Porthos von AstridB
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 21 BewertungenKapitel Ende der Belagerung
Athos konnte sich kaum Aufrecht halten. Der kurze Ritt zurück ins Lager verstärkte seine Pein so sehr, dass der Gardist hinter ihm, ihn halten musste. Zurück im Lager gab Jussac seine Befehle: „Arrestiert ihn für die Nacht. Ich werde morgen Kardinal Richelieu Bericht erstatten.“ Athos’ Wächter meldete sich: „Jussac, lasst einen Arzt holen, Athos ist auch nicht wohlauf.“ Da erst fiel Jussac das schmerzverzerrte Gesicht auf. „In Ordnung, wenn der Arzt sich um Michol gekümmert hat, soll er sich Athos ansehen.“
Athos sank in einer Zelle zu Boden. Es war ihm so Elend, dass er seine Umgebung nicht wahrnahm. Die Schmerzen verhinderten, dass er einschlief aber er dämmerte vor sich hin, als der Arzt kam. Athos konnte sich immer noch nicht an das Geschehen erinnern. Daraus und aus der Wunde an Athos Kopf, schloß der Arzt auf eine ernste Erschütterung des Hirns. Er konnte den Kopf verbinden, aber gegen die Schmerzen half nur Schlaf. Vorsichtig öffnete der Arzt Athos’ Kleidung. Auf Athos’ Brust zeichnete sich deutlich der Abdruck eines Pferdehufes ab. Der Arzt tastete die Rippen ab. Trotz der großen Schmerzen ließ es Athos regungslos geschehen. „Ihr habt eine Erschütterung des Hirns und ein paar gebrochene Rippen. Euren Kopf habe ich bereits verbunden, um Eure Rippen lege ich ebenfalls einen Verband, der Euch das Atmen erleichtert.“ So gut er konnte, richtete sich Athos mit Hilfe des Arztes auf. Vorsichtig nahm Athos ein paar tiefere Atemzüge, nachdem seine Brust verbunden war. „Mehr kann ich nicht für Euch tun. Ich komme bald wieder und bringe euch einen Trank, der euch in tiefen Schlaf versetzt.“ Athos nickte schwach und ließ sich auf sein Lager zurücksinken. Der Trank ließ ihn schmerzfrei bis zum späten Nachmittag schlummern.
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Ronjeau, Porthos und Vazins kehrten bedrückt in das Lager zurück. Unterwegs hatten sie sich eine Geschichte ausgedacht, passend zu der improvisierten Version, die sie Jussac erzählt hatten. Damit sie alle Fragen bzgl. der heutigen Geschehnisse einheitlich beantworten konnten. Ihre Abwesenheit war diesmal nicht unbemerkt geblieben, so dass sie sich zuerst gegenüber d’Enghien erklären mussten. Ein wenig ängstlich standen die drei vor ihrem Hauptmann. D’Enghien wandte sich an Porthos, den Jüngsten und Unerfahrensten, in der Hoffnung auf eine wahre Erläuterung: „Porthos, könnt Ihr mir erklären, wie es kommt, dass vier meiner Dragoner nach dem Zapfenstreich außerhalb des Lagers von der Garde des Kardinals aufgegriffen werden? Ich sehe Michol nicht, was ist passiert?“ Porthos sah seine Mitverschwörer an, holte tief Luft und erzählte alles so, wie es die drei abgesprochen hatten. Er gab Athos die Schuld an den Geschehnissen und auch an der Verwundung Michol’s. d’Enghien schwieg und drehte sich von den dreien weg. Porthos und seine Kameraden warteten angespannt auf das Urteil. Strafdienst war das mindeste, was sie zu erwarten hatten, eher sogar noch Arrest. D’Enghien drehte sich wieder zu ihnen um: „Zumindest zum Strafdienst sollte ich euch einteilen, da wir aber in Kürze nach Paris aufbrechen werden und ich euch vorerst glauben schenken will, sehe ich von einer Bestrafung ab. Ich warne euch: sollte auch nur einer in der verbleibenden Zeit hier, außer der Reihe aufgegriffen werden, dann erwartet ihn eine härtere Strafe, als der Arrest. Abtreten.“
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Am nächsten Morgen erstattete Jussac Kardinal Richelieu Bericht. Der vermeintliche Angriff Athos, eines Musketiers, auf einen einfachen Dragoner, veranlasste Richelieu, diesen Fall an sich zu reißen. Um heimliche Absprachen zu verhindern, und damit Athos keine Hilfe von außerhalb erhält, untersagte er jeglichen Kontakt zu dem Gefangenen, nicht einmal Tréville durfte Athos sehen. Anschließend ließ Richelieu die Hauptleute Tréville und d’Enghien rufen. Richelieu genoss in hämischer Freude den nervösen Ausdruck Trévilles, der sich fragen musste, ob ein Zusammenhang zwischen dem Treffen mit Richelieu und dem unentschuldigten Fehlen von Athos bestand. Der Kardinal informierte die Hauptleute, dass er, in Anbetracht der Schwere des Vergehens, die Untersuchung persönlich durchführen wollte.
