Der Pakt des Lucifer von sarah
Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 5 BewertungenKapitel Prolog
Liebste Tante,
Ich bitte Euch diesen Brief noch in der Stunde zu verbrennen, da er Euch erreicht. Sein Inhalt könnte Euch ebenso gefährlich werden wie mir.
Gewiss, ich bin mir des Risikos bewusst, das ich eingehe, indem ich Euch über dieses Geheimnis in Kenntnis setze Doch mein Gewissen plagt mich und ich kann die Qual allein nicht mehr ertragen, mit der mich Gott für das straft, was ich getan habe. Denn ich muss gestehen an einem grausamen Verbrechen beteiligt gewesen zu sein, das hier unter Mönchen meines Ordens begangen wurde, die gelobt haben Gott zu ehren und stattdessen dem Satan verfallen sind..
Euch bitte ich meine Richterin auf Erden zu sein, da ich Euch für weise und gerecht halte. Hört also meine Geschichte....
Im Dormitorium des Klosters brannte eine einzige Kerze. Die Flamme flackerte unruhig, bewegt von einem eisigen Windzug vom geöffneten Fenster her. Sie ließ gespenstische Schatten über die Wände des Raumes tanzen. Der junge Abbé spürte nicht die Kälte des Winterabends. Er war den anderen in dieser Nacht nicht gefolgt zum Chorgebet in der Kirche. Mit starrem Blick beobachtete er die Phantombilder an der Wand. Vorboten der Hölle, die ihre Arme nach ihm ausstreckten.
Du sollst nicht töten.
Monotoner Mönchsgesang drang an sein Ohr. Dumpf klangen die Worte in ihm nach: Domine, ne in furore tuo arguas me/ neque in ira tua corripias me./ Misere mei.
Erbarme dich? Der Herr würde sich ihm nicht erbarmen, ihm, der Sein Wort missachtet hatte.
Du sollst nicht töten.
Der junge Mann spürte, wie seine Hände erneut zu zittern begannen. Um sich aus seiner trauma-artigen Starre zu reißen, wandte er den Blick von den Schatten an der Wand und begann im Zimmer auf und ab zu wandern. Nervös lauschte er auf das Geräusch von Pferdehufen im Hof. Der Bote, den er mit dem Brief an seine Tante nach Paris geschickt hatte, hätte schon gestern zurück kommen müssen...
„Ihr seid nicht in der Kirche?“
Der Mönch fuhr zusammen. Im Türrahmen gewahrte er einen großen dunklen Schatten, der dort schon eine ganze Weile regungslos verharrt haben musste.
„Famulus...“ flüsterte er.
Der Vorsteher des Klosters trat ins Zimmer, sodass das flackernde rote Licht der Kerze über sein langes, hageres Gesicht zu tanzen begann. Dort, wo seine Augen hätten sein sollen, starrten nur zwei leere Augenhöhlen aus dem Schädel, was den Eindruck noch verstärkte, dass es sich bei dieser Erscheinung weniger um einen lebendigen Menschen als um ein wandelndes Skelett handelte.
„Das Beten scheint Euch schwer zu fallen in letzter Zeit.“
Die zynischen Worte versetzten dem jungen Mann einen Stich.
„Was wollt Ihr noch von mir?“ brachte er mühsam hervor.
„Man sagte mir, Ihr hättet vor ein paar Tagen einen Boten mit einem Schreiben fortgeschickt. Nach Paris? Weshalb?“
Der blinde Custos war nahe an den jungen Mann herangetreten. Seine Stimme klang kalt und leise. Jene Art von Grabesstimme, die dem Zuhörer ein Schauern über den Rücken zu jagen vermochte.
„Ein Brief an meine Tante.“
„Was schreibt Ihr in diesem Brief?“
Der Abbé senkte den Blick. Seine Lippen zitterten.
„Sprecht! Habt Ihr den Pakt verraten?“
Das Schweigen des jungen Mannes war Antwort genug. Mit einer herrischen Bewegung trat der Klostervorsteher einen Schritt zurück. Er packte die Schulter des jungen Mönches, zwang ihn auf einen Stuhl und drückte ihm eine Feder in die Hand.
„Schreibt!“ befahl er. „Ich, Jérémie de Vivonne, habe beschlossen diese Welt zu verlassen, da ich nicht leben kann mit der Schuld an dem Mord, die auf mir lastet.“
„Famulus!“ Entsetzt blickte Jérémie auf.
„Schreibt!“
Der Custos beugte sich noch tiefer zu dem jungen Mönch herab und dieser schien sich in der Finsternis jener leeren Augenlöcher zu verlieren, die gleichzeitig abstoßend und faszinierend auf ihn wirkten. Die Tiefe, in die Jérémie zu stürzten glaubte, brach seinen Widerstand. Er gehorchte. Seine Hand bebte, während er schrieb. Auf seiner bleichen Stirn stand der Schweiß.
„Und nun setzt den Namen ‚Lucifer‘ unter den Brief.“
Längst war der Abbé zu einer willenlose Marionette geworden. Er schrieb.
Kaum hatte er den Befehl ausgeführt, zerrte der Custos ihn in die Höhe und stieß ihn ans Fenster. Er holte einen Strick unter seinem Mönchsgewand hervor, legte ihn dem Abbé de Vivonne mit kaltblütiger Gelassenheit um den Hals und befestigte ihn am Fenstersims.
„Springt!“
Ein scharfer Windzug löschte die Kerze und die Schatten an der Wand verschwanden.