Er bringt mir ebenfalls einen Becher. Ich nicke, Du schenkst mir ein, ich nehme den Becher aus Deinen Händen. Du wartest ruhig, was ich Dir zu sagen habe. Zwar tust du, als sei es eine gewöhnliche Sache, dass ein fremder Edelmann ohne Erklärung in Deine Wohnung platzt, Deine Möbel okkupiert und sich in seltsamen Andeutungen ergeht, aber innerlich bist Du höchst alarmiert. Ich halte den Becher ein wenig in die Höhe und bedauere, dass es kein Kristallglas ist, das im Kerzenlicht jetzt wie ein Rubin funkeln würde.
„Wisst Ihr, was ich am Wein besonders schätze?“ beginne ich. Du erkennst meine rhetorische Frage als Einleitung und schweigst. „Die Farbe.“ Ich zwinkere Dir zu. Dann erläutere ich Dir in einfachen Worten mein Vorhaben. Du hörst Dir alles mit bemerkenswerter Ruhe an. Ich spüre dennoch Deine Erregung angesichts meiner Worte, die für Dich reine Blasphemie sein müssen und muss ein Grinsen unterdrücken. Für einen Sterblichen bist Du bemerkenswert abgebrüht, aber darauf zähle ich ja. Als ich ende, schüttelst du langsam das Haupt.
„Ihr seid ja verrückt.“
„Nun, mein lieber Athos. Ich darf Euch doch so nennen, da ich vor allen anderen Euch ausgewählt habe, ich verstehe Eure Skepsis, aber ihr werdet sicher verstehen, dass ich mich nicht so einfach zurückweisen lasse.“
„Nun, ich verstehe, dass Ihr entweder ein begnadeter Geschichtenerzähler oder ein Wahnsinniger seid. Ihr könnt diesen schlechten Scherz doch nicht ernst meinen.“
„Es ist mir vollkommen ernst“, erwidere ich. „Ihr, Athos, seid auserwählt, ein Geschöpf der Nacht zu werden und an meiner Seite über Paris, ja über Frankreich zu herrschen.“
„Selbst wenn ich auch nur für einen Augenblick so verrückt wäre, Euch Glauben zu schenken, so vergesst nicht, dass Ihr mit einem Mann sprecht, dem Herrschaft und Macht nichts bedeuten. Ihr habt nichts, was mich interessiert, Monsieur. Ich wünsche Euch noch einen guten Abend.“
Ich weiß, du möchtest das Gespräch an dieser Stelle beenden, aber das kann ich leider nicht zulassen. Ich habe den ganzen Aufwand nicht betrieben, um jetzt an Deinem Trotz zu scheitern.
„So?“ frage ich nur.
„Ihr habt Euer Anliegen vorgebracht, meine Antwort ist, dass ich mit Euch nichts zu schaffen habe.“
Du bleibst also stur. Zeit, das zweite As zu ziehen.
„Wie bedauerlich, Monsieur“, gebe ich zur Antwort. “Da ich unmöglich mit leeren Händen gehen kann, werde ich wohl das Nächstbeste suchen. Ich denke, das werde ich in der Rue de Vaugirard oder in der Rue de Fossoyeurs finden.“
Diesmal erbleichst du sichtlich.
„Wagt es nicht, Monsieur!“
„Wie?“
„Wagt nicht, mich zu erpressen. Untersteht Euch, meine Freunde in Euer Spiel hineinzuziehen, weil Ihr mich nicht zu Eurem Irrsinn überreden könnt.“
Oh, wie niedlich ist das doch, diese Fürsorge für den Möchtegern-Theologen und den kleinen Junker.
„Ihr versteht mich falsch“, erkläre ich freundlich. „Ich habe keineswegs die Absicht, Euch zu erpressen. Ich setze Euch lediglich über die Folgen Eurer höchsteigenen Entscheidung in Kenntnis, werter Athos. Auf die Ebbe folgt die Flut. Auf den Blitz der Donner. Auf ein Nein ein Ja. Ihr seid zwar meine erste Wahl, doch wenn Ihr Euch so sehr gegen das sträubt, was das Schicksal Euch zugedacht hat, so könnt Ihr doch nicht verhindern, dass Eure Entscheidung Folgen hat. So wie alles, was wir tun und auch das, was wir nicht tun. Man mag es bewundern, oder bedauern, aber Ihr und Eure Freunde seid das Beste, was diese Stadt zu bieten hat.“
„Eure Anerkennung schmeichelt mir“, antwortest Du. „Aber Ihr versteht sicher, dass ich nicht zulassen kann, dass Ihr meinen Freunden, die ich sehr schätze, schadet. Und nach Euren Ausführungen muss ich davon ausgehen, dass Ihr ihnen Schaden zufügen wollt.“
Ich nicke spöttisch.
„Euch muss es wohl so erscheinen, werter Athos. Auch wenn ich von einem Geschenk sprechen würde.“
Wir wissen beide, worauf das hinausläuft. Du bist so freundlich, es zu erläutern.
„Ich kann nicht zulassen, dass Ihr Euer Vorhaben vollendet.“
Ich breite die leeren Hände aus, habe keine Waffe im Gürtel.
„Ich stehe Euch zur ganz Verfügung, leider bin ich für Ein Duell nur ungenügend ausgerüstet.“
Verächtlich deutest Du auf den Waffenständer, der Deinen Degen beherbergt. Du selbst drehst Dich um und greifst nach dem edelsteinbesetzten Degen an der Wand, der ein wertvolles Erbstück sein muss. Dies alles unternimmst Du mit der gleichen Gelassenheit, mit der Du eine Flasche Wein öffnest oder den König Deine Ehrerbietung erweist. Ich glaube, ich bin verliebt.
Ich nehme deinen Degen auf. Er liegt gut in der Hand. Du hast Deine andere Waffe an Dich genommen und ziehst blank. In der Tat, du lässt keine Zeit verstreichen und bist wohl entschlossen, Dich auf der Stelle mit mir zu schlagen. Wie Du meinst. Jeder muss sich auf seine Weise abreagieren. Zeit für meine dritte Überraschung.
Wir verneigen uns erneut voreinander, und unsere Klingen kreuzen sich. Du kämpfst vorsichtig, willst einschätzen, mit wem Du es zu tun hast. Ich biete Dir die Stirn. Schließlich sollst Du nicht glauben, ich würde Dir den Sieg schenken, das würdest Du zurückweisen, und den Kampf sofort beenden. Dein Diener ist klug genug, sich im Schlafzimmer zu verstecken und aus unseren Händel herauszuhalten. Unser Tanz führt uns einmal durch das Zimmer, von Wand zu Wand. Etwas eng hier. Ich hätte zwar nichts gegen ein wenig Nahkampf mit Dir, aber ich beschränke mich weiter auf Paraden, Finten und schnelle Attacken. Du kämpfst gut. Wir beschäftigen und auf diese Weise fast eine Viertelstunde. Langsam treten Schweißperlen auf Deine Stirn. Ich entscheide, dass es jetzt genug ist. Als sei ich erschöpft, reagiere ich eine Spur langsamer als bisher, meine Bewegungen werden schwerfälliger, ich lasse kleine Fehler in meine Verteidigung einfließen, und Du wirst forscher. Du treibst mich vor Dir her, bis ich mit dem Rücken an der Wand stehe, dann vollführst Du eine meisterliche Finte. Ich setze noch eins drauf und laufe, als wollte ich einen Ausfall machen, direkt in Deinen Stoß hinein, schließlich muss ich den nächsten Akt wirkungsvoll in Szene setzen. Dein Degen trifft meine Kehle und nagelt mich praktisch an die Wand. Du bist entsetzt, so hattest Du das nicht geplant. Du starrst mich einige Augenblicke überrascht an, keiner von uns rührt sich.
Die Klinge hat meine Luftröhre durchbohrt, das ist nicht gerade angenehm. Glücklicherweise bin ich aufs Atmen nicht angewiesen. Langsam ziehst Du den Degen aus der Wunde, erwartest, dass Blut hervorquillt. Zu Deiner Überraschung geschieht nichts dergleichen. Ich lächle freundlich, diese Geste muss in einem Gesicht wie meinem wie ein raubtierhaftes Grinsen wirken. Du weichst entsetzt einen Schritt zurück, als ich nicht zu Boden sinke. Dann noch einen, denn ich wende ein wenig Kraft auf und wie Wunde schließt sich vor Deinen weit aufgerissenen Augen. Du hauchst etwas, das verdächtig nach „Mutter Gottes“ klingt. Dass die Sterblichen aber auch immer gleich religiös werden müssen.
Langsam beginnst du zu begreifen, dass ich nicht gelogen habe.
Das ist dann doch ein bisschen viel für dich, du taumelst rückwärts, bis Du es bist, der mit dem Rücken zu Wand steht. Wir starren uns an. Langsam komme ich auf Dich zu. Dein Entsetzen lähmt Dich. Ich habe Dich schon fast erreicht, da reißt Du endlich den Degen hoch. Unbeeindruckt greife ich nach der blanken Schneide und ramme sie mir mit einem Ruck in den Bauch, während ich den letzten Meter überbrücke.
„Denkst du, das kann mich aufhalten?“ flüstere ich in Dein Ohr. Mein Atem streift Deine Wange. Du zitterst ein wenig. Kraftlos sinkt Deine Hand herab, angesichts der fundamentalen Wahrheit, die alles, was man Dich gelehrt hat, in Frage stellt und Deinen Glauben für immer erschüttert. Ich ziehe den Degen aus der Wunde und werfe ihn fort. Auch diese Verletzung heilt innerhalb von Sekunden.
„Und? Glaubst Du mir jetzt?“
Du nickst stumm, unfähig auch nur ein Wort zu sagen.
„Und wie stehst Du nun zu meinem Angebot?“
„Ihr wollt mein Seelenheil.“
„Ja vielleicht. Vielleicht gebe ich es Dir auch zurück, wer weiß.“
Die Macht und die Wunder, die Du gerade gesehen hast, können Dich nicht verlocken, das habe ich begriffen. In Deinen hellen Augen liegt eine einzige, drängende Frage. Ich nicke langsam. „Ja. Du oder einer Deiner Freunde.“
Erkennen dämmert in deinen Augen. Dann Resignation.
„Was muss ich tun?“ flüsterst du.
Die Beute ist geschlagen.
„Nichts, gar nichts, nimm Abschied von der Welt, die Du kennst und genieße...“
Noch immer um Selbstbeherrschung bemüht, unterdrückst du ein Stöhnen, lediglich ein leises Zischen entweicht Deinen Lippen, als ich meine Zähne in Deinen Hals schlage...
...To be continued...
Kapitel Little Black Kiss
Kapitel 2 – Little Black Kiss
Der Bouquet Deines noblen Blutes ist noch besser als ich es mir vorgestellt habe. Du schmeckst himmlisch, jeder Deiner kräftigen Herzschläge versetzt mich in eine Euphorie. Dein Blut ist das Beste, das ich seit langer Zeit gekostet habe. Hätte ich noch Zweifel an Deiner Eignung für den Kuss besessen, spätestens jetzt währen sie in dem köstlichen Strom Deiner lebendigen Essenz hinweggeflossen. Nicht nur wegen einer klangvollen Ahnenreihe, sondern weil Du die Verkörperung der Ritterlichkeit bist, die Seele eines Parsifal im Leib eines Sir Lanzelot. Ich trinke weiter und beginne, mich in der Wärme Deines Fleisches zu verlieren. Gerade noch hast Du es fertig gebracht, Deine Finger in einer letzten, verzweifelten Abwehr in meine Schultern zu krallen, dann sinkst du dahin, verfällst, wie alle Sterblichen, der süßen Hingabe des Trinkens. Dein Widerstand löst sich unter der Berührung meiner Lippen in lustvolle Ekstase auf. Obwohl mich nichts so leicht aus der Fassung bringt, bin ich mittlerweile beinahe genauso berückt wie du. Ich fürchte, ich entwickle eine Obsession. Aber ich kann nicht behaupten, dass mein Instinkt mich nicht gewarnt hätte, doch warst Du vorbestimmt, mir zu begegnen und so haben wir wohl beide in dieser Frage keine Wahl. Haben sie nie gehabt. Ein Seufzer entringt sich Deiner Brust, Dein Herzschlag wird langsamer, als die Lebenskraft abnimmt. Nur unter Aufbietung all meiner Willenskraft reiße ich mich von Dir los, bevor es zu spät ist und ich Dich töte, ohne die Umwandlung vorbereitet zu haben. Ich muss Dich an die Schwelle führen, darf Dich aber noch nicht hindurchstoßen. Ich vermisse jetzt bereits die Wärme Deines Körpers, die flaumweiche Berührung Deiner Seele, die mich während des Trinkens streifte. Du liegst bewusstlos in meinen Armen, hielte ich Dich nicht umschlungen, Du glittest einfach zu Boden wie eine verstörte Jungfer. Ich muss über den Vergleich lächeln, er ist gar nicht so weit hergeholt, denn ich werde Dir heute einen Teil der Unschuld nehmen, die nur den Sterblichen zu Eigen ist und allein der seligen Unwissenheit entspringt. Vorsichtig trage ich Dich zu Deinem Sessel und lege Dich nieder.
Für das, was ich hier tue, kann ich keine Zeugen brauchen. Also vergewissere ich mich kurz, dass Dein Atem zwar flach, aber stabil ist, dann verlässt meine Aufmerksamkeit für einen Augenblick den Raum und wendet sich den Sterblichen zu, die nur durch wenige Wände von uns getrennt sind. Ich nutze eine Paradedisziplin unseres Clans, die in meinen Kreisen „Präsenz“ genannt wird und erzeuge bei den Sterblichen ein gewisses Unwohlsein, die dunkle Ahnung einer Bedrohung. Dein Diener liegt zitternd unter dem Bett, er presst die Finger in die Ohren und jetzt, da es still ist, kann ich sogar sein Wimmern hören. Er hat ein bisschen zuviel wahrgenommen, ich werde ihn wohl später vergessen lassen müssen. Deine Wirtin und ihrer Familie suggeriere ich, dass es besser wäre, einen kleinen Abendspaziergang zu machen. Auch die Nachbarn packt eine unbestimmte Furcht, vielleicht vor dem plötzlichen Auftauchen von Ordnungshütern, und schnell schließen sich die umliegenden Fensterläden. Solcherart zufriedengestellt wende ich mich wieder Dir zu.
Du bist sehr schwach, es wird Zeit. Ich ziehe deinen edlen Degen, der achtlos auf den abgenutzten Dielen liegt, zu mir heran und ritze mein Handgelenk. Dann presse ich die entstandene Wunde auf Deine bleichen Lippen. Sobald der erste Tropfen in Deinen Mund gleitet, setzt der uralte Instinkt ein, der Dich von nun an immer begleiten soll und Du beginnst zu trinken. Gut. Wieder entsteht in mir die bekannte Euphorie, doch diesmal sind unsere Rollen vertauscht. Du kannst mich spüren, nimmst meine Kraft und meinen Gedanken in Dich auf. Sofort belebt Dich die Macht des Blutes, dem Du bald schon mehr alles allem anderen verpflichtet sein wirst. Du trinkst, bist in Trance, packst meine Hand und ziehst meinen Unterarm noch näher zu Dir heran. Gut so. Leider muss ich Dich schon nach einigen Sekunden unterbrechen. Ich weiß, Du würdest gern in Ewigkeit so weitermachen, aber die Ewigkeit ist noch lang genug. Zuviel von meinem Blut, und Du wirst nicht sterben, wie du es musst, um den letzten Akt dieses berauschenden Rituals zu vollziehen.
Du bist immer noch tief erschöpft. Ich beuge mich zu Dir und helfe noch ein wenig nach, bis Deine Kraft endgültig erstirbt. Meine Gabe hat Dich zwar gestärkt, aber Deine sterbliche Hülle kapituliert. Die ersten Krämpfe schütteln Dich, als der Kampf beginnt. Es sind die widerwärtigsten und zugleich die letzten, die Du je erfahren wirst. Der Schmerz reißt Dich aus der Benommenheit, schleudert Dich jäh zurück in eine sehr unangenehme Gegenwart. Ich kann Deine Panik beinahe riechen und ich verstehe sie nur allzu gut. Ich habe damals nicht anders empfunden, als ich in Deiner Stelle war. Du blickst mich verstört an, und fasst Dir an die Kehle. Deine Hand verkrampft sich, bevor sie ihr Ziel erreicht.
"Was geschieht mit mir?" röchelst Du. Ich streiche Dir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, aber ich kann es Dir leider nicht erleichtern. "Du stirbst gerade."
Du blinzelst benommen, aber anscheinend hast Du mich verstanden. Noch einmal stemmst Du Dich mit aller Macht gegen das Unvermeidliche. Du richtest Dich halb auf, obwohl Dir Dein Körper längst nicht mehr gehorchen will. Deine letzten Worte lassen mich hell auflachen.
