Herz und Seele Frankreichs von RoostersCromedCDF

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Kapitel Kapitel 7

Treville stand am Fenster und wartete auf ein Signal, von dem er hoffte, dass er es bekommen würde.

Nachdem Athos, Porthos und D‘Artagnan am frühen Nachmittag am Boden zerstört zu ihm zurückgekehrt waren und er sich ein Bild von dem ganzen Debakel hatte machen können, hatte er sich bemüht, der ruhende Pol in dem aufgewühlten Chaos zu sein. Natürlich hatte Pothos versucht, sofort wieder loszustürmen, um Aramis zu befreien und D‘Artagnan wäre kopflos hinter, während Athos sich wie ein Terrier in dem Gedanken festgebissen hatte, dass sie verraten worden waren. Um die Wahrheit zu sagen, Treville war sich nicht sicher gewesen, ob er seine Männer davor bewahren könnte, eine riesengroße Dummheit zu begehen. Ihm war klar gewesen, dass Bedachtsamkeit sie weiter bringen würde, als die ungestüme Risikobereitschaft, die sie aus völlig verständlichen Gründen an den Tag gelegt hatten. Der Anruf vom „Kardinal“, die graue Eminenz, die hinter der gesamten Organisationsstruktur der Résistance stand und das Verbindungsglied zur Exilregierung de Gaulles war, war ihm da sehr gelegen gekommen. Der Befehl, sich unverzüglich mit ihm zu treffen, hatte ihm die nötige Zeit verschafft, die er nun dringend brauchte. Er hatte also dem Trio befohlen, sich von Lemay ihre Wunden versorgen und Athos Stein auf Bein schwören lassen, dass er verhindern würde, dass Porthos und D‘Artagnan auf eigene Faust handeln würden. Er selbst hatte die letzten sechs Stunden damit verbracht, sich an einem geheimen Ort mit Verbindungsoffizieren der Alliierten zu beraten, wie sie im Bezug auf die Befreiung von Paris weiter vorgehen sollten.

Treville, immer noch am Fenster stehend, seufzte und massierte geistesabwesend seine Stirn, um das Kopfweh, das ihn seit dem Nachmittag begleitete, ein wenig zu lindern. Er liebte sein Land, aber er hasste es, die Zukunft dieses Landes jeden Tag aufs Neue aufs Spiel zu setzen. Die schwere Verantwortung, die er für diese jungen Menschen trug, war eine Bürde, die er mehr als bereitwillig auf sich genommen hatte, als die „Musketiere“ mit ihm als Kommandeur gegründet worden waren. Menschen wie Athos, Porthos, Aramis oder D‘Artagnan, die bereit waren, sich mutig gegen Besatzung und Unterdrückung zu stellen und die niemals aufhören würden, bis entweder ihre Freiheit erkämpft oder der Kampf um diese Freiheit ihr Leben gefordert hat.. Er wusste, dass sie ihm und seinem Urteil vertrauten, dass es ihm oblag, die Risiken und Kosten einer Mission abzuschätzen und er alles daran setzen würde, diese so gering wie möglich zu halten. Treville seufzte erneut bei dem Gedanken, dass allen Musketieren klar war, was auch für sie persönlich auf dem Spiel stand und sich der Gefährlichkeit ihrer täglichen Widerstandsarbeit bewusst waren. Und dennoch tat es ihm in der Seele weh, dass einer von ihnen nun nicht von einem Einsatz zurück gekommen war!

Aramis!

Treville hätte nie erwartet, dass es Aramis sein könnte, der der erste Verlust seiner Kerntruppe sein würde. Der begnadetste Scharfschütze, den er je gekannt hatte, war ein Glücksritter und so lange sie sich kannten, war es Aramis immer gelungen, sich aus den prekärsten Situationen zu befreien und die heftigsten Gefechte zu überleben. Aber heute nicht!, dachte er grimmig.

