Auf Messers Schneide von Petalwing
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 20 BewertungenKapitel Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da...
Mal wieder ein Update... Have fun.
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Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da
Da sitzen wir nun, ein alter Zyniker und ein unverbesserlicher Idealist, eine Kombination, die der Teufel nicht hätte besser aussuchen können. Jaja, Du sagst nichts, aber ich kann Deine Freude förmlich riechen. Wahrscheinlich weißt Du nicht einmal, warum ich Dir plötzlich all diese Möglichkeiten eröffne. Dass es eine Notwendigkeit ist, an der ich nicht vorbeikomme, begreifst Du vermutlich nicht. Ich gebe zu, der Gedanke, dass ich aus Großmut handle, schmeichelt meinem Ego ungemein.
Aber, wenn ich ehrlich bin, was soll ich denn tun? Halten kann ich Dich ja doch nicht, denn Du lässt Dich nicht einsperren, ich verlöre Dich nur umso schneller, je mehr Restriktionen ich Dir auferlege. Das eingesperrt sein bekommt Dir nicht, leider. Aber ja, im Grunde kann ich Dich verstehen, auch wenn meine Bequemlichkeit leidet, aber ich selbst hielte es ja auch nicht aus. So ist das nun einmal mit uns Männern der Tat. Und, es ist nun einmal so, als ich Dich wählte, wusste ich tief im Innern, dass Du Dich nicht gern als Marionette benutzen lässt. Nun, genau das macht es ja so spannend.
Da Du nun einmal ohne Zweifel in Schwierigkeiten geraten wirst, ist es besser, Du bist wenigstens vorbereitet. Dass ausgerechnet Tréville Deinen Unterricht unterstützen wird, gefällt mir zwar gar nicht, aber ich schlage durch dieses Maneuver mehrere Fliegen mit einer Klappe. Jetzt, nach dem zweiten Blutsband, fürchte ich nicht mehr, dass er Dich abspenstig machen könnte, also werde ich gegebenenfalls einen Spion in seinem Haus haben, nicht er in meinem. Indem ich Dich zu ihm lasse, wiege ich den alten Fuchs in Sicherheit, soll er nur denken, ich wäre nicht mehr ganz Herr der Lage. Ebenso wie ich plant er auch und er wird hoffen, Dich gewogen zu machen, um einen Informanten in meinem Clan zu haben. Vielleicht hofft er auch, Dich ‚moralisch‘ unterstützen zu können, um Dich von meinem ach-so-verderblichen Einfluss zu befreien, und dabei tut mir der Alte einen Gefallen, indem er Dir seine Tricks beibringt.
Das verschafft mir Zeit, besonders, da die Brujah durch den Kampf mit dem Sabbat abgelenkt sein werden. Das passt nur zu gut, habe ich doch in der nächsten Zeit einige Arrangements zu schaffen, bei denen mir neugierige Brujahnasen nur lästig wären.
Zum Dritten wirst Du mir unendlich dankbar sein, dass Du wieder mit deinen kleinen Musketierfreunden spielen kannst, und immer wieder zu mir zurückkehren, wenn ich Dich rufe. Somit gewinne ich indem ich gebe, was ich verlöre, wenn ich festhielte. Und warte nur, ich will Dich schon noch an mich binden, je weiter Du die Geheimnisse der Nacht ergründest, umso mehr wirst Du mich brauchen. Und das ist gut, denn es wird eine Zeit kommen, da ich Dich mehr brauchen werde denn je, denn mit Deiner Hilfe kann ich mir vielleicht das wiederholen, was man meinem Erschaffer genommen hat, bevor man ihn feige ermordete: den Thron dieser Stadt. Oh ja, Arnoud du Paris, er wird fallen, und Du Athos wirst mein Schlüssel sein. Dann werde ich mich rächen für die Demütigung, mit ihm, dem hinterlistigen Hund und feigen Mörder, an einem Tisch sitzen zu müssen. Doch darf ich mich nicht zu sehr in den Gedanken an Rache sonnen, noch nicht…
Also konzentriere ich mich auf die ersten Schritte dieses langen Weges, der uns bevor steht und beginne noch in dieser Nacht Dich zu unterrichten. Noch einmal erläutere ich Dir die Kräfte, die ich in Dir schulen will, Seelenstärke, die uns zeitweise Resistenz gegen das ansonsten tödliche Licht der Sonne verleiht und uns größeren Bewegungsspielraum gibt, du wirst sie dringend brauchen, wenn Du Dich bei Tag bewegen willst. Dann die Dominanz, die Macht des Willens und die Präsenz, die Macht, Emotionen, in anderen hervorzurufen, Leidenschaft wie Entsetzen. Bei ersterem und letzterem wird Dir Tréville viel beibringen können. Die Lehre der Dominanz behalte ich mir vor. Dennoch, das muss warten, Seelenstärke hat Vorrang vor allem anderen. Also beginnen wir damit, Dass Du mehr Kontrolle über Deine Instinkte erlangst. Auch wenn sie nützlich sind, müssen Sie sich doch letztendlich unserem Willen unterwerfen. Wir beginnen zunächst ganz simpel mit einer