Die Lilie von sarah
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 1 BewertungenKapitel Der Phönix
Der Phönix
Eigenartig, dass mir gerade jener Fluss zum Grab werden soll, der von dorther strömt, wo mein Verhängnis begann. Gehört auch das zu eurem Plan? Eingeholt von meiner Vergangenheit? Von ihr ertränkt, im wahrsten Sinne des Wortes? Du hast immer an Zeichen geglaubt, nicht wahr, Olivier?
Lille. Nie habe ich meine Heimatstadt sonderlich geliebt, wo die Menschen mir so träge vorkamen wie die Nebelschwaden, die sich sogar im Sommer ächzend durch die Gassen wälzten. Es stank nach Krankheit, Unrat und nach dem Abschaum bigotter spanischer Priester, von denen es in den zahllosen Klöstern und Kirchen der Stadt nur so zu wimmeln schien.
Ich war gerade einmal fünfzehn Jahre alt, ein „Engelskind mit Amazonenherz“ wie mich meine frühen Verehrer schwärmerisch zu nennen pflegten oder eine „zu früh gereifte Pflaume“ wie meine Freundin Amadora es auf ihre spöttisch-unverhüllte Art ausdrückte. Mein Vater, phantasielos und schlicht, hatte sich nie die Mühe gemacht, geistreiche Metaphern für seine Tochter zu erfinden; doch dass ihm weder Pflaume noch Engel geheuer waren, bewies wohl sein fester Vorsatz mich noch vor meinem sechzehnten Geburtstag unter die Haube zu bringen. Zweimal hatte er meine Hand bereits versprochen, beide Male hatten die flämischen Edelleute, die er mir bestimmt hatte, die Verlobung „auf eigenen Wunsch“ wieder gelöst. Dem ersten, einem hässlichen narbengesichtigen Hypokonder, war mein Engelsgesicht wohl plötzlich garnicht mehr so engelhaft erschienen, als es unerklärlicherweise über Nacht von einem roten Pustelteppich überzogen wurde, den meine gute Amadora, die mich am nächsten Morgen mit ernster Miene untersuchte, als eine überaus ansteckende Form von Heiratspusteln erkannte. Mein zweiter Verlobter, der dreimal so alt und bestimmt viermal so fromm war wie ich, ergriff entsetzt die Flucht, als er mich in meinem Zimmer die Psalmen Davids singen hörte, die mir beizubringen ich meine protestantische Amme zu diesem Zweck überredet hatte.
War es ein Verbrechen, dass ich mehr vom Leben erwartete, als mir diese beiden vertrockneten Karikaturen von flämischen Landadligen bieten konnten? War es Egoismus, der mich zu List und Lüge greifen ließ? Masken trugen wir alle und das „mit einer Selbstverständlichkeit, die sie unsichtbar macht“, wie Amadora zu sagen pflegte. Dass es gerade der Maskenball von Sept Fontaines war, der unsere Grimassen entzerrte und unsere Gesichter offenbarte, ist wohl eine weitere dieser eigenwilligen Ironien, die mich ein Leben lang begleiteten.
Seit mein Vater, Geoffroy de Bueil, der Seigneur von Sept Fontaines, erzherzöglicher Statthalter war, hielt sich die Familie öfter in unserem Liller Stadtpalais denn auf unserem alten Familienstammsitz auf. Doch für besondere Anlässe – und die Hochzeit des einzigen Sohnes des Seigneurs dürfte wohl als solcher gelten – kehrten wir stets nach Sept Fontaines zurück.
Schon seit den Tagen der burgundischen Herzöge, so behaupteten einige, habe sich das alte Château in keinem so festlichen Gewand mehr gezeigt wie an diesem diesigen Märztag, da mein Bruder Justin unsere Cousine zum Traualtar führte, die, unscheinbar, still, fromm und von einer faden ungereiften Schönheit, derart vom Pomp und Protz des Abends überstrahlt wurde, dass mir nicht einmal ihr Vorname einfallen will.
Mein Vater, der diesen „bacchantischen Irrsinn“ nur duldete, um den Vater der Braut nicht zu brüskieren, brachte dessen Tochter und einziges Kind doch als Mitgift eine Baronie in der Normandie mit in die Ehe, hatte sich nur zähneknirschend den kostspieligen Vorstellungen seines normannischen Schwagers von einem angemessenen Hochzeitsfest gebeugt. Denn nicht ganz zu Unrecht behaupteten einige lästerliche Zungen, dass mein Vater ein wenig hugenottischer war, als es sich für einen guten Katholiken geziemte – zumindest was seine an Geiz grenzende Sparsamkeit im Finanziellen betraf. Dass ich darum diesem Fest, das das erste in meinem Leben als Frau sein sollte, bereits Monate im Voraus entgegen gefiebert hatte, war wohl nur natürlich. Und ich sollte nicht enttäuscht werden.
Ein Festsouper, für das der Vater der Braut eigens einen jungen Koch aus Brüssel hatte anreisen lassen, hatte uns am Abend auf Sept Fontaines erwartet. Und nachdem Pasteten, Truthähne, Schnecken, Kapaune, Mandeltörtchen und Sahnespeisen verzehrt waren und selbst der standhafteste Gourmand bei seiner ganzen Ahnenreihe geschworen hätte, dass er keinen Bissen mehr vertilgen könne, begab sich die ganze bunt maskierte Hochzeitsgesellschaft in den Ballsaal.
In diesem Moment, da mich meine Füße über klammes Moos durch den dunklen kahlen Birkenhain von Armentières tragen, sehe ich wieder den Schein der zahlreichen Diamantenkronleuchter und Alabaterlampen, der sich dumpf auf dem blanken Marmorboden des Ballsaals von Sept Fontaines spiegelt, sehe die Tanzenden über funkelnde Farbozeane gleiten. Glühende Gesichter, singende Harfen, rauschende Gewänder, fliegende Mäntel, geschäftig umhereilende Lakaien und ein bunter Maskenwirrwarr verweben sich zu einer mystisch-verwegenen Symphonie. Ich glaube das Lachen der Trinkenden wieder aus den Weinbechern klingen zu hören und meine Sinne drehen sich mit den Pirouetten der Tanzenden.
