Porthos von AstridB 

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Kapitel Eine Belagerung

Zur Historie: Montauban wurde tatsächlich 1621 vom frz. König 88 Tage lang erfolglos belagert. Die Kompanie der Musketiere wurde erst 1622 gegründet, konnte bei dieser Belagerung daher nicht dabei sein, ich brauch’ sie aber für die Geschichte.

De leur côté les mousquetaires qui n'avaient pas grand-chose à faire au siège n'étaient pas tenus sévèrement et menaient joyeuse vie.
(les trois musquetaires, Chapitre XLIII L'Auberge du Colombier-Rouge)

Porthos und sein neuer Kamerad Ronjeau erreichten also das Feldlager in Montauban. Porthos hatte während des Rittes ausreichend Zeit, sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Naheliegend wäre eine Rückkehr zu seinem Onkel, das kam für Porthos jedoch nicht in Frage, dann hätte er sein Versagen bei seinen Eltern eingestehen müssen.

Der Militärdienst könnte seine Chance sein. Sollte er sich im Kampf auszeichnen, und er hatte daran nicht den geringsten Zweifel, konnte er es weit bringen. Mit diesen Gedanken bat Porthos den Hauptmann der compagnie de cavalerie de la maison de Condé um die Aufnahme in das Dragonerregiment, die ihm auch aufgrund der Fürsprache von Noel Ronjeau gewährt wurde. Porthos trat unter seinem nom de guerre der Kompanie bei. Er wollte das Vertrauen, das zwischen ihm und Ronjeau entstanden war, nicht zerstören, zumal die du Vallons als fanatische Calvinisten bekannt waren, und dies auch ihm zum Nachteil gereicht hätte.
Schnell fand sich Porthos in die Routine des Lagerlebens ein. Fröhlich, in der Erwartung eines baldigen Sieges, versah er regelmäßig seinen Dienst in den Laufgräben. Seine Tapferkeit und Loyalität stellte er bei vielen waghalsigen Aufgaben unter Beweis. Wie ein Rammbock stürmte er seinen Kameraden im Angriff voraus. Als hervorragender Fechter, wurde er von seinen Freunden geschätzt, von den Feinden gefürchtet. Zu Beginn hatten die Dragoner ein lustiges Leben, denn häufig waren sie zu einer Bereitstellungs-Wache eingeteilt. Für die Dragoner bedeutete es, sich bei den Pferden bereit zu halten, um im Falle eines Ausfalls der Belagerten schnell der eigenen Truppe zu Hilfe zu eilen. Meistens bedeutete es für sie, den Dienst bei Kartenspiel und Würfeln abzusitzen und auf einen Alarm zu warten. Seltener mussten sie tatsächlich losreiten. Dieses änderte sich, als der König mit den Musketieren eintraf. Die Musketiere wurden häufiger zur Bereitstellungs-Wache eingeteilt, die Dragoner demnach stärker in den Gräben eingesetzt. Porthos, Ronjeau und Vazins waren darüber nicht gerade erfreut und daher auf Musketiere nicht besonders gut zu sprechen.
Außerhalb seines Dienstes streifte Porthos durch das Lager. Ein fröhlicher junger Mann wie er fand schnell Kontakt, auch zu Soldaten anderer Kompanien. In jeder Runde war Porthos ein gern gesehener Gast. Es wurde viel gescherzt und gelacht, was dem stets fröhlichen Porthos gefiel. Meistens scherzten sie über die Belagerten in Montauban, doch auch die unterschiedlichen Kompanien bekamen ihr Fett weg. Solange die Stimmung, in Erwartung eines baldigen Sieges, gut war, blieb es bei gutmütigen Sprüchen.