Kerze. Wie in allen jungen oder unbeherrschten Vampiren, löst allein der Anblick von Feuer in Dir Unbehagen aus, je näher und größer das Feuer, umso mehr steigert sich die Abneigung zu purer Tollheit. Immer näher zwinge ich Dich an die Flamme heran, und Du gibst Dein Bestes, meine Anweisungen zu erfüllen, auch wenn die Furcht immer wieder nach Dir greift. Aber, wie ich vermutet habe, bist Du in Punkto Selbstkontrolle durchaus kein Neuling, also stellst Du Dich weit besser an, als die meisten Neugeborenen. Am Schluss bist Du sogar in der Lage, die Kerze ein paar Schritte mit Dir herumzutragen, dann aber spüre ich dass selbst Deine Willenskraft ausgeschöpft ist und breche die Übung ab. Zugleich bewundere Deinen Mut und beschließe, in der nächsten Nacht mit einer Fackel fortzufahren. So geht es ein paar Nächte weiter. Wir üben mit wechselnden Feuerquellen bis Du dich in ihrer Gegenwart fast natürlich bewegst. Ich bin entzückt, als Du bereits nach einer Woche neben einem Kamin stehen und plaudern kannst. Doch so sehr mich Deine Leistungen in Bezug auf die Seelenstärke beeindrucken, so sehr lassen sie bei den Lektionen in Beherrschung zu wünschen übrig.
Als Übungssubjekt habe ich einen schwachen Menschengeist auserkoren, den sogar ein Anfänger wenigstens grundlegend beeinflussen kann, Deinen Diener Grimaud. Du wirst ihn ohnehin immer wieder mal beherrschen müssen, um ihn gefügig zu machen, also scheint es mir nur sinnvoll, mit ihm anzufangen. Du jedoch bist störrisch und weigerst Dich. Obwohl Du, wenn auch widerwillig, zumindest versuchst, meinen Anweisungen Folge zu leisten, will es Dir nicht gelingen. An der Theorie kann es nicht liegen, Du begreifst sie sehr wohl. Aber ein Teil von Dir will es einfach nicht, und da Dein Wille so stark ist, wie bei keinem anderen Neugeborenen, den ich kenne, kannst Du es nicht.
Am Ende bin immer ich es, der den unglücklichen, verängstigen Grimaud seine Erlebnisse vergessen lässt. Nach einigen Nächten Tauziehen gebe ich vorerst klein bei und stelle Dir einen meiner Ghule zu Verfügung, aber Du willst es einfach nicht tun. Da die Zeit drängt, und ich bald eine kleine Reise unternehmen muss, konzentriere ich mich schließlich wieder auf die Seelenstärke. Dabei fühlen wir uns beide wohler, denn es geht viel leichter von der Hand. Bereits nach zwei Wochen kannst Du das erste Mal am offenen Fenster einen Sonnenaufgang betrachten. Ich bin äußerst zufrieden. Als hättest Du jahrelang nichts anderes getan. Was Du in gewisser Weise auch hast. Vielleicht ist es sogar ein Vorteil, diese Disziplin als Neugeborener zu lernen. Dann ist die „gute“ Erinnerung an den Tag noch stark und der Anblick der Sonne weniger verstörend.
Das ist dann auch der Zeitpunkt, an dem ich meine Unternehmung nicht länger aufschieben kann, also empfehle ich Dich bis auf weiteres Deinem hochverehrten Hauptmann und verabschiede mich. Kurz vor meiner Abreise jedoch ergibt sich noch eine kleine Meinungsverschiedenheit, als ich Dich beauftrage, endlich Deinen Diener zum Ghul zu machen. Du starrst mich an mit einer Verständnislosigkeit, die geradezu köstlich amüsant wäre, wenn ich Zeit hätte, diesen Umstand auszukosten. Manchmal kann Dein Moralempfinden wirklich anstrengend sein. Anstatt Dich anzuschreien, wozu ich nicht übel Lust habe, erkläre ich Dir also, dass es unabdingbar notwendig für die Maskerade ist und dass Dein Diener davon immerhin auch profitiert. Er wird stärker, widerstandfähiger und langlebiger. Damit kommt er der Unsterblichkeit so nahe, wie es einem Menschen möglich ist. Ich merke, Du hast Angst um sein Seelenheil, aber für solche närrischen Kleinigkeiten habe ich jetzt wirklich keine Zeit. Denn meine drängt. Also lasse ich Dich mit Deinen Zweifeln allein, denn ich werde Deine Seelenqualen, die aus unerfüllbar hohen ethischen Ansprüchen resultieren, sowieso nicht lösen können. Letztlich kann es mir auch egal sein, wie Du das Problem regelst, lebst Du erstmal mit einem Sterblichen zusammen, dann wirst Du schon feststellen, wie schwer es ist, diese Bagage im Dunkeln zu halten, wenn man weder die Beherrschung noch die Macht des Blutes zu Hilfe nehmen will. Also warne ich Dich noch einmal eindringlich davor, die Maskerade zu gefährden, dann gehe ich. Ungern, zugegeben, aber für das was ich vorhabe, bist Du noch zu unerfahren und Fehler darf ich mir nicht erlauben, sonst könnte Dein Erschaffer sehr schnell ein sehr vernichteter Erschaffer sein, mein Lieber.