Als unbeobachteten Beobachter sehe ich mich selbst zwischen den Gästen daher schlendern. Der Hauch eines Lächelns auf meinen Lippen, fast hochmütig, spöttisch, ungreifbar. Den „poetischen Blick“ nannte Amadora das. Nur meine linke Gesichtshälfte war von einer Maske verdeckt, mein rechtes Auge hatte ich schwarz umrändert wie die antiken Tragödiendarsteller, hatte aus ihm ein Gemälde gemacht, indem ich ihm einen Rahmen verschaffte. Heute sind meine Augen von einem unruhig-düsterem blaugrau wie das aufgewühlte Meer, damals aber müssen sie fast grün gewesen sein, „wie Saphire, wenn du liebtest, wie Gewitterwolken, wenn du hasstest“ behauptete Albin. Oh, ich wusste zu verwirren. Mein Blick sollte einladen, mein kühles Lächeln abstoßen. Bezaubern konnten sie alle, diese kleinen dummen Adelstöchter mit ihren hübschen Stupsnasen und ihren diamantenen Kolliers und goldenen Ohrringen, doch ihre Augen waren ohne Geheimnis und ihre blassen Gesichter nichts als perfekte Grimassen. Mit ihren Blicken stellten sie Fallen, in ihrer Verblendung aber liefen sie selbst hinein. Das Opfer in eine Zwickmühle zu treiben, gefangen zwischen Einladung und Ablehnung, das war der erste Grundsatz der Verführungskunst, die „jesuitische Methode“, wie Amadora sie zu nennen pflegte. Amadora, ja, meine gute schreckliche Amadora, die einzige Frau, die ich je bewundert, ja, die ich vergöttert habe.
Wie gewöhnlich zog Amadora Estella d‘Astarac, die florentinische Witwe eines gascognischen Grafen, auch an diesem Abend alle Blicke auf sich: Nicht dass es die aufwendige Kostümierung, die sie in eine Art sarazenische Amazone mit Gesichtsschleier und einem recht eindrucksvollen Krummsäbel an ihrer Seite verwandelt hatte, bedurft hätte, sie zum Goliath unter den gens d’esprit zu machen. Gerade erging sich ein „indischer Maharadscha“, der sich selbst einen Dichter schimpfte, in abstrusen Metaphern über die „korallenroten Lippenkissen“ seiner Ikone, während die „Geisha“ an seiner Seite ihren Lachkrampf mit mäßigem Erfolg in einem Taschentuch zu ersticken versuchte. Tatsächlich war es ein etwas gewagtes Unterfangen den üblichen Metaphernkatalog auf die gascognische Florentinerin anzuwenden, die mit ihrer schlacksig-maskulinen Gestalt, dem spitzen, vorspringenden Kinn, einer zynischen Falte in jedem Mundwinkel, den wild und offenbar willkürlich geschwungenen Augenbrauen, der hohen bleichen Denkerstirn und der höckrigen Nase nicht eben dem dichterischen Ideal entsprach. Doch als bekennende Egozentrikerin wusste die Gräfin wie kein anderer die Paradoxie des Lebens zu ihrem Vorteil zu nutzen: Ihre Hässlichkeit machte sie, indem sie sie, statt sie zu kaschieren, unterstrich, zum Gegenstand der Kunst, ihre Arroganz durch maßlose Übertreibung zum style de vivre und ihre Anfälligkeit für häretische Lehren wusste sie mit solch glühender Überzeugung in aller Öffentlichkeit auszuleben, dass niemand an ihrer Gottesfürchtigkeit zweifelte.
„Mia amica!“ rief Amadora aus, als sie mich erkannte (was selbst in der Menge und trotz meiner Maske kein Kunststück war, da mich meine weißblonden Locken verrieten) und nutzte die Gelegenheit, dem radebrechenden „Maharadscha“ die Fingerspitzen zu reichen, sie ihm wieder zu entreißen, als sie fürchten musste, dass er ihre ganze Hand verschlinge, und ihn daraufhin mit einer flüchtigen Geste abzukommandieren. „Ihr irrt durch diesen Saal wie Theseus durch das Labyrinth des Minos. Sagt, wonach haltet Ihr Ausschau, meine kleine Anne?“
„Vielleicht nach einer Freundin?“ lächelte ich, während ich mich von Amadora umarmen ließ.
„Cospetto! Solltet Ihr damit sagen wollen, dass meine Person so unauffällig wäre, dass Ihr sie bis jetzt übersehen konntet?“ empörte sich die Gräfin, die sich wie gewöhnlich selbst zum Gegenstand der Diskussion machte, indem er den Gedanken, ich könne mehr als eine Freundin besitzen, kategorisch ausschloss.
„Vergebt mir.“ Mit sanftem Spott musterte ich die exzentrische Florentinerin vom diamantendurchsetzten Schleier bis zu den kostbaren Seidenschuhen. „Doch Euer Aufzug zeugt wie immer von solch demütiger Schlichtheit, dass Ihr Euch während der Messe im Schatten der Heiligenskulpturen verloren haben müsst.“
„Ihr schmeichelt mir.“ erwiderte Amadora glatt. „Darf Euch der unscheinbare Schatten um das Privileg Eures Urteils bitten?“
„In welcher Sache?“
„Diese Dame hier“ (Hier winkte sie gebieterisch die junge „Geisha“ an ihre Seite), „beschuldigt mich der Geisterbeschwöung.“
„Der Geisterbeschwörung, Amadora?“
„Der Geisterbeschwörung, meine Anne!“
Unsere junge „Geisha“ errötete unter ihrer Schminke und verbarg rasch ihr Gesicht hinter einem Monstrum von Fächer.
