Auf Messers Schneide von Petalwing 

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Kapitel Plaudereien

Kapitel 6 – Plaudereien

Tréville beobachtete Athos aufmerksam. Der Musketier hockte entkräftet auf einem Stuhl in der Schreibstube seines Hauptmanns und lehnte sich an die Wand. Die Augenlider waren herabgesunken. Im Schein der wenigen Kerzen, die den Raum erhellten, sah sein bleiches Gesicht beinahe durchscheinend aus. Obwohl er sich jetzt wieder unter Kontrolle hatte, war sein Zustand bedenklich. Die Wunden heilten nur langsam und so lange er das Angebot des Hauptmanns ablehnte, von einem Sterblichen aus Trévilles kleiner „Herde“ zu trinken, blieb es auch dabei. Dass Athos sich hartnäckig weigerte, einem Sterblichen, ja gar einem anderen Musketier Lebenskraft zu rauben, erstaunte den Hauptmann nicht. Athos Edelmut und sein Stolz obsiegten selbst dann, wenn seine körperlichen Bedürfnisse dabei zu kurz kamen. Viel mehr verblüffte Tréville, wie schnell Athos die Erkenntnis, dass sein Hauptmann ebenfalls zur Welt der Nacht gehörte, akzeptiert hatte. Nach dem ersten Schock hatte er sich binnen Minuten gefasst und sogar Dankbarkeit für die Rettung gezeigt. Dann war er dem Hauptmann in dessen Amtsstube gefolgt, seitdem war nicht mehr viel gesprochen worden.
Plötzlich öffnete der Musketier die Augen. Er sah Tréville durchdringend an.
„Sire, darf ich eine Frage stellen?“
Tréville bejahte.
„Wieviele sind es?“
„Was meint Ihr?“
„Wieviele Musketiere…“, setzte Athos stockend hinzu. „Wieviele sind… oder besser gehören… also außer Euch und mir…“
„Ach, Kainiten meint Ihr. Nun nicht sehr viele. Derzeit insgesamt zehn.“
Athos nickte. Ein müdes Lächeln huschte über seine Lippen. „Die Nachtschicht, nicht wahr?“
Tréville musste angesichts dieser Schlussfolgerung, die von der Wahrheit gar nicht einmal soweit entfernt war, ebenfalls lächeln. „So in etwa.“ Echte Wärme lag in seiner Stimme.
„Wenn dem so ist. Denkt Ihr, dass ich-“
Bevor Athos jedoch seinen Satz beenden konnte, flog die Tür auf.
Dort stand Rochefort. Bleich und schwarz wie ein Racheengel. Tréville hatte sich bereits gefragt, wann der Ventrue auftauchte. Es wurde Zeit. Mit langen Schritten näherte er sich dem Hauptmann. Sein Gesicht spiegelte gerechten Zorn.
„Was geht hier vor?“
Der Hauptmann der Musketiere war auf eine solche Szene gefasst. Die Wut Rocheforts prallte an einem Schulterzucken ab. In diesem Augenblick hatte er die seltene Gelegenheit, den Primogen der Ventrue in seinen Fingern zappeln zu lassen. Das Schicksal hatte ihm einen politischen Vorteil in die Hände gespielt. Jeder Vampir, auch ein Primogen, ja erst Recht ein Clansführer, war in der Pflicht, seine Nachkommen zu beschützen und zu kontrollieren. In diesem Punkt hatte Rochefort gründlich versagt. Schon lag ihm eine ironische Phrase auf der Zunge, als er in Athos Augen blickte, die mit einem Mal sehr wach und besorgt funkelten. Der Musketier war aufgestanden in dem Moment, da Rochfort den Raum betreten hatte. Innerlich seufzte Tréville. Wenn er Rochefort die Wahrheit über die Ereignisse der Nacht verriet, demütigte er Athos.
Dennoch, Athos war nun ein Ventrue, gehörte zu einem fremden Clan. Doch hatte er es verdient, jetzt bereits al Spielball ihrer Intrigen missbraucht zu werden? Noch fehlte ihm das Wissen, um mit gleichen Waffen zu kämpfen. Gewiss, Tréville würde gewinnen, aber Athos zahlte den Preis. Und wenn es eins gab, das ebenso stark war wie Trévilles Loyalität zu seinem Clan, so war es seine Freundschaft für seine Männer.
„Mich erstaunt Euer Zorn, Graf“, Tréville hatte sich entschieden. „da hier doch nur ein Freundschaftsbesuch stattfand. Ich ließ Athos eine Nachricht zukommen, und gründlich wie er ist, suchte er mich sofort auf.“
