Porthos von AstridB 

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Kapitel Die Heerschau

Athos erwachte am frühen Morgen, völlig wiederhergestellt, von den unvermeidlichen Geräuschen eines erwachenden Lagers. Er schälte sich gerade aus einem wahren Berg von Decken, als der Adjutant M. d’Enghiens den Musketier Marillac ankündigte. Marillac reichte Athos dessen Mantelsack, damit er sich waschen und geziemend kleiden konnte.  Er erfuhr, dass M. de Tréville in der Nacht eingetroffen war und begab sich unverzüglich zu seinem Hauptmann um sich zum Dienst zu melden. Tréville begrüßte freudig den jungen Musketier. Nach einem ausgiebigen Frühstück ließ er Athos berichten.

 

Porthos schrak derweil aus einem unruhigen Schlaf. Der Versuch, seine Augen zu reiben, erinnerte ihn daran, dass er noch gefesselt war. Hungrig und Durstig wand er sich hin und her um seine Glieder von der nächtlichen Steife zu befreien. Michael trat ein. „Porthos, der Kardinal will Euch sehen.“ Er trat zu dem Gefangenen und löste die Fußfesseln. Ein zweites Mal wurde der gefesselte Porthos von den Garde-Engeln des Kardinals durch das Lager geführt. Die Blicke die die anderen Soldaten auf ihn warfen, waren schlimmer als der Spießrutenlauf, den er überstanden hatte. Porthos hielt den Blick gesenkt und versuchte, die bissigen Zurufe zu überhören. Es gelang ihm, fast. Ab und an geriet er in Rage und schlug mit gefesselten Händen um sich. Was ihm jedoch nur Hiebe von Uriel eintrug.

 

Der dadurch entstandene Aufruhr erreichte auch Athos, der sich nach dem ausgiebigen Frühstück auf der Suche nach seinem Quartier befand. Athos sah nach der Ursache des Krawalls. Einen Moment sah er Porthos in die Augen. Wie ein Schlag traf ihn die Erkenntnis: Das war sein Retter! An ein Durchkommen durch die Menge war nicht zu denken, so folgte er zum Zelt Hauptmann d’Enghiens. Er drängte sich durch die Menge, eine Wache erkannte ihn und ließ ihn passieren. Neben dem Hauptmann waren auch König Ludwig und Herzog de Bonne, sowie Kardinal Richelieu und M. de Tréville anwesend. Gemeinsam wollten sie den Ablauf der heutigen Heerschau besprechen.

 

Athos stürmte in das Zelt. Er trat neben Porthos vor den Kardinal: „Eminenz, ihr müßt diesen Mann sofort freilassen, er hat mich vor den Banditen gerettet.“ M. de Tréville im Hintergrund war sichtbar bemüht, sich ein Lächeln zu verkneifen. Niemand redete so mit Kardinal Richelieu und noch weniger stand es einem einfachen Musketier zu, Forderungen an den Kardinal zu richten. Ein solcher Bruch mit der Etikette war bei Athos so ungewöhnlich, es musste sich um eine wichtige Sache handeln. Richelieu hub an, Athos zu Maßregeln, da hob der König die Hand und wandte seine ungeteilte Aufmerksamkeit Athos zu. Athos trat in seiner ihm ureigensten Anmut vor den König und verbeugte sich artig. Auf einen Wink M. de Trévilles hin, gab er dem König einen sachlichen Bericht über die Ereignisse seiner Entführung. Noch während Athos‘ Bericht, gab der König mit einem Wink den Befehl, Porthos von seinen Banden zu befreien. Dieser stand, sichtbar verlegen, ob der ihm geltenden Aufmerksamkeit neben Athos. Der König, der erst jetzt erfuhr, dass die Entführung ihm gegolten hatte, dankte Athos und besonders auch Porthos für die Errettung seines tapferen Musketiers. Mit Blick auf die in wenigen Stunden angesetzte Heerschau wurden Athos und Porthos entlassen.

