Die Lilie von sarah 

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Kapitel Prolog

Auch wenn hier schon viel über Mylady und ihre Schuld oder Nichtschuld geschrieben wurde, möchte ich sie gerne noch einmal selbst zu Wort kommen lassen. In wie weit ihre Sichtweise der Dinge der Wahrheit näher kommt oder weiter von ihr entfernt ist als die der Musketiere, weiß ich dabei allerdings nicht;-)

Prolog

Es heißt, sie blühe auf den Gräbern unschuldig zu Tode Gerichteter. Die Lilie. Auf meinem feuchten Grab wird nichts blühen, nichts ranken als bleiches Algengeflecht. Bedachtet ihr das, als Ihr mich zu diesem Tode verurteiltet? Gehörte das zu eurem Plan? Mich verrotten zu lassen in jener stinkend-dumpfen Gruft der Lys, wo man doch selbst dem niederträchtigsten Halunken vom Croix-du-Trahoir ein christliches Begräbnis gestattet? Denn wo keine Lilie der Unschuld sprießt, kann sie auch nicht den Wurzeln Eures guten Gewissens den Nährboden nehmen, nicht wahr? Zum letzten Mal soll sie mich also verraten, die Lilie.
Zum letzten Mal.
Das Entsetzen, das diesen Worten innewohnte, ist verflogen mit der Gewissheit, dass sie so wahr sind wie die Worte Christi. Nein, ich werde nicht mehr schreien, drohen, winseln oder um Gnade flehen. Nur die Wut in meinem Herzen, die Lebenswut, die mich bis hierhin gebracht hat, wird nicht vor dem letzten Geschütz katapultieren. Nicht, dass ich noch die Hoffnung hegte, dass mein Stolz euch umstimmen könnte. Zu sehr habt ihr euch in eurem Schmerz verbissen, als könne er euch von aller Schuld läutern.
So sühnt also die Morde, die ihr mir vorwerft, indem ihr einen weiteren begeht. Handelt nach den alten babylonischen Gesetzen und macht die zur Märtyrerin, die ihr als Mörderin verdammt. So bleibt die gallig bittere Ironie eurer Gnadenlosigkeit mein letzter Triumph.

Während knisternd die Blitze ihre Bahnen ins Firmament kratzen, um kalt und nüchtern meinen Todesgang zu dokumentieren, erzittern meine beiden Führer vor dem Aufzucken ihrer eigenen Schatten und starren zu Boden. Fürchten sie, dass meine Blicke ihr Herz zu Stein verwandeln könnten? Oder dass das Gift meiner Zunge dasselbe erweichen könnte? Vielleicht beides zugleich? Ha, was hat man euch erzählt, ihr beiden Diener? Dass das Gift dieser Medusa ein unschuldiges Mädchen erst zu ihrer Komplizin gemacht hat, um sie dann hinterrücks kaltblütig zu ermorden? Dass es einen strenggläubigen Puritaner zum grausigen Meuchelmord an seinem Herrn anstiftete? Narren! Wollt ihr mich auf den Olymp der Allmacht erheben, indem ihr mir die Fähigkeit zusprecht, Menschen zu meinen Marionetten und meine dunklen Ziele zu ihren geheimen Wünschen zu machen? Lag es nicht vielmehr an ihrer Ohnmacht, denn an meiner Allmacht, wenn sie nicht die Kraft besaßen, mir die Fäden aus den Händen zu reißen? Das Gift der Schlange wirkt nur dort, wo ihm kein Gegengift entgegen wirkt.

