Porthos von AstridB
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 21 BewertungenKapitel Die Verfolgung
Die Entführer schlugen ein flottes Tempo an. Erst nach etwa einer Stunde blieben die Pferde stehen. Athos, denn kein anderer war es, erhoffte sich eine Erleichterung, aber seine Entführer banden ihm nur die Beine, sowie die Hände auf dem Rücken fest zusammen und vergewisserten sich, dass er noch fest auf dem Pferderücken angebunden war. Athos kämpfte schon nach dieser kurzen Zeit mit einer Vielzahl von Beschwerden. Sein Kopf begann zu schmerzen, da ihm das Blut in den Schädel lief, der Magen drückte ihn von den holpernden Bewegungen des Pferdes, der Sack war aber das größte Ärgernis. Hier mischte sich der Geruch des Pferdes mit dem Gestank eines alten Sackes, indem zuvor höchst zweifelhafte Güter transportiert wurden, zu einer wahrhaft Übelkeit erregenden Melange. Athos Gleichgewichtssinn litt stark darunter, dass er nichts sehen konnte. Dass das Pferd einen sehr unangenehmen Passgang hatte, verbesserte die Situation nicht gerade. Im Gegenteil, Athos hatte das Gefühl, abwechselnd mit den Füßen oder dem Kopf voran vom Pferd zu rutschen. Er traute sich nicht, den Mund aufzumachen, um zu rufen, da er Angst hatte, sich dabei in den Sack übergeben zu müssen, was dem Odeur eine weitere schlechte Note hinzugefügt hätte. Athos presste den Mund fest zusammen und hoffte auf ein baldiges Erreichen des Zieles. Jegliches Zeitgefühl hatte er schon lange verloren. Nicht einmal die Helligkeit war eine Orientierung, da sie häufig im Dickicht des Waldes ritten. Das vermutete Athos, da er sich nicht gegen die Äste wehren konnte, die an seine Beine schlugen. Den Kopf versuchte er zu schützen, indem er ihn ganz nah an den Bauch des Pferdes presste.
Erst nach unendlich langer Zeit, jedenfalls kam es Athos so vor, wurden sie langsamer. Inzwischen hatte es zu Regnen begonnen und Athos war völlig durchnässt. Die Entführer hatten ein schwierigeres Terrain erreicht, denn sie hielten kurz an. Athos hörte sich entfernende Pferdeschritte. Es dauerte einige Zeit, dann ging das Geruckel wieder los. Er spürte, dass ein Mann das Pferd führte. Der Weg war schmal, seine Beinkleider wurden von Felsen zerrissen. Das Pferd musste mehrere enge Kurven laufen, bei denen es immer wieder den Kopf warf und wieherte, wie um zu sagen, da geht’s nicht weiter. Ein Fuß rutschte weg und Athos dachte schon, jetzt ist es aus, wir stürzen ab. Doch das Pferd konnte sich wieder fangen. Dafür stemmte es jetzt die vorderen Hufe in den Boden, so dass der Bandit es Vorwärts ziehen musste. Noch ein weiteres, diesmal kürzeres Stück Weges, auf dem Athos den schaukelnden Passgang ertragen musste, dann waren sie am Ziel.
Ein Bandit löste die Bande, die ihn an das Pferd fesselten und Athos rutschte vom Pferderücken und prallte unsanft auf den Boden. Er wurde über den Boden geschleift und wie ein Mehlsack in die Ecke geworfen. Inzwischen war Athos alles egal, er lag lang ausgestreckt am Boden und wartete, dass die Übelkeit etwas abklang. Es regnete nicht mehr, oder er lag unter einem Überhang, doch das nützte ihm recht wenig, denn es wehte ein unangenehmer Wind, so dass Athos noch mehr fror. Ein Lagerfeuer knisterte, aber es war zu weit weg um Athos zu erwärmen.
Bis dahin hatten die Banditen kaum ein Wort miteinander gesprochen. Athos wusste noch immer nicht, was der Grund für die Entführung war. Am Lagerfeuer begannen die Banditen zu reden und Athos lauschte angestrengt, um sich kein Wort entgehen zu lassen.