Obwohl Athos dankbarer Blick kaum merklich den Hauptmann streifte, fiel er dem scharfsinnigen Ventrue sofort ins Auge.
„Ist das so?“, wandte er sich drohend an Athos. Der hielt dem bohrenden Starren seines Meisters stand und hob geradezu stolz das Kinn.
„Wir besprachen just in diesem Augenblick meine Möglichkeiten, weiter als Musketier zu dienen, Sire“, antwortete er steif.
Stumm jubelte Tréville über diesen Mut, mit dem der junge Mann, seinem um Jahrhunderte überlegenen Meister die Stirn bot. Rochefort würde mit diesem Childe noch viel Vergnügen haben.
„So ist es“, bekräftigte der Hauptmann.
Misstrauisch musterte der Graf sie beide. Er glaubte ihnen kein Wort.
„Wie ich hörte gab es einen Kampf?“, fragte er angelegentlich, taxierte dabei aber Tréville sehr genau. Obwohl die stolzen Ventrue im Allgemeinen ihre vornehmen, gepuderten Nasen aus der Gosse heraushielten, hatten sie ihre Spione überall. Da Tréville nicht einschätzen konnte, wie viel der Rochefort wirklich wusste, verzichtete er auf eine allzu große Lüge. Am besten log es sich immer noch mit der Wahrheit. Er machte seinem jungen Freund ein weiteres Geschenk. An Athos war es nicht verschwendet. So schnell würde es Rochefort nicht gelingen, seinen Charakter zu verderben, wenn überhaupt. Bis dahin konnte er sich darauf verlassen, dass Athos nicht zögern würde, seine Schuld zu begleichen. In diesem Sinne war es langfristig gar ein größerer Vorteil, einen Verbündeten im Umfeld Rocheforts zu besitzen.
„Nachdem der Sabbat in der letzten Zeit wieder verstärkt Aktivitäten zeigt, wollte unser junger Freund erfahren, wie wir das Problem erledigen. Die Herren Jerome und Thierry zeigten ihm, wie wir mit den Abtrünnigen umspringen. Ihr könnt sie fragen, wenn ihr wollt. Oder ihr fragt Athos selbst, ganz wie Euch beliebt.“
Diese Variante erklärte Athos Zustand. Zugleich war jeder Vorwurf eines Fehlverhaltens abgewendet, auch wenn Tréville bezweifelte, dass Rochefort solche Anschuldigungen hervorbringen würde. Schließlich war er mehr als jeder andere daran interessiert, die Angelegenheit im Dunkeln zu halten. So wunderte es auch nicht, dass Rochefort sich mit dieser Antwort zufrieden gab. Er entspannte sich unmerklich und nickte Athos zu. Nun, für heute ist es wohl gut. Verzeiht, Hauptmann, wenn wir Euch jetzt verlassen müssen, die Nacht will genutzt werden.“
„Ich verstehe.“ Trévilles Freundlichkeit war eine ebenso effektive Maske, wie die eisige Höflichkeit Rocheforts. „Wir werden sicher Möglichkeiten finden, unser Gespräch später fortzuführen, nicht wahr Athos?“
Der Musketier verneigte sich. „Hauptmann.“
Sein Meister ließ sich immerhin zu einem knappen Nicken herab. „Gehen wir.“
Der herrische Tonfall ließ Athos merklich zögern, schließlich wandte er sich jedoch um und folgte dem Grafen. Diese neuerliche Demonstration von Eigenwillen verleitete Tréville, den Einsatz in ihrem Spiel ein wenig zu erhöhen. Athos zu helfen war das eine. Den Primogen der Ventrue, einen alten Konkurrenten, sich winden zu sehen, war etwas anderes. Der Graf war bereits an der Tür, als ihn der Hauptmann noch einmal ansprach.
„Nun, da selbst der Sabbat Euer Childe kennen gelernt hat, werdet Ihr Athos wohl der Camarilla nicht länger vorenthalten. Ich persönlich freue mich schon, Euch morgen zum Festbankett des Prinzen zu sehen, Athos. Dann finden wir sicher auch Gelegenheit, unsere Plauderei von Eben fortzuführen.“
Zu Trévilles Leidwesen blieben Rocheforts Züge ausdruckslos, aber Tréville war sicher, dass er kurz davor war, mit den Zähnen zu knirschen.
„Wir werden sehen.“
Tréville setzte sich zufrieden an seinen Schreibtisch. Der heutige Abend war interessant gewesen, der nächste wurde sicher noch besser.
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