Auf Messers Schneide von Petalwing
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 20 BewertungenKapitel Albträume
Kapitel 4 – Albträume
Hohl hallen meine Schritte auf dem Pflaster, als ich das Quartier Latin umgehe und mich in Richtung Saint Germain halte. Ich meide den Luxembourg und suche meinen Weg an der Seine entlang, über Seitenstraßen und Gassen, denn ich habe eindeutig zu viele Bekannte zwischen dem Place St. Sulpice und dem Boulevard St. Michel. Ein Rest von Vorsicht warnt mich vor einer Begegnung. Also streife ich wie ein Schatten durch Ecken und Hinterhöfe, die Dunkelheit bereits als Freund willkommen heißend. Es ist nicht mehr sehr weit bis zur Rue des Fossoyeurs, als ein lautes Poltern aus einer Seitengasse mich innehalten lässt. Ich höre Kampfeslärm. Da das charakteristische Klingen sich kreuzender Degen ausbleibt, vermute ich eine Schlägerei. Ich bin schon auf halben Wege in die Gasse, als mir klar wird, dass ich zwar als Musketier verpflichtet bin, nach dem Rechten zu sehen, als Kainskind und meinem Erschaffer gegenüber allerdings jeden Ärger zu vermeiden habe. Zum ersten Mal seit langer Zeit zögere ich, hin- und hergerissen zwischen zwei widersprüchlichen Pflichten, ohne zu wissen, welcher ich den Vorrang geben sollte.
Auf einmal fällt etwas Schweres neben mir zu Boden, begleitet von einem lauten Fauchen, das von einer Katze stammen könnte, wäre es nicht tiefer und grollender. Welche menschliche Kehle bringt solch ein Geräusch hervor? Für meinen eigenen Geschmack viel zu langsam fahre ich herum, da fühle ich mich schon an der Kehle gepackt, von den Füßen gerissen und an die nächste Wand geschleudert. Bevor ich aufspringen kann, ist der Angreifer über mir und hat mich überwältigt. Ich habe ihn kaum gesehen. Wie hat er-?
Ich versuche kläglich, mich aus der Umklammerung zu winden. Es bleibt bei dem Versuch. Mein Gesicht macht unangenehme Bekanntschaft mit dem Straßenpflaster, als ein Schlag auf den Hinterkopf meine Gegenwehr vorübergehend erstickt. Kehliges Lachen aus der Gasse, Schritte, dann schmutzige Füße in zerlumpten Sandalen, die mir einen Tritt in die Kehle verpassen. Sollte ich ein paar Straßenräubern in die Hände gefallen sein?
Dass ich es nicht mit gewöhnlichen Dieben zu tun habe, wird mir allerdings jäh deutlich, als mein Angreifer mich blitzschnell hochreißt und gegen eine Wand presst. Doch das echte Entsetzen packt mich erst, als ich endlich in die Gesichter meiner Peiniger sehen kann. Direkt vor mir, eine Fratze, die jedes Schauermärchen über die Hölle und Dämonen bestätigt, die ich in meiner Kindheit gehört habe. Was immer da gerade seinen abartig langen Klauen in mein Wams gräbt, gleicht mehr einem Tier als einem menschlichen Wesen. Eine Fratze mit scharfen Reißzähnen grinst mich an, gelb leuchten Augen in der Dunkelheit.
„Sieh an“, triumphiert eine raue Stimme, die zischend der Fratze entweicht, „haben wir uns ein Camarillahündchen gefangen?“
Lachen folgt der Beschimpfung. Ich erkenne drei weitere Männer. Obwohl sie weit weniger schrecklich aussehen als mein Peiniger, haftet auch ihnen etwas Widerwärtiges, Bedrohliches an, das mir kalte Schauer über den Rücken jagt. Ich empfinde jedoch keine Furcht. Eher Abscheu und eine fremdartige Wut, die zu brodeln beginnt. Was hat mich nur geritten, heute Nacht auszugehen? Und seit wann zur Hölle ist Paris auf einmal so gefährlich geworden?
„Lasst mich!“ werfe ich der Fratze entgegen. „Oder ich werde-“
„Oder du was, Camarilla-Bastard?“ werde ich unterbrochen. „Du glaubst, du bist dem Sabbat gewachsen? Du weißt nichts! Ich fresse deine Eingeweide! Heute Nacht lernst du, was wahrer Schmerz ist, Du erbärmliche Hure des Prinzen.“
Ein düsteres Leuchten in den gelben Augen überzeugt mich, dass die Fratze die Wahrheit spricht. Eisern graben sich die Klauen in mein Fleisch und pressen mich noch immer gegen die Wand ohne dass ich mich bewegen, geschweige denn befreien könnte. Die Bestie beugt sich näher, ich spüre fauligen, stinkenden Atem auf meiner Haut und langsam steigt Panik in mir auf. Wie komme ich hier nur heraus? Im nächsten Augenblick finde ich mich unter Gelächter und blutend mit einem ausgerenkten Arm auf dem Boden wieder. Dann ein harter Tritt in meine Magengrube, und einer in den Nacken, der einem lebendigen Athos wohl das Bewusstsein geraubt hätte. Allein, ich muss feststellen, dass das Unleben mich mit einer höheren Schmerztoleranz ausgestattet hat. In meiner gegenwärtigen Situation fällt es mir jedoch schwer, darin einen Vorteil zu sehen. Über all dem sind die fremden Stimmen und ihr Fauchen, ihr Gelächter und wüste Beschimpfungen, deren Bedeutung mir nicht klar wird.
Ehe ich es mich versehe, habe ich jede Menge Blut verloren. Wieder steigt ein altbekannter Hunger in mir auf, zugleich höre ich die Knochen meines Armes brechen, spitze Krallen bohren sich in meinen Hals, zum ersten Mal fühle ich Todesangst.
Dann geht alles ganz schnell. Der Schmerz bringt den beißenden Hunger und eine rote Wut ergreift von mir Besitz, die alle Geräusche, ja jede Empfindung dämpft und nur noch den Willen zu töten zurück lässt. Ich fühle, wie meine Kraft schwindet. Trotzdem grabe ich spitze Zähne in die Hand, die mich festhält, irgendwo sind Stimmen, jemand ruft. Nach mir? Dann bin ich endlich frei. Ich will nur noch weg. Fort von hier. Meine Füße tragen mich, ich sehe den Weg kaum. Spüre befreiend die Nachtluft, irgendwo plätschert Wasser, ich kann kaum sehen, Blut läuft meine Seite hinab. Blut. Und etwas geschieht mit...
... Über mir Sternenhimmel... dann wird es kalt, ich liege im Wasser... Irgendwann feste, feuchte Erde unter meinen Händen, meinen Knien... Ich knie irgendwo... Alles ist so dunkel, kein Licht... Ich habe Hunger. Hunger. Oh Gott, ich will sterben. Herr, wenn es Dich gibt, lass mich sterben. Ich will nicht töten.
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Fortsetzung folgt.