Der Wald von Amboise von Rochefort

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Kapitel Verhängnis

 

August 1627. Rochefort war stolz und zufrieden. In den letzten Wochen hatten er und seine Männer gute Arbeit geleistet. Einem Hinweis der Marquise de Rambouillet folgend, hatte sich seine Vermutung, dass ein bestimmter, in Adelskreisen zu schnellem Ruhm aufgestiegener Poet in Wahrheit ein feindlicher Spion war, als goldrichtig erwiesen. Mehr noch - der Mann, sein richtiger Name war Robert Duvall, war Mittelpunkt eines ganzen englischen Informantennetzwerkes! In sorgfältiger Kleinarbeit und unter Mithilfe von Lady de Winter, die wie stets in unnachahmlicher Weise ihre weiblichen Reize ausgespielt hatte, war es gelungen, die meisten seiner Helfershelfer und Kontaktleute ausfindig zu machen und sie schließlich in einem gut geplanten Handstreich gefangen zu nehmen. Sogar einigen Angehörigen des französischen Adels konnte in diesem Zusammenhang ein verräterisches Doppelspiel mit den Engländern nachgewiesen werden.

 

Der englische Premierminister Buckingham hatte im Juli dieses Jahres eine Flotte zur Unterstützung der von den Truppen König Louis XIII. belagerten protestantischen Stadt La Rochelle über den Kanal geschickt. Dementsprechend hatte sich auch die englische Spionagetätigkeit in Frankreich und besonders in Paris intensiviert, denn natürlich wollte der Herzog von Buckingham darüber informiert sein, was seine französischen Gegenspieler planten.

 

Besagter Robert Duvall selbst war durch einen für ihn glücklichen Zufall der Festnahme entgangen. Nun war Rochefort ihm persönlich auf den Fersen. Er hatte vom Kardinal freie Hand, ihn tot oder lebendig zu fassen. Fast alle wichtigen Informationen waren bereits in den Händen Richelieus, es war also nicht mehr von großem Belang, ob der Agent ums Leben kam oder nicht. Und der Geheimdienstchef Seiner Eminenz hatte in Bezug auf diesen Mann auch keine Skrupel mehr. Der Engländer hatte sich als äußerst rücksichtslos in seinem Vorgehen gezeigt; wie diesbezügliche Recherchen ergeben hatten, war er rasch mit der Waffe bei der Hand und schreckte auch vor Mord nicht zurück, wenn es seinen Zwecken diente. Rochefort verfolgte den Spion nun schon den dritten Tag; es war offensichtlich, dass der Mann bereits wusste, dass ihn jemand jagte, denn er versuchte alles, um seinen Gegenspieler in die Irre zu führen. Rochefort musste widerwillig anerkennen, dass Duvall offenbar sein Geschäft verstand.

 

Und gerade das weckte seinen Ehrgeiz! Er fühlte sich wie der Jagdhund auf der Fährte des Wildes - der Kerl würde ihm nicht entwischen!

 

Gerade hielt er mit seinem Pferd vor einem Wirtshaus an der Straße nach Amboise. Dem Hinweis eines Fuhrmannes zufolge konnte Duvall hier vorbeigekommen oder sogar abgestiegen sein. Der Abend war nicht mehr weit und der Mann hatte auf seiner Flucht vermutlich seit Tagen kaum noch geschlafen. Vielleicht war er hier untergeschlüpft um sich zu erholen. Am Himmel zogen sich dunkle Wolken zusammen, Donner grollte und es fielen bereits die ersten dicken Regentropfen.

 

Rochefort glitt aus dem Sattel und ging zur Tür der Schenke, als ihm auch schon der Wirt entgegentrat. Er wirkte schmierig und hatte einen verschlagenen Blick und als Rochefort begann, Fragen nach dem Gesuchten zu stellen, fühlte er gleich, dass sein Gegenüber etwas zu verbergen versuchte. Doch es bedurfte nur einiger Münzen und einem nachdrücklichen Hinweis auf Seine Eminenz, den Kardinal, um dem Mann klarzumachen, wo sein Vorteil lag. Gerade wollte er mit der gewünschten Information herausrücken, als ein Reiter in höllischem Tempo aus dem Hinterhof des Wirtshauses auf die Straße preschte. Im Vorbeigaloppieren feuerte er eine Pistole ab. Die Kugel streifte Rocheforts linke Schulter - zum Glück kam dabei nur sein Wams zu Schaden, die Haut war kaum geritzt - und bohrte sich in die Wand der Schenke. Der Wirt floh mit einem hysterischen Schrei. Duvall! Offenbar hatte er wieder rechtzeitig Lunte gerochen. Mit einem Fluch fuhr Rochefort herum, war mit einem Satz bei seinem Pferd und sprang wieder in den Sattel. Sein Gegner preschte querfeldein davon und hielt auf die großen Wälder von Amboise zu, die eines der berühmten königlichen Jagdreviere waren.