"Nicht- nicht auf einer Chaiselongue..."
Soviel Sturheit ist unbezahlbar.
Dann sinkst Du zurück und liegst regungslos. Ich konstatiere, Du bist jetzt offiziell tot. Meinen Glückwunsch. Willkommen in der alten Welt.
Es vergeht vielleicht eine Stunde bis Du dich langsam regst. Ich habe auf dem Sessel Dir gegenüber Platz genommen und beobachte Dich unablässig. Endlich habe ich einmal Gelegenheit, Dich in Ruhe aus der Nähe zu betrachten. Ich präge mir jede Eigenschaft Deines Gesichtes ein. Die gerade Nase, die Andeutung jenes melancholischen Zuges um Deinen Mund, der bereits in Deiner ansonsten glatten Haut erste Spuren hinterlassen hat. Auf einmal schlägst Du die Augen auf und siehst sich benommen um. Du erkennst eine schwarze Gestalt, blinzelst, bis meine Konturen klarer werden und Deine Erinnerung zurückkehrt. An Deinen Zügen kann ich förmlich ablesen, wie sich das eben Erlebte Stück für Stück in Deinem Kopf zusammenfügt. Deine Verwirrung wandelt sich in Unglauben, dann Bestürzung und schließlich grenzenlose Verwunderung. Du blickst an Dir herab. Siehst die Welt mit andere Augen, beginnst langsam, einige Unterschiede in deinen Empfindungen wahrzunehmen. Du atmest noch. Obwohl Du nicht musst, aber das tun die meisten von uns. Ich auch. Das ist einfach Gewohnheit und außerdem notwendig, wenn wir uns in Gegenwart Sterblicher bewegen, um die Maskerade aufrecht zu erhalten. Die Maskerade, und ihre Mechanismen, das alles wirst Du jetzt lernen müssen und verinnerlichen, wenn Du überleben willst. Aber ich werde da sein, und Dich leiten, so wie eine Mutter ihr Kind führt, das seine ersten unsicheren Schritte macht. Vielmehr bist Du auch nicht in der Welt, die jetzt Dein zu Hause sein wird. „Neugeborener“, so werden sie Dich nennen. Dein Blick schweift hin und her, zwischen mir, deinen Möbeln, Deinem Weinbecher, der immer noch unschuldig auf dem Tisch steht. Ich erkenne einen neuen Ausdruck in Deinen Augen, der mir durchaus vertraut ist, allein, Dir ist er unbekannt. Du kannst Deinen Zustand nicht deuten oder das Verlangen, das durch Deine Adern strömt. Direkt nach der Umwandlung ist es besonders stark. Aber wofür hast Du mich, Deinen Sire. Deine Vermieterin kehrt gerade zurück, die Sterbliche imponiert mir, sie weiß, wann sie gebraucht wird. Wieder sende ich meine Gedanken aus, diesmal rufe ich sie. Ohne zu wissen warum eilt sie zu mir, denn so ist es bestimmt. Wir befehlen, die Sterblichen gehorchen. Ich hören ihren leisen Schritt schon auf der Treppe. Du horchst ebenfalls auf, siehst mich fragend an. Ich werfe Dir ein strahlendes Lächeln zu. Zeit für die erste Lektion. Der Hunger und das Trinken.
Die Umwandlung hat Dich alle Kraft gekostet, die Du besitzt, die Erschöpfung manifestiert sich in einem grenzenlosen Hunger, der Dich von jetzt an wieder und wieder zwingen wird, das Blut Sterblicher aufzunehmen. Du wirst bald feststellen, wie köstliche diese Art der Nahrungsaufnahme ist, wenn Du Deine Beute mit einem gewissen Niveau auswählst. Das Mädchen ist nicht gerade die beste Wahl, sie ist zu... gewöhnlich... aber sie ist jung und gesund und wird es tun.
Der Hunger hat das Tier geweckt, sich sehe es an einem unsteten, fahlen Flackern in Deinen Augen. Höchste Zeit, dass Du Nahrung bekommst, wo bleibt nur die Beute? Da ist sie schon. Sie klopft, ich öffne und sie tritt herein. Für den Augenblick nimmt sie nur mich wahr, noch unter dem Bann meines Rufs. Gerade will ich sie ins Zimmer schieben, als ich aus den Augenwinkeln sehe, wie Du aufspringst. Oha, Du musst schlimmer dran sein, als ich dachte, das Tier hat bereits die Kontrolle übernommen. Ich stoße die Tür zu, das könnte jetzt hässlich werden und ich muss verhindern, dass jemand Dich so sieht, wie Du jetzt bist. Leider gilt das schon nicht für die Dirne, die gerade aus ihrer Trance erwacht. Du fauchst. Sie blickt auf, sieht die Fratze, die gerade Dein hübsches Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Deine Raubtierzähne sind hervorgetreten, als das Tier von Dir Besitz ergriffen hat. Sie weicht zurück, will sich zur Flucht wenden, doch da trifft sie nur auf mich und ich blockiere die Tür. Schon hast Du sie erreicht, und ich muss sagen, das ich zufrieden mit Dir bin. Ohne, dass ich es Dir erklären müsste, weißt Du was zu tun ist und gräbst Deine Zähne in das weiche Fleisch ihres Halses. Sie schreit kurz auf, doch der Schrei erstirbt, als Du zu trinken beginnst und die Sterbliche in die selige Umnachtung Deiner Berührung sinkt. Ich beobachte fasziniert, wie Du Dich an ihr labst, Du hast jetzt schon den unfehlbaren Instinkt des Jägers. Du trinkst wie ein Besessener. Obwohl ich stundenlang zusehen könnte, wie Du in deiner neuen Natur aufgehst, werde ich wohl eingreifen müssen, denn du bist drauf und dran, die Sterbliche gänzlich auszusaugen. Nicht, dass mir das etwas bedeuten würde, aber ich will nicht schon wieder eine Leiche verschwinden lassen müssen. Es ist enervierend genug, beständig hinter dem Sabbat aufräumen zu müssen. Außerdem habe ich keine Lust, Deine Schuldgefühle ertragen zu müssen, wenn Du realisierst, was Du getan hast. Also packe ich Deinen Nacken in eisernem Griff und reiße sie von Dir weg. Sofort bricht sie zusammen. Schade, dass Dein Diener noch nicht unter unserer Kontrolle steht, ich werde mich später selbst um sie kümmern müssen.
Du knurrst wütend, als ich Dir so resolut Deine Leckerei entziehe, aber Du siehst eindeutig satter aus. Trotz Deines Ärgers wagst Du es nicht, Deine Hand wider mich zu erheben, Dein Blut weiß bereits, was Dein Kopf noch nicht realisiert hat und erkennt in mir den Meister. Ein paar Tropfen in Deinem Mundwinkel zeugen noch von Deinem ersten Akt vampirischer Dominanz.
Ich kann nicht widerstehen. Ehe Du Dich versiehst, lehne ich ich vor, meine Zunge streift neckend Deine warmen Lippen als sie eine Kostprobe Deiner Mahlzeit in meinen Mund befördert. DAS holt Dich eiskalt in die Wirklichkeit zurück.
Dein Geist drängt das Tier zurück und verweist es an seinen Platz. Wider starrst Du mich an, dann das Mädchen. Du begreifst und beginnst zu zittern. Scheinbar hast Du nun doch einen Schock davon getragen. Armer kleiner Musketier. Ich zucke die Schultern. Du wirst dich schon daran gewöhnen, auch wenn Du im Augenblick nicht so aussiehst. Im Gegenteil, Dein Zittern wird stärker, sodass ich befürchte, du könntest vor Ekel das soeben getrunkene Blut wider erbrechen.
„Wagt es nicht, es abzustoßen“, zische ich ungehalten. „Oder soll das hier umsonst gewesen sein?“
Mit sichtlicher Mühe reißt Du den Blick von der zusammengekrümmten Gestalt am Boden fort und siehst mich derart gequält an, dass mich ein Hauch von Mitleid erfasst. Da es allerdings weder unserem Rang noch der Situation angemessen ist, jetzt in Sentimentalitäten zu verfallen, lege ich Dir lediglich eine Hand auf die Schulter.
„Es ist nichts geschehen, das nicht wieder gut gemacht werden könnte, also reißt Euch zusammen. Ich werde Euch alles erklären.“ Nachdem ich dieser Art meine Anteilnahme ausgedrückt und, wie ich finde, genug Trost gespendet habe, beuge ich mich zu Deiner Beute herunter und hebe sie hoch. „Wenn Ihr trinkt,“ erkläre ich angelegentlich, während ich die Bewusstlose auf einem Sessel drapiere, „dann gebt Acht, dass Ihr nie einen tötet. Auch, wenn Euch der Hunger noch so sehr treibt. Wir waten nicht in Blut und pflastern den Weg nicht mit Leichen. Bringt Ihr Einen um, dann verursacht das nicht nur Ärger mit den Sterblichen, sondern es bringt Euch dem Tier in Euch näher.“ Du reißt die Augen auf, denn Du weißt genau, wovon ich spreche. Ich nicke. „Richtig, das war das Tier. Ihr müsst lernen, es unter allen Umständen zu zügeln. Auch, wenn es Euch im Augenblick so erscheinen mag, es ist nicht Euer Feind. Wenn Ihr ums Überleben kämpfen müsst, verleiht es Euch Stärke, aber, wenn es Euch beherrscht, macht es Euch zu einer unberechenbaren Kreatur, die nur ein Ziel kennt, Tod und Zerstörung.“
Dann nehme ich mich Deines Dieners an. Du bleibst zurück bei der Sterblichen, während ich die Erinnerung an die letzten Stunden aus seinem schwachen Geist lösche und alle Sethkinder in diesem Haus in einen tiefen, ruhigen Schlaf versetze. Ich entscheide, dass die Frau noch warten kann, zuerst bringe ich Dich in meinen Haven, meine Zuflucht. Dort kannst Du zur Ruhe kommen. Ich kehre zurück ins Wohnzimmer.
„Folge mir.“
Zu meinem Erstaunen gehorchst Du ohne Widerworte. Anscheinend hast Du Dich zumindest für den Augenblick damit abgefunden, dass Du jetzt zu mir gehörst. Du folgst mir auf die Straße und hinaus in die Nacht.
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Sire= Erschaffer
Kapitel Wenn die Nacht beginnt...
Kapitel 3 – Wenn die Nacht beginnt
Ich sitze seit geraumer Zeit auf der Lagerstatt, die mir zugewiesen wurde und starre die Wand an. Draußen kündigt die Turmuhr gerade die Vollendung der dritten Stunde an. Obwohl mir durchaus bewusst ist, dass mich regungsloses Sitzen nicht weiterbringen wird, bin ich unfähig, mich zu erheben oder auch nur den Blick abzuwenden von dem Gemälde, dem einzigen schmückenden Beiwerk, in diesem ansonst sehr nüchtern gehaltenem Raum. Nachmittagssonne quillt durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden herein und sorgt für einen Dämmerzustand, der mir nicht Ungelegen kommt. Die Lichtverhältnisse spiegeln die Zustände in meinem Inneren und ich sehe keine Veranlassung, irgendetwas zu beschönigen oder zu verschleiern. Ich werde mich an all das gewöhnen müssen.
Die Malerei zeigt einen kleinen Fluss, der sich durch ein Sommerwäldchen schlängelt. Ein winziges Boot folgt dem Flusslauf. Die Szene erinnert mich an meine Heimat. Absicht oder Zufall? Mittlerweile traue ich meinem Entführer eine ganze Menge zu. Aber ist Entführer wirklich das Wort, das ich suche?
Nachdem er mich an diesen Ort geführt hat, ist etwa eine Woche vergangen. Ich frage mich was draußen, außerhalb dieses Refugiums vor sich geht, ob meine Freunde bereits Anstrengungen unternommen haben, mich zu finden, ob die Welt sich überhaupt noch weiterdreht. Sie muss wohl, denn ich kann das Gurren der Tauben vernehmen und das klappern der Kutschenräder auf dem Pflaster. Wenn ich mich dazu überwinden könnte, ans Fenster zu treten und hinaus zu blicken, dann sähe ich vermutlich auf eine Pariser Straße hinab. Bei Nacht könnte ich sogar die Läden öffnen. Wenn ich wollte.
Das ist allerdings der springende Punkt.
Warum sollte ich wollen? Die Lethargie, die mich immer dann befällt, wenn mein Sire mich zurücklässt, um Unternehmungen zu beginnen, deren Zweck und Natur er vor mir verbirgt, ist beinahe mein Freund geworden. In der Stille der Reglosigkeit kann ich am Besten die neuen, verwirrenden Informationen verinnerlichen, die mein Erschaffer mir hinwirft, wie man einem Hofhund ein paar Krumen überlässt. Und ich habe keine Wahl, ich muss hinnehmen, dass die Dinge in seinem Tempo, nach seinen Regeln stattfinden. Einiges hat er mir berichtet über das, was ich jetzt bin, die gottlose Kreatur zu der er mich gemacht hat.
Man nennt uns Kainskinder. Es gibt Clans. Er ist ein Ventrue. Ich habe sein Blut getrunken. Das macht mich zu einem von ihnen. Wir haben Fähigkeiten. Davon habe ich allerdings an mir bisher kaum etwas bemerkt. Ventrue sind geboren zu herrschen. Ja herrschen, über die Welt der Nacht. Er besteht darauf, dass ich das nie vergesse, mir scheint's, er hat Erwartungen an mich und meine Rolle, die ich irgendwann zu erfüllen habe. Denn Paris unterhält eine zweite Gesellschaft in Untergrund, in der Nacht, in edlen Salons und in stinkenden Gassen. Die bleichen Damen und Herren spiegeln die Stadt in einer parodistischen Komödie. Oder spiegelt die Stadt sie? Sie sind alt. Manche von ihnen überdauerten Zeitalter. Menschen, ‚Sethkindern’, muss unsere Existenz verborgen bleiben. Jedes Sethkind, das erfährt, was wir sind, muss sterben... oder zu uns gehören. Das sind die Bedingungen der Maskerade. Die Regeln, das Spiel der Jäger.
Und Blut ist der Schlüssel. Der Schlüssel zur Macht. Rochefort geht davon aus, dass Macht das Entscheidende ist. Glaube ich ihm, so beherrscht das Streben nach Macht und Herrschaft die Welt der Nacht. Gerade aus diesem Grund ist mir nicht klar, was mich in diese Angelegenheit verstrickte, warum ausgerechnet ich etwas damit zu tun haben sollte. Ich war zufrieden in meiner Unwissenheit, ein einfacher Musketier an der Seite meiner Kameraden. Ich wusste nichts. Es gab keinen Grund, ausgerechnet mich in dieses bizarre Theater hineinzuziehen. Rocheforts Antwort auf meine eben just diesem Umstand betreffenden Fragen fiel knapp und ausweichend aus. Er wollte es, weil er es so wollte.
Zumeist hält er mir Vorträge, während wir unten im Esszimmer über edlem, weißem Linnen sitzen, das auch die Tische im Schloss meines Vaters nicht beschämt hätte, und den unheiligen Lebenssaft aus prunkvollen Kelchen trinken, den er Vita nennt. Dann habe ich kaum Möglichkeiten zu Einschüben und Gegenfragen. Er sieht es als selbstverständlich an, dass ich jeder Ausführung folge und keine seiner Erläuterungen in Frage stelle, ungeachtet ihrer Absurdität. Er nennt mich ein Kind und behandelt mich gleichermaßen. Ich kann nicht behaupten, dass mir dieser Umstand gefällt. Im Gegenteil, jetzt nach etwa einer Woche, in der sich eine gewisse Routine seiner Lektionen eingestellt hatte, empfinde ich Ärger angesichts dieser Bevormundung.
Ich vermisse den Wein. Fand ich doch in seiner betäubenden Umarmung ein wenig Trost, jetzt ist mir auch diese kleine Freude genommen. Obwohl ich könnte, ich verspüre kein Bedürfnis danach, und es hätte keinen Effekt. Schließlich bin ich tot. Wenngleich ich mir diesen Umstand durchaus anders vorgestellt habe. Mein Freund Aramis würde sicher eine treffende, charmante Beschreibung für meinen Zustand finden, vielleicht ‚lebendig mit Einschränkungen’? Wer weiß das schon. Rochefort scheinen philosophische Grübeleien über unser Dasein völlig gleichgültig zu sein.