Er erfuhr, dass er sich in einer schmalen Schlucht befand, die den Banditen schon oft als Versteck für gestohlenes Vieh gedient hatte. Der Zugang zur Schlucht lag versteckt durch ein Gewirr von Felsen und Sträucher, nach Einbruch der Dunkelheit würde er nicht mehr auffindbar sein. Besorgniserregend war allerdings, dass die Banditen meinten, den König entführt zu haben. Athos einzige Chance war es, darauf zu hoffen, dass die Banditen ihn auch weiterhin für König Ludwig XIII hielten.
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Wir wollen Porthos nicht vergessen. Wie berichtet, hatte er sein Pferd gesattelt um die Verfolgung aufzunehmen. Durch den Regen der vorangegangenen Tage waren glücklicherweise die älteren Pferdespuren verwischt, zudem hatten sich die neuen Spuren sehr deutlich im schlammigen Boden eingedrückt. Das erleichterte die Verfolgung. Porthos musste dennoch langsam reiten und sich immer wieder weit herunterbeugen um die Spuren nicht zu verlieren. An der Stelle, an der sie Athos noch fester gebunden hatten, waren Fußabdrücke zu erkennen. Porthos schätzte, dass er es mit sechs Mann zu tun hatte. Eines der Pferde hatte wohl einen Gangfehler, Porthos konnte an den Spuren erkennen, dass es einen recht eigenwilligen Passgang hatte. Er merkte sich das Gangbild, denn dies würde ihm helfen, die richtige Gruppe zu identifizieren. Die Reiter waren alle hintereinander geritten, so dass sich ihre Spuren überlagerten, doch das Pferd mit dem Passgang lief seitlich des Pfades. Vermutlich als Handpferd, was die Vermutung nahelegt, dass der Gefangene darauf transportiert wurde. So unangenehm die Lage des Entführten auf einem Pferd mit Passgang auch war, für Porthos war das ein Glücksfall, konnte er doch mit Leichtigkeit seine Spuren von den kreuzenden Spuren anderer Reiter unterscheiden.
Zu Mittag setzte Regen ein, nun musste Porthos sich beeilen, den die Pferdespuren drohten zu verwischen. War der Wald bisher jedoch recht licht und einigermaßen hell gewesen, mit ein paar Sträucher am Wegrand, so wurde er jetzt immer dichter. Die Banditen waren vom Weg abgebogen und hatten offensichtlich ein Dickicht durchquert. Porthos erkannte neue Spuren, die durch abgeknickte Äste entstanden waren. Verursacht vermutlich, durch das seitlich versetzte Handpferd, denn der kaum erkennbare Pfad war gerade breit genug für einen Reiter. Das machte die Verfolgung sogar leichter und Porthos konnte schneller reiten. Zum Schutz gegen den Regen zog Porthos seinen dicht gewebten Umhang über den Kopf.
Dann verloren sich die Spuren auf felsigem Untergrund. Porthos begann daran zu zweifeln, dass er die Entführer noch erwischen würde. Akribisch suchte er die Umgebung ab. Der Weg endete hier offensichtlich. Porthos stand vor einem Gewirr aus Felsen und Sträuchern. Da entdeckte er einen merkwürdig aussehenden Strauch, der aus einer kleinen Felsspalte wuchs. Abrieb-Spuren verrieten, dass hier ein Pferd angebunden war. Bei näherer Betrachtung erkannte er auch Biss-Spuren.
Nun begann Porthos noch gründlicher zu suchen. Da das Pferd hier gestanden hatte, könnte der Weg so schwierig sein, dass die Pferde geführt werden mussten. Er stieg ab, band sein Pferd am gleichen Strauch an, und suchte nun gezielt im Gewirr der Felsen und Sträucher. Er entdeckte einen schmalen Durchlass, so schmal, dass Pferde hier nicht freiwillig hindurchgehen. Vorsichtig schlich Porthos weiter. Es war beinahe wie ein Labyrinth, doch wie Wegzeichen fand er immer wieder Stoff-Fetzen an den Felsen. Nach etlichen Wendungen öffnete sich der Durchlass in eine Schlucht. Porthos schlich vorsichtig weiter, sein Pferd ließ er stehen, es war sicher angebunden und würde ihn bei der Durchquerung der Engstelle nur verraten.
In der Schlucht entdeckte Porthos auch wieder die Spuren des Pferdes mit dem Passgang. Die Dämmerung setzte ein. Porthos hörte Pferde wiehern, ein Hinweis, dass er sich dem Versteck näherte. Sehr leise schlich Porthos weiter da sah er durch Sträucher flackerndes Licht scheinen. Er versteckte sich im Gebüsch.