Wen seht ihr, wenn ihr eure scheuen Blicke über mich hinweg zittern lasst? Die Dämonin im Engelsgewand? Die Mörderin mit dem Gesicht einer Heiligen?
„Geschichte ist immer die Geschichte der Sieger.“ Von wem stammt dieser Satz? Ich erinnere mich nicht. Doch ich erinnere mich, dass Albin einmal etwas Ähnliches zu mir sagte. Ja, Albin, der Bruder des Henkers, der „Priester“, den ich „auf so schändliche Weise in jener Klosterkapelle verführte“. Ha, Henker, schämtest ausgerechnet du dich zuzugeben, wer dein Bruder wirklich war, dass du ihn zum Priester machtest? Zum Priester, oh, welch ein Hohn!
Albin. Lächele ich, wenn ich seinen Namen vor mich hin flüstere? Ja, auch ich habe eine Geschichte. Doch dies hier ist eure Geschichte, eure Wahrheit. Die Wahrheit der vier Musketiere, des Barons von Sheffield und des Henkers von Lille. Mit Eurem Urteil erbautet ihr mir ein grausames Denkmal aus entstellenden Worten, das die Zeit überdauern wird, und ich habe nicht mehr die Kraft, es niederzureißen.
Wie Dolche spüre ich eure Blicke in meinem Rücken. Die beiden Musketiere, die brav wie Schuljungen ihre Lektion hinunter baten, als es galt mich zu verurteilen. „Den Tod fordern wir! Den Tod der Mörderin!“ und nun stumm der heiligen Prozedur folgen. D’Artagnan, dessen Verwirrung beinahe so groß ist wie sein Schmerz. Oh, du hast noch nicht gelernt zu hassen, mein junger Soldat! Dann Lord Winter, mein Schwager, und der Henker von Béthune, zwei dunkle Gestalten, die bereits im Schatten der Nacht verschwimmen, die für mich die letzte sein wird. Bedeutungslos wie die verkrüppelten Eichen, die wie Leprakranke ihre stumpfen Holzfinger nach mir ausstrecken.
Und schließlich du, Olivier, mein Gatte, mein zweifacher Mörder, mein doppelter Richter. Wenn du auch hinter mir gehst, sehe ich dich vor mir, als stünden wir einander wieder gegenüber im Wirtshaus „Zum roten Taubenschlag“. Noch einmal sehe ich dich ruhig die Pistole heben, sie auf mich richten. „Auf Ehre, ich jage Euch eine Kugel durch den Kopf.“ Damals habe ich es in deinen Augen gelesen: Dass Olivier de la Fère mit seiner Gattin starb.
Vielleicht könnte ich vor dem Gedanken an das letzte Gericht erzittern, wie man es von mir erwartet, wenn er dein Gesicht trüge. Nicht die Kälte dieser schwarzen Augen schreckt mich, Augen, in denen sich kein Licht spiegelt und die den Blick auf die Seele verwehren, sondern die Erinnerung daran, dass dieses Seelenfenster mir einst offenstand.
Ha, Athos, glaubst du den Grafen de la Fère zu neuem Leben erwecken zu können, indem du sein Weib ein zweites Mal aufknüpfst? Glaub mir, ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass sie dich packen wird, die Reue, mag sie auch jetzt noch vor dem Schmerz kuschen, der dich so hart und kalt macht. Denkst du jemals wieder eine Lilie anschauen zu können, ohne einen Kloß im Hals zu spüren? Ironie des Schicksals, dass du ausgerechnet in den Dienst desjenigen tratst, der die Lilie auf sein Wappen nähen ließ!
„Anne de Bueil,“ sprachst du mit der Stimme eines Racheengels, „die Menschen auf Erden und Gott im Himmel sind Eurer schändlichen Verbrechen überdrüssig.“ Ja, du schrecktest nicht einmal davor zurück für Gott zu sprechen. „Wenn Ihr ein Gebet wisst, so sprecht es, denn Ihr seid verurteilt und müsst sterben.“
So einfach. So endgültig. Ich hätte dir von meinem Sohn erzählen können, der nun nie seine Mutter kennen lernen wird, hätte dich anflehen können, mich um seinetwillen zu verschonen, und du wärest dennoch stur geblieben. Wie hätte ich als Frau, geschweige denn als Mutter, und nicht einmal als eine gute Mutter, argumentieren können, wenn du mir sogar das Recht abstrittest mich Mensch zu nennen?
Oh, ich will nicht mehr lügen, kann nichts leugnen, wenig bestreiten. Der Morde, derer ihr mich anklagt, bekenne ich mich schuldig. Der Kälte, die ihr meinem Herzen vorwerft, nicht. Seid denn nicht auch ihr, ihr alle, die ihr mich hier richtet, in einer Schlinge, von Schmerz, Hass und Gerechtigkeitsstreben gewoben, bereit bis ans Äußerste zu gehen?
Ich verfing mich schon eher in dieser Schlinge, Olivier, du weißt das. Legtest du sie mir nicht selbst um den Hals, als du mich zum ersten Mal richtetest? Nicht als rächender Gott damals, sondern als Mensch.
Mit der Lilie brennt mir das Eisen die Wut ins Fleisch.
Du hast mich damals nichts gefragt und du fragst mich auch heute nicht. War nicht dein Edelmut im ganzen Berry bekannt? Ich habe gesehen, wie du einfachen Lakaien, die dich bestahlen, erst die Chance gabst, sich zu verteidigen, ehe du sie verdammtest. Oder begnadigtest. Deine eigene Frau aber hast du nicht einmal nach einem Warum gefragt. Dass du es nicht tatest, machte mich zur Kassandra, verdammt als Lügnerin zu gelten, welche Wahrheit auch immer ich aussprach.
Also schwieg ich.
„Irgendwann“ sagte einst Albin zu mir, „wenn unsere Namen nicht mehr an die Masken gebunden sind, die wir heute tragen, sollt Ihr unsere Geschichte erzählen, Anne.“
Die Maske konnte ich niemals ablegen, die Geschichte blieb unerzählt. Wenn ich jetzt zurück blicke, dann um Albins letzte Bitte zu erfüllen und wenigstens vor dem Richterstuhl meines eigenen Gewissens mein Geständnis abzulegen. Vielleicht auch, weil ich so nicht fürchten muss, meine Wahrheit wieder und wieder zur Lüge zur verzerren, wie ich es in der Vergangenheit so oft tat.
Vielleicht auch, um noch einmal zu lächeln.