Sein Blick schweifte hinüber zum stattlichen Hauptgebäude des Hopital Saint-Louis, ein Krankenhaus, dessen Gründungszeit weit zurück im 17. Jahrhundert lag. Der alte Prachtbau glich einer kleinen Kathedrale mit all seinen Türmchen und Erkern und auch wenn sich die einst roten Ziegeln heute nur mehr blass und angeschwärzt präsentierten, so hatte das Gebäude nichts von seiner ursprünglichen Erhabenheit eingebüßt. Treville wünschte sich mit einem Hauch von Melancholie, er könnte ebenso würdevoll altern!

Es war ein Glücksfall gewesen, dass ein befreundeter Arbeitskollege von Anna, Dr. Lemay, ihnen vor 2 Jahren angeboten hatte, das oberste Stockwerk eines dem Hauptgebäude gegenüber liegenden Pavillons zu nutzen, um das Hauptquartier für den militärischen Arm der Combat einzurichten. Der Pavillon wurde mittlerweile im Zuge der medizinischen Versorgung, die in letzter Zeit naturgemäß immer schlechter wurde, als Sanatorium benutzt. Die Krankenhausverwaltung hatte versucht, alle Patienten mit geistigen Einschränkungen jeglicher Art an einem Ort zusammenzulegen. Die sog. „Irrenabteilung“ wurde auf diese Weise innerhalb des Krankenhausalltags eine kleine, abgeschlossene Welt für sich. Treville hatte diesen Ort überaus passend gefunden, da die Welt zur Zeit ohnehin einem Tollhaus glich und die unberechenbare und tollkühne Art „seiner“ Jungs ihm oft genug den Eindruck vermittelte, als sei er in einem Irrenhaus gelandet, und er zu seinem Leidwesen der Verantwortliche für alle. Er lächelte versonnen bei dem Gedanken, dass sie das Quartier aus einem spontanen Einfall heraus ‚Garnison‘ genannte hatten, da ihm bei der ersten Besichtigung ein kleiner Junge mit einer Musketier-Spielfigur auf Schritt und Trott gefolgt war: Musketiere in ihrer Garnison!

Die eigentlichen Vorteile lagen jedoch auf der Hand: An keinen anderen Ort der Welt als in einem Krankenhaus konnten Menschen unverdächtiger kommen und gehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, egal ob gesund als Besucher, krank und verletzt oder gar schwer verletzt aufgrund des Krieges.. Den Musketieren war es also möglich, sich hier frei her zu bewegen, zumal die Bewohner des Pavillons nicht wirklich Interesse an dem Geschehen um sie herum hatten, und da es auf dem weitläufigen Gelände unterschiedliche Eingänge und Tore gab, war es denkbar einfach, keine verdächtige Regelmäßigkeit aufkommen zu lassen. Das oberste Stockwerk war mittlerweile so sehr zu ihrer Heimat geworden, dass besonders die Unzertrennlichen, wie das Quartett von allen hier genannte wurde, begonnen hatten, mehr oder weniger dauerhaft in den alten Krankenzimmern zu wohnen.

Treville wusste nicht, wie oft er, seit er wieder zurückgekehrt war und sie sich erneut in ihrem Büro getroffen hatten, dieselbe Frage in dieser oder einer anderen Form bereits gestellt, wie oft er in die resignierten und niedergeschlagenen Gesichter der verbliebenen Musketiere geschaut hatte. Immer wieder kamen sie an diesen einen Punkt zurück, wie dieser Einsatz nur so schrecklich hatte schief laufen können. Athos hatte ihm berichtet, dass die Offiziere allem Anschein nach nicht echt gewesen waren und er gesehen hatte, von wo und aus welch großer Distanz die Schüsse auf Aramis abgefeuert worden waren.