„Wie Euch bekannt ist, wird die Belagerung abgebrochen. Die Truppen werden wie geplant nach Paris zurückkehren. Der König wird morgen mit Euch M. de Tréville und den Musketieren abreisen. Ihr Herzog d’Enghien werdet in zwei Wochen mit Eurer Kompanie abreisen. Die Herren Dragoner Ronjeau, Vazin und Porthos, sowie der Gefangene Athos reiten in einer Woche mit meiner Garde nach Paris.“ Und weiter: „Die Untersuchung dieses Vorfalls und die Befragung der Beteiligten führe ich persönlich in Paris durch. Hauptmann d’Enghien?“ – „Wie Euer Eminenz wünscht.“ D’Enghien verneigte sich und ging. „Monsieur de Tréville?“ – „Eminenz, wie befindet sich Athos momentan?“ – „Jussac hat Athos in der Nacht noch arrestiert. Jeglicher Besuch bei Athos ist untersagt. Ich werde jedoch Euch und dem Herzog d’Enghien die Gunst zu gewähren, bei den Verhören zugegen zu sein.“ Tréville wusste, dass er keine weiteren Zugeständnisse erwarten durfte und verabschiedete sich zähneknirschend.
Die erzwungene Ruhe im Arrest hatte Athos gut getan. Seine Wunden heilten weitgehend in dieser Woche. Die Kopfschmerzen schwanden, nur die Rippen schmerzten noch. Seine Erinnerung an die Ereignisse dieser verhängnisvollen Nacht blieb auch weiterhin getrübt. Mit der Besserung seiner Verfassung, wurde ihm seine Lage schmerzlich bewusst. Am meisten beunruhigte Ihn, dass Tréville sich offensichtlich von ihm abgewandt hatte.
Nach Ablauf der Woche erschien Jussac mit vier weiteren Gardisten, die er als Michael, Gabriel, Rafael und Uriel vorstellte, in Athos Zelle. Die Nennung der Namen verhieß Athos nichts Gutes, denn unter den Musketieren waren diese vier als Garde-Engel des Kardinals und erklärte Feinde der Musketiere bekannt. So überraschte ihn das großmütige Angebot Jussacs’: „Athos, auf Befehl Seiner Eminenz des Kardinal Richelieu werdet Ihr zur weiteren Untersuchung des Angriffs auf den Dragoner Michol nach Paris verbracht. Ich werde Euch die Unannehmlichkeiten des Rittes mindern, indem ich Eure Hände vorne binden lasse. Gebt mir Euer Wort als Edelmann, dass ihr nicht fliehen wollt, so will ich wie besprochen verfahren, andernfalls binden wir Euch die Hände auf dem Rücken.“ – „Ihr habt mein Wort, dass ich nicht fliehen werde.“ Das Versprechen fiel Athos leicht, da er seine Kompanie nicht durch einen Fluchtversuch entehren wollte. Jussac ließ Athos Hände vorne binden. Doch bevor sie die Zelle verließen, musste Athos noch eine demütigende Durchsuchung nach versteckten Waffen über sich ergehen lassen.