An einem Abend, saß Porthos mit Ronjeau und einigen anderen Kameraden beim Spiel in einer Wirtschaft. In all dem fröhlichen Treiben, fiel Porthos ein Soldat auf. In der Uniform der königlichen Musketiere saß ein junger Mann von 25 Jahren trübsinnig an einem Tisch in der Ecke. Er fiel auf, weil er sich als einziger nicht an dem lebhaften Gespräch seiner Nachbarn beteiligte. Irgendwas an dem Mann zog Porthos an. Er erkundigte sich bei Ronjeau nach ihm. „Athos? Hat mit Euch was gemeinsam, er ist auch zum erstenmal im Feld.“ Weiter wollte Ronjeau sich nicht dazu äußern. Vazins war nicht so diskret. Er erzählte Porthos brühwarm alles, was über Athos geredet wurde, so, als hätte er es selbst gesehen. Porthos, im Umgangston der Soldaten im Feld nicht vertraut, nahm alles was ihm erzählt wurde für bare Münze.
In der Folge achtete Porthos stärker auf Athos’ Verhalten. Athos selbst schien die Beobachtung nicht zu bemerken. Im Lichte dessen, was Porthos von den anderen erzählt wurde, wirkte Athos arrogant und überheblich auf Porthos. Der stets vorschriftsmäßig gesäuberte Rock Athos’ wurde zur Eitelkeit erklärt. Seine tadellose Haltung wurde übermäßigem Stolz zugeschrieben, ja selbst seine herausragenden Leistungen im Kampfe konnten ins negative verkehrt werden.
Athos wurde, ohne es zu wissen, zum Ziel der Spottlust von Porthos und seinen Kameraden. Je mehr nun die Stimmung sank, dies Aufgrund der andauernden Belagerung und großer Verluste, desto mehr wurde aus gutmütigem Spott üble Gerüchte. Die militärischen Erfolge blieben aus, die Soldaten suchten ihre Erfolgserlebnisse auf anderen Gebieten. Eines davon bestand darin, Streiche gegen andere Kompanien zu spielen. Dies war umso reizvoller, als eine Entdeckung harte Strafen nach sich zog.
Ronjeau und seine Freunde mischten in diesem munteren Treiben schon lange mit, jetzt stieß auch Porthos dazu. Nach dem Zapfenstreich schlichen sie sich in das Lager der Musketiere. Sie holten die Wappenröcke der Musketiere aus den Zelten. Hier tat sich besonders der kleine und wendige Michol hervor, der unter der Zeltwand hindurchkroch. Die Wappenröcke wurden zusammengebunden und als Fahne am Mast aufgezogen. Unsere Verschwörer verschwanden wieder genauso lautlos, wie sie gekommen waren, in ihre Zelte.

Im Licht der aufgehenden Sonne wurde die „Heldentat“ für alle sichtbar. Unter allgemeinem Gelächter mussten die Musketiere ihre Wappenröcke vom Mast bergen. Die Vergeltung ließ dann auch nicht lange warten. Sie nutzten das leichte Gefälle zwischen ihren Zelten und den Dragonern in einer dunklen, regnerischen Nacht. Gräben leiteten das Wasser um, direkt in die Zelte der Dragoner. Die nun in ihren pudelnassen Uniformen der Lächerlichkeit preisgegeben waren.
Doch nicht alle Streiche waren so spektakulär und manchmal wurden die Verschwörer auch erwischt. So misslang der Versuch von Porthos und seinen Freunden, Athos das Zelt über dem Kopf wegzutragen. Eine aufmerksame Wache erwischte sie. Zur Strafe durfte die Bande die Latrinen reinigen. Das wiederum war keine gute Idee, denn unsere Freunde heckten schon den nächsten Streich aus. Diesmal, wie kann es anders sein, schütteten sie die Hinterlassenschaften der Latrine vor das Zelt in dem Athos und seine Freunde schliefen. Am Eingang befestigten sie einen Draht, damit die Musketiere stolperten und in den Unrat fielen. Wie’s der Zufall wollte, war es Athos, der stolperte und in den Matsch fiel. Athos’ Kameraden sannen auf Rache. Athos selbst beteiligte sich nicht an den Racheplänen. Um zu zeigen, dass sie es besser können, trugen nun Athos’ Zeltgenossen, ohne Athos, Porthos und seinen Zeltgenossen das Zelt über dem Kopf weg und ließen sie im Freien erwachen. Diese Schmach konnten unsere Dragoner natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Es war Porthos’ Idee, und nicht ganz ungefährlich, denn sollten sie diesmal erwischt werden, lautete die Strafe nicht mehr Latrine putzen, oder Strafdienst, dann wäre ein Arrest fällig. Ihr Ziel waren die Musketen. Wieder war der schlanke Michol ihre Wunderwaffe und holte die Musketen aus den Zelten. Gemeinsam stapelten sie die Musketen vor Athos’ Zelt, so, dass keiner das Zelt mehr verlassen konnte. Zu ihrem Glück blieben sie unentdeckt.
An der Gegenreaktion beteiligte sich Athos wieder nicht. Aus dem sportlichen Wettkampf zweier Kompanien wurde immer mehr ein spezieller Feldzug gegen Athos, der die Dragoner durch seine Reaktionslosigkeit herausforderte. Ein cleverer junger Dragoner namens Vazins verfiel auf eine Idee, Athos in Misskredit zubringen. In der Nacht vor einer Truppen-Inspektion schlichen sich Vazins und Michol in Athos Zelt. Seinen Wappenrock reichten sie an Porthos und Ronjeau weiter, die ihn ordentlich verschmutzten. Derweil schütteten Vazins und Michol mitgebrachtes Wasser in Athos’ Stiefel.