 

Ohne einander groß anzusehen, gingen Athos und Porthos ihrer Wege. Porthos hatte es eilig, er musste sich waschen und umkleiden, außerdem wollte er sich noch ein Frühstück einverleiben. Athos brachte sein Bündel in das ihm zugewiesene Quartier und schlenderte anschließend durch das Lager.

 

Zur festgesetzten Zeit begann die Heerschau. König Ludwig XIII, Kardinal Richelieu, Herzog de Bonne de Créquy und die beiden Hauptmänner d’Enghien und de Tréville , sowie eine Eskorte aus Gardisten und Musketieren, darunter Athos standen auf einer hastig zusammengezimmerten Tribüne am Rand einer riesigen Wiese. Mit dem Appell begann eine Parade aller Dragoner vor dem König. Anschließend wurden verschiedene Gefechtssituationen der Dragoner simuliert. Dabei dienten die Pferde nur der Heranführung der Truppe an den Gegner, einmal angekommen, sprangen sie ab und stellten sich mit ihren Musketen in Formation bereit. Wie bei der Infanterie: die erste Reihe kniend, die zweite stehend, den Vorderlader im Anschlag. Geschossen wurde nacheinander auf Befehl immer eine Reihe gleichzeitig, nun musste hastig nachgeladen werden, für den nächsten Schuss. War der Gegner dann zu Nahe herangerückt, flogen die Gewehre davon und die Dragoner stürmten mit gezückten Degen in den Nahkampf.

 

Nach diesen großen Vorführungen, an denen alle Dragoner beteiligt waren, wurde der Umgang mit den Waffen demonstriert. Hier konnten sich einzelne Kämpfer hervortun. Hauptmann d’Enghien hatte dabei eine Art Wettbewerb organisiert um die Motivation zu steigern. Zuerst wurde geschossen. Mit Gewehren und Pistolen. Aus diesen Wettbewerben gingen Ronjeau und Vazins als Sieger hervor, doch auch Porthos erreichte gute Ergebnisse. Im Nahkampf mit dem Degen spielte Porthos seine ganze Stärke aus. Er gewann nicht nur alle seine Einzel-Kämpfe, er trat auch gegen eine Übermacht an und ging als Sieger daraus hervor. Seine Überlegenheit war so frappierend, das M. de Tréville den Hauptmann d’Enghien darauf ansprach: „Capitaine, könnt ihr keinen ebenbürtigen Gegner für M. Porthos aufbieten? Nun, wir könnten ihn gegen einen Musketier antreten lassen? Ich schlage Athos vor.“ D’Enghien stimmte dem Ansinnen zu. M. de Tréville war auf der Schau nach geeigneten Kandidaten für die Musketiere. Porthos war ihm bereits vor Montauban aufgefallen und er hatte die Absicht ihn für die Musketiere zu rekrutieren. Ein Risiko war, dass der Kardinal ebenfalls nach Rekruten für seine Garde schaute, dem galt es zuvor zu kommen!

 

Athos und Porthos machten sich zum Kampf bereit. Athos hatte einen kleinen Vorteil, da er ja die Gelegenheit hatte, seines Gegners Kampfstil zu studieren. Andererseits war Porthos noch kaum gefordert worden, so dass sich noch unerwartetes Potential offenbaren mochte. Sie trugen ihr Gefecht vor der Tribüne unter den Augen des Königs aus. Von der Wiese konnte keine Rede mehr sein, der Untergrund war völlig durchweicht und durch die vielen Durchläufe matschig und ausgetreten. Dennoch glichen Athos Bewegungen, denen eines Tänzers. Obwohl auch Porthos behände kämpfte, wirkte er fast unbeholfen, gegenüber Athos Eleganz. Dieser Kampf versprach spannend zu werden.