Von seinem Versteck aus hatte er einen guten Überblick über den Unterschlupf der Banditen. Ein Felsüberhang bot Schutz vor dem Regen. Darunter befand sich eine freie, mit Gras bewachsene Fläche, die gegen die Schlucht blickdicht durch Sträucher abgeschirmt war. Die Pferde mussten sich weiter drin in der Schlucht befinden, zu sehen waren sie nicht, nur ein gelegentliches Wiehern war zu hören. Die Banditen hatten ein kleines Feuer unter dem Felsüberhang entzündet. Im flackernden Schein zählte er sechs Männer. Sie hatten ein Fass geöffnet und sprachen dem Inhalt fleißig zu. Deutlich alkoholisiert prahlten die Banditen lautstark, was sie mit dem Lösegeld für den (vermeintlichen) König alles anfangen würden. Ihre Kleidung war an vielen Stellen geflickt und bestand aus einer einfachen Tunika und Beinkleidern. Dazu trugen sie stark abgewetzte Stiefel. In den Stricken, die als Gürtel die Hosen zusammenhielten, steckten einfache Dolche. Das war die gesamte Bewaffnung. In einer Ecke lehnten geschnitzte Stöcke, die ebenfalls als Waffen dienen mochten. Eine schwache Bewegung tief unter dem Überhang verriet Porthos, dass sich da ein weiteres Lebewesen verbarg. Er schlich näher, um das genauer anzusehen. Entsetzen durchströmte Porthos: Konnte das der Gefangene sein? Gefesselt in einem alten Sack?
Während Porthos auf eine günstige Gelegenheit für einen Angriff wartete, trat ein Bandit in ein nahes Gebüsch um sich zu erleichtern. Die Gelegenheit, die Gegner unauffällig zu dezimieren. Porthos überwältigte den ersten Banditen, fesselte und knebelte ihn. Der spitze Schrei wurde von seinen Kameraden zum Glück nicht wahrgenommen. Porthos lauerte auf den nächsten. Da sie dem Alkohol fleißig zusprachen, würde einer nach dem anderen in die Büsche gehen müssen. Erst nach dem Dritten dämmerte es den Banditen, dass einige nicht zurück gekommen waren. Zwei Banditen begannen nun, das Gebüsch zu durchforsten. Doch zwei Gegner konnte Porthos mit Leichtigkeit erledigen. Mit Ihren Dolchen waren sie seinem Degen in keinster Weise gewachsen.
Der letzte Bandit griff alarmiert zu einem Stock. Dieser Gegner war der weitaus Gefährlichste. Porthos stellte sich ihm gegenüber, wie für einen Fechtkampf auf. Die ersten Schläge waren vorsichtig, die Gegner testeten zunächst die Stärke des Gegners. Schnell machte sich Porthos bessere Technik bemerkbar, dennoch brachten ihn die unkonventionellen Abwehr-Schläge seines Gegners durchaus auch in Bedrängnis. Der Bandit verlegte sich immer mehr auf die Verteidigung, ohne selbst anzugreifen. Porthos dagegen, wollte den Kampf möglichst schnell beenden, da er sich in unmittelbarer Nähe des hilflos verschnürten Gefangenen abspielte. Letztendlich erwies sich Porthos bessere Kondition und höhere Wendigkeit auf dem engen Platz als Vorteil. Es gelang ihm, die Abwehr seines Gegners zu unterlaufen und ihn durch einen Treffer in die Seite kampfunfähig zu machen.
Porthos versicherte sich, dass der Bandit ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Dann wandte er sich dem Musketier zu. Dieser lag noch immer verschnürt und mit einem Sack über dem Kopf am Boden. Porthos stieß die Luft erschreckt aus, als er die Beine des Mannes bemerkte. Oberhalb des Knies waren die Beinkleider zerrissen und die Haut mit Schnitten und Kratzern übersät. Er durchtrennte sogleich die Fußfesseln.