Michael half Athos aufs Pferd und gab die Zügel an Gabriel, der bereits auf seinem Pferd saß, weiter. Athos, der es als demütigend empfand, vor aller Augen als Gefangener vorgeführt zu werden und der das Gefühl hatte, bereits von allen Anwesenden verurteilt zu sein, reckte wie zum Trotz den Kopf und bemühte sich um eine besonders aufrechte Haltung. Wären da nicht die Handfesseln gewesen, und die Tatsache, dass Athos’ Pferd geführt wurde, hätte man Athos für einen Prinzen mit seiner Eskorte halten können. Die Garde-Engel führten Athos’ Pferd zu einem Platz im letzten Drittel der langen Reihe der Gardisten. Porthos, Ronjeau und Vazins mussten sich ganz am Ende einreihen. So sehr er auch um sich schaute, Athos konnte unter den Zuschauern des Abzugs keinen Musketier entdecken, das konnte nur bedeuten, dass die Musketiere ihn im Stich ließen, dass sie von seiner Schuld überzeugt waren. Athos wurde mit einem Ruck aus seinen düsteren Gedanken gerissen, als sein Pferd loslief.
Während des Rittes verweilte Porthos’ Blick des öfteren bei Athos. Der Musketier, der da so ruhig zwischen seinen Wächtern ritt, übte ungewollt eine gewisse Faszination auf ihn aus. Er gab immer noch Athos die Schuld daran, dass Michol verletzt wurde und dass sie dem Kardinal nach Paris folgen mußten. Es empörte ihn, wie Athos da stolz auf seinem Pferd saß, ohne jegliches Schuldgefühl zu zeigen. Er empfand es nur als gerecht, dass die „Garde-Engel“ Athos rau anfassten. Der Kardinal strebte eilends nach Paris, so dass nur die nötigsten Rasten eingelegt wurden. Porthos, Vazins und Ronjeau war das nur recht, denn sie wollten alles so schnell wie möglich hinter sich haben. Athos dagegen war für solch einen schnellen Ritt noch nicht ausreichend genesen. Die „Garde-Engel“ quälten Athos zwar nicht direkt, sorgten aber dafür, dass der Ritt hinreichend unbequem verlief. Sie gestatten es Athos nicht, seine steifen Glieder aufzulockern, indem er bei einer Rast herumlief. Er durfte zwar absteigen, musste sich aber gleich setzen. Immer umgeben von mindestens vier Gardisten. Die Nächte waren besonders unbequem, denn Athos wurde zusätzlich an den Beinen gefesselt. Zudem wurde er an einen Pflock gebunden, damit er sich nicht wegrollen konnte.