„Madame, ich wollte wirklich niemanden...“ lispelte sie mit zarter Stimme von jenseits des Fächers.
„Madame de Cypierre nannte mich eine abergläubischen Nekromantin, da ich prophezeite, dass dieser Tag der Vermählung Eures Bruders unter einem schlechten Stern stehe und ein unabwendbares Unheil nach sich ziehen müsse.“
„Das habt Ihr prophezeit?“
„Bagatellen, Mademoiselle.“ ereiferte sich die junge Cypierre, „Madame d‘Astarac glaubt doch tatsächlich, dass der abnehmende Mond und die Konstellation von Uranus und Pluto etwas mit dem Geschick dieses Hauses zu tun haben könnten...“
„Hütet Euch davor, die Kunst des Nostradamus zu unterschätzen!“ warnte sie die Florentinerin und ihre wild geschwungenen Augenbrauen schossen in die Höhe und bildeten dunkle Ringe um ihre blitzenden italienischen Augen, „Denkt an den armen Henri II., der sein Leben auf einem Turnier aushauchte, genau wie es in den Centurien stand! Und denkt auch“, fügte sie hinzu, als sei die junge Cypierre bestens mit dieser Geschichte vertraut, „An die unglückliche Tochter der Witwe de Mombeton, der ich prophezeite, dass sie an Allerheiligen einen Heiratsantrag bekommen und am selben Tag ihre Mutter verlieren würde, wie es just an besagtem Tag geschah.“
„Ihr vergesst zu erwähnen“ erinnerte ich sie, „Dass Ihr dem armen Barbier, der dem Mädchen den Hof machte, selbst zu diesem Antrag anstiftetet und dass es um die Gesundheit der Witwe de Mombeton ohnehin nicht zum Besten stand, als jener Barbier bei ihr um die Hand ihrer Tochter anhielt und ihr nebenbei gestand, dass ihr wohlbehütetes Kind in anderen Umständen sei. Vielleicht wäre auch noch zu sagen, dass Ihr nicht gerade auf bestem Fuß standet mit der ‚unglückseligen Witwe‘, die Ihr verdächtigtet, ihren Mann, der Euer Schwager war, vergiftet zu haben.“
„Oh, wie scheußlich, wie schändlich von Euch, Madame.“ wisperte die junge „Geisha“ mit falscher Betroffenheit und schlug artig die Augen nieder, doch hinter dem ausladenden Fächer musterten neugierige Blicke die Gräfin d‘Astarac „Madame, Ihr hättet niemals den Wünschen Eures Gatten nachgeben und zu denen von der Religion gehen sollen.“ Fügte sie noch mit einem frommen Seufzen hinzu, als schließe der calvinstische Glaube das Bekenntnis zu sämtlichen Todsünden mit ein.
Wie jeder andere in diesem Saal wusste Madame de Cypierre (oder sie glaubte es zumindest zu wissen, waren doch die Gerüchte um Amadoras Person so zahlreich, dass sie die Nichtexistenz von Gewissheiten überdeckten, die Amadora aus guten Gründen für sich behielt), dass die Astaracs schon zu Henri Quatres Zeiten zum reformierten Glauben konvertiert waren. Armadora war jedoch nie eine so gute Hugenottin gewesen, dass sie es mit dem Verbot der Götzenanbetung so genau genommen hätte, wie ihre ausgesprochene Selbstverliebtheit bewies. Spöttische Zungen behaupteten gar, sie sei nur konvertiert, um die Zeit, die sie mit Beichten vertat, für „gewinnbringendere Zwecke“ nutzen zu können. Die Gräfin dachte nicht daran, derlei „geistreiche Vorwürfe“ zu dementieren, ergänzte jedoch, dass sie durchaus das „Gewinnbringende“ mit dem Barmherzigen zu verbinden wisse: Tatsächlich habe sie bereits als Kind mehr als einen Priester durch plastische und äußerst lebhafte Schilderungen ihrer Sündhaftigkeit derart in Versuchung gebracht, dass es ihn innerlich zerriss.
„Ihr habt recht, Madame, ich hätte meinem Mann nicht nachgeben sollen.“ erwiderte Amadora mit Büßerblick auf den Tadel der Jüngeren und hätte unsere kleine „Geisha“ auch nur einen Hauch von Menschenkenntnis besessen, so wäre ihr spätestens bei diesem Blick aufgegangen, dass die Falle hinter ihr zugeschnappt war. „Der Protestantismus ist auch nicht mehr, was er einmal war. In England verbrennt man lieber die katholischen Königinnen als die anglikanischen, die holländischen Generalstaaten haben sich ganz vom Katholizismus abgewandt und selbst hier, in den spanischen Niederlanden, scheint der Erzherzog nicht eben versessen darauf, seinem Schwiegervater, dem König von Spanien, in seinem katholischen Wahn nachzueifern. Vor ein paar Jahrzehnten noch hätte mich der Seigneur von Sept Fontaines nicht einmal in die Nähe seiner Windhunde gelassen, aus Angst ich könne sie mit meinem häretischen Gedankengut vergiften und heute stehe ich mit einem sarazenischen Krummsäbel an der Seite seiner Tochter, während der Seigneur unbefangen im Gespräch mit einem spanischen Papisten vertieft ist, der mich statt mit dem Blick eines Inquisitors mit dem eines angriffslustigen Don Juans verschlingt. Wo die Schlange zum Mungo und der Mungo zur Schlange wird, gibt es weder Schlange noch Mungo.“
Die Cypierre, die offensichtlich mit dieser eigenwilligen Analogie und Amadoras noch eigenwilligerer Logik rang, schwieg verwirrt, während ich nachdenklich an meiner Unterlippe nagte. Besagter „angriffslustige Don Juan“ war mir nicht unbekannt, und ich hätte damals fünf Jahre meines Lebens dafür geopfert, wenn Amadoras egozentrische Deutung seines Blickes der Wahrheit entsprochen hätte. Leider war ich überzeugt, dass seine Aufmerksamkeit weniger der Gräfin als mir galt, obgleich ich mich bemühte, nicht in seine Richtung zu sehen.
