Der Pakt des Lucifer von sarah 

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Kapitel Der Verdacht des Monsieur de Tréville

Als d’Artagnan am nächsten Morgen im Vorzimmer des Hauptmann de Tréville darauf wartete zu seinem Vorgesetzten vorgelassen zu werden, hatte er du Lû bereits fast vergessen. Grund dafür war ein Brief, den er um sieben Uhr in der Frühe erhalten hatte. Ein Brief aus seiner gascognischen Heimat, in dem seine Mutter ihm von erbarmungslosen Stürmen berichtete, die den Hof im Spätsommer heimgesucht hatten. Zahlreiche Stalldächer hätten sie abgedeckt und unzählige Gatter beschädigt, ganz zu schweigen von den Missernten, die das Unwetter mit sich gebracht hatte. Zu allem Unglück hatte sich auch gerade im Herbst dieses Jahres der Vater auf einer Treibjagd ein Bein gebrochen und war nicht im Stande die Sturmschäden in Ordnung zu bringen. Um ihr ein wenig zur Hand zu gehen, bat Madame d’Artagnan ihren Sohn für einige Zeit in die Heimat zurückzukehren.
Es war gerade einmal sechs Jahre her, dass d’Artagnan den väterlichen Hof verlassen hatte. Doch tatsächlich schien ihm jener Tag Jahrzehnte entfernt, da er mit nicht viel mehr als seinem Optimismus und einer gewissen gascognischen Gerissenheit aufgebrochen war, um in Paris sein Glück zu machen. Der junge Musketier war ein Kind des Augenblicks. Er hatte gelernt dem Vergangenen nicht nachzutrauern. Ja, bisweilen merkte er gar, wie die Gesichter seiner Eltern langsam vor seinem inneren Auge verblassten.
Der Brief hatte ihm wieder in Erinnerung gerufen, dass er nicht immer in Paris gelebt hatte, dass weit im Süden seine vergessene Heimat lag . Was würde geschehen, wenn sein Vater einmal nicht mehr war? Würde man von ihm erwarten, dass er nach Castlemore zurückzukehren und den Rest seines Daseins als Gutsherr fristen würde, für den ein Jahr verlief wie das andere? Ein Leben ohne Abenteuer ? Ohne die aufregende Ungewissheit, was der nächste Tag wohl bringen würde? Ein Gedanke, der dem jungen Musketierleutnant ganz und garnicht behagte. Seine Zukunft war stets Paris gewesen, der Dienst für den König, das Leben als Soldat...
„Sangdieu! Was für eine Unverschämtheit!“
Der wütende Ausruf aus dem Arbeitszimmer des Monsieur de Tréville riss d’Artagnan aus seinen Gedanken. Er seufzte. Dies schien nicht gerade der richtige Morgen zu sein, um den Hauptmann um eine längere Beurlaubung zu bitten.
Im nächsten Moment trat der Kammerdiener aus dem Raum und hielt d’Artagnan die Tür auf.
„Monsieur, Ihr könnt eintreten.“
Der Hauptmann blickte nicht auf, als der Musketier den Raum betrat. Halb sitzend, halb stehend über seinen Arbeitstisch gebeugt, schien er in eine Ausgabe der „Gazette de France“ vertieft zu sein. In seinen Augen stand ein empörte Funkeln, von dem d’Artagnan nur hoffte, dass es nicht ihm galt.
„Herr Hauptmann?“ machte er Tréville vorsichtig auf sich aufmerksam.
„Ah, d’Artagnan! Gut, dass Ihr kommt! Lest das!“
Und in seiner fiebrigen Erregung nicht auf den Gedanken kommend, dass sein Musketierleutnant womöglich ein Anliegen haben könnte und ihm nicht aus reiner Höflichkeit einen Besuch abstattete, ging er auf d’Artagnan zu und hielt ihm die Gazette vors Gesicht.
