„Ein Wolf im Palais Cardinal?“ von Armand-Jean-du-Plessis

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Kapitel „Ein Wolf im Palais Cardinal?“

„Ein Wolf im Palais Cardinal?“, „Monsieur Rochefort seid Ihr völlig von Sinnen?“. Der Gesichtsausdruck Seiner Eminenz Kardinal Richelieu, des Ersten Ministers von Frankreich, war schwer zu deuten. Man hätte die Miene als steinern bezeichnen können. Selbst in der Stimme konnte Rochefort diesmal nicht erkennen, was der Kardinal wirklich aussagen wollte. „Nun eigentlich nicht wirklich, Eure Eminenz“, war dann die kurze Erwiderung des Grafen.

 

„Nicht wirklich völlig bei Sinnen, hmm… das ist ein zumindest ein Anfang!“ Da waren sie wieder, die beißende Ironie und der Spott in der Stimme Richelieus. Aber damit konnte Rochefort umgehen. Bei Hofe brachte diese Ironie, die auch manchmal in Sarkasmus umschlug, die Höflinge zur Verzweiflung, aber der Graf von Rochefort war dies längst gewohnt und damit konnte er umgehen. Er war selbst im Laufe der Jahre zu einer Art Meister der Ironie geworden. „Nun ein wenig von Sinnen vielleicht, da ich immer noch für Eure Eminenz arbeite, aber in diesem Fall geht es darum, dass Luna nur ein halber Wolf ist.“

 

„Luna heißt sie also oder Selene auf Griechisch – die Strahlende, seid Ihr Euch sicher, dass dies ein passender Name ist? In der Stimme des Kardinals war nun etwas weniger Schärfe. Bei der Erwähnung des Wortes „Luna“ lugten zwei riesige, fast fledermausartige Ohren hinter dem bordeauxroten Canapé des Kardinals hervor. Dann raste ein Fellbündel auf Richelieu zu und mit einem riesigen Satz landete der Welpe im Schoß der Kardinals und wollte sich gerade in die Rüschenärmel des Ersten Ministers verbeißen. Doch mit einer Schnelligkeit, die man Richelieu nicht zugetraut hätte, zog er seine Hand weg und mit einer weiteren blitzschnellen Bewegung bugsierte er Luna auf den Schoß des neben ihm sitzenden Grafen von Rochefort. Dort angekommen biss diese herzhaft in den Lederkoller des Stallmeisters. „Nein!“ befahl Rochefort mit kräftiger Stimme, nahm das Tier vom Schoss und setzte es auf den teuren, orientalischen Teppich des Kardinals. Es folgte ein wütendes, dann fast weinerliches Winseln des kleinen Halbwolfes. Wie konnten die beiden nur eine Aufforderung zum Spielen ablehnen, und man hatte sie ja auch gerufen – wie ungerecht!

 

„Jetzt erklärt mir, wie Ihr an das kleine Ungeheuer gekommen seid und warum ich auch nur im Entferntesten daran denken sollte zu gestatten, dass so eine kleine Bestie im Palais Cardinal bleiben darf! Und sehr umsichtig von Euch einen Lederkoller zu tragen!“ Die Worte waren streng, aber Rochefort sah für einen kurzen Moment ein amüsiertes Aufblitzen in den Augen des Kardinals. Der Graf war immer schon ein ausgezeichneter Menschenkenner gewesen, eine Eigenschaft die ihm bei seiner eigentlichen Beschäftigung als Leiter des Geheimdienstes Seiner Eminenz mehr als einmal das Leben gerettet hatte. „Fast gewonnen“, dachte er bei sich, aber hütete sich auch nur eine Miene zu verziehen. Richelieu würde es sofort bemerken und damit war jeder noch so kleine Vorteil verspielt.