„Ihr kennt diesen Hidalgo, Anne?“ erkundigte sich die Gräfin d’Astarac und zog mich neugierig beiseite. Denn bei allem Narzissmus verlor sie doch niemals den Blick für ihre Mitmenschen, weshalb ihr meine Unruhe bei der Erwähnung ihres „Don Juans“ nicht entgangen war.
„Ihn kennen?“ Ich lachte affektiert, wie ich mir das Lachen der französischen Edeldamen vorstellte, „Schön wärs. Heiraten soll ich diesen galanten Truthahn, wen interessiert es, ob ich ihn kenne?“
„Ein galanter Truthahn!“ Begeistert klatschte Amadora in die Hände, „Grandios, meine kleine Anne, wirklich grandios. Cospetto, aus Euch wird noch eine Dichterin. Weiter, weiter. Was wisst Ihr über das Federvieh?“
„Ein schöner Mann, doch ohne jeden Geist, der die Nase so hoch trägt, dass ich wohl von Glück sprechen muss, dass ich hoch genug gewachsen bin, um von ihm nicht übersehen zu werden.“ fuhr ich angefeuert von Amadoras Lob nicht minder hochnäsig fort, bemüht mir den Anschein zu geben, dass ich mit meinen fünfzehn Jahren der Gräfin, die im Ruf stand, es in Sachen Liebesaffären und Skandale mit Catherine de Médicis und ihrer Tochter Margot gemeinsam aufnehmen zu können, in nichts nachstand. Die schwarzen Augen der Florentinerin blitzten ob dieser Anmaßung amüsiert, doch ihre Stimme blieb von respektvollem Ernst, als sie mich weiter drängte, „Ein neuer Bewerber also?“
„Oh, nicht doch!“ rief ich bitter und wagte nun doch aus halb gesengten Lidern einen Blick auf den Gegenstand meiner Verstimmung, „Ich nehme an, es ist unter der Würde eines Don Salvador de Rugera um die Hand der Tochter eines flämischen Statthalters anzuhalten. Vielmehr muss es mein Vater gewesen sein, der ihm meine Hand aufdrängte. Weiß der Himmel, was er ihm dafür geboten hat. Und wenn ich den Briefen dieses Schnösels glauben soll (die der Orthographie nach übrigens tatsächlich von einem Truthahn stammen könnten), dann werde ich als seine Gattin den Rest meines Lebens als Gefangene auf einem seiner kastilianischen Schlösser verbringen, während er seine Reichtümer in der Neuen Welt mehrt, um alle zehn Jahre einmal heimzukehren und seine Nachkommenschaft zu sichern. Das Traurigste aber,“ Und hier vergaß ich, dass ich meine weltmännische Freundin beeindrucken wollte, bereitete es mir doch genug Anstrengung, die Tränen der Wut zurück zu halten, die hinter meinen Augen brannten, „Das Traurigste aber ist, dass mir dieses Los noch immer erträglicher scheint, als die Alternative, die mir mein Vater bietet. ‚Ehe oder Kloster‘ lautet die Formel. Sollte ich auch diese Verlobung wieder zu lösen wissen, so will er mich den Nonnen von Templemars verpfänden.“
„Meine arme kleine Anne.“ Mit sanfter Gewalt löste Amadora meine zu Fäusten geballten Hände, in denen ich meine Hilflosigkeit verbarg, und nahm mich, nachdem sie mich so entwaffnet hatte und ich das Schluchzen nicht mehr zurück halten konnte, in die Arme. „Ihr tut schon Recht daran, die Ehe dem Kloster vorzuziehen. Die Verbindung mit einem Mann vermögen immerhin gewisse mehr oder minder unglückliche Fügungen zu lösen und wie Ihr ja selbst sagt, ist das Leben Eures spanischen Dons nicht eben ungefährlich. Was aber vermag eine Verbindung zu lösen, die wir einmal mit Gott eingegangen sind?“
Erschrocken ob dieser ketzerischer Worte fiel mir zum ersten Mal auf, dass mir die Witwe niemals erzählt hatte, wie Ihr Gemahl zu Tode gekommen war und einen Augenblick lang wagte ich zu bezweifeln, dass er eines natürlichen Todes gestorben war. Dann aber musste ich über Amadoras Bemerkung lachen und zufrieden klatschte sie noch einmal in die Hände.
„Ha, seht Ihr, jetzt blitzt es wieder in Euren hübschen Lagunenaugen. Eine List! Eine List lese ich in ihnen! Oh Anne, Ihr werdet doch nicht an diesem zähen Truthahn verzweifeln. Zeigt Eure Zähne, fahrt Eure Krallen aus, mia gatta!“
Lächelnd beugte ich mich zum Ohr meiner Freundin. „Meine Zähne hat das Hühnchen schon zu spüren bekommen.“ sagte ich mit gesenkter Stimme und nicht ohne Stolz und legte vielsagend meine Hand auf das goldene Kollier, das ich um den Hals trug. „Ein Geschenk, das mir Don Salvador schickte.“ erklärte ich in gewichtigem Flüsterton, „Mein Vater zwang mich dazu es anzunehmen und heute Abend zu tragen.“
„Ein wundervolles Schmuckstück. Doch wartet, hier scheint etwas zu fehlen. Dieses Kettensegment führt ins Leere... als sei ein Anhänger abgerissen worden.“
„Ganz recht.“ stimmte ich zu, „Dieses Kollier trug einen wundervollen kürbiskerngroßen Brillanten als Anhänger... Ein Diamant in Form eines Phönix, des Wappentiers der Rugeras.“
„Ha! Der Truthahn trägt den Phönix im Wappen? Götter, welche Vermessenheit! Und Ihr habt den Vogel fortfliegen lassen?“
„Zurück nach Spanien, woher er kam, ganz recht!“ erwiderte ich mit meinem bezauberndsten Lächeln.
