Der Pakt des Lucifer von sarah 

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Kapitel Der Mörder von Saint-Eustache

Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass die Weingläser in Athos‘ Wohnung tatsächlich Gift enthielten und dass es sich hierbei um die selbe Flüssigkeit handelte, die in den Fläschchen enthalten war, die d’Artagnan in der Kutsche der Marquise gefunden hatte. Catherine de Rambouillet wurde des Mordes und der Hexerei bezichtigt. Man hielt sie im Kardinalspalais gefangen, wo sich auch die beiden Inquisitoren einrichteten, ein Dominikaner- und ein Franziskanermönch, die im Laufe des Nachmittags in Paris eintrafen und die Verhandlung für den nächsten Morgen ansetzten. Der Kardinal zweifelte nicht daran, dass man die Marquise angesichts der Fülle von Beweisen für schuldig befinden würde. Den wenigen, die über ihre Verhaftung unterrichtet waren, hatte er befohlen vorerst Stillschweigen zu wahren. Schließlich hatte Catherine eine beträchtliche Anzahl einflussreicher und wohlhabender Freunde und Richelieu wollte verhindern, dass irgendein Marquis oder Baron die Inquisitoren zu bestechen oder die Marquise auf andere Weise freizukaufen versuchte. War das Urteil erst gefällt, so würde er in der Presse ausführlich über die erfolgreichen Bemühungen Seiner Majestät, den Mörder von Saint-Eustache zu fassen, berichten lassen. Der Küster der Kirche war seit der letzten Nacht spurlos verschwunden und was den dritten im Bunde, Catherines heimlichen Liebhaber, anging, so weigerte sie sich dessen Namen preiszugeben. Seine Eminenz zerbrach sich derweil den Kopf darüber, woher er ein paar falsche Indizien beschaffen könnte, die belegten, dass es sich bei diesem Liebhaber um keinen anderen als den Herzog de Montmorency handelte. In dieser Situation schalt er sich im Geiste selbst einen Narren, dass er Rochefort, der die Unverschämtheit besessen hatte, sich seinem Befehl zu widersetzten, in einer vorschnellen Reaktion aus seinen Diensten entlassen hatte. Wie nötig hätte er jetzt dessen Erfindungsreichtum gehabt.
D’Artagnan lag auf seinem Bett und starrte an die Decke. Zum Dienst war er heute nicht erschienen. Das Abendessen, das ihm Planchet auf den Nachttisch gestellt hatte, hatte er nicht angerührt, und wann immer Porthos herein kam, um ein Gespräch mit ihm anzufangen, drehte er sich teilnahmslos zur Seite, bis der Freund mit einem traurigen Kopfschütteln und einem unverständlichen Gemurmel das Zimmer wieder verließ.
Athos‘ Tod hatte d’Artagnan berührt, wie noch kein Ereignis in seinem bisherigen Leben. Dennoch war es nicht in erster Linie die Trauer, die ihm diese unerträglichen Kopfschmerzen bereitete. Es war vielmehr der Gedanke an Athos‘ Mörder, den Komplizen und Geliebten der Marquise, der ihn beschäftigte. Auf dem Platz vor Saint-Eustache hatte er mit jenem Mann ein Duell ausgefochten.
Er kennt mich! Er erkennt meine Fechtkunst!
D’Artagnan wollte nicht wahrhaben, was sein Verstand ihm sagte, er versuchte das Bild zu verdrängen, das sich in seinem Bewusstsein festkrallte. Ein Bild, das ihm das Gesicht des Mörders preisgab.
Monsieur de Tréville!
Es konnte nicht sein. In den drei Jahren, in denen d’Artagnan unter dem Musketierhauptmann gedient hatte, hatte er Tréville nicht ein einziges Mal anders erlebt, als einen gerechten und hin und wieder etwas aufbrausenden Gascogner, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Monsieur de Tréville ein Teufelsanbeter? Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, d’Artagnan hätte laut auflachen mögen, so absurd war diese Vorstellung! Doch er war der Geliebte der Marquise. Er hatte sie verteidigen wollen, ohne selbst mit diesem Fall in Berührung zu kommen...