Draußen fällt plötzlich ein Schuss, dann dringt aufgeregtes Geschrei an meine Ohren. Das schrille Geräusch packt mich und schlägt eine Bresche in den Wall meiner Einsamkeit. Einem plötzlichen Impuls nachgebend, trete ich zum Fenster und spähe durch die Läden. Eine Menschentraube drängt sich auf der Straße um einen Liegenden. Er trägt das vornehme Gewand eines Edelmannes. Blut sickert aus einer Wunde in der Brust. Wurde er erschossen? Ein Täter ist nicht zu entdecken. Immer wieder wird mein Blick von der dunklen Flüssigkeit angezogen, die auf dem schmutzigen Pflaster versickert. Ich meine sogar, den Geruch bis hinauf in meine Kammer zu spüren, über dem Gestank von Abfällen, Essensdunst und menschlichen Ausscheidungen hinweg, der stets durch die Straßen weht. Seit dem „Kuss“ wie Rochfort meine Erschaffung nennt, sind meine Sinne schärfer geworden, ich nehme alles intensiver wahr. Ein Geschenk meiner neuen Natur.
Für einen Augenblick ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass dieser Tod eine Verschwendung ist, so edles Blut gehört nicht auf den Boden. Im nächsten Augenblick reiße ich mich von Fenster los. Der Zynismus meiner Überlegungen erschreckt mich. Ich sollte Betroffenheit empfinden oder wenigstens Gleichgültigkeit, stattdessen spüre ich den Hunger und mit dem Instinkt des Jägers bedaure ich nur den Verlust einer potentiellen Beute. Langsam lasse ich mich wieder auf das Bett sinken, aber die Lethargie der vergangenen Stunden will sich nicht wieder einstellen. Irgendwann gebe ich es auf und schreite unruhig umher. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich erwarte Rochefort mit Ungeduld zurück. Jetzt, wo die bleierne Müdigkeit von mir abgefallen ist, halte ich es keinen Augenblick mehr länger in diesem Gefängnis aus. Auch nicht im Verlies meiner eigenen Gedanken. Ich will hinaus. Etwas tun, irgendetwas. Und sei es nur, dass ich ein paar Schritte am Fluss entlang gehe.
Was D'Artagnan wohl macht? Sicher sorgt er sich, denn es sieht mir nicht ähnlich, einfach so zu verschwinden ohne meinen Freunden eine Nachricht zu hinterlassen. Der Gedanke an D'Artagnan lässt mich nicht mehr los. Der Impuls, das Bedürfnis ihn zu sehen, gewinnt an Macht. Nur für einen Augenblick will ich ihm nahe sein und mich überzeugen, dass es ihm gut geht.
Ich könnte es tun, sobald die Sonne untergegangen ist. Er hat, soweit ich weiß, an diesem Abend keinen Dienst und wird zu Hause sein. Oder er trifft sich mit den anderen im Tannenzapfen. Eigentlich sollte es nicht schwer sein, unbemerkt an diesen oder jenen Ort zu gelangen. Rochefort hat mir einen Ausflug in die Stadt nicht direkt verboten. Wahrscheinlich verlässt er sich darauf, dass ich nichts ohne ihn unternehme, dass ich verschüchtert wie eine Debütantin auf dem Winterball nur darauf warte, dass er die Entscheidungen für mich trifft. Vielleicht ist es an der Zeit, ihm zu beweisen, dass ich noch immer einen eigenen Kopf besitze. Ehe ich mich's versehe habe ich den kleinen Ausflug bereits beschlossen, auf Rochforts eventuellen Zorn werde ich es ankommen lassen. Was kann er schon tun? Mich töten?
Die Sonne sinkt für meinen Geschmack viel zu langsam, aber ich muss warten bis sie gänzlich verschwunden ist, oder ich werde mir Verletzungen zuziehen. Ich weiß, dass mein Sire Mittel und Wege kennt, sich gelegentlich auch am Tage hinaus zu begeben, aber er hat noch nicht geruht, mich in dieses Geheimnis einzuweihen. Also muss ich mich wohl oder übel in Geduld fassen und noch eine Stunde ausharren.
Kapitel Albträume
Kapitel 4 – Albträume
Hohl hallen meine Schritte auf dem Pflaster, als ich das Quartier Latin umgehe und mich in Richtung Saint Germain halte. Ich meide den Luxembourg und suche meinen Weg an der Seine entlang, über Seitenstraßen und Gassen, denn ich habe eindeutig zu viele Bekannte zwischen dem Place St. Sulpice und dem Boulevard St. Michel. Ein Rest von Vorsicht warnt mich vor einer Begegnung. Also streife ich wie ein Schatten durch Ecken und Hinterhöfe, die Dunkelheit bereits als Freund willkommen heißend. Es ist nicht mehr sehr weit bis zur Rue des Fossoyeurs, als ein lautes Poltern aus einer Seitengasse mich innehalten lässt. Ich höre Kampfeslärm. Da das charakteristische Klingen sich kreuzender Degen ausbleibt, vermute ich eine Schlägerei. Ich bin schon auf halben Wege in die Gasse, als mir klar wird, dass ich zwar als Musketier verpflichtet bin, nach dem Rechten zu sehen, als Kainskind und meinem Erschaffer gegenüber allerdings jeden Ärger zu vermeiden habe. Zum ersten Mal seit langer Zeit zögere ich, hin- und hergerissen zwischen zwei widersprüchlichen Pflichten, ohne zu wissen, welcher ich den Vorrang geben sollte.
Auf einmal fällt etwas Schweres neben mir zu Boden, begleitet von einem lauten Fauchen, das von einer Katze stammen könnte, wäre es nicht tiefer und grollender. Welche menschliche Kehle bringt solch ein Geräusch hervor? Für meinen eigenen Geschmack viel zu langsam fahre ich herum, da fühle ich mich schon an der Kehle gepackt, von den Füßen gerissen und an die nächste Wand geschleudert. Bevor ich aufspringen kann, ist der Angreifer über mir und hat mich überwältigt. Ich habe ihn kaum gesehen. Wie hat er-?
Ich versuche kläglich, mich aus der Umklammerung zu winden. Es bleibt bei dem Versuch. Mein Gesicht macht unangenehme Bekanntschaft mit dem Straßenpflaster, als ein Schlag auf den Hinterkopf meine Gegenwehr vorübergehend erstickt. Kehliges Lachen aus der Gasse, Schritte, dann schmutzige Füße in zerlumpten Sandalen, die mir einen Tritt in die Kehle verpassen. Sollte ich ein paar Straßenräubern in die Hände gefallen sein?
Dass ich es nicht mit gewöhnlichen Dieben zu tun habe, wird mir allerdings jäh deutlich, als mein Angreifer mich blitzschnell hochreißt und gegen eine Wand presst. Doch das echte Entsetzen packt mich erst, als ich endlich in die Gesichter meiner Peiniger sehen kann. Direkt vor mir, eine Fratze, die jedes Schauermärchen über die Hölle und Dämonen bestätigt, die ich in meiner Kindheit gehört habe. Was immer da gerade seinen abartig langen Klauen in mein Wams gräbt, gleicht mehr einem Tier als einem menschlichen Wesen. Eine Fratze mit scharfen Reißzähnen grinst mich an, gelb leuchten Augen in der Dunkelheit.
„Sieh an“, triumphiert eine raue Stimme, die zischend der Fratze entweicht, „haben wir uns ein Camarillahündchen gefangen?“
Lachen folgt der Beschimpfung. Ich erkenne drei weitere Männer. Obwohl sie weit weniger schrecklich aussehen als mein Peiniger, haftet auch ihnen etwas Widerwärtiges, Bedrohliches an, das mir kalte Schauer über den Rücken jagt. Ich empfinde jedoch keine Furcht. Eher Abscheu und eine fremdartige Wut, die zu brodeln beginnt. Was hat mich nur geritten, heute Nacht auszugehen? Und seit wann zur Hölle ist Paris auf einmal so gefährlich geworden?
„Lasst mich!“ werfe ich der Fratze entgegen. „Oder ich werde-“
„Oder du was, Camarilla-Bastard?“ werde ich unterbrochen. „Du glaubst, du bist dem Sabbat gewachsen? Du weißt nichts! Ich fresse deine Eingeweide! Heute Nacht lernst du, was wahrer Schmerz ist, Du erbärmliche Hure des Prinzen.“
Ein düsteres Leuchten in den gelben Augen überzeugt mich, dass die Fratze die Wahrheit spricht. Eisern graben sich die Klauen in mein Fleisch und pressen mich noch immer gegen die Wand ohne dass ich mich bewegen, geschweige denn befreien könnte. Die Bestie beugt sich näher, ich spüre fauligen, stinkenden Atem auf meiner Haut und langsam steigt Panik in mir auf. Wie komme ich hier nur heraus? Im nächsten Augenblick finde ich mich unter Gelächter und blutend mit einem ausgerenkten Arm auf dem Boden wieder. Dann ein harter Tritt in meine Magengrube, und einer in den Nacken, der einem lebendigen Athos wohl das Bewusstsein geraubt hätte. Allein, ich muss feststellen, dass das Unleben mich mit einer höheren Schmerztoleranz ausgestattet hat. In meiner gegenwärtigen Situation fällt es mir jedoch schwer, darin einen Vorteil zu sehen. Über all dem sind die fremden Stimmen und ihr Fauchen, ihr Gelächter und wüste Beschimpfungen, deren Bedeutung mir nicht klar wird.
Ehe ich es mich versehe, habe ich jede Menge Blut verloren. Wieder steigt ein altbekannter Hunger in mir auf, zugleich höre ich die Knochen meines Armes brechen, spitze Krallen bohren sich in meinen Hals, zum ersten Mal fühle ich Todesangst.
Dann geht alles ganz schnell. Der Schmerz bringt den beißenden Hunger und eine rote Wut ergreift von mir Besitz, die alle Geräusche, ja jede Empfindung dämpft und nur noch den Willen zu töten zurück lässt. Ich fühle, wie meine Kraft schwindet. Trotzdem grabe ich spitze Zähne in die Hand, die mich festhält, irgendwo sind Stimmen, jemand ruft. Nach mir? Dann bin ich endlich frei. Ich will nur noch weg. Fort von hier. Meine Füße tragen mich, ich sehe den Weg kaum. Spüre befreiend die Nachtluft, irgendwo plätschert Wasser, ich kann kaum sehen, Blut läuft meine Seite hinab. Blut. Und etwas geschieht mit...
... Über mir Sternenhimmel... dann wird es kalt, ich liege im Wasser... Irgendwann feste, feuchte Erde unter meinen Händen, meinen Knien... Ich knie irgendwo... Alles ist so dunkel, kein Licht... Ich habe Hunger. Hunger. Oh Gott, ich will sterben. Herr, wenn es Dich gibt, lass mich sterben. Ich will nicht töten.
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Fortsetzung folgt.
Kapitel Alle meine Soldaten
Kapitel 5 - Alle meine Soldaten
Der Vampir sah auf die starre Gestalt des Antitribu herab. Die Degenspitze ragte dem Sabbatbiest aus der Brust, dort wo das Herz saß. Das war sauber gepfählt.
„Was ist mit den anderen?“ wandte er sich leise an seinen Kameraden. Der schnürte gerade ein paar Leichen fachgerecht zusammen und schleifte sie zum Ufer der Seine.
„Zum Glück nur ein paar Ghule. Nichts Bedeutendes. Aber diesmal war es knapp.“
Körper klatschten auf Wasser, dann schluckte der Fluss die verräterischen Zeugnisse der Auseinandersetzung. Die Seine war eine Verbündete, die gute alte Freundin, der man in Paris, seine schmutzigen Geheimnisse und seinen lästigen Ballast anvertraute, die Fluten gurgelten alles hinab und wenn in wenigen Tagen ein paar Wasserleichen am Stadtrand hinauftrieben, interessierte das niemanden und die Maskerade war wieder einmal geschützt. Der Mann sah zu, wie die Körper versanken, dann eilte er an die Seite seines Kameraden. Sie musterten einander. Ihre Uniformen hatten wieder einmal gelitten. Aber das war nichts ungewöhnliches, wenn der Sabbat zum Tanz rief, dann blieb nichts heil. „Lasst uns den hier schnell fortschaffen, bevor die Sache die Runde macht.“
„Ja. Aber das Childe des Ventrue ist entkommen.“
„Ich weiß. Ich sah es. Leider war ich durch unseren bissigen Freund hier gerade ein wenig in Anspruch genommen und Euch banden die Ghule. Das nenne ich dann Pech.“
„Nun, hoffentlich sieht das der Hauptmann genauso wie Ihr. Zumal sein Zustand nicht der allerbeste war.“
„Ihr neigt wie immer zur Untertreibung, mein Bester.“
„Ihr wisst wer es war?“
„Ja, ich habe Athos erkannt.“
„Wunderbar. Und ich bin wieder einmal derjenige, der die schlechten Nachrichten überbringt. Nun denn, lasst uns gehen. Tréville wird wissen, was zu tun ist.“
Mühelos packten die beiden die noch immer starre Gestalt des Feindes, nicht ohne sich vorher jedoch die Musketierröcke glatt zu ziehen und die Degen wieder in die Scheide zu stecken. Ein kurzer Stoß ersetzte die Klinge durch einen Pflock. Nur Sekunden später waren sie lautlos in der Dunkelheit verschwunden. Nur ein paar Brocken Putz und etwas angetrocknetes Blut kündeten noch von dem Kampf, der hier stattgefunden hatte.
Der Primogen des Clans Brujah, Wächter der Domäne Paris, der sich bei den Sterblichen unter dem Namen Tréville, Hauptmann der Musketiere, großer Bekanntheit erfreute, durchmaß sein Kabinett mit wenigen großen Schritten. Vor ihm starrten seine beiden Clansbrüder betreten Löcher in den Boden. Ihr Herr hatte den Lagebericht überhaupt nicht gut aufgenommen.
„Die Herren wollen mir also allen Ernstes erzählen, dass Sie einen Neugeborenen im Blutrausch laufen ließen? Die geradezu leibhaftige Verkörperung des Maskeradebruchs! Ja, Seid Ihr des Wahnsinns? Wollt ihr eine Blutspur durch ganz Paris? War Euch die Mordserie vor fünf Jahren keine Lehre?“
„Sire, er war weg, bevor wir ihn unter Kontrolle bringen konnten. Man kann von Glück reden, dass er überhaupt noch lebt, der Antitribu hatte ihn fast vernichtet.“
„Pah!“ Der Hauptmann winkte ungehalten ab. „Eure Ausflüchte interessieren mich nicht. Ihr seid Brujah, zum Teufel! Und noch dazu Musketiere. Stattdessen verhaltet ihr Euch wie blutige Anfänger.“
Unter dem bohrenden Blick des Hauptmanns schrumpften die beiden Zurechtgewiesenen sichtlich. Jedes rebellische Aufbegehren erstickte der eiserne Blick dieser Augen im Keim. Mit Erleichterung sahen sie jedoch zu, wie sich die Zornesfalte auf Trévilles Stirn glättete.
„Nun gut. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich werde sehen, was sich tun lässt. Bringt in der Zwischenzeit diesen Gramois ins Verlies, dann holt Euch Bovoir und Jamé und durchkämmt die Stadt. Das Auftauchen dieses Antitribu, des Verräters, ist ein Schlag ins Gesicht der Camarilla. Wer weiß schon, was der Sabbat vorhat, heute Nacht will ich jedenfalls keinen weiteren Ärger. Haben wir uns verstanden?“
„Jawohl, Hauptmann.“
Kaum hatte sich die Tür hinter den Rücken der beiden Kainiten geschlossen, trat er Mann, der in diesem Jahrhundert den Namen Tréville oder Troisville führte, ans Fenster seines Kabinetts.
'Athos, wo steckt Ihr nur? Und in welche Schwierigkeiten habt Ihr Euch diesmal gebracht?'
Tréville seufzte leise. Wächter der Domäne und Primogen zu sein, war in manchen Nächten anstrengender als sonst. Und wo war überhaupt Rochefort? Wieso gelang es ihm nicht, sich um sein Childe zu kümmern? Wieso mussten erst seine Leute Athos aus den Fängen des Sabbat kratzen?
Nun, andererseits konnte ihm diese Sache einen Vorteil gegenüber dem Ventrue verschaffen. Man würde sehen.
Im Augenblick allerdings hatte allein die Maskerade Vorrang. Er wusste, dass die Prozedur viel Kraft kosten würde, aber eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben. Es blieb nur zu hoffen, dass sich Athos Geist der Macht der Blutgier rechtzeitig entziehen konnte. Andererseits hatte der Musketier schon als Mensch einen eisernen Willen bewiesen, wenn es jemandem gelang, dann ihm.
Energisch trat der Brujah ans Fenster und sandte seine Gedanken hinaus in die Nacht. Jetzt galt es den alten Kampf zu führen. Willen gegen Willen. Ein Ruf, unhörbar und doch so drängend, dass die Krähen von den Dächern rauschten und die Tauben im Schlaf unruhig gurrten. Ein Ruf, nur für eine Person bestimmt.