„Das war dumm von Euch. Der entflogene Phönix rückt Euch den Klostermauern näher.“
„Mitnichten.“ sagte ich, „Mich an meinen Vater zu verraten und meine Ablehnung publik zu machen hieße für Rugera gleichzeitig seinem Stolz einen Abbruch zu tun.“
„Dann habt Ihr Euch Euren Gemahl schon vor der Hochzeitsnacht zum Feind gemacht, was mir auch nicht eben weitsichtig scheinen will.“
Betroffen ob dieser tadelnden Worte von Seiten der Freundin, deren Absolution, ja, deren Lob ich mir erhofft hatte, schwieg ich, meine Enttäuschung in Trotz kleidend.
„Nun, was hättet Ihr getan, Madame la comtesse?“ gab ich kühl zurück, „Belehrt mich und ich will ganz Eure Schülerin... “
„Ha, still, mia amica!“ schnitt mir die Florentinerin mit gesenkter Stimme das Wort ab, „Der Feind scheint Lunte gerochen zu haben und hat sich in Marsch gesetzt.“
Beunruhigt warf ich einen Blick in Richtung der kleinen Gruppe, die sich um meinen Vater und die Brauteltern geschart hatte und aus der sich nun tatsächlich mein Bräutigam in „spes“ löste, um, die Brust herausgestreckt, die Hand auf dem Degengriff, das Kinn gereckt und die Zehenspitzen nach außen gerichtet, auf uns zu stolziert zu kommen.
„Heiliger Truthahn, was für ein Mann!“ murmelte Amadora. Tatsächlich ließ die äußerliche Erscheinung des Spaniers nun, da er die Maske abgenommen hatte, auch mich, die ich ihn nur aus einem einzigen spärlichen Brief kannte, nicht unberührt. Eigenartig, wie die Geschichte eines Menschen unsere Erinnerung an seine Gestalt verzerren kann. Wenn ich mir nun versuche Don Salvadors Bild ins Gedächtnis zu rufen, so ragt vor mir finster und dunkel die Gestalt eines rachesüchtigen Titans auf, dessen Züge ihrer Maske beraubt mir entstellt von brutalem Triumph erscheinen. Wie sah er aus, bevor er für mich zum Tyrann wurde? Ein vollendeter Edelmann mit kantigem ausdrucksstarkem Kinn, einnehmenden nussbrauen Augen, der schönen bronzenen Haut der Südländer? Ein Adonis in toskanischer Seide?
Nicht dass sein Auftritt etwas an seiner Abneigung gegen ihn änderte. Nein, dazu war er doch zu sehr der Truthahn, den ich in ihm sehen wollte, und wenn er sich mit noch so prächtigen Phönixfedern schmückte.
„Soll ich ihn Euch vom Leibe halten?“ riss mich Amadora schließlich aus meiner Kontemplation und es klang nicht so, als koste sie dieses Angebot allzu viel Überwindung. Sie wartete dann auch garnicht meine Antwort ab, sondern holte sogleich zum ersten Schlag aus, indem sie dem Spanier sprichwörtlich entgegen flog.
„God blind me!“ donnerte die Florentinerin mit einer Stimme, die den Posaunen vor Jericho in nichts nachstand, was auch den gewünschten Effekt erzielte und den überrannten Spanier vor Verblüffung erbeben ließ, „Was seid Ihr doch für ein Prachtbursche!“ (Spätestens an diesem Punkt gab es kein Augenpaar mehr im Saal, das nicht auf dieses groteske Paar gerichtet gewesen wäre.)
„Ihr sprecht Englisch, Madame?“ erkundigte sich Don Salvador abwesend und drückte der Gräfin einen mechanischen Kuss auf die dargebotene Hand, während seine Blicke nach mir suchten, die ich von einigen Neugierigen verdeckt worden war.
„Keine Silbe!“ strahlte Amadora.
„Ich glaubte sogar drei Silben aus eurem Mund gehört zu haben.“ murmelte der Spanier, der inzwischen meinen blonden Haarschopf in der Menge ausgemacht hatte.
„Dann wird Euer Anblick sie mir eingegeben haben.“ mutmaßte Amadora lebhaft. „Findet Ihr nicht auch, dass ein Fluch in der eigenen Sprache stets etwas Ordinäres hat, wogegen einem fremdsprachigen Fluch beinahe etwas Enigmatisches anhaftet?“ sinnierte sie, wartete aber gar keine Erwiderung ab, sondern ging nahtlos zum Frontalangriff über, indem sie den Spanier um einen Tanz bat. Was Don Salvador schwerlich ablehnen konnte, zumal die ganze Hochzeitsgesellschaft ihm zusah. So musste er sich damit begnügen, mir einen düsteren Blick zuzuwerfen, vermutete er doch ganz richtig, dass er diese Schlacht zu großen Teilen seiner zukünftigen Braut zu verdanken hatte. Zähneknirchend führte er darum die Florentinerin zum Tanzplatz, nachdem Amadora ihren sarazenischen Krummsäbel, der ihr wohl zum Tanzen ein wenig unbequem anmutete, mit schwungvoller Geste haarscharf am hübschen Gesicht ihres Opfers vorbeigeschwungen und dem Nächststehenden zur Aufbewahrung überreicht hatte.
Mit dem Tanz, der auf diese Kriegserklärung folgte, lieferten sich die Florentinerin und der Kastellane ein köstliches Duell, doch von Heiterkeit konnte bei dieser „Gaillarde“ allenfalls beim Publikum die Rede sein. Die Tanzenden überließen ihnen weitgehend das Feld, oder wahrten doch zumindest einen gebührenden Abstand zu den beiden zündigen Südländern, denn Amadoras Pirouetten glichen tosenden Windhosen und Don Salvador erweckte den Anschein, als wolle er, im Bestreben seine Rolle als Führer der Dame zu behaupten, dieselbe als eine Art Schleuder gegen jeden verwenden, der ihm zu nahe kam. Dabei fand er jedoch immer noch die Zeit mir dann und wann vernichtende, ja, hasserfüllte Blicke zuzuwerfen, einmal glaubte ich gar einen Gegenstand in seiner Hand aufblitzen zu sehen, den ich für einen diamantenen Vogel hielt; eine Geste, mit der er mir offenbar zu verstehen geben wollte, dass er unser lästerliches Gespräch belauscht oder zumindest erahnt hatte.