 

Für die Fechtkämpfe hatten sich die Dragoner weiträumig auf der Wiese verteilt, so dass sich überall Gruppen aus Kämpfern und Zuschauern gebildet hatten. Der Kampf zwischen Athos und Porthos sprach sich herum und die Dragoner beendeten nach und nach ihre Gefechte und versammelten sich um die beiden Kämpfer vor der Tribüne. Porthos kämpfte verbissen, während Athos Stil fast mühelos erschien. Doch keinem von beiden gelang es einen Vorteil zu Erringen. Jede Parade von Porthos konnte Athos leicht parieren. Porthos gab sich aber auch keine Blöße und parierte geschickt Athos‘ Stöße. Jedem Zuschauer war sofort ersichtlich, dass sich hier zwei ebenbürtige Gegner gegenüber standen. Kaum einem Zuschauer gelang es, den Kampf unvoreingenommen zu beobachten. Findige Soldaten, vor allem aus den Reihen der Kardinals-Garde und der Dragoner, nahmen Wetten auf den Ausgang des Kampfes an. Dies und eine zunehmende Aggressivität der Zuschauer untereinander alarmierten M. de Tréville. Er wollte einen fairen Kampf, der nicht von den Aktionen der Außenstehenden beeinflusst wurde. Trévilles Eingreifen kam zu spät. Er trat vor, um den Kampf zu beenden, doch in diesem Moment stolperte Porthos unerwartet rücklings. Nur Athos Geistesgegenwart bewahrte ihn vor einer erheblichen Verletzung durch Athos Degen. Was war geschehen? Athos hatte seinen Gegner weit zurückgedrängt. Die Zuschauer, darunter die Garde-Engel des Kardinals,  standen knapp hinter Porthos und drängelten und schubsten einander. Diese Situation nutzten Uriel und Michael schamlos aus. Sie tauchten ein wenig ab und spannten unbemerkt einen dünnen Faden hinter seinem Fuß. Porthos strauchelte und fiel rücklings auf den Boden. Zu seinem Pech, war es ausgerechnet da felsig und nicht matschig. Der Aufprall war sehr heftig, ihm wurde die Luft aus den Lungen gepreßt. Athos, der seine Vorwärtsbewegung gerade noch bremsen konnte, ließ den Degen fallen und sprang zur Seite, um nicht über den am Boden liegenden Gegner zu stolpern. Athos sprang zu Porthos, der bewegungslos dalag und offensichtlich etwas mitteilen wollte, doch kein Wort drang durch seine Lippen. M. de Tréville erreichte in diesem Moment die beiden Kämpfer. Besorgt beugte er sich über den Liegenden. Athos und M. de Tréville zogen Porthos auf die Beine. Erst jetzt spürte er einen stechenden Schmerz und eine warme Flüssigkeit, die ihm in die Hand lief. Athos hatte ihn am Arm getroffen.

 

Im allgemeinen Tumult, der dem Sturz folgte, gelang es Uriel und Michael unauffällig zu verschwinden. Keiner der Umstehenden hatte bemerkt, dass etwas ungewöhnliches Geschehen war. Lediglich Tréville, der, wie wir ja wissen, ein besonderes Interesse an Porthos hatte, hatte ihn genauestens beobachtet und argwöhnte, dass mehr hinter dem Sturz steckte. Tréville beendete den Kampf und bat Athos Porthos, der etwas wackelig auf den Beinen war, zu seinem (Trévilles) Leibarzt zu begleiten.

 

Damit beendete der König auch die Heerschau und entließ die Soldaten. Ludwig XIII und Herzog de Bonne zogen sich mit M. d’Enghien, M. de Tréville und dem Kardinal in Hauptmann d’Enghien’s Zelt zurück.