Dennoch drehte er sich wieder um und ließ seinen Blick über sein Team schweifen, um erneut die Fragen zu stellen, die sie zur Zeit ohnehin nicht würden beantworten können. „Wie konnten sie wissen, auf welchem Dach Aramis Stellung beziehen würde?“

„Und wer außer uns wusste davon?“ fragte Athos scharf. Fahrig strich er sich mit der Hand über sein Gesicht. „Wer aus der Garnison hat uns verraten? Es muss jemand aus dem inneren Kreis sein, die Falle, die sie uns gestellt haben war zu clever als dass es hätte Zufall sein können!“

D'Artagnan machte großen Augen. „Du meinst, einer von uns arbeitet mit denen zusammen? Das kann nicht sein!“

„Nicht unbedingt aus der Garnison, aber Combat hat unterschiedliche Gruppen am Laufen, und zumindest Ludwig wusste von unserem Einsatz!“

„Du willst allen Ernstes sagen, dass Ludwig uns verraten hat? Das ist lächerlich, Athos!“ Treville war von sich selbst überrascht, wie heftig er auf Athos Anschuldigungen reagierte. Natürlich wusste er, dass die Fäden immer bei Ludwig zusammen liefen, doch er war sich sicher, dass der König niemals seine eigene Widerstandsgruppe hintergehen würde. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ein Verdacht in ihm zu keimen begann und der Gedanke, dass möglicherweise mehr hinter Aramis Verhaftung stecken könnte, nagte an ihm.

Was hatte die Gestapo von einem Scharfschützen? Welche Informationen könnte Aramis ihnen geben, die den Aufwand, den sie hatten betreiben müssen, wert gewesen wäre? Und wie weit würde die Geheimpolizei gehen, um an die Informationen, von denen sie glaubten, dass Aramis sie hatte, heran zu kommen? Konnte es sein…? Nein!, verbot er sich strikt, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, es konnte einfach nicht war sein, es musste einen anderen Grund dafür geben!

Porthos war kurz davor, das wenige bisschen Geduld, das er noch hatte, ebenfalls zu verlieren. „Das können wir später klären! Und wer immer es ist, der uns verraten hat, ich werde ihm persönlich jeden einzelnen Knochen in seinem Körper brechen,“ knurrte Porthos. „Jetzt ist die einzige Frage, wo sie Aramis hingebracht haben und wie wir ihn da rausbekommen!“

Falls er noch am Leben ist, dachte Tréville und er hatte das bittere Gefühl, dass die Zeit drängte. „Sie werden ihn wohl ins Hauptquartier gebracht haben, und was sie dort mit ihm vorhaben, kann sich jeder denken,“ beantwortete er Porthos' Frage.

D'Artagnan schaute mit weit aufgerissenen Augen zwischen seinen Brüdern und ihrem Hauptmann hin und her, beinahe ungläubig der Diskussion folgend. Er konnte kaum glauben, dass sich die Situation immer noch ein bisschen weiter zu verschlimmern schien.

„Dann wird es verdammt noch mal höchste Zeit, dass wir einen konkreten Plan machen, sonst wird das nichts mehr!“, donnerte Porthos in den Raum und eröffnete die nächste Runde der Diskussion.

Treville drehte sich wieder dem Fenster zu und blickte zum schwach beleuchteten Hauptgebäude. Angestrengt hielt er Ausschau nach dem, worauf er so dringend wartete.Er bekam nur am Rande mit, wie erneut eine heftige Diskussion ausbrach, was als Nächstes zu tun sei.

„...und ich finde trotzdem, dass mein Plan von allen Möglichkeiten immer noch...“

„Nein!“, erschallte es aus zweifachem Mund.

„D‘Artagnan, wie werden – und jetzt für dich ganz langsam zum Mitschreiben – sicher nicht aus einem Flugzeug springen und mit Fallschirmen am Dach der Gestapo landen!“, versuchte Athos, diesmal mit einem deutlich genervten Unterton, dem jungen Mann den Wahnwitz seines Vorschlages deutlich zu machen.