„ATHOS!“
Ich weiß nicht, wie lange ich hier gehockt habe, zitternd, den Kopf zwischen meinen Armen vergraben. Ich weiß nur, dass mich plötzlich etwas aus meinem Schauder reißt. Sprach da nicht gerade jemand zu mir? Hektisch sehe ich mich um. Die Hände zu Fäusten geballt und zur Abwehr erhoben, starre ich in die Nacht. Doch da ist nichts, kein Geräusch, keine Bewegung. Nur mein eigener stoßweiser Atem. Wieder packt mich das Entsetzen und ich sinke zurück in die roten Nebel, die wie unsichtbare Hände an mir ziehen. Sie treiben mich hinab. Hinab in die Dunkelheit. Dann plötzlich! Ein Ruf, er drängt sich zwischen mich und den Wahnsinn. Mein Name. Ich kann ihn hören. Da, noch einmal!
Diese Stimme... sie kommt mir vage bekannt vor... und etwas in ihr lockt mich, ähnlich wie der Irrsinn, der sich noch immer meiner zu bemächtigen droht. Werde ich gerade vollkommen verrückt? Doch die Stimme... sie klingt gut... sie sagt mir, dass ich ihr vertrauen kann. Wieder zieht sie mich, diesmal stärker als zuvor. Mir bleibt die Wahl zwischen Satan und Beelzebub. Ich weiß nicht, was das für eine Stimme ist, sie ist in meinem Geist und ich weiß nicht woher sie kommt. Aber sie hilft mir, die Bestie in Schach zu halten, die sich in mir regt und die mich töten lassen will. Sterben, leiden, bluten soll jeder, der meinen Weg kreuzt. Nein, nein, das ist falsch!
Immer stärker wird das Biest. Meine einzige Chance ist diese Stimme.
„ATHOS!“
Also folge ich ihr. Ich weiß kaum zu sagen, wie mir geschieht, aber plötzlich laufe ich wie von selbst das Ufer entlang. Oder vielmehr stolpere ich. Aber das ist bedeutungslos, solange ich nur in Bewegung bleibe. Ich sehe meine Umgebung kaum, denn noch immer habe ich die Hände schützend vor mein Gesicht gehoben. Ich will sie auch gar nicht sehen. Aber ich rieche, ja schmecke, den Geruch der Straßen, die ich durchquere. Der Dunst von altem Fett und Wein zieht herüber. Ich höre auch Stimmen. Sie feiern. Dort, in diesem Haus feiern sie. Wieder wallen die Nebel auf, die rote Wut kehrt zurück. Wie können Sie es wagen zu Lachen und zu Trinken? Verfluchte Sterbliche! Wieder packt mich das Bedürfnis, sie alle zu vernichten, mich an dem roten, lebendigen Saft zu laben, der aus ihren zerrissenen Kehlen quillt.
Dann wieder... spüre ich mich selbst... ich bin Athos, ein Musketier, allein für die Bilder in meinem Geist verdiene ich hundertmal das Fegefeuer.
„ATHOS!“
Die Stimme hilft. Ich klammere mich an sie, wie ein Kind an den Rockschoß der Mutter und schleppe mich weiter. Je weiter ich gehe, umso stärker wird der Ruf, umso mehr stärkt er mich und gibt mir Kraft, auch die letzten Meter noch zu überwinden, obwohl meine Knie bereits eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Butter entwickelt zu haben scheinen.
Unvermittelt greift jemand nach mir, zerrt mich fort und drängt mich gegen eine Wand. Sofort gewinnt der Wahn die Überhand, als die Erinnerung an den jüngsten Angriff mich überkommt. Doch bevor ich auch nur fauchen kann, wird mir eine Flache zwischen die Lippen gepresst und ich schlucke, zuerst im Reflex, dann aus Gier, als ich den Inhalt schmecke. Ich trinke und trinke und mit jedem Schluck, weichen die roten Nebel zurück, bis sich die Fetzen in meinem Kopf wieder zu Gedanken formen. Ich blicke mich um, man hat mich losgelassen. Langsam begreife ich, wo ich mich befinde, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie ich hier her gekommen bin. Ich bin im Hauptquartier der Musketiere, am Hintereingang, in einer Mauernische bei den Stallungen. Im bleichen Mondlicht erkenne ich, wem ich meine Rettung zu verdanken habe. Im ersten Moment verschlägt es mir die Sprache und ich kann meinen Retter lediglich stumm anstarren. Er lächelt und entblößt ein paar spitze Zähne, die da nicht sein sollten.
„Hauptmann!“ entfährt es mir leise.
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Vampirisch für Anfänger II:
Childe= „Kind“ des Vampirs von dem er den Kuss empfangen hat.
Kainiten= Vampire
Ghule: Menschliche Diener, die an einen Vampir gebunden sind
Kapitel Plaudereien
Kapitel 6 – Plaudereien
Tréville beobachtete Athos aufmerksam. Der Musketier hockte entkräftet auf einem Stuhl in der Schreibstube seines Hauptmanns und lehnte sich an die Wand. Die Augenlider waren herabgesunken. Im Schein der wenigen Kerzen, die den Raum erhellten, sah sein bleiches Gesicht beinahe durchscheinend aus. Obwohl er sich jetzt wieder unter Kontrolle hatte, war sein Zustand bedenklich. Die Wunden heilten nur langsam und so lange er das Angebot des Hauptmanns ablehnte, von einem Sterblichen aus Trévilles kleiner „Herde“ zu trinken, blieb es auch dabei. Dass Athos sich hartnäckig weigerte, einem Sterblichen, ja gar einem anderen Musketier Lebenskraft zu rauben, erstaunte den Hauptmann nicht. Athos Edelmut und sein Stolz obsiegten selbst dann, wenn seine körperlichen Bedürfnisse dabei zu kurz kamen. Viel mehr verblüffte Tréville, wie schnell Athos die Erkenntnis, dass sein Hauptmann ebenfalls zur Welt der Nacht gehörte, akzeptiert hatte. Nach dem ersten Schock hatte er sich binnen Minuten gefasst und sogar Dankbarkeit für die Rettung gezeigt. Dann war er dem Hauptmann in dessen Amtsstube gefolgt, seitdem war nicht mehr viel gesprochen worden.
Plötzlich öffnete der Musketier die Augen. Er sah Tréville durchdringend an.
„Sire, darf ich eine Frage stellen?“
Tréville bejahte.
„Wieviele sind es?“
„Was meint Ihr?“
„Wieviele Musketiere…“, setzte Athos stockend hinzu. „Wieviele sind… oder besser gehören… also außer Euch und mir…“
„Ach, Kainiten meint Ihr. Nun nicht sehr viele. Derzeit insgesamt zehn.“
Athos nickte. Ein müdes Lächeln huschte über seine Lippen. „Die Nachtschicht, nicht wahr?“
Tréville musste angesichts dieser Schlussfolgerung, die von der Wahrheit gar nicht einmal soweit entfernt war, ebenfalls lächeln. „So in etwa.“ Echte Wärme lag in seiner Stimme.
„Wenn dem so ist. Denkt Ihr, dass ich-“
Bevor Athos jedoch seinen Satz beenden konnte, flog die Tür auf.
Dort stand Rochefort. Bleich und schwarz wie ein Racheengel. Tréville hatte sich bereits gefragt, wann der Ventrue auftauchte. Es wurde Zeit. Mit langen Schritten näherte er sich dem Hauptmann. Sein Gesicht spiegelte gerechten Zorn.
„Was geht hier vor?“
Der Hauptmann der Musketiere war auf eine solche Szene gefasst. Die Wut Rocheforts prallte an einem Schulterzucken ab. In diesem Augenblick hatte er die seltene Gelegenheit, den Primogen der Ventrue in seinen Fingern zappeln zu lassen. Das Schicksal hatte ihm einen politischen Vorteil in die Hände gespielt. Jeder Vampir, auch ein Primogen, ja erst Recht ein Clansführer, war in der Pflicht, seine Nachkommen zu beschützen und zu kontrollieren. In diesem Punkt hatte Rochefort gründlich versagt. Schon lag ihm eine ironische Phrase auf der Zunge, als er in Athos Augen blickte, die mit einem Mal sehr wach und besorgt funkelten. Der Musketier war aufgestanden in dem Moment, da Rochfort den Raum betreten hatte. Innerlich seufzte Tréville. Wenn er Rochefort die Wahrheit über die Ereignisse der Nacht verriet, demütigte er Athos.
Dennoch, Athos war nun ein Ventrue, gehörte zu einem fremden Clan. Doch hatte er es verdient, jetzt bereits al Spielball ihrer Intrigen missbraucht zu werden? Noch fehlte ihm das Wissen, um mit gleichen Waffen zu kämpfen. Gewiss, Tréville würde gewinnen, aber Athos zahlte den Preis. Und wenn es eins gab, das ebenso stark war wie Trévilles Loyalität zu seinem Clan, so war es seine Freundschaft für seine Männer.
„Mich erstaunt Euer Zorn, Graf“, Tréville hatte sich entschieden. „da hier doch nur ein Freundschaftsbesuch stattfand. Ich ließ Athos eine Nachricht zukommen, und gründlich wie er ist, suchte er mich sofort auf.“
Obwohl Athos dankbarer Blick kaum merklich den Hauptmann streifte, fiel er dem scharfsinnigen Ventrue sofort ins Auge.
„Ist das so?“, wandte er sich drohend an Athos. Der hielt dem bohrenden Starren seines Meisters stand und hob geradezu stolz das Kinn.
„Wir besprachen just in diesem Augenblick meine Möglichkeiten, weiter als Musketier zu dienen, Sire“, antwortete er steif.
Stumm jubelte Tréville über diesen Mut, mit dem der junge Mann, seinem um Jahrhunderte überlegenen Meister die Stirn bot. Rochefort würde mit diesem Childe noch viel Vergnügen haben.
„So ist es“, bekräftigte der Hauptmann.
Misstrauisch musterte der Graf sie beide. Er glaubte ihnen kein Wort.
„Wie ich hörte gab es einen Kampf?“, fragte er angelegentlich, taxierte dabei aber Tréville sehr genau. Obwohl die stolzen Ventrue im Allgemeinen ihre vornehmen, gepuderten Nasen aus der Gosse heraushielten, hatten sie ihre Spione überall. Da Tréville nicht einschätzen konnte, wie viel der Rochefort wirklich wusste, verzichtete er auf eine allzu große Lüge. Am besten log es sich immer noch mit der Wahrheit. Er machte seinem jungen Freund ein weiteres Geschenk. An Athos war es nicht verschwendet. So schnell würde es Rochefort nicht gelingen, seinen Charakter zu verderben, wenn überhaupt. Bis dahin konnte er sich darauf verlassen, dass Athos nicht zögern würde, seine Schuld zu begleichen. In diesem Sinne war es langfristig gar ein größerer Vorteil, einen Verbündeten im Umfeld Rocheforts zu besitzen.
„Nachdem der Sabbat in der letzten Zeit wieder verstärkt Aktivitäten zeigt, wollte unser junger Freund erfahren, wie wir das Problem erledigen. Die Herren Jerome und Thierry zeigten ihm, wie wir mit den Abtrünnigen umspringen. Ihr könnt sie fragen, wenn ihr wollt. Oder ihr fragt Athos selbst, ganz wie Euch beliebt.“
Diese Variante erklärte Athos Zustand. Zugleich war jeder Vorwurf eines Fehlverhaltens abgewendet, auch wenn Tréville bezweifelte, dass Rochefort solche Anschuldigungen hervorbringen würde. Schließlich war er mehr als jeder andere daran interessiert, die Angelegenheit im Dunkeln zu halten. So wunderte es auch nicht, dass Rochefort sich mit dieser Antwort zufrieden gab. Er entspannte sich unmerklich und nickte Athos zu. Nun, für heute ist es wohl gut. Verzeiht, Hauptmann, wenn wir Euch jetzt verlassen müssen, die Nacht will genutzt werden.“
„Ich verstehe.“ Trévilles Freundlichkeit war eine ebenso effektive Maske, wie die eisige Höflichkeit Rocheforts. „Wir werden sicher Möglichkeiten finden, unser Gespräch später fortzuführen, nicht wahr Athos?“
Der Musketier verneigte sich. „Hauptmann.“
Sein Meister ließ sich immerhin zu einem knappen Nicken herab. „Gehen wir.“
Der herrische Tonfall ließ Athos merklich zögern, schließlich wandte er sich jedoch um und folgte dem Grafen. Diese neuerliche Demonstration von Eigenwillen verleitete Tréville, den Einsatz in ihrem Spiel ein wenig zu erhöhen. Athos zu helfen war das eine. Den Primogen der Ventrue, einen alten Konkurrenten, sich winden zu sehen, war etwas anderes. Der Graf war bereits an der Tür, als ihn der Hauptmann noch einmal ansprach.
„Nun, da selbst der Sabbat Euer Childe kennen gelernt hat, werdet Ihr Athos wohl der Camarilla nicht länger vorenthalten. Ich persönlich freue mich schon, Euch morgen zum Festbankett des Prinzen zu sehen, Athos. Dann finden wir sicher auch Gelegenheit, unsere Plauderei von Eben fortzuführen.“
Zu Trévilles Leidwesen blieben Rocheforts Züge ausdruckslos, aber Tréville war sicher, dass er kurz davor war, mit den Zähnen zu knirschen.
„Wir werden sehen.“
Tréville setzte sich zufrieden an seinen Schreibtisch. Der heutige Abend war interessant gewesen, der nächste wurde sicher noch besser.
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Kapitel Herr und Meister
Kapitel 7 – Herr und Meister
Ich folge ihm schweigend zu seiner Kutsche, die nicht weit entfernt in einer Gasse auf uns wartet. Von dort, die Rückkehr zu seinem Domizil. Er schweigt. Brütet vor sich hin. Ich starre aus dem Fenster hinaus in die Nacht, ohne etwas wahrzunehmen. Zuviel habe ich heute gesehen und erlebt. Ich dachte, das Schlimmste wäre mir bereits widerfahren, mittlerweile habe ich Zweifel, ob meine Überzeugung wirklich noch zutrifft. Welcher Schrecken lauert noch in der Dunkelheit?
Plötzlich ergreift mich die Vorahnung, dass die Ereignisse der heutigen Nacht erst der Anfang sind, dass die Talsohle noch nicht erreicht ist, und ich schaudere.
Mein Meister schweigt noch immer, er sieht mich nicht einmal an, als wäre ich Luft. Ich spüre, wie seine Ignoranz langsam Wirkung zeigt, denn diese Indifferenz beunruhigt mich ein wenig. Mit Zorn, Tadel und Vorwürfen kann ich umgehen, ebenso mit Wut oder Enttäuschung. Aber das völlige Fehlen jeder Reaktion lässt mir keine Möglichkeit, zu ergründen, was er denkt, und damit bin ich unvorbereitet. Doch ich bin sicher, dass das noch nicht alles war. Mein Meister ist nicht sehr erfreut. Der Blick, den er mir zuwarf, bevor wir des Hauptmanns Räumlichkeiten verließen, sprach Bände. Also wappne ich mich gegen alles, was da kommen mag und folge ihm, als die Kutsche vor seinem Palais hält und ein bleicher Dienstbote eilig die Tür für uns öffnet. Im Vorzimmer legt er den Mantel ab, wirft ihn dann achtlos auf einen Beistelltisch. Sofort springt der Diener herbei und glättet das Kleidungsstück. Auf dem Weg zum Salon entledigt er sich einzeln seiner Handschuhe. Ich sehe gebannt zu, wie unter dem schwarzen Leder weiße, jugendliche Hände zum Vorschein kommen. Ich kann nur erahnen, welche Kraft wirklich in diesen langen, schlanken Fingern ruht. Noch immer hat er mich keines Blickes gewürdigt. Er scheint völlig konzentriert auf den Vorgang. Seinen Bewegungen haftet etwas Rituelles an. Offensichtlich besteht meine Strafe zum Teil in Nichtbeachtung. Vielleicht Verachtung? Ich nehme es hin, denn ich bereue trotz allem nicht, was ich getan habe. Ich bedauere lediglich, dass ich mich habe erwischen lassen.
Er tritt in den Salon. Ich frage mich, ob ich ihm überhaupt folgen sollte. Schließlich hat er meine Anwesenheit nicht ausdrücklich verlangt. Andererseits wäre ein kommentarloser Rückzug in der gegenwärtigen Situation wohl eine deutliche Provokation, also bleibe ich in der Tür stehen, ich werde ihm noch einige Sekunden geben, seine Absicht klarzustellen, bevor ich mich in meinen Raum zurückziehe.
Obwohl ich mir vorgenommen habe, mich nicht überraschen zu lassen, trifft mich sein Handeln unvorbereitet. Ehe ich es mich versehe, steht er vor mir. Dann klatscht es vernehmlich und meine Wange brennt ein wenig. Verflucht, er hat mich geschlagen! Er hat mir einfach die Handschuhe über das Gesicht gezogen. Nicht, dass der Schmerz mich in irgendeiner Weise berührt, aber gerade hat er mich behandelt wie einen Dienstboten oder einen gewöhnlichen Straßendieb.