Porthos kniete sich neben den Musketier. Er berührte ihn vorsichtig und brachte seinen Mund dorthin, wo er das Ohr vermutete. „Erschreckt nicht. Ich bin es, Porthos. Ihr seid gerettet. Ich löse Euch die Fesseln.“ Sanft drehte er den Gefangenen und durchtrennte die Handfesseln, der Musketier versuchte schwach, sich den Sack über den Kopf zu ziehen. „Athos, ihr!“ rief Porthos erschreckt aus, denn bis zu diesem Moment hatte er nicht gewusst, wer entführt wurde. Athos wollte antworten, doch das war zu viel, die Übelkeit, die er so lange zurückgedrängt hatte, überwältigte ihn und er musste sich übergeben. Porthos half Athos, damit er sich auf die Seite drehen konnte, wie er es auch schon in Montauban bei kranken Kameraden getan hatte. Da sich Porthos‘ Wasserflasche noch am Sattel seines Pferdes, außerhalb des Verstecks befand, musste er anderweitig Wasser besorgen. Leise informierte er Athos: „Ich lasse euch für eine kurze Zeit alleine.“ Athos nickte bestätigend. Porthos folgte mit einem der irdenen Krüge in der Hand dem Geplätscher, das ihm schon früher aufgefallen war und gelangte zu einer kleinen Quelle. Er füllte den Krug mit Wasser und kehrte zu Athos zurück. Vorsichtig wusch er ihm mit seinem Tuch das Gesicht. Er stieß Athos vorsichtig an, um seine Aufmerksamkeit zu erregen: „Athos, hier richtet Euch auf, ich habe Euch etwas zu trinken.“ Athos sah ihn dankbar an, wirkte aber immer noch sehr schwach.
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, doch Porthos wollte auf keinen Fall in diesem Lager bleiben. Athos war durchnässt und in keiner Verfassung, in der er eine kalte Nacht auf den Felsen verbringen sollte. Zunächst sammelte Porthos die sechs Banditen ein. Sechs Gefangene und der geschwächte Athos konnte Porthos nicht mitnehmen. Er schrak aber auch davor zurück, hilflose Gefangene einfach zu töten.
Er legte sie daher alle sorgfältig gefesselt unter den Überhang. Einen Dolch platzierte er so, dass es ihnen innerhalb einer Stunde gelingen konnte sich zu befreien. Die Stöcke verbrannte er, die restlichen Dolche steckte er ein. Dann holte er die Pferde der Entführer. Tatsächlich hatte eines einen wirklich schrecklichen Passgang entwickelt. Porthos nahm es trotzdem mit, um die Banditen jeder Möglichkeit einer Verfolgung zu berauben.
Wackelig kam Athos mit Porthos Hilfe auf die Beine und auf ein Pferd, allerdings nicht auf das mit dem Passgang. Im Gepäck der Banditen fand sich auch eine zerschlissene Wolldecke, die Porthos vorsorglich um Athos schlang. Eigentlich sollte er Athos entkleiden, aber es war Athos deutlich anzusehen, was er davon hielt. Porthos führte die sieben Pferde zurück zum Schlucht-Eingang. Die Engstelle musste er mit jedem Pferd einzeln durchqueren. Als erstes das Pferd, das Athos trug, den Athos machte schon Anstalten, selbst da durch zu reiten. Nach und nach holte er alle Pferde und koppelte sie aneinander. Sein Plan war es, mit Athos zum König zurückzukehren, doch dieser war völlig durchgefroren und für einen längeren Ritt zu schwach.
Porthos erinnerte sich, dass sie nicht weit vom Lager der Dragoner entfernt waren. Sein neuer Plan war es nun, Athos auf seinem (Porthos) Pferd zu Hauptmann d’Enghien zu schicken. Das Pferd würde notfalls den Weg alleine finden! Er selbst wollte mit den sieben Pferden der Banditen zur königl. Entourage zurückkehren und von der glücklichen Rettung Athos berichten. Dazu musste Athos allerdings das Pferd wechseln. Mit etwas Mühe gelang das auch.
Porthos stieg auf, nahm die reiterlosen Pferde am Zügel und führte seine kleine Karawane bis, sie auf einen gepflasterten Weg trafen. Linker Hand führte der Weg innerhalb der Hälfte einer Stunde in das Lager d’Enghiens. Porthos wandte sich um „Athos, wir sind nicht mehr weit vom Lager des Capitaine d’Enghien entfernt. Ihr braucht nur Linkerhand dem gepflasterten Weg zu folgen. Er führt direkt in das Lager. Ich informiere Euren Vorgesetzten. Schafft ihr das?“ Athos bestätigte und wandte sich nach links.
Porthos sah der zusammengesunkenen Gestalt von Athos nach. Er hoffte, dass Athos heil im Lager ankommen würde. Dann besann er sich und kehrte auf seinen Weg zurück.