 

Wenn er dort untertauchen konnte, standen seinen Chancen gut, seinen Verfolger abzuhängen. Das durfte ihm nicht gelingen! Rochefort trieb seinen Braunen zu höchster Geschwindigkeit an und holte langsam auf. Trotz allem, was er über ihn wusste, hätte er den Mann lieber lebend in Gewahrsam genommen - man konnte nie wissen, ob nicht doch noch nützliche Informationen aus ihm herauszuholen waren. Aber nun konnte er darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Besser er war tot, als er entkam!

 

Rochefort ließ die Zügel los und lud im Reiten seine Pistole. Dasselbe hatte inzwischen auch Duvall wieder getan, wandte sich im Sattel um und feuerte nochmals. Rochefort duckte sich über den Hals seines Pferdes und die Kugel pfiff über seinen Kopf hinweg. Verdammt! Der Kerl war wirklich gut! Der Waldrand kam näher. Inzwischen war auch das Gewitter mit voller Intensität losgebrochen. Ein Sturm tobte und peitschte den Regen vor sich her. Als der feindliche Agent den Wald erreichte, hatte Rochefort ihn fast eingeholt. Doch nun wurde die Jagd erst richtig halsbrecherisch. Die Pferde preschten zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurch, jeden Moment war man in Gefahr von einem tief hängenden Ast aus dem Sattel geschleudert zu werden. Rochefort musste seine volle Konzentration darauf richten sein Pferd zu kontrollieren und gleichzeitig den Gegner nicht aus den Augen zu verlieren. Eine ganze Weile bot sich keine Gelegenheit, einen gezielten Schuss anzubringen. Dann endlich lichtete sich der Wald etwas und Duvall war direkt vor ihm, etwa fünf Pferdelängen entfernt. Rochefort hob seine Waffe und drückte ab. Mit wilder Genugtuung sah er, wie der Mann vor ihm im Sattel zusammensackte, sich noch krampfhaft festzuklammern versuchte und dann zu Boden stürzte.

 

Der Graf brachte sein Pferd zum Stehen und atmete tief durch. Um ihn herum tobte das Unwetter. Blitze zuckten und der Sturm hatte sich zu einem wahren Orkan gesteigert. Er schob die Pistole zurück in das Halfter am Sattel und strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Dann ritt er im Schritt an, um nach seinem Gegner zu sehen. Vielleicht lebte er ja noch. Im selben Moment ertönte ober ihm ein ohrenbetäubendes Bersten und Splittern. Etwas traf ihn an der Schläfe, dann wurde es kurz dunkel um ihn. Als seine Benommenheit wieder wich, fand er sich eingeklemmt unter dem Astwerk eines großen Baumes. Wie durch ein Wunder hatte der Baum ihn nicht erschlagen oder zerquetscht, soweit er fühlen konnte, war er nicht einmal ernstlich verwundet. Er war lediglich zu Boden gerissen worden, doch er lag so unglücklich zwischen dicken Ästen, dass er sich kaum bewegen konnte. Seine erste Sorge galt dem Engländer. Wenn der Mann doch noch lebte, dann hatte er jetzt die beste Gelegenheit sich zu rächen. So blieb Rochefort vorerst einmal völlig reglos und wartete ab. Schließlich ließ das Unwetter nach und es kehrt wieder Stille im Wald ein. Aus der Richtung, wo Duvall liegen musste, kam kein Laut. Der Mann schien also tot zu sein. Zu seiner unendlichen Erleichterung registrierte der Graf nun auch, dass sein treues Pferd Bacardi überlebt hatte – offenbar war er dem stürzenden Baum in letzter Sekunde durch einen beherzten Sprung entgangen. Rochefort versuchte nun, sich irgendwie und sei es auch nur millimeterweise unter den Ästen hervorzuarbeiten, doch er musste bald erkennen, dass er sich in einer fatalen Lage befand. Auch nach stundenlangen Anstrengungen gelang es ihm nicht einmal eine Hand frei zu bekommen. Die Nacht verging und der nächste Morgen dämmerte bereits.

 

Rochefort war inzwischen so ermüdet, dass er für einige Zeit in eine Art Dämmerschlaf fiel. Als er wieder erwachte, setzte er seine verzweifelten Befreiungsversuche fort, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Mit einem Mal wurde ihm mit niederschmetternder Klarheit bewusst, dass er hier sterben würde, wenn ihn niemand fand. Und diese Wahrscheinlichkeit war sehr gering, denn der Wald von Amboise war riesig und niemand außer den Waldhütern des Königs, die ab und zu nach dem Rechten sahen, durfte sich in diesem Jagdrevier aufhalten. Er begann um Hilfe zu rufen - mit dem einzigen Erfolg, dass er am Ende heiser und noch erschöpfter war. Wieder wurde es Abend, die Nacht verging und der nächste Tag brach an, ohne dass jemand kam. Inzwischen quälten ihn der Hunger und mehr noch ein rasender Durst. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte höllisch und er musste alle Willenskraft aufbieten um nicht von panischer Verzweiflung überwältigt zu werden. Bilder und Geschehnisse seines Lebens begann vor seinem inneren Auge vorüber zu ziehen. Hier elend und langsam zu verrecken … nein, so hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt…