Auf Messers Schneide von Petalwing 

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Kapitel Alle meine Soldaten

Kapitel 5 - Alle meine Soldaten

Der Vampir sah auf die starre Gestalt des Antitribu herab. Die Degenspitze ragte dem Sabbatbiest aus der Brust, dort wo das Herz saß. Das war sauber gepfählt.
„Was ist mit den anderen?“ wandte er sich leise an seinen Kameraden. Der schnürte gerade ein paar Leichen fachgerecht zusammen und schleifte sie zum Ufer der Seine.
„Zum Glück nur ein paar Ghule. Nichts Bedeutendes. Aber diesmal war es knapp.“
Körper klatschten auf Wasser, dann schluckte der Fluss die verräterischen Zeugnisse der Auseinandersetzung. Die Seine war eine Verbündete, die gute alte Freundin, der man in Paris, seine schmutzigen Geheimnisse und seinen lästigen Ballast anvertraute, die Fluten gurgelten alles hinab und wenn in wenigen Tagen ein paar Wasserleichen am Stadtrand hinauftrieben, interessierte das niemanden und die Maskerade war wieder einmal geschützt. Der Mann sah zu, wie die Körper versanken, dann eilte er an die Seite seines Kameraden. Sie musterten einander. Ihre Uniformen hatten wieder einmal gelitten. Aber das war nichts ungewöhnliches, wenn der Sabbat zum Tanz rief, dann blieb nichts heil. „Lasst uns den hier schnell fortschaffen, bevor die Sache die Runde macht.“
„Ja. Aber das Childe des Ventrue ist entkommen.“
„Ich weiß. Ich sah es. Leider war ich durch unseren bissigen Freund hier gerade ein wenig in Anspruch genommen und Euch banden die Ghule. Das nenne ich dann Pech.“
„Nun, hoffentlich sieht das der Hauptmann genauso wie Ihr. Zumal sein Zustand nicht der allerbeste war.“
„Ihr neigt wie immer zur Untertreibung, mein Bester.“
„Ihr wisst wer es war?“
„Ja, ich habe Athos erkannt.“
„Wunderbar. Und ich bin wieder einmal derjenige, der die schlechten Nachrichten überbringt. Nun denn, lasst uns gehen. Tréville wird wissen, was zu tun ist.“
Mühelos packten die beiden die noch immer starre Gestalt des Feindes, nicht ohne sich vorher jedoch die Musketierröcke glatt zu ziehen und die Degen wieder in die Scheide zu stecken. Ein kurzer Stoß ersetzte die Klinge durch einen Pflock. Nur Sekunden später waren sie lautlos in der Dunkelheit verschwunden. Nur ein paar Brocken Putz und etwas angetrocknetes Blut kündeten noch von dem Kampf, der hier stattgefunden hatte.

...

Der Primogen des Clans Brujah, Wächter der Domäne Paris, der sich bei den Sterblichen unter dem Namen Tréville, Hauptmann der Musketiere, großer Bekanntheit erfreute, durchmaß sein Kabinett mit wenigen großen Schritten. Vor ihm starrten seine beiden Clansbrüder betreten Löcher in den Boden. Ihr Herr hatte den Lagebericht überhaupt nicht gut aufgenommen.
„Die Herren wollen mir also allen Ernstes erzählen, dass Sie einen Neugeborenen im Blutrausch laufen ließen? Die geradezu leibhaftige Verkörperung des Maskeradebruchs! Ja, Seid Ihr des Wahnsinns? Wollt ihr eine Blutspur durch ganz Paris? War Euch die Mordserie vor fünf Jahren keine Lehre?“
„Sire, er war weg, bevor wir ihn unter Kontrolle bringen konnten. Man kann von Glück reden, dass er überhaupt noch lebt, der Antitribu hatte ihn fast vernichtet.“
„Pah!“ Der Hauptmann winkte ungehalten ab. „Eure Ausflüchte interessieren mich nicht. Ihr seid Brujah, zum Teufel! Und noch dazu Musketiere. Stattdessen verhaltet ihr Euch wie blutige Anfänger.“
Unter dem bohrenden Blick des Hauptmanns schrumpften die beiden Zurechtgewiesenen sichtlich. Jedes rebellische Aufbegehren erstickte der eiserne Blick dieser Augen im Keim. Mit Erleichterung sahen sie jedoch zu, wie sich die Zornesfalte auf Trévilles Stirn glättete.
„Nun gut. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich werde sehen, was sich tun lässt. Bringt in der Zwischenzeit diesen Gramois ins Verlies, dann holt Euch Bovoir und Jamé und durchkämmt die Stadt. Das Auftauchen dieses Antitribu, des Verräters, ist ein Schlag ins Gesicht der Camarilla. Wer weiß schon, was der Sabbat vorhat, heute Nacht will ich jedenfalls keinen weiteren Ärger. Haben wir uns verstanden?“
„Jawohl, Hauptmann.“
Kaum hatte sich die Tür hinter den Rücken der beiden Kainiten geschlossen, trat er Mann, der in diesem Jahrhundert den Namen Tréville oder Troisville führte, ans Fenster seines Kabinetts.
'Athos, wo steckt Ihr nur? Und in welche Schwierigkeiten habt Ihr Euch diesmal gebracht?'
Tréville seufzte leise. Wächter der Domäne und Primogen zu sein, war in manchen Nächten anstrengender als sonst. Und wo war überhaupt Rochefort? Wieso gelang es ihm nicht, sich um sein Childe zu kümmern? Wieso mussten erst seine Leute Athos aus den Fängen des Sabbat kratzen?
Nun, andererseits konnte ihm diese Sache einen Vorteil gegenüber dem Ventrue verschaffen. Man würde sehen.
Im Augenblick allerdings hatte allein die Maskerade Vorrang. Er wusste, dass die Prozedur viel Kraft kosten würde, aber eine andere Möglichkeit schien es nicht zu geben. Es blieb nur zu hoffen, dass sich Athos Geist der Macht der Blutgier rechtzeitig entziehen konnte. Andererseits hatte der Musketier schon als Mensch einen eisernen Willen bewiesen, wenn es jemandem gelang, dann ihm.
Energisch trat der Brujah ans Fenster und sandte seine Gedanken hinaus in die Nacht. Jetzt galt es den alten Kampf zu führen. Willen gegen Willen. Ein Ruf, unhörbar und doch so drängend, dass die Krähen von den Dächern rauschten und die Tauben im Schlaf unruhig gurrten. Ein Ruf, nur für eine Person bestimmt.