 

Es war erst später Nachmittag und  bis zum Zapfenstreich blieb noch Zeit. Nachdem der Arzt mit Porthos fertig war, suchten die beiden Männer eine Bude am Rande des Lagers auf. Wie bei jedem Heerlager, ob in Friedens- oder Kriegszeiten, fand sich auch hier eine Reihe hastig zusammengezimmerter Buden, in denen Alles angeboten wurde, was das Herz des Soldaten erfreute. Kaum hatten Athos und Porthos das Lokal betreten, wurden sie getrennt und von ihren jeweiligen Kameraden in Beschlag genommen.

 

Es ging hoch her in dieser Bude. Soldaten der Dragoner, der Musketiere und der Garde mischten sich unter einander. Gruppierten sich auf Baumstümpfen und leeren Fässern sitzend um weitere leere Fässer, die als Tisch dienten. Lautstark spielten Soldaten um ihren Sold, mit Würfeln oder Karten. Junge Frauen, fast noch Mädchen, brachten Wein und manchmal auch mehr. Porthos, von Natur aus ein fröhlicher Charakter, beteiligte sich an einer fröhlichen Würfelrunde.

 

In einer anderen Ecke sprachen Musketiere dem Wein zu. Sie übertrumpften sich mit lautstarken Erzählungen. Einige spielten Karten. Andere fanden Gefallen an zotigen Liedern. Inmitten dieser Runde gleich einer stillen Insel, saß ein nachdenklicher Athos. Er beteiligte sich nur beiläufig an den Gesprächen.

 

Ohne dass es groß bemerkt wurde, verlies Athos das Lokal und kehrte, solange es noch hell war, zum Kampfplatz zurück. Athos gingen die seltsamen Umstände von Porthos Sturz nicht mehr aus dem Sinn. Im matschigen Grund versuchte er die Ursache des Stolperers seines Gegners zu finden. Sein Fuß verhedderte sich im Schlamm an etwas langem Dünnem. Statt der erwarteten Wurzel,  fand seine Hand einen langen, dünnen Draht. Das schien seinen Verdacht zu bestätigen: Irgendjemand wollte Porthos stolpern lassen. Aber wer?

 

Athos kehrte nach der Schenke zurück, in der die Dragoner noch würfelten. Athos setzte sich in eine Ecke und bestellte einen Krug Wein, er würde warten, bis auch Porthos die Bude verlies. Da traten auch die vier Garde-Engel des Kardinals das Lokal. Sie gratulierten Athos in einem ironischen Tonfall zu seinem Sieg. Athos war nicht erfreut, die vier zu sehen, denn die Garde-Engel hatten einen schlechten Ruf unter den Musketieren.

 

Es dauerte auch nicht lange, bis die Garde-Engel zur Tat schritten. Athos Abneigung gegenüber Frauen war auch bei den Garden bekannt, so bezahlten sie eine Dirne, die ihn bedrängte. Ohne jede Regung ließ er dies über sich ergehen, in der Hoffnung dadurch den Spaß an derlei Scherzen zu verderben. Seine Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Immer schlimmere Beleidigungen trafen Athos, der sie schweigend und ohne Regung hinnahm.

Inzwischen hielt der Weinkonsum der Garde-Engel mit den Bösartigkeiten mit und sie wirkten merklich betrunken. Da bekanntlich der Wein die Zunge löst, begannen die vier zu prahlen. Erst mit ihrem Gewinn, den sie Dank Athos gemacht hatten. Athos erbleichte, regte sich aber nicht. Später traten immer mehr Details zum Vorschein, bis auch der ahnungsloseste Zecher begriffen hatte, dass Uriel und Michael für Porthos Sturz verantwortlich waren. Wie ein Mann standen Athos und Porthos auf, stellten sich Seit‘ an Seit‘ den Garde-Engeln gegenüber. In der nun folgenden Schlägerei wirkte sich ihre Unterzahl nicht als Nachteil aus.

 

Das Getümmel in der Bude, rief die Leutnants der drei Regimenter, die für die Einhaltung der Ordnung unter den Soldaten verantwortlich waren, auf den Plan. Diese beendeten die Schlägerei, indem sie alle sechs Hauptbeteiligten arretierten.