„Frevelhafter Mord am Leutnant der Gardisten Seiner Eminenz in der Kirche von Saint-Eustache“
„Du Lû!“ stellte d’Artagnan sofort fest.
„Ihr habt also schon von dem Mord gehört?“
„Ich war dabei.“ erwiderte der Musketier und als der Hauptmann ein recht verdutztes Gesicht machte, setzte er hinzu. „...als man ihn fand.“
„Und? Was haltet Ihr davon?“
D’Artagnan zuckte die Achseln.
„Du Lû war ein aufgeblasener, arroganter, hinterhältiger und...“
„Ja, ja, schon gut. Kommt zur Sache!“ drängte Tréville ungeduldig, „Eure Meinung über den Marquis steht Euch schließlich im wahrsten Sinne des Wortes ins Gesicht geschrieben!“
„Ich wollte damit nur sagen“, verteidigte sich der d’Artagnan ein wenig gekränkt, „dass er wahrscheinlich mehr Feinde in Paris hatte als sonst irgendwer, und dass ich Euch eine ganze Liste von Männern nennen könnte, die alle mehr oder weniger nachvollziehbare Gründe gehabt hätten ihm ans Leben zu wollen.... Aber, Herr Hauptmann, sagt, weshalb regt Euch der Tod dieses Kardinalisten eigentlich dermaßen auf?“
„Oh, es ist nicht die Tat an sich, die mich zur Weißglut treibt. Hört her!“ Und er begann aus der Zeitung zu zitieren, die er noch immer in den Händen hielt. „... wurde in der Zeit zwischen elf und zwölf Uhr, als die Tat begangen worden sein muss, eine Kutsche mit dem Wappen der Marquise de Rambouillet in der Rue du Jour gesehen!“
„Teufel!“ murmelte d’Artagnan. „Die Marquise als Mörderin? Was für ein Unsinn! Schließlich fahren zwischen elf und zwölf Uhr nachts was weiß ich wie viele Kutschen die Rue du Jour entlang. Dass man ausgerechnet die ihre dort gesehen hat, ist doch noch kein Beweis, dass sie....“
„Natürlich nicht! Es wird ja auch nirgendwo behauptet, dass sie mit den Ereignissen der vergangene Nacht im Zusammenhang steht. Aber allein schon die Tatsache, dass sie in diesem Bericht erwähnt wird, rückt die Marquise in schlechtes Licht. Jeder, der diesen Satz liest, muss sie doch zwangsweise für eine Mörderin halten! Und dann diese Bemerkung, dass der Marquis vergiftet worden sei. In dem Artikel wird es gleich mehrere Male erwähnt. Vergiftet! Ein Mann tötet seine Feinde mit dem Degen, der Pistole oder dem Dolch. Gift aber ist die Mordwaffe der Frauen!“
„Vergiftet?“ wunderte sich d’Artagnan. „Aber du Lû ist nicht durch ein Gift umgekommen! Ich habe den Degenstich doch selbst gesehen! Ein sauberer Hieb!“
„Nun, der Arzt, der den Marquis untersuche, konnte Spuren von Gift in seinem Speichel nachweisen.“
„Merkwürdig!“ D’Artagnan runzelte die Stirn.