Ein lautes Hämmern an seine Wohnungstür riss d’Artagnan aus seinen Gedanken. „Wo ist dieser Narr?“ schallte kurz darauf eine erzürnte Stimme aus dem Nachbarzimmer und im nächsten Moment wurde die Tür zu seinem Schlafzimmer aufgerissen und ein vor Zorn erbleichter Rochefort stürmte hinein. Porthos und Planchet eilten ihm nach.
„D’Artagnan, wie konntet Ihr nur!“
Mit einem Ruck setzte d’Artagnan sich auf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Was, zum Teufel, hatte Rochefort – ausgerechnet Rochefort, den für gewöhnlich nichts aus der Ruhe bringen konnte – dermaßen in Rage versetzt?
„Wovon sprecht Ihr überhaupt?“
„Ihr habt die Marquise festnehmen lassen! Irgendein Grobian hat sie zusammengeschlagen!“
„Der Grobian war ich selbst. Sie hat Athos vergiftet!“ D’Artagnan erhob sich.
Kopfschüttelnd sah Rochefort den Musketier an. Langsam schien er seine Ruhe wieder zu erlangen. „D’Artagnan, ich hielt Euch bisher stets für einen gewitzten und scharfsinnigen Gascogner. Überlegt! Als der Täter Athos in die Kirche schaffte, musste er die Witwe du Val de Cy erst hinaus schaffen, oder etwa nicht? Diese Frau wog fast eine Tonne! Wie sollte die Marquise sie alleine transportiert haben? Und wohin? Oder habt Ihr vielleicht eine Leiche in ihrer Kutsche gefunden?“
„Nein...“ gab d’Artagnan verwirrt zu, „Aber die Beweise... Die Giftfläschchen, das Taschentuch...“
„Sehr auffällige Beweise, finde ich. Zu auffällig, für meinen Geschmack!“
„Teufel nochmal, Ihr redet!“ ließ sich ein ungeduldiger Porthos knurrend aus dem Hintergrund vernehmen. „Was wisst Ihr?“
„Ich hatte mich im Gebüsch auf dem Vorplatz der Kirche versteckt. Es war halb zwölf.“ Der Chevalier drehte sich halb zu Porthos um und begann zu erzählen. „Doch dieses Mal gingen die Täter vorsichtiger vor als in den Nächten zuvor. Sie schienen zu vermuten, dass man ihnen auflauern würde. Darum hielten sie mit der Kutsche vor einem der Seiteneingänge, anstatt vor dem Hauptportal, wo ich sie erwartete. Doch ich vernahm das Wiehern eines der Kutschpferde, verließ mein Versteck und kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie drei Gestalten, eine Dame und zwei Männer, der eine klein und rundlich, der andere schlank und etwas größer, in der Kutsche der Marquise de Rambouillet verschwanden. Ich erkannte den Küster der Kirche und auch das Gesicht der Dame konnte ich deutlich im Mondschein erkennen. Ich hatte sie erst eine Nacht zuvor im Hôtel de Rambouillet gesehen: Julie d’Angennes!
„Julie d’Angennes, die Tochter der Marquise!“ rief d’Artagnan aus. „Sie war es also, die das Taschentuch verlor, als ich sie in der vorletzten Nacht hinter dem Altar überraschte! Sie beging die Morde?“
„Sie oder ihr Liebhaber!“ erwiderte Rochefort.
Wenn die Marquise unschuldig ist, dann ist es auch Tréville!
Fast schämte d’Artagnan sich nun den Hauptmann verdächtigt zu haben. Ein Glück, dass er niemandem von seinen Überlegungen erzählt hatte!
„Ich folgte der Kutsche auf meinem Pferd.“ fuhr Rochefort derweil mit seiner Erzählung fort. „Sie fuhren zum Palais der Marquise. Unglücklicherweise schlossen sie das Tor, bevor ich hindurch reiten konnte, und so blieb mir nichts weiter übrig, als davor zu warten. Es dauerte keine halbe Stunde, bis die Kutsche das Anwesen der Familie wieder verließ. Diesmal konnte ich hinter den Fenstern die Marquise erkennen...“
„...die zurück nach Saint-Eustache fuhr, wo sie mir in die Hände lief. Doch weshalb kam sie dorthin?“
„Ich nehme an, die Marquise wollte genau das erreichen, was geschehen ist: dass man sie festnimmt und der Verdacht niemals auf ihre Tochter fällt! Sie wollte Julie schützen!“ D’Artagnan ließ sich kraftlos zurück auf sein Bett sinken. In seinem Schmerz hatte er eine Unschuldige der Inquisition ausgeliefert. Er durfte nicht daran denken, was geschehen würde, wenn es ihnen nicht gelingen würde, den wahren Schuldigen zu finden, und man die Marquise...