Rochefort is fort. Seit bereits einer Viertelstunde und ich stehe verdrießlich vor dem Kamin, im Salon, indem noch nie ein Feuer brannte, seit ich hier bin. Das Übungsfeuer schürten wir in einem kleineren Kamin in der Bibliothek. Ich habe jetzt was ich wollte, wieder ein Stück Unabhängigkeit. Gleich werde ich den Hauptmann aufsuchen und mich wieder zum Dienst melden. Mit etwas Glück kann ich sogar noch meine Freunde im Tannenzapfen oder auf Wache treffen. Aber dennoch. Irgendetwas fehlt mir und ich kann nicht sagen, was. Ich spüre nur, dass mir ein Paris ohne Rochefort seltsam leer vorkommt, auch dieses Haus ist so still und ich lausche auf etwas, vermag aber nicht zu sagen, was genau. Obwohl ich mich längst auf den Weg gemacht haben sollte, starre ich in die Reste alter Asche. Wie muss man sich fühlen, wenn man so alt ist wie er, der gemäß seinen Andeutungen schon ein, zwei Jahrhunderte auf der Welt weilt. Gewöhnt man sich irgendwann an die Einsamkeit? Der Gedanke schmerzt mich. Eigentlich glaubte ich bisher, ich habe mich recht gut mit meinem selbstgewählten Exil, mit einem gewissen Maß an Einsamkeit, arrangiert, nun aber, in den letzten Wochen, musste ich feststellen, dass ich einem Irrtum aufgesessen bin. Meine Freunde habe ich vermisst und jetzt beginne ich sogar bereits meinen Meister zu vermissen, obwohl er nicht einmal eine Stunde fort ist.
‚Kopf hoch‘ befehle ich mir, denn schließlich habe ich mir für heute einiges vorgenommen. Also greife ich nach Hut und Mantel und verlasse das Haus energischen Schritts, befehle meinem verwirrten Grimaud, der sich jede Nacht aufs neue fragt, wo er sich befindet, mir zu folgen, dann wandere ich durch die Nacht. Diesmal meide ich dunkle, enge Gassen. Mehr noch, ich halte Ausschau nach Beobachtern und Verfolgern. Aber es bleibt ruhig und ich erreiche ohne Schwierigkeiten das Hauptquartier der Musketiere.
Ich trete wie immer durch das große Tor und als sei dadurch ein Märchenzauber von mir genommen, sind da plötzlich überall vertraute Gesichter, die mich grüßen und nach meinem Befinden und meiner Reise fragen. Ich antworte mit ein paar sparsamen Erklärungen über Familienangelegenheiten, und mache mich auf den Weg zum Hauptmann. Mir, der ich in den letzten Wochen nur noch Rocheforts stilles Anwesen gewöhnt bin, erscheinen sie viel zu zahlreich. So viele Menschen, bei Dunkelheit, im Revier der Nachtgestalten? Aber was rede ich da, der Abend ist noch jung, jetzt gerade ist Schichtwechsel, natürlich sind viele Musketiere versammelt.
Vor Trévilles Tür begegne ich Porthos. Überrascht blickt er von einem Gespräch auf, sieht mich, empfiehlt sich und läuft mir entgegen, um mich voll ehrlicher Freundschaft kurz an sich zu drücken. Es ist, als wäre ich nie weggewesen, er hat sich nicht verändert. Natürlich hat er sich nicht verändert, tadle ich mich in Gedanken, es sind ja kaum drei Wochen vergangen. Für ihn nicht einmal ein Monat, nur mir allein ist es wie ein ganzes Jahr erschienen. Ach, mein guter alter Porthos.
Und plötzlich bin ich endlich ganz zurück.
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