Ich habe mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dieser unwürdigen Art der Züchtigung. Die Aufforderung zu einem Duell liegt mir bereits auf der Zunge, aber bevor sie meine Lippen verlässt, fährt er mich an.
„Schweig!“
Die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Verwirrt hole ich ein weiteres Mal Luft, aber kein Laut entringt sich meiner Kehle, ich bin völlig unfähig, mich zu artikulieren. Während ich mich gebärde wie ein Fisch auf dem Trockenen, weil ich die Ursache für meine plötzliche Stummheit nicht erkennen kann, wandert er vor dem Kamin auf und ab. Sein Monolog durchdringt meine Stille.
„Wie kannst du es wagen?“
Jetzt lodert wieder der feurige Zorn in seinen Augen, der ihn in Trévilles Räumlichkeiten bereits wie eine Unheil verkündende, schwarze Fackel umgab. „Wie kannst du es wagen?“ wiederholt er seine Frage. „Mich so vorzuführen und vor dem Clan der Brujah lächerlich zu machen. Ausgerechnet vor den Brujah!“
Ich verstehe nicht genau, wovon er spricht. Selbst wenn ich auf seinen Vorwurf eine adäquate Antwort wüsste, könnte ich mich nicht rechtfertigen, denn noch immer kann ich nicht sprechen.
„Habe ich Dir etwa die Erlaubnis gegeben, mein Haus zu verlassen?“ Er brodelt förmlich. Jetzt liegt eine unverhohlene Drohung in seinem Blick. Und zugleich die Nuance einer Emotion, die ich nicht recht zu deuten weiß. Wut? Kränkung? Vielleicht Eifersucht? Mit wenigen Schritten ist er bei mir, und ich fühle mich gegen den Türrahmen gedrängt. Langsam wird es zur Gewohnheit, immer und Überall den Unterlegenen spielen zu müssen und das ist mehr als frustrierend. Wenn er mich noch ein weiteres Mal schlägt, dann werde ich zum Degen greifen. Aber das tut er nicht. Vielmehr sieht er mich an.
„Auf die Knie!“
Erschüttert muss ich erleben, wie ich die Kontrolle über mich verliere. In seinen Worten liegt eine Macht, die ich nicht ermessen kann. Ich erlebe nur, wie mein Körper sich seinem Willen unterwirft, obwohl ich dagegen aufbegehre. Und so finde ich mich am Boden wieder, während er breitbeinig über mir steht. Er berührt mich nicht, aber die Haltung zu der er mich zwingt, ist Demütigung genug.
„Nur damit wir uns verstehen, Athos. Du bist mein Geschöpf. Ich habe dich geschaffen und ich kann dich auch wieder vernichten, wenn du mir nicht den Gehorsam zollst, den ich erwarte.“
Beinahe möchte ich ihm entgegen schreien, dass es mir egal ist, was er tut, ich habe ihn nicht um dieses „Geschenk“ gebeten, er hat es mir aufgezwungen. Seine Augen fesseln die meinen, zwingen mich geradezu ihn unverwandt anzusehen. So muss sich das Kaninchen vor der Schlange fühlen.
Er spricht weiter.
„Ich bestimme was in diesem Haus geschieht! Ich bestimme, was du denkst, was du fühlst und was du unternimmst!“
Er liest den Widerspruch in meinem Blick. Plötzlich ziert ein finsteres Lächeln seine Züge.
„Mir scheint, du hast noch nicht ganz verstanden, Childe. Mir scheint, du brauchst eine Lektion in Loyalität.“
Brennende Pein durchzuckt mich, als seine Degenspitze sich in meinen Magen bohrt. Dieser Sadismus ist eines Edelmannes wirklich unwürdig. Zwar weniger quälend als die Behandlung durch die Sabbatkreaturen, ist der Schmerz doch in hohem Maße unangenehm und erinnert mich daran, dass ich meine Schwäche noch nicht überwunden habe. Ich beiße mir auf die Zunge, bis ich einen metallischen Geschmack im Mund spüre, aber schließlich kann ich ein leises Stöhnen nicht mehr zurückhalten. Das wenige an Kraft, dass mich bisher bei halbwegs klarem Verstand hielt, verlässt mich wieder einmal, doch wenigstens kann ich noch Dankbarkeit empfinden, dass diesmal selbst die Bestie zu schwach ist, um wieder hervorzubrechen. Ich empfange die gnädige Dunkelheit mit offenen Armen. Anscheinend können auch Vampire bewusstlos werden.
Dann weichen die Schleier wieder und ich tauche ein in eine lockende Wärme, die mich zärtlich umfängt, wie die Arme einer Geliebten. Eine süße Ekstase setzt ein, die mir irgendwie vertraut vorkommt. Aber ich kann keinen klaren Gedanken fassen, das Gefühl ist zu überwältigend. Fasziniert nehme ich ein Rauschen war, so als triebe ich in einem unendlichen Strom, ganz im Fluss. Eins mit dem Leben, dem Himmel und vielleicht auch der Hölle, bis die Freude so stark wird, dass ich sie fast nicht mehr ertragen kann. Ich verliere mich. Alles ist perfekt, vollkommen. Meine Sinne vermitteln mir einen Reiz, der selbst die Lust, bei einem schönen Weib zu liegen bei Weitem übertrifft. Ich schwebe. Ich könnte sterben, mich einfach auflösen und für immer nur empfinden, empfinden…
Auf einmal lässt das Schweben nach, und die Berückung weicht von meinen Sinnen. Langsam, stückweise. Ich kann unter mir den weichen Flaum eines orientalischen Teppichs spüren und ein kräftiger Arm, der mich stützt und mir Halt gibt. Ein eigenartiges Gefühl der Geborgenheit stellt sich ein, selbst als sich die Erkenntnis verdichtet, dass ich an der Schulter eines Mannes lehne. Ich muss nicht einmal die Augen öffnen, um zu wissen, wer mich beschützend an sich presst.
Rochefort.
Ich atme, rieche, denke, Rochefort.
Ein sanftes Murmeln dringt an meine Stimme. Spricht er zu mir? Obwohl ich noch eine Weile so sitzen könnte, willenlos, sorglos, glücklich, konzentriere ich mich auf die einzelnen Worte und öffne widerstrebend die Augen. Vor meinem Gesicht schwebt sein Handgelenk, soeben schlissen sich zwei kleine Wunden und lassen nur makellose Haut zurück. Ich ahne was geschehen ist. Und dann begreife ich auch, warum alles so vertraut war. Es war eine Wiederholung des Kusses.
Und warum auch immer, ich kann ihm nicht einmal zürnen für die Art, wie er mich heute gedemütigt hat. Alles, was ich will, ist in seinen Augen zu versinken und an seiner Seite die Wunder der Welt zu erfahren. Ein wenig befremdet mich der Gedanke, doch gleichzeitig verspricht mir mein Sehnen Zuflucht und inneren Frieden.
Er muss meine Hingabe in meinen Augen lesen, denn unvermittelt lächelt er mich an. Es ist nicht das bösartige Lächeln von eben, auch nicht das geringschätzige Grinsen, das er so oft zur Schau trägt. Zum ersten Mal sehe ich echte Wärme darin, und die Tatsache, dass sie mir zu gelten scheint, lässt mein Herz höher schlagen. Irgendetwas zwischen uns hat sich fundamental geändert. Ich verstehe zwar nicht warum, aber alles kommt mir jetzt so richtig vor.
„Was Du fühlst, Athos, ist ein Blutsband.“
Seltsam, es stört mich gar nicht mehr, dass er so vertraulich mit mir spricht, ist mir doch, als würde ich ihn seit Jahren schon kennen.
„Die Macht es Blutes ist die stärkste Macht in unserer Welt“, flüstert er mir ins Ohr. „Zweimal hast du nun von meinem Blut getrunken, das bindet dich.“
Er hat mich noch immer nicht losgelassen, im Gegenteil, sein Zeigefinger streicht langsam von meiner Schläfe zum Kinn hinab, wandert über meine Haut und hinterlässt ein angenehmes Prickeln.
„Du wirst dich nun nicht mehr gegen mich auflehnen, nicht wahr?“
Ich höre mich verneinen. Zufrieden nickt er und zieht mich auf die Füße. Erleichtert stelle ich fest, dass ich wieder selbst stehen kann.
„Gut. Leg dich jetzt nieder und ruh dich aus“, rät er mir freundlich. „Denn morgen beginnen wir mit Deiner Ausbildung. Es kann doch nicht sein, dass Du als Ventrue hinter ein paar Gossenbrujahs zurückstehst.“
Ich kann ihm nicht ganz folgen, meint er die Musketiere? Doch ehe ich den Gedanken vollenden kann, packt mich eine bleierne Müdigkeit. Draußen geht die Sonne auf und es wird tatsächlich Zeit, mich zur Ruhe zu legen. Zuviel ist geschehen, und ich muss über so vieles nachdenken, wenn ich verstehen will, was in dieser Nacht alles geschehen ist. Doch das verschiebe ich kurzerhand auf morgen, denn selbst das Denken wird mir zu schwer. Zuletzt nehme ich noch die weichen Kissen meines Bettes wahr, dann sinke ich hinüber in eine friedliche, traumlose Dunkelheit.
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Fortsetzung folgt…
Kapitel Geständnisse
Kapitel 8 – Geständnisse
Da liegst Du nun, hingestreckt auf deinem Lager. Du hast es gerade noch die Treppe hinauf zu deinem Schlafgemach geschafft, die letzten Meter habe ich dich halb getragen, halb bist du getaumelt. Nicht einmal Deiner Schuhe konntest du dich entledigen, schon bist Du dem Schlaf verfallen. Zwar wird die Tagesruhe Deine Erschöpfung nicht lindern, doch das kann warten, bis die Sonne uns wieder verlässt. Obwohl auch mir selbst die bleierne Müdigkeit des Morgens in die Knochen kriecht, bleibe ich vor Deiner Bettstatt stehen. Ich prüfe kurz, ob die Fenster auch dicht geschlossen sind, die Helligkeit soll Dich nicht verletzen. Im Schein eines Kerzenhalters beobachte ich Dich. Du bist so friedlich, vollkommen entspannt. Ein seltener Anblick. Wenn Du wach bist, bist du die personifizierte Selbstkontrolle. Doch erst jetzt, da Du nicht weißt, dass Du beobachtet wirst, kommen die feinen Linien Deines Gesichtes wirklich zur Geltung. Du siehst so viel jünger aus, fast als hättest du kaum etwas von dem Leid gesehen, dass Dir in deinem kurzen, sterblichen Leben bereits begegnet ist. Noch immer verharre ich an meinem Platz. Obwohl ich Dich heute an mich gebunden habe, indem ich dich zwang, mein Blut erneut zu kosten, schlägst du mich ebenfalls in deinen Bann.
Und deine Magie ist stärker als meine, denn sie benötigt kein Ritual. Von der ersten Stunde unserer Begegnung an hast du eine unsichtbare Fessel um mich gelegt und ich finde mich darin gefangen, wie die Fliege in einem tödlich feinen Gespinst.
Du bist doch erst seit wenigen Tagen hier, und schon ist mir deine Anwesenheit so vertraut. Wie sehr das bereits der Fall ist, habe ich erst heute wirklich begriffen. Du ahnst es nicht, aber ich verbringe jede freie Minute meiner Zeit mit Dir. Alle Pflichten und Beschäftigungen, dir mir früher Zerstreuung bereiteten, empfinde ich gegenwärtig nur als lästig, sofern sie nicht mit Dir zu tun haben. Im Elysium beschweren sich die Primogene bereits über mein spätes Kommen und mein frühes Gehen. Du bist der gefährlichere Blutsauger von uns beiden, denn du raubst mir nicht nur meine kostbare Zeit, sondern auch meine Konzentration.
Und heute warst Du nicht da, als ich zurückkehrte. Kurzzeitig habe ich überlegt, den Diener zu bestrafen, der Dich gehen lies, aber gute Ghule sind heutzutage nicht mehr so einfach zu ersetzen. Also stürzte ich mich in die Nacht und nutzte alle meine zahlreichen Kontakte, um Deinen Verbleib ausfindig zu machen. Selbst zu den widerlichen Nosferatu bin ich gegangen, so weit habe ich mich erniedrigt. Auf die stinkenden Kanalratten ist Verlass, sie wissen über alles Bescheid, was in dieser Stadt geschieht. Nach einem Zusammenstoß mit den Bestien des Sabbat, der beinahe zu Deiner Vernichtung geführt hätte, wenn nicht diese beiden Brujah-Musketiere eingegriffen hätten, bist du in die Seine gefallen, dann verlor sich deine Spur.
Da die zwei Klosterschwestern des Königs involviert waren, folgte ich dem naheliegendsten Gedanken und suchte Dich bei Tréville. Er muss ja noch große Sympathie für Dich hegen, immerhin hat er Dir eine Uniform zu Wechseln gegeben, wahrscheinlich auch Blut. Natürlich konnte ich nicht sicher sein, ob es reines, sterbliches Blut war. Eigentlich passt es nicht zu Tréville, Dir sein Blut zu geben, um Dich ohne mein Wissen gefügig zu machen, aber sicher sein konnte ich nicht.
Wenn ich zu mir ehrlich bin, muss ich zugeben, dass es mich geärgert hat, Euch in so trauter Zweisamkeit zu finden. Zwar hätte ich derlei durchaus erwarten können, gemessen daran, dass er bis vor kurzem Dein hochverehrter Vorgesetzter war, aber das ist der springende Punkt.
Er war.
Trotzdem läufst Du bei der ersten Gelegenheit fort zu den Musketieren. Einmal Musketier, immer Musketier, sagen sie. Aber gilt das auch für Unsterbliche?
Tréville habe ich nie getraut. Er ist für einen Brujah viel zu beherrscht und zu erfolgreich. Und er versteht viel zu viel von Politik. Wie oft wir in der Vergangenheit aneinander geraten sind, kann ich bereits nicht mehr zählen. Und ausgerechnet ihn suchst Du auf. Und wie ihr Euch dann noch bei Euren Lügen gedeckt habt, mit welcher Vertraulichkeit ihr spracht. Als gehörtest Du zu ihm, nicht zu mir. Ja, mein Kind. Du hast deinen Erzeuger heute Abend sehr wütend gemacht.
Die zweite Blutdosis war nötig, um sicherzustellen, dass Du zu mir hältst. Ich will keinen Spion Trévilles in meinem Haus. Was immer er mit Dir gemacht hat, dieses Blutsband wird stärker sein. Und was um alles in der Welt hat Dich nur dazu gebracht, dich mit dem Sabbat anzulegen? Steht Dein Sinn so sehr nach Abenteuern? Sie müssen Dich tüchtig niedergemacht haben, wenn ich bedenke, dass du bereits nach einem simplen Degenstich fast in Starre gefallen wärst. Und das, nachdem Tréville Dich bereits versorgt hatte.
Selbst wenn Du so still und reglos liegst, bringt Deine Gegenwart ein wenig Wärme in mein kaltes Herz. Dein Zustand heute Nacht hat mir Angst gemacht. Du bist noch so jung und verletzlich, trotzdem hältst Du es in der Sicherheit nicht aus. Leider scheinst Du zu den Menschen zu gehören, die Ärger jedweder Art magisch anziehen. Dahingehend ergänzt Du Dich ausgezeichnet mit Deinen sterblichen Freunden. Kein Wunder, dass Ihr so oft Gegenstand des Stadtgespräches wart. Eine widerspenstige Locke ist Dir in die Stirn gefallen. Ich kann nicht widerstehen und beuge mich über Dich. Vorsichtig streiche ich sie zurück. Also gut, Du hast gewonnen, wir werden deine Ausbildung ein wenig vorziehen. Und dann der unsägliche Hofabend, auf den Tréville so süffisant angespielt hat. Sicher wird er die „Einladung“ weitertragen und nach heute Nacht kann ich schlecht ohne Dich auftauchen. Und nun, Ruhe in Frieden, mein Kind. Der Tag wartet nicht.
Und so gleitet er denn auch dahin, für uns, die wir ihn schlafend überdauern, ist er nicht viel mehr als ein Augenblick. Eine lästige Angewohnheit der Schöpfung. Doch dann senkt sich das Abendrot hernieder und ein Diener klopft bereits an Deine Zimmertür, während ich im Salon auf Dich warte und dem ermüdenden Geschwätz einer Gräfin lausche, die mich just aufsuchte. Ich bin ihr auf wenigen Wochen auf irgendeiner belanglosen Festivität begegnet. Seitdem verfolgt sie mich geradezu. Nicht eben um gesteigerte Subtilität bemüht, sucht sie, mich für ihre Tochter zu interessieren. Gott schütze Frankreich vor den höheren Töchtern im heiratsfähigen Alter. Und vor ihren Müttern!