Wer war es, der behauptete, der wahre Geist der Südländer zeige sich erst beim Tanzen? Nun, auf Don Salvador Rugera passte diese Wahrheit jedenfalls wie die Faust aufs Auge, denn während seines schnittigen Duells mit der Gräfin d’Astarac machte sein Gesicht eine eigenartige Wandlung durch. Stück für Stück bröckelte die Maske des Edelmuts von seinem Gesicht, die Stolz und Konventionen ihm zu tragen befahlen, um einer Grimasse von brutaler Zielstrebigkeit und blindem Fanatismus zu weichem. Dieser Mann wollte mich besitzen, nicht weil er mich liebte, noch nicht einmal deshalb, weil er mich begehrte, nein, er wollte mich besitzen, weil er sich im Recht glaubte. Diese Erkenntnis erregte mich, ließ mich Vater und seine Klosterdrohung vergessen, und in meinem Zorn auf Don Salvadors Anmaßung den gleichen Fehler begehen, den ich dem Spanier vorwarf: Wenn auch meine Maske höflicher Kälte dem Feuer in meinem Innern standhielt, so war auch mir in meiner Verbohrtheit jetzt jedes Mittel recht für mein Ziel die Glut in dieser hübschen Bestie zu schüren, auf dass er an ihr ersticke.
Und ich musste nicht lange überlegen, wie ich das anzustellen hatte.
Schon früher am Abend war mir ein junger Gast in schwarzer Gewandung aufgefallen, der unter der Maske des Harlekins seine Augen nicht von mir zu lassen können schien. Über das Gespräch mit Amadora hatte ich ihn völlig vergessen, wenn ich ihm denn überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt meine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, war er doch nichts weiter als ein Glied einer Reihe von Verehrern, die mir zu dieser Zeit den Hof zu machen versuchten. Eine Zeitlang hatte ich Gefallen an ihrem Liebesgetänzel gefunden, doch im Bestreben meiner florentnisch-gascognischen Gräfin nachzueifern, die ihre Geliebten äußerst sorgfältig auswählte, hatte ich mir schnell eine überheblich-spöttische Maske zugelegt, die ich als Reaktion auf verliebte Blicke und blumig-verderbte Reden aufzusetzen pflegte.
Wahrscheinlich schrieb ich es jener Maske zu, dass mein Harlekin, nun, da ich mit mystisch-verklärtem Bocaccio-Lächeln auf ihn zutrat, zunächst entgeistert vor mir zurück wich, als sei ihm der Teufel persönlich erschienen. Wie hätte ich auch wissen sollen, was tatsächlich hinter seiner Verblüffung steckte? Wie hätte ich wissen sollen, dass er diese Begegnung ebenso ersehnt wie gefürchtet hatte? Oh, wie Recht er hatte mich zu fürchten! Wie Recht er hatte sich selbst zu fürchten!
„Auch Ihr weicht vor mir zurück, Monsieur?“ fragte ich mit gespielter Wehmut, „Ach, ich Unglückliche, ich kleines Licht in diesem Meer von strahlenden Schönheiten, das zusehen muss, wie das Leben an ihm vorbei tanzt, während niemand es an diesem Weltentanz teilhaben lassen will.“
Das war wohl das Verlogenste und Verheuchelste, was ich bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben von mir gegeben hatte. Doch wenn er meine Farce durchschaute, so ließ Monsieur l’Arlequin sich nichts anmerken. Mit einem gehauchten Handkuss versank er in eine tiefe Reverenz. „Mademoiselle de Bueil“ flüsterte er dabei mit einer Stimme, die mir in ihrer Tonlosigkeit eigenartig vertraut vorkam, „Vergebt mir meine Verwirrung, Mademoiselle, oder nehmt sie als Beweis dafür, dass Ihr Eurer Schönheit unrecht tut, da sie mich doch derart blendete, dass ich vor Eurem ‚kleinen Licht‘ zurückschreckte.“
So dauerte es also keine Minute, bis ich meinen Köder mit triumphierenden Blick aufs Schlachtfeld, sprich zur Tanzfläche, geschleift hatte, wo Don Salvador zu meinem Entzücken auch gleich derart aus dem Takt geriet, dass er der armen Amadora so heftig auf den Fuß trat, dass sie aufstöhnte. Mit bebenden Fäusten und fliegenden Nüstern tanzte sich der verschmähte Heiratsbewerber, seine lädierte Tanzpartnerin mit sich reißend, näher an uns heran, während ich mich bemühte, vor meinen Harlekin jenes diabolische Lächeln zu verbergen, dass mir auf den Lippen brannte.
„Ihr tanzt wirklich ausgesprochen schlecht, Monsieur!“ lächelte ich gut gelaunt, nachdem er mir zum dritten Mal in die Knie gefallen war.
„Pardon, Mademoiselle“ erwiderte der Harlekin in seinem eigenartig beunruhigenden Flüsterton, „Ich fürchte, ich bin nicht sehr geübt in dieser Disziplin.“
Von Neugier getrieben, betrachtete ich mein Opfer genauer. So bleich und farbleer wie seine Worte waren auch die Haare meines Harlekins, die er im Nacken zu einem Zopf gebunden trug. Scharfe Wangenknochen warfen unterhalb der Maske dunkle Schatten auf sein asketisch ausgezehrtes Gesicht, das die Farbe von altem verblichenem Papier hatte, und selbst die Augen hinter den Maskenschlitzen schienen mir ungewöhnlich hell und gläsern wie die Augen eines Blinden. Wenn ich sage, dass deine schwarzen Augen, Olivier, alles Licht absorbieren, so waren die seinen wohl das Gegenteil, denn sie spiegelten alles, was sie erfassten. Der Effekt war ein ähnlicher: In deinen Blicken finde ich nur die Dunkelheit, die seinen spiegelten nichts als ein Zerrbild meines eigenen Gesichts.
