Der Pakt des Lucifer von sarah 

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Kapitel 31. Dezember 1631 (Epilog)

Am Morgen des letzten Tages des alten Jahres fand ein Wanderer auf einer einsamen Straße etwa fünf Wegstunden von Paris entfernt eine dunkle Kutsche mit vernagelten Türen und Fenstern am Wegrand, aus der polternde Geräusche drangen. Als er die beiden Gespenster zu Gesicht bekam, die er daraufhin aus dem Gefährt befreite, und die zweifellos der Teufel, der sie erst kürzlich umgebracht nun zum Leben erweckt hatte, rannte er fort so schnell ihn seine Beine trugen. Der Marquis du Lû hatte gemeinsam mit der Witwe du Val de Cy die entsetzlichste Nacht seines Lebens verbracht. Nicht genug damit, dass die Duchesse bei jedem Donnerschlag, der die Kutsche erschüttert hatte, einen markerschütternden Schrei ausgestoßen hatte, hatte sie sich in ihrer Höllenfurcht dem Gardeleutnant auch noch jedesmal mit vollem Gewicht an den Hals geworfen, sodass dieser nach dem zehnten Donnerschlag fast wünschte ihre Befürchtung, dass die Kutsche von einem Blitz getroffen werde, möge sich bewahrheiten. Eine zufriedenstellende Erklärung, weshalb ihre Dienerschaft zu Tode erschrocken vor ihnen davonlief beziehungsweise in Ohnmacht fiel, als ihre Herren endlich erschöpft und vom Schnee durchweicht Paris erreichten, erhielten übrigens weder der Marquis noch die Duchesse.
Der Custos des Couvent des Cordeliers von Nancy wurde indessen zum Tode verurteilt, doch zur Vollstreckung des Urteils sollte es niemals kommen: In seiner Kerkerzelle in der Bastille gab sich der Mörder von Saint-Eustache selbst den Tod, indem er sich an den Ketten erhängte, in die man ihn gelegt hatte. Den Beginn des neuen Jahres erlebte er nicht mehr.
Mit der Begründung, er habe wesentlich zur Ergreifung des wahren Schuldigen beigetragen, nahm Seine Eminenz der Kardinal den Chevalier de Rochefort wieder in seine Dienste auf. Noch während er ihm dies mitteilte, gab er ihm jedoch mit einem langen düsteren Blick zu verstehen, was er in Wirklichkeit davon hielt, dass man die Marquise für unschuldig erklärt hatte und sein Ziel den Grafen von Montmorency loszuwerden, damit in unerreichbare Ferne gerückt war. Entsprechend plagten ihn am Silvesterabend seine Kopfschmerzen wie schon seit langem nicht mehr. Im übrigen sollten sich seine Ängste vor einer Adelsverschwörung um Gaston d’Orléans im neuen Jahr als nicht unbegründet herausstellen...
Porthos erfuhr zwar nicht die erhoffte Genugtuung, dass seine widerspenstige Gattin ihn auf Knien kriechend um Vergebung für ihre Unverschämtheiten bat, doch immerhin schrieb sie ihm, dass sie gewillt sei ihm wieder bei sich Einlass zu gewähren. Der Brief aus Saint-Cloud erreichte Porthos, als er sich gerade mit seinen drei Freunden in der Rue de Fosseyeurs ein von Planchet und Grimaud in Zusammenarbeit bereitetes Festtagsessen schmecken ließ, da d’Artagnans Gesundheitszustand es ihnen nicht erlaubte, den Abend des einunddreißigsten auswärts zu verbringen. Die Stimmung der drei Freunde war ausgelassen wie zu alten Zeiten, als gemeinsame Feste wie dieses für sie noch an der Tagesordnung gewesen waren. Einzig Aramis war merklich still. Immer wieder wanderte sein Blick zum Fenster in die Nacht hinaus, und mit seinem Blick, wie es schien, auch seine Gedanken. Als er sich nach der Mahlzeit ein wenig verlegen erhob und erklärte, dass es für ihn noch eine wichtige Angelegenheit zu regeln gebe, warfen sich seine Freunde nur einige vielsagende Blicke zu und nickten ihm zu ohne zu fragen, was das denn für eine dringende Angelegenheit sei, die ihn davon abhalte den Silvesterabend mit seinen Freunden zu verbringen.
Anders als in der turbulenten Nacht zuvor, wehte in dieser kein Lüftchen. Große Schneeflocken fielen lautlos auf die Straße und hüllten die Stadt in einen weißen Umhang des Friedens. Vor dem Tor eines Palais in der Nähe des Louvre standen zwei Liebende. Sie blickte in die Nacht hinaus, während er mit dem Fuß einen kleinen Schneehügel zusammenscharte. Schließlich wandte er den Blick vom Boden und holte tief Luft.
„Julie...“ begann er, „Meine Aufgabe in Paris ist nun erledigt. Ich werde nach Nancy zurück kehren.“
„Und ich werde mich mit dem Duc de Montausier verloben.“ kam die prompte Antwort.
„Montausier?“ Aramis stand da wie vom Donner gerührt. Julie starrte weiterhin in die Nacht, als bemerke sie seine Verblüffung nicht und vergrub ihre Hände tief in ihrem wärmenden Muff.
„Er ist ein begabter Poet“, erklärte sie, „ ein honnête homme wie er im Buche steht...“
„Nun, da kann ich wohl nicht mit ihm konkurrieren!“ erwiderte Aramis mit kaum verhohlener Bitterkeit in der Stimme.
„René, was erwartet Ihr eigentlich von mir!“ Endlich wandte sich Julie mit glühenden Wangen zu ihrem pauvre amant um, der zu seiner Freude in ihren Augen ebensoviel Schmerz entdeckte wie Groll in ihrer Stimme, „Soll ich etwa aus Solidarität mit Euch zur Nonne werden? Oder hier in Paris ewig darauf warten, dass es Euch beliebt in die Stadt zu kommen, wenn es Euch in Eurem Kloster einmal wieder zu langweilig wird?“
Stumm blickte Aramis sie an. In diesem Moment war Julie schöner als er sie je gesehen hatte. Ihre Augen glänzten feucht und ihre Wangen waren von der Kälte und der Aufregung gerötet. Kleine dunkelbraune Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und umspielten ihre Stirn. Aus Wut auf sich selber, die sie ihre Erregung vor Aramis nicht verbergen konnte, biss sie sich auf die Lippen, bis sie blutig waren. Mit einem Lächeln legte der Abbé den Arm um die junge Frau, zog sie näher zu sich heran und küsste sie sanft auf die Stirn.
„Was...?“ fragte Julie und leistete ihm halbherzig Widerstand.
„Mögen das nächste und die folgenden Jahre dem Marquis de Montausier gehören, ma fleur,“ sagte Aramis leise, „ Dieses gehört mir!“
So erwarteten die beiden Liebenden eng umschlungen den Klang der Kirchenglocken, die das neue Jahr einläuten würden.