Wie erwartet wurde Athos bestraft. Der wiederum klaglos seinen Strafdienst versah. Athos mochte sich nicht an den, seiner Meinung nach niveaulosen Streichen beteiligen, auch dann nicht, wenn er dafür bestraft wurde. Die Dragoner, von denen er sich sicher war, dass sie die Urheber waren, beim Hauptmann anzuschwärzen, kam für ihn auch nicht in Frage und da ihm die Namen der Täter nicht bekannt waren, konnte er sie auch nicht fordern. Seine Kameraden hinderte das aber nicht daran, weiterhin Streiche gegen Dragoner auszuhecken.
Mittlerweile hatte der Zwist die Aufmerksamkeit aller Kompanien erreicht. Es war eine willkommene Abwechslung zum zermürbenden Stellungskrieg in Form dieser Belagerung. Nach mehr als zwei Monaten zeichnete sich immer noch kein Sieg gegen die Hugenotten ab. So beschäftigten sich alle viel lieber mit den Ereignissen im Lager, die zudem viel unterhaltsamer waren. Auf den Erfolg oder Misserfolg der Dragoner wurden im ganzen Lager Wetten abgeschlossen.

Was auch für die betroffenen Hauptleute M. de Tréville und Herzog d’Enghien zunächst noch ein harmloser Spaß war, zumal ihre Personen von beiden Seiten nicht angetastet wurden, artete in ein ernstes Ärgernis aus. Allmählich fürchteten beide Hauptleute, dass in dem eskalierenden Konflikt Soldaten zu Schaden kommen könnten. Um dies zu vermeiden, patroullierten vermehrt Gardisten des Kardinals in den Lagerbereichen von Dragonern und Musketieren. Diese Taktik schien zunächst erfolgreich, doch bald tricksten die Unruhestifter beider Seiten die Gardisten aus.

Und unser Quartett? Porthos, Ronjeau, Vazins und Michol gerieten immer mehr in Rage, ob der fortgesetzten Missachtung durch Athos. Auf dem Tiefpunkt der Stimmung im Lager, an dem jeden Tag mit dem Abbruch der erfolglosen Belagerung gerechnet wurde, heckten die vier einen neuen Plan aus. Sie wollten Athos einen endgültigen Denkzettel verpassen. Schon in der folgenden Nacht setzten sie ihren Plan in die Tat um.

Sie hatten beobachtet, dass Athos gerne ein bestimmtes Wirtshaus aufsuchte und dort bis nach dem Zapfenstreich bleiben durfte. Ideal für ihren Plan erwies sich ein Wald, den Athos durchqueren musste. So legten sich die vier in der Nacht auf einer Lichtung auf die Lauer.