Das Eigenartigste an meinem Harlekin aber war der Duft, der ihn umgab, ungreifbar auch dieses Parfum, so als hätten sich die verschiedensten Duftfacetten zu einem Ensemble vereinigt, das ihre Einzelidentifikation unmöglich machte. War es dieser Duft, der in mir Erinnerungen wachrief, die ich nicht einzuordnen wusste?
„Monsieur, etwas in Eurem Wesen verwirrt mich.“ flüsterte ich meinem stummen Tanzpartner ins Ohr, während ich unter halb gesenkten Lidern zu Don Salvador schielte, dessen Gesichtsfarbe jeden Maler auf der Suche nach neuen originellen Gelbtönen entzückt hätte, „Warum habe ich das Gefühl Euch zu kennen?“
„Mademoiselle de Bueil...“ begann mein Harlekin, verstummte jedoch verdattert, als ich noch näher an ihn heranrückte und seine kühle schmale Hand an meine leicht geöffneten Lippen hielt, um sie von dort sanft über Kinn und Hals an das goldene Kollier heran zu führen, wo sie bedeutungsschwer liegen blieb. (Don Salvadores Teint war inzwischen bedenklich ins Grünliche übergegangen.) „Wisst Ihr nicht, dass es sich nicht schickt, den Namen einer Dame zu kennen, ehe man sich Ihr nicht selbst vorgestellt hat?“ schnurrte ich kokett, während ich nun meine Hand an sein Gesicht führte mit dem Bestreben, ihm mit einer sanften Geste die Maske vom Gesicht zu nehmen.
Mein Harlekin wehrte sich nicht. Er war mitten auf der Tanzfläche stehen geblieben und ich fühlte, wie für ihn die Zeit den Atem anhielt.
Offensichtlich war ich an die Grenze dessen gestoßen, was ein spanischer Edelmann ertragen konnte, doch nie hätte ich mit dem gerechnet, was nun kam. Zunächst spürte ich nur ein heftiges Kopfdröhnen, als der Spanier, der auf den unglücklichen Harlekin zupreschte, mich in seiner blinden Wut gleich mit überrannte. Der Schreck muss mir sekundenlang die Besinnung geraubt haben, denn das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mit Herzflattern und Kopfschmerzen in den Armen der guten Amadora erwachte, eingekeilt vom Dickicht der dumpf glotzenden Gesichter der Schaulustigen, die sich um uns und den spanischen Don scharten, der uns gegenüber am Boden kniete und meinen armen Harlekin an seiner Seite mit einem Dolch in Schach hielt, während er mit der anderen triumphierend einen glitzernden Stein in die Höhe hielt: Es war der kleine Phönix-Brillant, den ich ihm zurück in seine Heimat geschickt hatte.
„Verzeiht die Aufregung, Mademoiselle!“ geiferte er und seine dunklen Augen schleuderten Blitze, „Doch dieser schändliche Dieb muss Euch bei dem Versuch zu fliehen einen Kopfschlag verpasst haben, den ich nicht abzufangen vermochte.“
„Dieb?“ murmelte ich verwirrt, während ich versuchte mich in Amadoras Armen aufzurichten. „Was ist...?“
„Ich nehme an, dieser Anhänger gehört Euch, Mademoiselle? Ein hübsches Steinchen, nicht wahr? Glücklicherweise bemerkte ich gerade noch rechtzeitig, wie dieser Halunke hier (Und dabei versetzte er dem am Boden Liegenden einen Fußtritt) seine Hand auf Euer Kollier legte und Euch das Schmuckstück vom Halse zu reißen, um zu verhindern, dass er sich damit aus dem Staub machen konnte.“
Schnapp, hörte ich die Falle hinter mir zuschlagen und die bleiche Wut trieb alle Farbe aus meinen Wangen.
„Lügner.“ sagte ich sehr leise, doch in eine Stille hinein, die selbst den Atem anzuhalten schien. Die Musiker hatten zu spielen aufgehört und alle Gespräche waren verstummt. Vergeblich versuchte die Gräfin d’Astarac mich zum Schweigen zu bringen, denn ich sah weder sie noch den unschuldig des Diebstahls bezichtigten Harlekins. Alles was ich sah, war die vernichtende Niederlage, die der fanatische Heiratsbezwinger mir mit diesem Coup bereitet hatte. „Elender Schwindler, der Phönix war den ganzen Abend in Eurem Besitz.“
Ein verschlagenes Lächeln spielte um die Mundwinkel des Spaniers. Auf diese Bemerkung hatte er nur gewartet, konnte er doch nun den ganzen Saal wissen lassen, dass er mir Geschenke schickte, ja, dass er mich in seiner Hand hielt.
„Ihr betrübt mich, Mademoiselle,“ sagte er genüsslich jedes einzelne Wort auskostend, „doch ich will diese Bemerkung Eurem Schock zuschreiben. Gewiss wollt Ihr mich nicht beschuldigen, Euch erst ein so kostbares Geschenk zu machen, um es Euch dann auf solche Art und Weise zu rauben und noch dazu einen Unschuldigen des Verbrechens zu bezichtigen. Oh, bittet mich nicht um Vergebung, ich will Euch nichts nachtragen.“
Natürlich wusste Don Salvador, dass ich mir eher Amadoras Krummsäbel in die Brust gerammt hätte, als ihn um Vergebung zu beten, selbst wenn diese gerechtfertigt gewesen wäre. Doch er wusste auch, dass jedes Wort, das er sprach, wie ein eisiger Dolch in meine Brust drang.