Nun ja, seit unser guter Bourbone und sein Minister Kreti und Pleti in den Adelsstand erheben, bis das Land vor erlogener Noblesse aus allen Nähten platzt, wird der alte Adel langsam panisch, fürchtet nicht zu Unrecht die Verwässerung des alten Geblüts, und so muss selbst ein eingefleischter Junggeselle wie ich dran glauben.
Sie plaudert und plaudert und keine Rettung ist in Sicht. Dein Erscheinen verzögert sich, denn mein Leibdiener steckt Dich gerade in ein höchst vornehmes Gewand, das ich in den letzten Tagen eigens für Dich fertigen ließ.
Ich sehe mir die Gräfin näher an. Nun, der Jugendzauber ist schon vor ein paar Jährchen dahin geschmolzen, aber es ist reines, blaues Blut, das durch ihre Adern rinnt. In Anbetracht der diplomatischen Angründe, die ich für die heutige Nacht erwarte, gönne ich mir doch wenigstens einen guten Tropfen. Schließlich wird auch der Wein mit den Jahren besser.
Danach geleite ich sie galant zu ihrer Kutsche, verspreche, Sie und die verehrte Tochter an einem der nächsten Abende unbedingt aufzusuchen, da ich mir keine erbaulichere Vergnügung vorstellen könne, als mit dem vornehmen Fräulein und ihrer Frau Mama im Garten zu spazieren, und sie fährt von dannen. Ein wenig benommen, benebelt, und vor allem ohne Erinnerung an die letzten Minuten.
Ja, doch, ich beschließe, ihr tatsächlich die Aufwartung zu machen. Und Dich werde ich mitnehmen, wenn der Apfel hält, was der Stamm verspricht, wird es ein lohnendes Unterfangen.
Dann schreitest Du endlich die Treppe hinab. Ich bin zufrieden. Vom Federhut bis zur Coulotte sitzt alles perfekt, der Justaucorps aus edlem, blauen Samt, bringt die Farbe Deiner Augen zur Geltung. Und ich freue mich, wenn ich dran denke, wer heute Abend vor Neid brodeln wird. Dann steigen wir in die Kutsche und schon geht es los.
Während die Räder über das geduldige Pflaster rumpeln, gebe ich Dir eine Kurzfassung vom Sinn und Zweck unseres Ausflugs. Du lauschst und nickst. Hier und da streue ich eine Warnung ein, aber Du kennst ja bereits die höfischen Spiele, Du weißt um die Gefahr einer unbedachten Bemerkung. Und, ohne die Zusammenkünfte unserer Art herabwürdigen zu wollen, so ein großer Unterschied zu den Vergnüglichkeiten in Versailles besteht auch bei diesem Treffen nicht, abgesehen vielleicht vom subtilen Einsatz unserer mentalen Kräfte.
Auch in diesem Punkt erläutere ich Dir im Groben, was von nun an auf Dich zukommt. Gestern hast Du bereits die Macht der Dominanz über andere erlebt, die Paradedisziplin unseres Clans. Du wirst lernen, wie es geht, wir werden ein geeignetes Objekt für Deine Übungen finden. Auch Präsenz, die Fähigkeit andere durch pure Anwesenheit zu beeindrucken, liegt Dir im Blut und wir werden dieses Talent entwickeln müssen, ebenso wie die Kraft, Feuer, Licht und anderen Gefahren zu widerstehen.
Während ich doziere, siehst Du mich unverwandt an, als müsstest Du die Worte von meinen Lippen trinken.
Die Kutsche hält. Bevor Du aussteigst, halte ich dich zurück. Es gibt noch eine Kleinigkeit, die Du wissen solltest. Tréville ist nicht Dein einziger Bekannter bei diesem Fest, fürchte ich. Zwar würde es mich durchaus reizen, Euer beider Gesichter zu sehen, wenn ihr Euch begegnet, aber der Clan Ventrue kann sich keine weitere Blöße erlauben, ich kann mir keine weitere Blöße erlauben. Also kläre ich Dich besser vorher auf. Das ist jetzt die letzte Gelegenheit. Also mache ich es kurz und sage es Dir geradeheraus, ohne weitschweifige Erklärungen.
Ach wenn du noch erbleichen könntest, mein Kind. Ich bin sicher, Du hättest es gerade getan.
Dann öffnet mein Ghul den Verschlag und die große Charade beginnt.
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Kapitel Neue und alte Bekanntschaften
Kapitel 9 – Neue und alte Bekanntschaften
Von allen Regeln in der Welt der Nacht, ist vielleicht die Wichtigste, immer zu wissen, wohin Du gehen kannst und wohin nicht. In früheren Jahrhunderten war es einfacher. Die Menschen fürchteten die Nacht, wer klug war, suchte sich Unterschlupf und wer es nicht tat, der war des Teufels. Oder Unser. Sie erzitterten vor dem Schrecken, der in der Dunkelheit lauerte. Doch mit jedem Jahr das verstreicht, werden die Menschenkinder mutiger, langsam erobern sie sich die Nacht zurück und beanspruchen, was rechtmäßig unser ist, indem sie unsere Existenz verleugnen und als Phantasiegestalten lachend abtun. Wir sind nicht schuldlos daran. Es ist ein geradezu überwältigender Sieg der Maskerade, trotz des Sabbats und anderer abtrünniger Sekten, die kaum bemüht sind, ihre Anwesenheit zu verschleiern. Trotzdem frage ich mich, wohin sich all dies in ein paar Jahrhunderten entwickeln wird. Selbst heutzutage gibt es nur allzu viele Orte, die nicht sicher sind. Daher ist ein Grundpfeiler unseres Überlebens, Plätze zu schaffen, die uns Schutz bieten. Vor neugierigen Augen und vor unseren Feinden. Seien es nun Hexenjäger oder tückischen Rivalen aus der Welt der Dunkelheit. Jeder braucht mindestens einen solchen Ort. Diesen Raum nennen wir „Haven“. Dort überdauern wir den Tag und finden Ruhe, unsere Wunden zu heilen und Pläne zu schmieden. Dein Haven, mein herzallerliebster Athos, ist gegenwärtig bei mir.
Doch nicht jeder liebt die Ruhe und Einsamkeit eines geschützten Domizils und auch für die Geselligen unter uns, für gemeinsame Beschlüsse und Treffen, ohne die eine Gesellschaft nun einmal nicht auskommen kann, muss es Plätze geben. Das Elysium ist solch ein Ort. Offiziell im Besitz des Prinzen, treffen sich hier, im Herzen der Domäne, in regelmäßigen Abständen alle Mitglieder der Camarilla und verhandeln über das Schicksal der Stadt und unserer Feinde. Natürlich dienen diese Treffen nicht nur der großen Politik, sondern auch den gesellschaftlichen Spielen, der Vergnügungssucht und all den Rivalitäten und Intrigen, die unser Dasein gleichzeitig so aufregend und mitunter ermüdend machen.
Unser Elysium ist natürlich ein Palais. Der offizielle Besitzer, eine Hofschranze und Günstling Ludwigs XIII., ist zugleich auch ein blutgebundender Diener unseres Prinzen und stellt uns seine Ländereien für unsere Zwecke zu Verfügung, ohne auch nur im Mindesten zu ahnen, welche Wesen bei Nacht diese schönen Mauern bevölkern.
Wir treten ein, schreiten durch das Foyer, das wie immer mit erlesenen Gobelins geschmückt ist. Sie zeigen ausnahmslos Szenen von der Hirschjagd, die gerade in Versailles so beliebt ist. Mir scheint, der Prinz hat heute seinen humorvollen Tag, anders sind die geradezu offensichtlichen Referenzen auf Versailles und den Louvre kaum zu erklären. Und man könnte den großen Salon im Parterre fast für ein Vorzimmer des Königs halten, wäre da nicht ein gepuderter Schönling, der gerade einer blutjungen Zofe zur Erheiterung der Zuschauer die Zähne in den Hals schlägt. Sie seufzt wohlig in seinen Armen, während die Umstehenden teils neidvoll, teils gelangweilt zusehen. Nun ja, was soll man auch von den dekadenten Toreador erwarten, stets beschäftigt, ihre neuesten Errungenschaften, seien es Kleider, Schmuck oder schöne Menschen zu präsentieren. Sie sind mehr als alle anderen von uns Kinder dieser Zeit, in der die Menschen ihnen an Ausschweifung und Hedonismus nacheifern. Zufrieden stelle ich fest, dass Du dich angewidert abwendest. Genau, ich finde auch, es gehört zum Anstand, gesättigt zu kommen.
Während wir durch das Vorzimmer schreiten, folgen uns die Blicke. Selbst der Toreador, der eben noch ganz fasziniert von seiner Holden schien, hebt das Haupt, und mustert dich stirnrunzelnd. Ich wette, die Hälfte der anwesenden Toreador zittert innerlich vor Neid, während die andere Hälfte gern einmal ihre Lippen an Deinen schlanken Hals gesetzt hätten, als Du noch ein Sterblicher warst. Wie gut, dass Dir nicht klar ist, wie sehr Du beeindruckst, sonst könntest Du allzu schnell übermütig werden. Natürlich werden wir gegrüßt, uns selbst die stolzen Toreador verneigen sich, denn trotz aller Rückschläge in den letzten Jahrzehnten hat unser Clan in dieser Stadt noch immer große Macht. Außerdem fürchten sie mich, und sie tun gut daran. Ich verschwende nicht einen Tropfen Spucke an den Pöbel, sondern führe dich weiter zur großen Treppe hin, die zur Galerie ins Obergeschoss führt. Hier unten sind ohnehin nur die niederen Ränge unserer Gesellschaft zu finden. Junge Vampire, ein paar Ghule, kurzum all jene, die noch nicht über genug Erfahrung oder Auszeichnungen verfügen, um bei den Älteren Beachtung zu finden. Du als mein Childe gehörst natürlich trotz Deiner Jugend nicht in diese Kreise. Dir stehen alle Möglichkeiten offen. In der Galerie erwartet uns ein weiterer Ghul des Prinzen, dem ich kurz erkläre, wer Du bist, und dass Du seiner Hoheit Deine Aufwartung zu machen wünschst. Er nickt und verneigt sich, bevor er uns in den Prinzensaal führt. Hier wirst Du die wahren Häupter von Paris kennen lernen. Vor uns öffnet sich eine doppelflüglige Tür, mit Schnitzereien aus Elfenbein, und da sind wir auch schon.
Das Klirren der Kristallgläser verstummt nicht, auch wenn sich binnen einer Sekunde, ein jeder im Raum, unserer Anwesenheit bewusst ist. Ich sehe mich um. An einem Fenster entdecke ich Tréville, ein halbes Lächeln ziert seine Züge, als Du eintrittst und unmerklich nickt er Dir zu. Ganz in seiner Nähe, Mademoiselle Lenormand, die Primogenin der Toreador. Obwohl nicht von Stand, ist sie eine der mächtigsten Frauen in dieser Stadt, sie besitzt das Vertrauen des Prinzen und eine einzige herablassende Bemerkung von ihr, kann den gesellschaftlichen Ruin bedeuten. Sie kennt alle und jeden und wir werden dich ihr am Besten zuerst vorstellen, denn alles andere wäre eine Beleidigung an der Königin des Klatsches und das wollen wir noch nicht. Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass sie, wie fast alle Frauen ihres Clans eine hinreißende Schönheit ist, dunkles, schwarzes Haar fällt entgegen der heutigen Mode kaum gebändigt auf ihre Schultern, die dunklen Augen leuchten in einem leidenschaftlichen Feuer, dass jede Zigeunerprinzessin vor Neid erblassen ließe. Ich vermute, dass sie eine gebürtige Spanierin ist. Da ich ihr genaues Alter nicht kenne, kann ich mir nicht sicher sein. Sie spricht akzentfreies Französisch.
Also lenken wir unsere Schritte in ihre Richtung, während ich zur Kenntnis nehme, dass Focault, der Clanführer der Gangrel ebenso anwesend ist, wie Bruder Atreus, der Malkavianerprimogen. Plötzlich erstarrst Du, und wendest Dich mir zu. Anscheinend hast Du gerade meinen alten Freund, den Primogen des Clans Tremere entdeckt, der halb verborgen in einer Nische gerade mit einem meiner Clansbrüder plaudert. Allerdings schließt die Bezeichnung „Freund“, in diesem Fall durchaus keine sonderliche Zuneigung mit ein, wir sind jedoch oftmals Verbündete, wenn es darum geht, andere Clans bei einer Entscheidung auszustechen. Doch das heißt nicht, dass wir nicht auch gleichsam erbitterte Konkurrenten sind. Jetzt sieht er zu uns hinüber. Ich deute eine Verneigung an, die er erwidert, geistesgegenwärtig hast Du Dich ebenfalls verbeugt.
„La Porte gehört auch dazu?“, fragst Du mich mit einem Hauch Verwirrung, als wir weiterschlendern. Oh, ich hatte vergessen, dass seine gegenwärtige ‚sterbliche’ Identität als Kammerdiener der Königin eine gewisse Popularität mit sich bringt.
„Nun, was denkst Du?“, gebe ich schmunzelnd zurück. „Die wahrhaft mächtigen Tremere sind alle Österreicher. Natürlich ist ihr Wollen und Wirken mit dem Haus Habsburg verknüpft. Auch wenn es unter den Menschen nicht bekannt ist, so hatte er bereits eine ähnliche Position am habsburgischen Hof inne noch lange bevor Ihre königliche Majestät geboren war.“
„Ich dachte er sei Franzose“, gibst du zurück.
„Nichts lässt sich leichter fälschen als eine Identität“, erwidere ich. Dein Erstaunen ob solcher Kleinigkeiten amüsiert mich. „Vergiss nicht, dass hier ganz andere Gesetze gelten, als in der Welt der Menschen. Die Tremere stammen aus Österreich, das Herz ihrer Macht ist Wien, so wie Paris das unsere ist. Die Hochzeit der Anna wurde nicht allein im Louvre arrangiert, wenn Du verstehst. Ganz gleich, was es für die Sterblichen bedeutet, brachten die Tremere doch durch diesen Schachzug einen Fuß in die Tür von Paris. Du nickst. Dann stutzt Du.
„Ihr meint die Königin ist-“
Dein aufrichtiges Entsetzen lässt mich wieder einmal Schmunzeln
„Nein, nein. Es gibt auch dafür gewisse Gesetze. Die Kainiten in Paris würden es nicht dulden, wagte einer von ihnen, einen der ganz Großen zu erwählen und zu seinem Kind zu nehmen. Es bedeutete eine Machtverschiebung, die keine der vielen involvierten Parteien guthieße. Und ein solcher Akt zöge schwerste Strafen nach sich. Für beide. Wir, und das vergiss nie, wir regieren stets im Schatten der Macht.“
„Ich verstehe.“
Während ich von einem vorübergehenden Diener zwei Weinpokale nehme und Dir einen reiche, deute ich unauffällig auf Mademoiselle Lenormand. „Diese reizende Dame jedoch ist für Deinen gesellschaftlichen Status in dieser Stadt viel wichtiger als alle Könige dieser Welt und wenn wir mit ihr sprechen, sollte es so angenehm wie möglich werden.“
Wir treten näher. Ich bin gezwungen, Tréville zu grüßen, und obwohl er keine Regung zeigt, weiß ich, dass er es genießt. Dann empfiehlt er sich, um Dir Raum für Deine Vorstellung zu geben. Nachdem ich Mademoiselle Lenormands Schönheit und Anmut eine angemessene Zeit in den Himmel gelobt habe, beginnt ein Verhör, dass leider alle Neugeborenen irgendwann durchmachen müssen. Einem Außenstehenden mag Euer Wortwechsel wie harmloses Geplauder erscheinen, allein, ich weiß es besser. Jede Deiner Antworten und Gesten wird einer harten Bewertung unterzogen. Sind Deine Manieren wirklich untadelig, bist Du der Aufnahme in die höheren Kreise würdig, bringst Du den Älteren genug Respekt entgegen, kennst Du Demut? Dank meiner Warnung erkennst Du sofort die Natur dieser Prüfung und obwohl Dir der verführerische Charme des geübten Höflings fehlt, sind Deine Antworten zurückhaltend ohne ausweichend zu sein und Deine Haltung strahlt Selbstbewusstsein aus, nicht jedoch die Arroganz, die man uns Ventrue nachsagt. Und obschon, vielleicht auch gerade weil Du auf leere Komplimente verzichtest, ist Mademoiselle hingerissen.
Zufrieden stelle ich fest, dass sie Dir schließlich vorschlägt, Dir die Domäne vorzustellen. Sehr erfreulich, diese Ehre erhält nicht jeder. Also überlasse ich Dich ihrer Obhut. Du bietest ihr Deinen Arm an, dann geleitest Du sie durch den Saal. Hier und dort bleibt ihr stehen, plaudert kurz mit dem einen Grüppchen oder dem anderen. Selbst die Verbohrtesten unter uns wagen es nicht, Mademoiselle Lenormand zurückzuweisen. Mit Ausnahme vielleicht von Atreus, der sein schwarzes Priestergewand stets wie ein Totenkleid trägt und sein Gegenüber nie direkt ansieht.