„ATHOS!“

...

Ich weiß nicht, wie lange ich hier gehockt habe, zitternd, den Kopf zwischen meinen Armen vergraben. Ich weiß nur, dass mich plötzlich etwas aus meinem Schauder reißt. Sprach da nicht gerade jemand zu mir? Hektisch sehe ich mich um. Die Hände zu Fäusten geballt und zur Abwehr erhoben, starre ich in die Nacht. Doch da ist nichts, kein Geräusch, keine Bewegung. Nur mein eigener stoßweiser Atem. Wieder packt mich das Entsetzen und ich sinke zurück in die roten Nebel, die wie unsichtbare Hände an mir ziehen. Sie treiben mich hinab. Hinab in die Dunkelheit. Dann plötzlich! Ein Ruf, er drängt sich zwischen mich und den Wahnsinn. Mein Name. Ich kann ihn hören. Da, noch einmal!
Diese Stimme... sie kommt mir vage bekannt vor... und etwas in ihr lockt mich, ähnlich wie der Irrsinn, der sich noch immer meiner zu bemächtigen droht. Werde ich gerade vollkommen verrückt? Doch die Stimme... sie klingt gut... sie sagt mir, dass ich ihr vertrauen kann. Wieder zieht sie mich, diesmal stärker als zuvor. Mir bleibt die Wahl zwischen Satan und Beelzebub. Ich weiß nicht, was das für eine Stimme ist, sie ist in meinem Geist und ich weiß nicht woher sie kommt. Aber sie hilft mir, die Bestie in Schach zu halten, die sich in mir regt und die mich töten lassen will. Sterben, leiden, bluten soll jeder, der meinen Weg kreuzt. Nein, nein, das ist falsch!
Immer stärker wird das Biest. Meine einzige Chance ist diese Stimme.

„ATHOS!“

Also folge ich ihr. Ich weiß kaum zu sagen, wie mir geschieht, aber plötzlich laufe ich wie von selbst das Ufer entlang. Oder vielmehr stolpere ich. Aber das ist bedeutungslos, solange ich nur in Bewegung bleibe. Ich sehe meine Umgebung kaum, denn noch immer habe ich die Hände schützend vor mein Gesicht gehoben. Ich will sie auch gar nicht sehen. Aber ich rieche, ja schmecke, den Geruch der Straßen, die ich durchquere. Der Dunst von altem Fett und Wein zieht herüber. Ich höre auch Stimmen. Sie feiern. Dort, in diesem Haus feiern sie. Wieder wallen die Nebel auf, die rote Wut kehrt zurück. Wie können Sie es wagen zu Lachen und zu Trinken? Verfluchte Sterbliche! Wieder packt mich das Bedürfnis, sie alle zu vernichten, mich an dem roten, lebendigen Saft zu laben, der aus ihren zerrissenen Kehlen quillt.
Dann wieder... spüre ich mich selbst... ich bin Athos, ein Musketier, allein für die Bilder in meinem Geist verdiene ich hundertmal das Fegefeuer.

„ATHOS!“

Die Stimme hilft. Ich klammere mich an sie, wie ein Kind an den Rockschoß der Mutter und schleppe mich weiter. Je weiter ich gehe, umso stärker wird der Ruf, umso mehr stärkt er mich und gibt mir Kraft, auch die letzten Meter noch zu überwinden, obwohl meine Knie bereits eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Butter entwickelt zu haben scheinen.
Unvermittelt greift jemand nach mir, zerrt mich fort und drängt mich gegen eine Wand. Sofort gewinnt der Wahn die Überhand, als die Erinnerung an den jüngsten Angriff mich überkommt. Doch bevor ich auch nur fauchen kann, wird mir eine Flache zwischen die Lippen gepresst und ich schlucke, zuerst im Reflex, dann aus Gier, als ich den Inhalt schmecke. Ich trinke und trinke und mit jedem Schluck, weichen die roten Nebel zurück, bis sich die Fetzen in meinem Kopf wieder zu Gedanken formen. Ich blicke mich um, man hat mich losgelassen. Langsam begreife ich, wo ich mich befinde, auch wenn ich mir nicht erklären kann, wie ich hier her gekommen bin. Ich bin im Hauptquartier der Musketiere, am Hintereingang, in einer Mauernische bei den Stallungen. Im bleichen Mondlicht erkenne ich, wem ich meine Rettung zu verdanken habe. Im ersten Moment verschlägt es mir die Sprache und ich kann meinen Retter lediglich stumm anstarren. Er lächelt und entblößt ein paar spitze Zähne, die da nicht sein sollten.
„Hauptmann!“ entfährt es mir leise.
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Vampirisch für Anfänger II:
Childe= „Kind“ des Vampirs von dem er den Kuss empfangen hat.
Kainiten= Vampire
Ghule: Menschliche Diener, die an einen Vampir gebunden sind