Es war der Abend des zweiten Tages, an dem Porthos das Stöhnen von Athos beim Absitzen auffiel. Ein genauer Blick zeigte ihm einen erschreckend blassen Athos. Weder Porthos noch seine Kameraden hatten gewusst, dass, geschweige denn wie sehr Athos im Wald verletzt worden war. Porthos machte sich also zunächst keine Gedanken darüber. Am nächsten Tag hatte er Athos wieder vergessen und ritt fröhlich scherzend mit Ronjeau und Vazins am Ende der Reihe. Erst am Abend fiel im Athos wieder ein. Diesmal achtete er auf Athos und bemerkte, dass er starke Schmerzen erleiden musste. Ronjeau und Vazins hatten auch etwas bemerkt und spotteten über den Musketier, der nicht mal zwei Tage scharfen Rittes aushalten konnte. Porthos beteiligte sich zwar vordergründig an dem Spott, seine wahren Gedanken behielt er aber lieber für sich. Denn Porthos vermeinte in Athos Gesicht echte Pein abzulesen, die sich nicht mit Erschöpfung erklären lies. Er ging sogar soweit, einige Gardisten nach Athos zu fragen, doch erhielt er keine Auskunft. So blieb ihm nur seine Beobachtung. Vorsichtig bemühte Porthos sich, bei den Rasten näher an Athos und seine Wächter heranzurücken. Inzwischen mussten die „Garde-Engel“ Athos nicht mehr zum hinsitzen nötigen, Athos sank sofort zu Boden, kaum war er abgesessen. Die Kürze der Rasten reichte nicht aus, dass Athos sich erholen konnte im Gegenteil kaum saß er, schon musste er wieder die Anstrengung auf sich nehmen und aufsteigen. Jussac’s „Garde-Engel“ beachteten Athos Pein nicht. Als jedoch Rafael Athos in die Seite trat, weil er nicht schnell genug aufstehen konnte, wurde es Porthos zu viel. Während Athos sich vor Schmerzen krümmte, sprang Porthos durch die Reihen der Gardisten und riss Rafael von Athos weg. Vor Jussac rechtfertigte sich Porthos damit, dass es nichts Ehrenhaftes daran ist, einen wehrlosen Mann zu treten. Ab jetzt sorgte Jussac dafür, dass Porthos bei Ronjeau und Vazins blieb und auch einen deutlichen Abstand zu Athos hielt.
Angesichts seines stummen Leidens wuchs Porthos Respekt vor Athos. Doch momentan musste er sich naheliegenderen Angelegenheiten widmen. Ronjeau und Vazins hielten nämlich von seiner „Rettungstat“ genauso wenig wie Jussac. Sie befürchteten nun, dass Porthos einknicken könnte und die ganze Geschichte verraten würde. Immer wieder verlangten sie von Porthos die Zusicherung, dass er sie keinesfalls verraten würde. Das entstandene Misstrauen konnte Porthos jedoch nicht mehr ganz entkräften. In dieser Atmosphäre war es für Porthos nachgerade eine Erleichterung, als sie in Paris ankamen. Athos nahm in seiner Qual die Ankunft in Paris kaum mehr war.
Im Palais Cardinale kümmerte sich Kardinal Richelieu erstmals um seine Gäste seit sie Montauban verlassen hatten. Er verfügte, dass die drei Dragoner bis auf weiteres in der Kaserne seiner Garde untergebracht werden sollten. Athos Anblick erzürnte den Kardinal, denn obwohl er kein Freund der Musketiere war, hielt er nichts davon einem gefangenen Edelmann unnötige Leiden zu verursachen. Es waren dann auch nicht Jussac und auch nicht die Garde-Engel, die Athos zum Châtelet begleiteten. Athos neue Wächter gingen wesentlich respektvoller mit ihm um. Vorsichtig halfen sie Athos vom Pferd und in die Zelle. Dort lösten sie sogleich die Fesseln und führten Athos zu einem Lager aus Stroh. „Athos? Ein Arzt wird gleich noch zu Euch kommen.“
Athos war kaum noch bei Bewusstsein, als der Arzt kam. Es war derselbe, der ihn auch in Montauban behandelt hatte. „Der Ritt hat die Schmerzen verschlimmert, nicht wahr? Dann wollen wir mal sehen, was der Ritt noch angerichtet hat.“ Vorsichtig zog der Arzt Athos den Kittel aus und schnitt den Verband auf. „Was ist das?“ Der Arzt hatte einen neuen blauen Fleck unter den alten, verblassten entdeckt. Athos konnte kaum mehr antworten: „Das ist eine Liebesbezeigung von Rafael.“ Der Arzt betastete den Fleck „Da habt ihr aber Glück gehabt, es sind keine neuen Brüche dazu gekommen. Nun ja, ich kann Euch jetzt auch nichts anderes empfehlen, als in Montauban. Was Ihr braucht ist vor allem Ruhe. Für die kommende Nacht bringe ich Euch einen Schlaftrunk, damit ihr bis zum Morgen, ohne Schmerzen, schlafen könnt.“