Ich nutze die kurze Pause, um La Porte meine Aufwartung zu machen. Doch wie ich schon vermutet habe, reagiert er ungnädig, mit kaum verhohlenem Ärger. Er ist wütend, weil ich vom Prinzen die Erlaubnis bekam, mir ein Childe zu erschaffen, während er auf dieses Geschenk wohl noch warten muss. Nunja, er wird darüber hinwegkommen.
Du führst die Mademoiselle immer noch am Arm und langsam beginne ich zu glauben, dass der Abend nicht in einer Katastrophe enden könnte. Allerdings fehlt eine Person, die ich heute Abend hier erwarte. Sollte sie ausgerechnet in dieser Nacht nicht da sein?
Doch noch während ich darüber nachdenke, ist es soweit. Gerade habt ihr die Runde gemacht, man schlendert gemächlich hinüber in den Bankettsaal, wo Du die Herrin der Toreador zu ihrem Platz geleiten wirst, als sich die Flügeltür ein weiteres Mal öffnet und die zweifellos schönste Frau von Paris sich die Ehre gibt. Ich hatte des Öfteren dass Vergnügen mit ihr, auch außerhalb dieser Räumlichkeiten. Vielfach waren wir schon Verbündete, und könnten weibliche Reize noch eine Wirkung bei meinem toten Fleisch erzielen, ich läge ihr zu Füßen. Wir beide haben gemeinsame Interessen, was die Sterblichen betrifft. Und wie ich jüngst bei meinen Recherchen über Dich herausfand, gilt das nicht nur für die Zusammenarbeit mit dem Kardinal. Natürlich werde ich mir den Spaß nicht nehmen lassen, ihr meinen Triumph unter die hinreißende kleine Nase zu reiben. Also trete ich auf sie zu. Sie lächelt huldvoll und reicht mir graziös die Hand. Ich verneige mich und deute einen zärtlichen Kuss an.
„Meine liebe Mylady, ich habe Euch bereits vermisst.“
Sie ahnt noch nicht, wer mich heute Abend begleitet, also ergreift sie den Arm, den ich ihr biete mit zarten Fingerspitzen und ich führe sie zu Tisch.
Als sie Deiner Ansichtig wird, sehe ich zum ersten Mal seit ich sie kenne, die Fassade des Liebreizes bröckeln. Für Sekunden lese ich Wut in ihren Zügen, doch allzu schnell hat sie sich wieder gefasst und tut, als sei nichts geschehen. Abgesehen davon, dass der einzige Mensch, der ihr je widerstanden hat, gerade ihrer Herrin den Stuhl zurecht rückt. Dann richtest Du dich auf, und, als könntest Du unsere Anwesenheit spüren, drehst Dich um zu uns. Dein Gesicht ist aschfahl, aber Du gönnst ihr nicht die Genugtuung der Überraschung.
„Mylady, darf ich Euch mein Childe, Athos vorstellen?“
Ihr grüßt Euch, zwischen Euren Blicken könnte selbst ein Eiszapfen noch einmal gefrieren.
„Nein, was für eine Überraschung, Graf. Ihr hier? Wer von uns hätte gedacht, dass wir uns noch einmal begegnen würden.“
Tatsächlich, sie ist eine eiskalte Hexe, dafür bewundere ich sie aufrichtig. Du hast offensichtlich Schwierigkeiten, etwas Höfliches herauszubringen. Dein knappes „Mylady“ klingt verächtlich und abweisend.
Gleichsam verweilen Deine Augen an ihrem Schwanenhals. Suchst Du dort etwa die Male des Strickes? Doch er ist makellos und Du begreifst, dass man den Tod nicht töten kann. Dann denkst Du an die Macht des Blutes und ein Rätsel Deines Lebens liegt endlich offen vor Dir, nach Jahren der Qual. Ja, das Weib hat Dich damals gefügig gemacht, so wie wir nun einmal die Sterblichen an uns binden, die uns gefallen oder nützlich sind. In Deinem Fall hat sie wohl das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden. Allerdings ist mir bei der ganzen Geschichte nicht ganz klar, wie Du, ein gewöhnlicher Mensch, ihren Bann durchbrechen und sie tatsächlich erhängen konntest. Vielleicht hast Du unbewusst gespürt, dass Deine leidenschaftliche Hingabe nicht ganz freiwillig war.
Sie spielt diese Charade schon ein paar Jahrzehnte länger als Du. Der sanfte Druck ihrer Fingerkuppen auf meinem Arm signalisiert ein „Darüber reden wir noch“. Wie sie meint, damit kann ich gut Unleben. Dann geleite ich auch sie endlich zu ihrem Platz und wir nehmen die unseren ein. Ich hake einen weiteren Punkt auf meiner imaginären Liste ab. Nun fehlt nur noch Seine Prinzliche Hoheit.
Kapitel Die Herren von Paris
Die Herren von Paris
Ich habe an der großen, weißen Festtafel Platz genommen, so wie alle anderen. Zu meiner Rechten sitzt mein Meister, zu meiner Linken zu meiner Freude Hauptmann Tréville. Links neben ihm steht ein leerer Stuhl. Ich frage mich, wer dort noch Platz nehmen wird. Niemand hat ihn bisher angerührt, sicher kommt ihm irgendeine Bedeutung zu.
Wir sitzen sehr weit oben, in der Nähe der Stirnseite. Dort wartet ein reichverzierter Kirchenstuhl auf den einzigen, der jetzt noch nicht erschienen ist. Mein Meister sitzt dem Platz des Prinzen am nächsten, ihm gegenüber hat Mademoiselle Lenormand Platz genommen. Sehe ich geradeaus, blicke ich direkt in das Gesicht La Portes, er würdigt mich allerdings keines Blickes. Ich bin beeindruckt, wie gut es dieser Mann beherrscht, durch andere hindurchzusehen. Doch ich muss mich nur besinnen, dass er ein Höfling ist und mit der Übung, die ihm eine unnatürliche Lebenszeit verleiht, erscheint diese Perfektion nicht mehr so außergewöhnlich.
Neben ihm sitzt der Abbé, den Rochefort Atreus nannte. Er führt den Clan der Malkavianer an. Rochefort warnte mich vor den Angehörigen dieser Blutlinie. Ihr Erbe sei verflucht, denn der Herr habe sie allesamt mit Irrsinn geschlagen. Doch ich kann kein Zeichen der Verrücktheit an dem Abbé erkennen. Bis er mich ansieht. Oder vielmehr, durch mich hindurch sieht, aber auf eine, mir unbekannte, seltsam verstörende Weise, die nichts mit der Kühle La Portes zu tun hat. Sein Blick, so eigentümlich, ja fremd, als sähe er gar nicht mich, sondern etwas anderes, jagt mir einen Schauer durch die Glieder, obwohl ich mir größte Mühe gebe, nichts nach außen dringen zu lassen. Inwieweit mir das gelingt, kann ich nicht sagen. Wiederholt frage ich mich, ob er ein echter Abbé ist. Ein Gottesmann in dieser Gesellschaft der Verdammten? Bisher konnte ich mir dergleichen nicht vorstellen, aber sollte es möglich sein, ein Leben als Vampir und dennoch in Gottes Hand zu führen? Vielleicht sollte ich trotz dieses entsetzlichen Blickes einmal mit ihm sprechen, so sich die Gelegenheit ergibt. Vorausgesetzt, er ist kein Spötter, der soweit geht, den Herrn zu verhöhnen, indem er die Soutane zum Spaß trägt. Bevor ich jedoch in meinem Überlegungen weiter vorstoße, öffnet sich eine bisher verborgene Tür in der Wand, und unser Prinz tritt ein. Er muss es sein, so wie sich die Gestalten der Anwesenden unmerklich straffen. Mit kleinen Schritten trippelt er zur Tafel, nickt in die Runde, und setzt sich. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber sicherlich nicht das.
Er ist ein kleiner, untersetzter Mann, der zwar ein ebenmäßiges Gesicht besitzt, zugleich erscheint dieses Gesicht frei von jeglichen Besonderheiten, es ist gar von solcher Gewöhnlichkeit, dass sein Träger mit Sicherheit in beinahe jeder Menge untertauchen könnte. Er ist allein, kein Diener, kein Günstling, begleitet ihn. Trotz seiner vornehmen Kleidung erscheint er nicht wie ein Aristokrat, sondern viel eher wie ein Bürgerlicher. Ein wenig erinnert er mich an D’Artagnans Diener, denn das aufmerksame, gewitzte Funkeln der Augen, das einzige, das im Augenblick einen scharfsinnigen Geist verrät, ist mir bei diesem Planchet auch schon aufgefallen. Doch sehe ich keinen Grund, warum sich mein Erschaffer, der die Größe und Noblesse liebt, einem solchen Durchschnittsmenschen unterwerfen sollte. Er muss in der Tat große Macht besitzen, denn eine große Anziehungskraft kann nicht Quell seiner Herrschaft sein. Stumm warten wir, bis er Platz genommen hat.
Endlich sitzend blickt der Prinz einmal in die Runde.
„Seid gegrüßt, Damen und Herren von Paris.“
Er spricht ohne größere Regung, leise, aber immerhin so durchdringend, dass seine Stimme selbst am anderen Ende desRaumes noch gut zu vernehmen ist.
„Wie wir auf der jüngsten Primogenssitzung ankündigten, werden wir nun der Domäne einige Dinge bekanntgeben, die Aller Angelegenheiten betreffen.“
Eine gewisse Unruhe breitet sich aus wie ein Lauffeuer. Die Primogene schweigen, aber an den Händen der Mademoiselle Lenormand, die mit ihrem Weinpokal spielen, erkenne ich, dass diese Neuigkeiten keine leichte Kost sein werden. Mein Meister runzelt nur leicht die Stirn, Tréville tauscht einen vielsagenden einen Blick mit Focault, der neben Atreus sitzt. Seine prinzliche Hoheit ist jedoch anscheinend nicht gewillt, ihnen viel Zeit zur Verständigung zu lassen. Denn schon spricht er weiter.
„Punkt eins: Von diesem Augenblick an, gilt das unter dem Namen „Surat“ bekannte Kainskind als Ausgestoßener seines Clans. Weiterhin weisen wir ihm den Status des Anathema zu und die Blutjagd ist eröffnet. Wer einen Beweis seines Todes bringt, dem sei das Wohlwollen der Domäne gewiss.“
Diese Worte rufen erstaunlich unterschiedliche Reaktionen hervor. Weiter unten am Tisch wird mit einer Aufregung getuschelt, die ich nicht verstehe, da sich mir der Sinn dieser Order nicht erschließt. Die Primogene geben sich beherrschter, aber auch sie können oder wollen ihre Regungen nicht ganz verbergen. La Porte lächelt leicht, Mademoiselle Lenormand dreht den leeren Pokal in ihren schönen, zarten Händen, und starrt ihn dabei ganz versunken an, als sei sie fasziniert von seinem Muster. Kurze Blicke nach rechts und links enthüllen mir, dass Hauptmann Tréville zutiefst betroffen und besorgt scheint, wohingegen mein Sire nachdenklich die Stirn runzelt. Atreus blickt unverwandt den Prinzen an, Focault hingegen starrt vor sich auf den Tisch und murmelt leise ein paar Worte. So leise jedoch, dass man sie nicht versteht.
Plötzlich erhebt sich neben mir Tréville. Die Augen des Prinzen und die aller anderen ruhen auf ihm. Sofort kehrt wieder Ruhe ein. Einen Moment lang habe ich den Eindruck, dass er Worte des Protestes äußert wird, doch dann greift er zu dem Stuhl neben sich und wirft ihn nur mit der Berührung seines Zeigefingers um. Das Klappern dringt wie ein Paukenschlag durch das Schweigen.
„Die Blutjagd“, sagt er langsam mit de r Stimme eines Mannes, der gerade einen Freund beerdigt, „wir werden sie führen.“
„Gut gesprochen, Vogt“, antwortet der Prinz, dem das Schauspiel gefallen zu haben scheint. „Punkt Zwei“, fährt er fort, kaum dass Tréville sich gesetzt hat. „Der Hauptgang.“ Das sagt er eindeutig spöttisch.
Und wieder öffnet sich die Geheimtür und zwei schöne junge Männer treten hervor. Sie tragen einen alten Bekannten. Das Monster, das mich beinahe umgebracht hat. Jetzt ist es steif und leblos und ich erkenne einen schmalen Pflock, der direkt ins Herz getrieben wurde. Ohne erkennbare Anstrengungen heben die beiden den Körper, der doch schwer sein muss, zwischen uns auf den Tisch. Der Prinz lächelt amüsiert, als er die angewiderten Gesichter der Primogene bemerkt, besonders Mademoiselle scheint empört. Auch ich kann mein Erstaunen angesichts dieser Sitten nur schwer verbergen. Nur Atreus blickt, als ging ihn das nichts an. Wieder ist von weiter unten Flüstern und halblautes Murmeln zu hören.
„Ah, welch ein Genuss“, brummt mein Meister trocken. „Die Speisekarte wird ja von Mal zu mal erlesener.“ Diese Bemerkung bringt ihm ein Grinsen von Focault und ein verstohlenes Lächeln der Mademoiselle ein, die, ganz nach der Sitte vornehmer Damen, ein Taschentuch zückt und anmutig vor Mund und Nase hält.
„Das da ist ein gelöstes Problem“, erklärt der Prinz. „Es wurde vor kurzem aufgegriffen, als es sich in unsere Straßen wagte.“
Irre ich mich, oder streifen mich für Sekundenbruchteile einige versteckte Blicke?
„Nun, dies ist die Kriegserklärung des Sabbat, auf die wir seit langem warten und sie wird angenommen. Wir werden den Sabbat vernichten, und gründlicher, als dies früheren Herrschern gelungen ist.“ Jetzt sieht er unverhohlen zu meinem Meister hin. Er scheint dergleichen erwartet zu haben und lässt sich nichts anmerken.
„Seine Prinzliche Hoheit bringen ohne Zweifel die notwendige Weisheit und Entschlossenheit, aber auch Umsicht mit, die ein solcher Schritt erfordert“, erwidert er ruhig, die besondere Betonung des „ohne Zweifel“ kann nur dem geübtesten Höfling auffallen.
„Darauf verlasst Euch, Erstgeborener der Ventrue“, antwortet der Prinz spitz. Dann wendet er sich an Hauptmann Tréville.
„Vogt, wir wünschen, dass Ihr ihn an die höchste Turmspitze von Notre Dame hängen lasst, so mag er den Sonnenaufgang erwarten und der Sabbat hat die Antwort.“
Der Hauptmann nickt und erhebt sich. Der Prinz fährt fort.
„Von nun an herrscht Krieg. Ein jeder ist angehalten, sich um seine Sicherheit und die seiner Abkömmlinge zu sorgen.“
Diesmal bin ich sicher, dass er mich bei diesen Worten kurz ansieht.
„Der Sabbat ist bis aufs Blut zu bekämpfen. Gefangene werden Toten vorgezogen. Der Vogt wird in den nächsten Nächten entsprechende Order weiterleiten. Angesichts dieser gravierenden Entwicklungen werden alle weiteren Angelegenheiten verschoben.“
Eine dieser weiten Angelegenheiten bin vermutlich ich, oder vielmehr meine förmliche Vorstellung vor dem Prinzen. Dies allerdings kommt mir nur gelegen. Rochefort offensichtlich auch, denn er lächelt mir unauffällig zu.
“Nun steht es den Damen und Herren frei, sich wieder ihrem Vergnügen zu widmen. Gute Nacht.“ Mit diesem Worten erhebt er sich und verschwindet so wie er gekommen ist. Die beiden jungen Leute, die das Monster hereingeschleppt haben, verschwinden mit ihm.
Es bleibt offensichtlich Tréville überlassen, sich um das Corpus Delikti zu kümmern, eine Aufgabe, der er auch sofort nachkommt. Ich sehe ihn fragend an, biete ihm stumm meine Hilfe an, auch wenn mich die Gestalt auf dem Tisch noch immer abstößt. Er verneint lächelnd und winkt stattdessen zwei Herrn vom unteren Rand der Tafel, die jetzt herbeieilen und ich erkenne die Gesichter von Musketieren. Der eine zwinkert mir zu und schon fühle ich neue Zuversicht. Sie kennen mich noch! Gelegenheit zum Austausch für Höflichkeiten bleibt nicht. Ich mache Platz, sodass sie den Körper vom Tisch ziehen können, dann schaffen sie ihn fort. Im gleichen Augenblick fordert mich mein Meister leise zum Gehen auf, und ich folge ihm. Wir verabschieden uns mit angemessenen Verneigungen, aber nur mit dem Minimum an Floskeln, dann verlassen wir die Etage durch die große Flügeltür. Auch die anderen scheinen es recht eilig zu haben, denn wir sind nicht die Einzigen, die den Saal verlassen.