„Was ist hier geschehen?“ riss die herrische Stimme meines Vaters das Gespräch an sich, noch ehe er sich seinen Weg durch die Masse der Schaulustigen gebahnt hatte, die er vor sich herschob wie Moses die Wellen des Roten Meers.
Don Salvador, der sich, seinen Gefangenen mitziehend, erhob, blieb stumm und alle Augen waren auf mich gerichtet.
Ich saß in der Zwickmühle. Sagte ich die Wahrheit, so kam ich nicht umhin zu gestehen, das Geschenk des Spaniers geschmäht zu haben, den mein Vater mir zum Gemahl bestimmt hatte, was mich unweigerlich „dem Kloster näher rücken“ würde, ganz abgesehen von der Frage, ob mein Vater nicht Rugeras Version viel eher geneigt wäre zu glauben. Hielt ich mich jedoch an dessen Lüge, so besiedelte das nicht nur meine endgültige Niederlage und die Fügung in mein Schicksal, sondern bürdete mir auch noch die Last des Gewissens auf, einen Unschuldigen ins Gefängnis getrieben zu haben. Hilfesuchend wandte ich mich mit dem Blick an meine ältere Freundin, doch auch in Amadoras Augen fand ich keinen Hinweis darauf, was ich tun sollte, sondern nur ein stummes Seufzen. ‚Habe ich Euch nicht prophezeit, dass dieser Abend im Desaster enden würde?‘
„Monsieur, ich möchte gestehen.“ durchbrach plötzlich eine leise, tonlose Stimme die Stille. Einen Moment lang verharrte die Hand des Harlekins auf seiner Maske, bevor er sie sich mit einem Ruck vom Gesicht zog. Einen Raunen ging durch die Menge, als dieser junge bleiche Mann mit den gespenstischen Augen ungeachtet des spanischen Dolches an seiner Kehle vor dem Seigneur von Sept Fontaines auf die Knie fiel, wie um sich seinem Urteil auszuliefern.
„Mein Name ist Albin Serpenton.“ Der Name war den meisten bekannt, doch nur wenige hatten je das Gesicht des „Hexers von Lille“ gesehen. Mein Vater aber erbleichte, als er in die Augen des Fremden blickte, der ihm garnicht so fremd zu sein schien. „Ich besitze eine kleine Parfumerie in der Nähe der Kirche Saint-André. Niemand hat mich zu diesem Fest eingeladen, vielmehr half mir eine List mich in meiner Verkleidung einer Gruppe von geladenen Gästen anzuschließen und so in das Château eingelassen zu werden, wo ich meine Situation auf das Schändlichste ausnutzte, indem ich den Versuch unternahm Eure Tochter zu bestehlen, was dieser Herr hier zu verhindern wusste. So liefere ich mich Euren Händen aus, Monsieur. Bestraft mich, wie Ihr es für angemessen erachtet.“
Mein Vater starrte schnurrbartkauend, wie es in angespannten Situationen seiner Gewohnheit entsprach, auf den jungen Mann zu seinen Füßen herab. Eine steile Falte hatte sich zwischen seinen buschigen Augenbrauen gebildet und später kam mir der Gedanke, dass er diesem ‚Geständnis‘ kaum mehr Glauben schenkte, als ich. Im Augenblick jedoch hörte ich kaum, wie der Seigneur Don Salvador bat, Albins Worte zu bestätigen und wie er irgendwem befahl, den Diamantendieb im Schloss festzuhalten, bis man ihm am nächsten Tag dem Kriminalleutnant übergeben wollte.
Ich weiß nicht genau, woran ich in diesen wenigen Augenblicken dachte, bevor man Albin abführte und unsere Blicke sich trafen. Doch ich muss wie gelähmt gewesen sein. DAS ging über meinen fünfzehnjährigen Verstand. Ich konnte verstehen, dass Frauen ihre Männer vergifteten, um ihre Freiheit wieder zu erlangen, ich konnte begreifen, dass Menschen Intrigen schmiedeten, um andere an sich zu binden. Doch weshalb jemand, um einen anderen, den er doch kaum kannte, zu schützen, seine eigene Freiheit in die Schanze warf war mir unbegreiflich. Wahrscheinlich suchte ich in Albins Gesicht nach Antworten. Doch seine Spiegelaugen warfen mir nur die Schatten meiner eigenen Fragen zurück.
Plötzlich verspürte ich den brennenden Wunsch mich in seine Arme zu werfen und laut aufzuschluchzen. Ich tat es nicht. Steif und tränenlos wie eine Statue aus Stein sah ich zu, wie zwei Diener ihn fortführten.
Wahrscheinlich hätte ich noch am nächsten Tag so dort gesessen, wenn nicht irgendwann Don Salvador Rugera, dessen Gesicht plötzlich von so grausamer Liebenswürdigkeit strotzte, dass es mich zum Würgen brachte, mir seine Hand dargeboten hätte und mich vor versammelter Hochzeitsgesellschaft aufgefordert hätte, meinem Fast-Verlobten einen ersten Tanz zu gewähren.
Immerhin schürte der Anblick seiner Grimasse gerade rechtzeitig noch einmal die Glut in mir, um meinen noch nicht ganz erstarrten Zorn auflodern zu lassen. Eine letzte Trumpfkarte blieb mir noch. Und wenn ich mich selbst verdammte, der Sieger in dieser Schlacht würde nicht Don Salvador Rugera heißen!
Also ignorierte ich die mir dargebotene Hand und erhob mich mit der kalten Miene einer besiegten Niobé. Wortlos, die Augen auf meinen Feind gerichtet, riss ich mir das unglückselige Kollier vom Hals, um es dem pedantischen Narziss vor die Füße zu werfen. Mitten auf der Tanzfläche und vor aller Augen ließ ich ihn so meine Entscheidung wissen: Lieber wollte ich bis zum Ende meiner Tage hinter den Mauern eines Klosters vor mich hin welken als im goldenen Käfig des Phönix!