„Erzählt weiter.“ bat er mit matter Stimme.
„Kurz nachdem die Marquise fort war, verließen zwei Reiter ihr Anwesen. Es handelte sich um Julies Liebhaber und den Küster. Ich folgte Ihnen bis an den Rand der Stadt. Vor einer kleinen, schäbigen Hütte in einer der unbewohnten Gegenden saßen die beiden ab. Zur gleichen Zeit wie sie traf ein dritter Reiter dort ein, ein älterer Herr – asketisch dürr und mit eingefallenem bleichen Gesicht. Die drei verschwanden in der Hütte und ich beobachtete sie durch ein Fenster. Was sie sprachen, konnte ich nicht verstehen, doch anhand der Gestik und Mimik des Fremden konnte ich erkennen, dass er ihnen Befehle erteilte.“
„Jemand gab die Morde in Saint-Eustache in Auftrag?!“
„Ich schlief in meinem Versteck am Fenster ein und als ich wieder erwachte, war der Alte fort. Der Mörder von Saint-Eustache und der Küster sind noch immer in jener kleinen Hütte.“ Rochefort schwieg einen Moment und blickte d’Artagnan seltsam ernst an, bevor er mit veränderter Stimme fortfuhr. „Ich hätte die beiden alleine überwältigen können, doch ich dachte mir, dass Ihr und Athos ein Interesse daran haben dürftet an der Festnahme des Mörders von Saint-Eustache beteiligt zu sein. In Athos‘ Wohnung traf ich jedoch nur auf dessen verzweifelten Diener. So erfuhr ich also, wer das dritte Opfer war...“
D’Artagnan griff nach seinem Degen, der auf dem Nachttisch lag. Seine Augen funkelten.
„Worauf warten wir noch? Ich will diesem feigen Giftmischer und dem verräterischen Küster eigenhändig das Herz durchbohren – sofern sie eines haben!“
„Das zu tun, dürfte Euch schwerer fallen, als Ihr denkt.“ erwiderte Rochefort scharf.
„Wohl kaum!“ knurrte Porthos, während d’Artagnan den Chevalier mit einem unruhigen Blick ansah. „Was soll das heißen, Rochefort?“
„Nun, jener ‚feige Giftmischer‘ dürfte Euch nicht unbekannt sein?“
„Wir kennen ihn?“
Das Gesicht des Chevaliers war undurchdringlich.
„Der heimliche Geliebte der Julie d’Angennes ist niemand anderes als René d’Herblay. Euch wohl besser bekannt als Aramis! Und der ‚verräterische Küster‘ ist kein anderer als sein Diener Bazin!“
D’Artagnan sprang auf wie von der Terantel gestochen, während Porthos purpurrot anlief und Planchet einen ungläubigen Ruf ausstieß..
„Warum hätte er...?“ Porthos sah den Chevalier empört an.
„Nun, Julie wird von Baronen und Grafen umgarnt. Ihre Mutter dürfte über ihre Beziehung mit diesem mittellosen Möchtegern-Mönch nicht gerade erfreut gewesen sein. Sie stand dem Glück der beiden gewissermaßen im Weg und daher....“
„Möchtegern-Mönch?! Was fällt Euch elendem Schwachkopf eigentlich ein!“ donnerte Porthos los, packte Rochefort bei den Rockaufschlägen und drängte ihn an die Wand. „Aramis der Mörder seines Freundes Athos?! Potzblitz, Ihr seid nicht recht bei Trost!“
Er kennt mich! Er erkennt meine Fechtkunst!
Er führt die Klinge geschickt, kraftvoll und zugleich grazil. Irgendwo habe ich diese Art zu fechten schon einmal gesehen.
Er kennt mich!
„Porthos...“ sagte d’Artagnan schwach. „Lass ihn los.“
Verblüfft ließ der Riese von Rochefort ab. „Aber d’Artagnan! Ihr... Ihr glaubt ihm doch nicht etwa?“
Als Antwort steckte d’Artagnan seinen Degen ein und nahm zwei geladene Pistolen von seinem Nachttisch.