An der Tür bemerke ich den Blick zweier hasserfüllter, blauer Augen. Ich erwidere ihn ruhig. Sie wird mir keine Regung mehr entlocken. Jetzt weiß ich, mit wem ich es zu tun habe, ich bin gefasst und ihr Hass scheint mir nur natürlich. Er beruht auf Gegenseitigkeit. Also deute ich mit zwei Fingern an der Hutkrempe und einer unmerklichen Verneigung einen Gruß an, dann drehe ich mich endgültig um, und folge meinem Sire.
Erst als die Kutsche sich in Bewegung setzt, lehnt er sich zurück und spricht mehr zu sich selbst als zu mir.
„Arnaud, dieser Narr, er wird uns noch alle ins Unglück stürzen.“
Ich kann nur erraten, dass er mit Arnaud den Prinzen meint.
„Ein derart radikales Vorgehen. Nun gut, dass er auf Surat die Blutjagd ausruft, war abzusehen, aber auf die Provokation des Sabbats einzugehen, ist närrisch. Vielleicht ist ein solcher Krieg genau das was sie wollen, sie werden sich nicht verbergen und wir müssen ihre und unsere Spuren verwischen. Zur Hölle, ein wenig mehr Ruhe täte dieser Stadt gut.“
Ich lausche, kann aber dazu nichts annähernd Sinnvolles äußern. Einmal mehr fühle ich mich völlig unwissend. Erst durch mein Schweigen scheint Rochefort mich wieder wahrzunehmen.
„Für uns bedeutet das, wie er gesagt hat, erhöhte Vorsicht. Für dich sicher erfreuliche Nachrichten, mein lieber Freund. Ich werde dir in den nächsten Nächten die Grundlagen unserer Disziplinen beibringen, so stärkst du Deine Kräfte. Sobald du Fortschritte machst, und ich der Meinung bin, dass du auf dich aufpassen kannst, darfst du zurück zu den Musketieren, Tréville wird dann deinen Unterricht übernehmen, wenn ich es nicht kann, da jetzt sehr viel Arbeit auf mich zukommt. Ich ahnte bereits seit einigen Nächten, dass große Ereignisse und Gefahren unsere Aufmerksamkeit erfordern mögen und habe mit ihm gesprochen. Um deinetwillen ist er einverstanden. Du wirst dann auch offiziell deine alte Wohnung wieder beziehen, wir werden sie natürlich noch ein wenig sichern müssen. Dein Diener wird uns dabei eine nützliche Hilfe sein.“
Nach diesem Monolog versinkt er in Schweigen. Ich unterbreche es nicht, ich kann mein Glück kaum fassen. Zu den Musketieren? Zurück in meine Wohnung? Disziplinen erlernen? Neue Lebensgeister erfüllen meine Seele. Die Aussicht auf ein paar Nächte voller Taten, in denen ich nicht nur herumsitze und die Hoffnung, meine Freunde bald wiederzusehen, erfüllen mich mit einer Lebendigkeit, die ich in den letzten Tagen so schmerzlich vermisst habe.
Was für eine Nacht.
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PS: Hier noch was Nettes zum Thema passend: Credo
Kapitel Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da...
Mal wieder ein Update... Have fun.
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Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da
Da sitzen wir nun, ein alter Zyniker und ein unverbesserlicher Idealist, eine Kombination, die der Teufel nicht hätte besser aussuchen können. Jaja, Du sagst nichts, aber ich kann Deine Freude förmlich riechen. Wahrscheinlich weißt Du nicht einmal, warum ich Dir plötzlich all diese Möglichkeiten eröffne. Dass es eine Notwendigkeit ist, an der ich nicht vorbeikomme, begreifst Du vermutlich nicht. Ich gebe zu, der Gedanke, dass ich aus Großmut handle, schmeichelt meinem Ego ungemein.
Aber, wenn ich ehrlich bin, was soll ich denn tun? Halten kann ich Dich ja doch nicht, denn Du lässt Dich nicht einsperren, ich verlöre Dich nur umso schneller, je mehr Restriktionen ich Dir auferlege. Das eingesperrt sein bekommt Dir nicht, leider. Aber ja, im Grunde kann ich Dich verstehen, auch wenn meine Bequemlichkeit leidet, aber ich selbst hielte es ja auch nicht aus. So ist das nun einmal mit uns Männern der Tat. Und, es ist nun einmal so, als ich Dich wählte, wusste ich tief im Innern, dass Du Dich nicht gern als Marionette benutzen lässt. Nun, genau das macht es ja so spannend.
Da Du nun einmal ohne Zweifel in Schwierigkeiten geraten wirst, ist es besser, Du bist wenigstens vorbereitet. Dass ausgerechnet Tréville Deinen Unterricht unterstützen wird, gefällt mir zwar gar nicht, aber ich schlage durch dieses Maneuver mehrere Fliegen mit einer Klappe. Jetzt, nach dem zweiten Blutsband, fürchte ich nicht mehr, dass er Dich abspenstig machen könnte, also werde ich gegebenenfalls einen Spion in seinem Haus haben, nicht er in meinem. Indem ich Dich zu ihm lasse, wiege ich den alten Fuchs in Sicherheit, soll er nur denken, ich wäre nicht mehr ganz Herr der Lage. Ebenso wie ich plant er auch und er wird hoffen, Dich gewogen zu machen, um einen Informanten in meinem Clan zu haben. Vielleicht hofft er auch, Dich ‚moralisch‘ unterstützen zu können, um Dich von meinem ach-so-verderblichen Einfluss zu befreien, und dabei tut mir der Alte einen Gefallen, indem er Dir seine Tricks beibringt.
Das verschafft mir Zeit, besonders, da die Brujah durch den Kampf mit dem Sabbat abgelenkt sein werden. Das passt nur zu gut, habe ich doch in der nächsten Zeit einige Arrangements zu schaffen, bei denen mir neugierige Brujahnasen nur lästig wären.
Zum Dritten wirst Du mir unendlich dankbar sein, dass Du wieder mit deinen kleinen Musketierfreunden spielen kannst, und immer wieder zu mir zurückkehren, wenn ich Dich rufe. Somit gewinne ich indem ich gebe, was ich verlöre, wenn ich festhielte. Und warte nur, ich will Dich schon noch an mich binden, je weiter Du die Geheimnisse der Nacht ergründest, umso mehr wirst Du mich brauchen. Und das ist gut, denn es wird eine Zeit kommen, da ich Dich mehr brauchen werde denn je, denn mit Deiner Hilfe kann ich mir vielleicht das wiederholen, was man meinem Erschaffer genommen hat, bevor man ihn feige ermordete: den Thron dieser Stadt. Oh ja, Arnoud du Paris, er wird fallen, und Du Athos wirst mein Schlüssel sein. Dann werde ich mich rächen für die Demütigung, mit ihm, dem hinterlistigen Hund und feigen Mörder, an einem Tisch sitzen zu müssen. Doch darf ich mich nicht zu sehr in den Gedanken an Rache sonnen, noch nicht…
Also konzentriere ich mich auf die ersten Schritte dieses langen Weges, der uns bevor steht und beginne noch in dieser Nacht Dich zu unterrichten. Noch einmal erläutere ich Dir die Kräfte, die ich in Dir schulen will, Seelenstärke, die uns zeitweise Resistenz gegen das ansonsten tödliche Licht der Sonne verleiht und uns größeren Bewegungsspielraum gibt, du wirst sie dringend brauchen, wenn Du Dich bei Tag bewegen willst. Dann die Dominanz, die Macht des Willens und die Präsenz, die Macht, Emotionen, in anderen hervorzurufen, Leidenschaft wie Entsetzen. Bei ersterem und letzterem wird Dir Tréville viel beibringen können. Die Lehre der Dominanz behalte ich mir vor. Dennoch, das muss warten, Seelenstärke hat Vorrang vor allem anderen. Also beginnen wir damit, Dass Du mehr Kontrolle über Deine Instinkte erlangst. Auch wenn sie nützlich sind, müssen Sie sich doch letztendlich unserem Willen unterwerfen. Wir beginnen zunächst ganz simpel mit einer Kerze. Wie in allen jungen oder unbeherrschten Vampiren, löst allein der Anblick von Feuer in Dir Unbehagen aus, je näher und größer das Feuer, umso mehr steigert sich die Abneigung zu purer Tollheit. Immer näher zwinge ich Dich an die Flamme heran, und Du gibst Dein Bestes, meine Anweisungen zu erfüllen, auch wenn die Furcht immer wieder nach Dir greift. Aber, wie ich vermutet habe, bist Du in Punkto Selbstkontrolle durchaus kein Neuling, also stellst Du Dich weit besser an, als die meisten Neugeborenen. Am Schluss bist Du sogar in der Lage, die Kerze ein paar Schritte mit Dir herumzutragen, dann aber spüre ich dass selbst Deine Willenskraft ausgeschöpft ist und breche die Übung ab. Zugleich bewundere Deinen Mut und beschließe, in der nächsten Nacht mit einer Fackel fortzufahren. So geht es ein paar Nächte weiter. Wir üben mit wechselnden Feuerquellen bis Du dich in ihrer Gegenwart fast natürlich bewegst. Ich bin entzückt, als Du bereits nach einer Woche neben einem Kamin stehen und plaudern kannst. Doch so sehr mich Deine Leistungen in Bezug auf die Seelenstärke beeindrucken, so sehr lassen sie bei den Lektionen in Beherrschung zu wünschen übrig.
Als Übungssubjekt habe ich einen schwachen Menschengeist auserkoren, den sogar ein Anfänger wenigstens grundlegend beeinflussen kann, Deinen Diener Grimaud. Du wirst ihn ohnehin immer wieder mal beherrschen müssen, um ihn gefügig zu machen, also scheint es mir nur sinnvoll, mit ihm anzufangen. Du jedoch bist störrisch und weigerst Dich. Obwohl Du, wenn auch widerwillig, zumindest versuchst, meinen Anweisungen Folge zu leisten, will es Dir nicht gelingen. An der Theorie kann es nicht liegen, Du begreifst sie sehr wohl. Aber ein Teil von Dir will es einfach nicht, und da Dein Wille so stark ist, wie bei keinem anderen Neugeborenen, den ich kenne, kannst Du es nicht.
Am Ende bin immer ich es, der den unglücklichen, verängstigen Grimaud seine Erlebnisse vergessen lässt. Nach einigen Nächten Tauziehen gebe ich vorerst klein bei und stelle Dir einen meiner Ghule zu Verfügung, aber Du willst es einfach nicht tun. Da die Zeit drängt, und ich bald eine kleine Reise unternehmen muss, konzentriere ich mich schließlich wieder auf die Seelenstärke. Dabei fühlen wir uns beide wohler, denn es geht viel leichter von der Hand. Bereits nach zwei Wochen kannst Du das erste Mal am offenen Fenster einen Sonnenaufgang betrachten. Ich bin äußerst zufrieden. Als hättest Du jahrelang nichts anderes getan. Was Du in gewisser Weise auch hast. Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, diese Disziplin als Neugeborener zu lernen. Dann ist die „gute“ Erinnerung an den Tag noch stark und der Anblick der Sonne weniger verstörend.
Das ist dann auch der Zeitpunkt, an dem ich meine Unternehmung nicht länger aufschieben kann, also empfehle ich Dich bis auf weiteres Deinem hochverehrten Hauptmann und verabschiede mich. Kurz vor meiner Abreise jedoch ergibt sich noch eine kleine Meinungsverschiedenheit, als ich Dich beauftrage, endlich Deinen Diener zum Ghul zu machen. Du starrst mich an mit einer Verständnislosigkeit, die geradezu köstlich amüsant wäre, wenn ich Zeit hätte, diesen Umstand auszukosten. Manchmal kann Dein Moralempfinden wirklich anstrengend sein. Anstatt Dich anzuschreien, wozu ich nicht übel Lust habe, erkläre ich Dir also, dass es unabdingbar notwendig für die Maskerade ist und dass Dein Diener davon immerhin auch profitiert. Er wird stärker, widerstandfähiger und langlebiger. Damit kommt er der Unsterblichkeit so nahe, wie es einem Menschen möglich ist. Ich merke, Du hast Angst um sein Seelenheil, aber für solche närrischen Kleinigkeiten habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Denn meine drängt. Also lasse ich Dich mit Deinen Zweifeln allein, denn ich werde Deine Seelenqualen, die aus unerfüllbar hohen ethischen Ansprüchen resultieren, sowieso nicht lösen können. Letztlich kann es mir auch egal sein, wie Du das Problem regelst, lebst Du erstmal mit einem Sterblichen zusammen, dann wirst Du schon feststellen, wie schwer es ist, diese Bagage im Dunkeln zu halten, wenn man weder die Beherrschung noch die Macht des Blutes zu Hilfe nehmen will. Also warne ich Dich noch einmal eindringlich davor, die Maskerade zu gefährden, dann gehe ich. Ungern, zugegeben, aber für das was ich vorhabe, bist Du noch zu unerfahren und Fehler darf ich mir nicht erlauben, sonst könnte Dein Erschaffer sehr schnell ein sehr vernichteter Erschaffer sein, mein Lieber.
Rochefort is fort. Seit bereits einer Viertelstunde und ich stehe verdrießlich vor dem Kamin, im Salon, indem noch nie ein Feuer brannte, seit ich hier bin. Das Übungsfeuer schürten wir in einem kleineren Kamin in der Bibliothek. Ich habe jetzt was ich wollte, wieder ein Stück Unabhängigkeit. Gleich werde ich den Hauptmann aufsuchen und mich wieder zum Dienst melden. Mit etwas Glück kann ich sogar noch meine Freunde im Tannenzapfen oder auf Wache treffen. Aber dennoch. Irgendetwas fehlt mir und ich kann nicht sagen, was. Ich spüre nur, dass mir ein Paris ohne Rochefort seltsam leer vorkommt, auch dieses Haus ist so still und ich lausche auf etwas, vermag aber nicht zu sagen, was genau. Obwohl ich mich längst auf den Weg gemacht haben sollte, starre ich in die Reste alter Asche. Wie muss man sich fühlen, wenn man so alt ist wie er, der gemäß seinen Andeutungen schon ein, zwei Jahrhunderte auf der Welt weilt. Gewöhnt man sich irgendwann an die Einsamkeit? Der Gedanke schmerzt mich. Eigentlich glaubte ich bisher, ich habe mich recht gut mit meinem selbstgewählten Exil, mit einem gewissen Maß an Einsamkeit, arrangiert, nun aber, in den letzten Wochen, musste ich feststellen, dass ich einem Irrtum aufgesessen bin. Meine Freunde habe ich vermisst und jetzt beginne ich sogar bereits meinen Meister zu vermissen, obwohl er nicht einmal eine Stunde fort ist.
‚Kopf hoch‘ befehle ich mir, denn schließlich habe ich mir für heute einiges vorgenommen. Also greife ich nach Hut und Mantel und verlasse das Haus energischen Schritts, befehle meinem verwirrten Grimaud, der sich jede Nacht aufs neue fragt, wo er sich befindet, mir zu folgen, dann wandere ich durch die Nacht. Diesmal meide ich dunkle, enge Gassen. Mehr noch, ich halte Ausschau nach Beobachtern und Verfolgern. Aber es bleibt ruhig und ich erreiche ohne Schwierigkeiten das Hauptquartier der Musketiere.
Ich trete wie immer durch das große Tor und als sei dadurch ein Märchenzauber von mir genommen, sind da plötzlich überall vertraute Gesichter, die mich grüßen und nach meinem Befinden und meiner Reise fragen. Ich antworte mit ein paar sparsamen Erklärungen über Familienangelegenheiten, und mache mich auf den Weg zum Hauptmann. Mir, der ich in den letzten Wochen nur noch Rocheforts stilles Anwesen gewöhnt bin, erscheinen sie viel zu zahlreich. So viele Menschen, bei Dunkelheit, im Revier der Nachtgestalten? Aber was rede ich da, der Abend ist noch jung, jetzt gerade ist Schichtwechsel, natürlich sind viele Musketiere versammelt.
Vor Trévilles Tür begegne ich Porthos. Überrascht blickt er von einem Gespräch auf, sieht mich, empfiehlt sich und läuft mir entgegen, um mich voll ehrlicher Freundschaft kurz an sich zu drücken. Es ist, als wäre ich nie weggewesen, er hat sich nicht verändert. Natürlich hat er sich nicht verändert, tadle ich mich in Gedanken, es sind ja kaum drei Wochen vergangen. Für ihn nicht einmal ein Monat, nur mir allein ist es wie ein ganzes Jahr erschienen. Ach, mein guter alter Porthos.
Und plötzlich bin ich endlich ganz zurück.
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