„Wie dem auch sei. Der Kardinal versucht die Marquise de Rambouillet jedenfalls ganz offensichtlich in der Presse –pardon, in seiner Presse wäre wohl richtiger - zu kompromittieren.“
„Ich verstehe!“ D’Artagnans Augen blitzten. Dies war ein Fall so ganz nach seinem Geschmack. „Seine Eminenz sieht in der Marquise eine potentielle Gefahr, die er im Vorhinein ausschalten will!“
„Nun ja, seine Befürchtungen sind nicht ganz unberechtigt.“ gab Tréville zu. „ Schließlich wird im Hôtel de Rambouillet nicht nur über Literatur philosophiert. Einige dieser gens littéraires sind garnicht so littéraires wie sie vorgeben. Ich denke da gerade an den Herzogs de Montmorency, diesen Günstling von Gaston d‘Orléans, dem Bruder des Königs. Und schließlich war die Marquise selbst einst Edelfräulein und Vertraute von Maria de Medici. Ja, ihr Salon muss ein wahres Nest für Verschwörungen und Intrigen gegen den König und Seine Eminenz sein. Dem Kardinal dürfte es eine wahre Freude sein dieses Nest zu zerstören. Und dabei erweist es sich doch wohl am klügsten, die Vogelmutter zu fangen, wenn man ihre Küken loswerden will. Gewiss wird man noch ein paar falsche Indizien finden. Vielleicht ein verräterischer Ring am Tatort, der wie durch ein Wunder plötzlich auftaucht, ein paar bestochene Zeugen. Und dann wird man gewiss noch ein paar Mittäter finden, und – welch ein Zufall! - Montmorency wird sich am Ende als Mitverschwörer der Mörderin herausstellen...“
Der Hauptmann schnaubte wütend.
„Dann hat der Kardinal womöglich diesen Mord selbst inszeniert?“ mutmaßte D’Artagnan, als er sich an das seltsame Verhalten erinnerte, das ihm an dessen Vertrauten Rochefort in der Kirche aufgefallen war.
„...und dafür seinen Gardeleutnant geopfert? Soviel dürfte ihm die Marquise nun auch wieder nicht wert sein. Im übrigen hätte er sich dann diese makabere Episode mit der Kreuzinschrift sparen können: Lucifer! Ein simpler Mord hätte es wohl auch getan. Sagen wir lieber: Richelieu versucht wie so oft aus einer Angelegenheit, die ihm zu Schaden gereicht, das beste zu machen und geht dabei über Leichen.“
„Und wer kommt dann als Täter in Frage?“
Tréville zuckte mit den Schultern und legte die Zeitung auf seine Arbeitstisch zurück.
„Eine gute Frage! Ich wollte, ich könnte ein paar Nachforschungen anstellen, um sie zu beantworten. Doch ich bin im Moment... nun ja, sagen wir, ich sehe im Moment gewisse Schwierigkeiten darin, mich selbst für die Marquise einzusetzen.“
D’Artagnan öffnete den Mund, um zu fragen, wie diese Aussage zu verstehen sei, doch ein drohender Blick seines Hauptmanns ließ ihn seine Frage hinunterschlucken. Zudem erinnerte er sich in diesem Augenblick an die spöttische Bemerkung eines Musketiers unter seinem Befehl, der gefragt hatte, ob der Hauptmann auf seine alten Tage wohl sentimental werde und unter die Dichter gegangen sei, oder weshalb er des abends in letzter Zeit so häufig im Hôtel de Rambouillet anzutreffen sei. Madame de Tréville schien die plötzliche Literaturversessenheit ihres Mannes ebensowenig geheuer gewesen zu sein; jedenfalls kursierten seit einiger Zeit Gerüchte, dass es wegen dessen Besuchen bei der Marquise zu gewissen Spannungen zwischen den Eheleuten gekommen sei...
„Eigentlich“ ergriff Tréville wieder das Wort, um d’Artagnan keine Zeit zu lassen den Gedanken zu Ende zu spinnen, „hatte ich gehofft, Ihr könntet an meiner statt ein wenig auf die Jagd nach dem Mörder von Saint-Eustache gehen, d’Artagnan: Bedenkt, es geht um die Ehre einer Dame!“
D’Artagnan seufzte. Er wäre wohl nicht er selbst gewesen, hätte er den Auftrag nicht angenommen. Jedoch würde seine arme Mutter noch eine Weile auf die Hilfe des Sohnes verzichten müssen, der lieber in der Fremde Mördern seiner Feinde hinterherjagte, als in der Heimat alte Freunde zu besuchen.
Nun ja, vielleicht war es gerade das paradoxe am Leben, das es lebenswert machte.
„Wo soll ich anfangen?“