 

„Nun, Eure Eminenz wissen, dass ich gerade von einer Inspektion meiner Güter zurück bin. Im Zuge dieser Reise habe ich einen alten Freund der Familie wieder getroffen, einen Nachbarn, den Vicomte de Chizey. Er gilt, nun, als etwas verschroben. Er hat sich seit dem frühen Tod seiner Gattin völlig aus der Gesellschaft zurückgezogen und lebt nur für die Erforschung der Wildtiere. Er hat riesige Flächen mit Zäunen umgrenzt und studiert das Leben der Wölfe, Bären, Luchse und anderer Wildtiere. Er hat auch mehrere Bücher geschrieben, sie aber nie veröffentlicht. Seinen Pächtern und Bauern ersetzt er jeden Schaden, den die Raubtiere verursachen und jede Art von Jagd ist auf seinem Gebiet strengstens verboten. Wölfe haben es ihm besonders angetan und er studiert auch die Unterschiede im Verhalten dieser Tiere im Vergleich zu seinen Hunden. Im Normalfall sind Wölfe sehr scheue Tiere und kommen mit Hunden nicht in Berührung, aber vor ein paar Monaten hatte sich eine Wölfin verletzt und wurde vom Rudel verstoßen. Der Vicomte hat sie wochenlang gepflegt und wohl eine Läufigkeit zu spät bemerkt. Tja und jetzt gibt es ein paar Halbwölfe….

 

Dieser de Chizey war mir auf Anhieb sympathisch, obwohl ich ihn nur aus Erzählungen meines Vaters kannte. Ich bin zwei Tage länger geblieben als ich ursprünglich wollte und mit dem Vicomte durch sein Revier geritten und habe stundenlang in den Verstecken ausgeharrt, die extra errichtet wurden um die Wildtiere möglichst ungestört beobachten zu können. Ich muss zugeben, ich war wohl in den letzten zehn Jahren nicht so entspannt wie in diesen drei Tagen. Ich habe dem Vizegrafen auch davon erzählt, wie traurig ich gewesen bin, als Robyn, mein Irischer Wolfshund, letztes Frühjahr friedlich eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht ist.“ Für einen ganz kurzen Augenblick stockte der Redefluss von Rochefort und unwillkürlich begann er Luna zu streicheln, die jetzt friedlich zu Rocheforts Füßen lag, doch dann setzte er fort. Kardinal Richelieu bemerkte dies sogleich und sein Blick wurde ein wenig nachdenklich.

 

„Ich konnte natürlich nicht länger bleiben, die Berichte aus Paris waren sehr deutlich. Beim Abschied hielt mir der Vicomte de Chizey einen Welpen vor die Nase: Die ist für Euch, keine Widerworte, ich erkenne, wenn eine Tierseele zu einer Menschenseele passt. Sie ist die Aufmerksamste vom ganzen Rudel, ihr entgeht nichts in ihrer Umgebung. Da, nehmt, mit acht Wochen können sie von der Mutter weg und ich kann nicht auch noch anfangen Wolfshybriden zu züchten.

 

Zuerst wollte ich trotzdem ablehnen, aber nun sitze ich hier, Monseigneur, und streichle meine kleine Luna. Ich, die „wandelnde Klinge des Kardinals“, werde sentimental bei einem Welpen!“ Bei den letzten Worten war Rochefort etwas lauter geworden und Luna spitzte die Ohren und versuchte herauszufinden wie denn wohl Grafenfinger schmeckten, wenn man an ihnen zu kauen begann.

 

Kardinal Richelieu musterte seinen Geheimdienstchef erneut. „Mein guter Rochefort, die Liebe ist das größte Geschenk, das Gott uns in seine Güte hat zukommen lassen. Ohne sie würden wir vor Verzweiflung in den schwärzesten aller Abgründe fallen. Und die Liebe ist so vielfältig wie die Schöpfung selbst. Auch die Zuneigung zu den uns Menschen anvertrauten Tieren erhellt unsere Seele ein wenig und Ihr wisst, dass Menschen wie Ihr und ich jeden hellen Punkt auf unserer Seele sehr gut gebrauchen können. Daher behaltet Eure Luna und sie kann in Eurer Abwesenheit auch im Palais bleiben, für alle Schäden, die sie verursacht, kommt Ihr natürlich auf, so wie das der Vicomte ja auch tut und eines noch: Wenn sie beginnt ernsthaft meine Katzen zu jagen, dann habt Ihr ein ernsthaftes Problem!

 

So, aber jetzt zu etwas weitaus Unerfreulicherem. Der königliche Bruder Gaston ist wieder aktiv…“