D‘Artagnan, ein wenig gekränkt, dass sein Beitrag wenig Gehör fand, schien die Tonlage Athos‘ immerhin verstanden zu haben und war klug genug, seinen Plan nicht weiter darzulegen.

„Genau! Das würde nämlich wirklich niemals klappen, Kleiner, aber: Respekt! Es wäre sicher ein Spektakel geworden – genau wie die Maschinengewehrsalven, die sie uns entgegen geschickt hätten!“, neckte Porthos D‘Artagnan, um ihn ein wenig aufzubauen.

D‘Artagnan zuckte resigniert mit den Schultern.

Treville, der seine Aufmerksamkeit nun wieder den Musketieren und ihrer Diskussion widmete, betrachtete den jungen Mann und erkannte an dessen blassen Gesicht und den dunklen Ringen um den Augen, wie sehr ihm die Ereignisse der letzten Stunden zu schaffen machten – Wie uns allen!, dachte er niedergeschlagen.

„Nun gut, dann wären wir uns ja einig, dass wir...“

„Nein, Porthos, auf keinen Fall!“ Diesmal hatte sich der genervte Unterton von Athos in einen sehr genervten Unterton verwandelt. „Wir werden auch keinen Wehrmachtspanzer stehlen und in das Hauptquartier rasen! Wir würden mit dem Panzer nicht einmal in die Nähe kommen, ohne dass sie uns mit einer PAL erwischen würden!“

Putain de merde, hast du vielleicht einen besseren Plan, Monsieur ‚Comte‘? Dann wäre jetzt wohl der richtige Zeitpunkt, uns Unwissende daran teilhaben zu lassen!“

Porthos musste wirklich aufgebracht sein, wenn er derart sarkastisch mit Athos sprach und seine alte Geschichte wieder hervorkramte, aber Treville verstand, dass die aufgeheizte Stimmung allein der Sorge um Aramis geschuldet war, teilte er doch ihre berechtigten Ängste um den Scharfschützen.

„Nun ja, wir könnten...“, begann nun Athos, aber Treville hörte nicht mehr zu, sondern wandte sich wieder dem Fenster zu und starrte angespannt hinaus.

Da! Da ist es! Erleichterung durchflutete Treville, dass Ludwig endlich das vereinbarte Signal geschickt hatte und er lächelte, das erste Mal an diesem Abend.„Ich habe jemanden im Hauptquartier, der uns helfen wird!“ sagte er bedeutungsschwer und drehte sich zu seinen Männern um.

„...und deswegen sollten wir auch unsere Kontakte zu den Alliierten wieder aktivieren, dann könnten wir...“ Athos, über einen am Tisch ausgelegten Stadtplan gebeugt, brach mitten im Satz ab. Augenblicklich wurde es totenstill im Raum. „Was sagst du da?“

Drei Augenpaare richteten sich nun auf Treville, der das Gefühl hatte, als bohrten sich ihre Blicke bis in seinen Kopf. D'Artagnan sah ihn an, als sei er der Verkündigungsengel höchstpersönlich. Oh, besonders ihm wird gar nicht gefallen, was ich zu sagen habe!, dachte Treville. Er musterte nun Porthos, der ganz den Eindruck machte als sei er ein wilder Stier, der bereit war, jede Sekunde auf das rote Tuch vor ihm, in diesem Fall sein Hauptmann, loszugehen. In Athos Augen glitzerte jene Gefährlichkeit, die jedem Beteiligten sofort klar machte, bloß nichts Falsches zu sagen! Nun, Treville würde in diesem Fall wohl leider nichts anderes übrigen bleiben...

Er fuhr sich ein letztes Mal seufzend mit seiner Hand über die Stirn und spürte, wie die Kopfschmerzen wieder stärker wurden. Sein Pan glich mehr einem Husarenstück als einem wohldurchdachten Kalkül, also schaute er jeden einzelnen der drei Musketiere an und bereitete sich innerlich auf das nun folgende Gespräch vor, das weder ihm noch ihnen gefallen würde!