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Athos ritt, in seine Gedanken vertieft, zum Lager zurück. Er dachte daran, dass er bald schon nach Paris zurückkehren würde und freute sich darauf, nach dem Lagerleben wieder einen normalen Alltag mit alltäglichen Gefahren vor sich zu haben. Er war nicht besonders Aufmerksam, denn bisher war ihm noch nie etwas zugestoßen und diesen Weg kannte er wie seine Westentasche. So war er auch überrascht, als er vom Pferd gerissen wurde.
Athos konnte weder erkennen wer ihn angriff, noch wie viele. Seine Gegner versuchten ihn auf den Boden zu zwingen, doch Athos wehrte sich. An den Degen kam er zwar nicht mehr ran, aber den Dolch konnte er ziehen. Im Kampf musste er auf sein Pferd achten, das seltsamerweise nicht weggelaufen war, nicht weglaufen konnte und daher in Panik ausschlug. Mit dem Dolch gelang es ihm einen Gegner niederzustrecken, doch bevor er den Dolch zurückziehen konnte, traf ihn ein Knüppel am Kopf. Athos ging zu Boden. Sein Pferd trat immer noch panisch um sich und traf Athos an der Brust. Ein weiterer Hieb eines Knüppels gegen seinen Kopf senkte ihn in die Bewusstlosigkeit.

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Der Plan lief schief. Athos leistete mehr Wiederstand, als sie erwartet hatten. Porthos und Michol gelang es zwar, Athos vom Pferd zu ziehen, sie konnten ihn jedoch nicht zu Boden ringen. Der Zügel von Athos’ Pferd hatte sich im Gesträuch verheddert, daher konnte es nicht weglaufen. Das panische Pferd machte die Situation noch komplizierter. Sie hatten vor allem auf Athos’ Degen geachtet. Es war Porthos’ Aufgabe ihn daran zu hindern, den Degen zu ziehen. Dann zog Athos einen Dolch, mit dem niemand gerechnet hatte. Michol sank getroffen zu Boden. In ihrer Wut schlugen Ronjeau und Vazins auf Athos ein. Mittlerweile gelang es Porthos den Zügel des Pferdes durchzuschneiden. Das Pferd stürmte davon. Über ihren Fehlschlag waren die Männer in Panik geraten und liefen Richtung Lager, geradewegs in eine Patrouille der Garde des Kardinals.

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Athos kam wieder zu sich. Tannen-Nadeln stachen in sein Gesicht. Mühsam und unter großen Schmerzen drehte Athos sich um. Neben ihm lag ein Mann. Sein Dolch steckte in seiner Seite. Athos sank erschöpft zurück. Er konnte sich nur noch daran erinnern, dass er durch den Wald geritten war. Wie er auf den Boden kam, das wusste der nicht, genauso wenig, wie der Mann mit seinem Dolch verwundet wurde. Sein Kopf schmerzte und irgendetwas hatte ihn an der Brust getroffen, denn jeder Atemzug tat ihm weh. Der Verwundete neben ihm schien ohne Bewusstsein, Athos konnte nur leise Atemzüge vernehmen. Athos kämpfte sich auf die Knie. Er atmete so flach wie möglich, um seine Rippen zu schonen und beugte sich über den Verwundeten.

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In diesem Moment erreichten die Gardisten unter der Leitung von Jussac die Lichtung. Sie rissen Athos von seinem vermeintlichen Opfer fort. Noch bevor Athos realisieren konnte, was da geschah, sah er sich von drei Degen bedroht. Jussac schickte einen seiner Begleiter nach einem Arzt. Dann drehte er sich zu Athos um: „Ich muß Euch festnehmen. Euren Degen!“ Athos händigte Jussac seinen Degen aus. Auf einen Wink Jussacs wurden Athos die Hände auf den Rücken gebunden.
Mit dem Arzt erreichte die zweite Hälfte der Patrouille, mit den geflohenen Dragonern, die Lichtung. Während der Arzt sich um Michol kümmerte, ließ sich Jussac das Geschehen von Ronjeau, Porhos und Vazins erklären. Die drei erklärten, sie wären zufällig auf Athos gestoßen und wollten ihn um einen Gefallen bitten, da hätte Athos seinen Dolch gezogen und wäre auf sie losgegangen. Sie konnten ihn gerade noch mit herumliegenden Knüppeln niederschlagen und seien losgerannt, um die Garde zu holen.

Es ging auf Mitternacht zu und die Sache ließ sich an diesem Abend sowieso nicht mehr aufklären, daher entließ Jussac die drei Dragoner, mit der Anweisung, sich zur Verfügung zu halten und das Lager nicht zu verlassen. Für den verwundeten Michol orderte er einen Wagen für den Transport. Athos, dessen Verletzungen bisher niemandem aufgefallen waren, wurde von einem der Gardisten mit aufs Pferd genommen.