Der Pakt des Lucifer von sarah
Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 5 BewertungenKapitel Das Hôtel de Rambouillet
Ungeduldig trat d’Artagnan von einem Fuß auf den anderen, um zu verhindern, dass sie vor Kälte steif wurden. Selten war das Wetter zwischen den Jahren so unfreundlich und regnerisch gewesen, wie in diesem Jahr.
Eine Stunde lang hatten sie das Haus auf der anderen Straßenseite nun schon beobachtet. Nichts tat sich.
D’Artagnan beobachtete Athos neben ihm. Mit gerunzelter Stirn blickte dieser über die Straße, sagte jedoch nichts. Der Freund verstand ihn dennoch.
„Ich halte von dieser Beschattung ebensowenig wie Ihr, Athos“ murmelte d‘Artagnan: „Doch Rochefort ist nun einmal der einzige Anhaltspunkt, den wir bis jetzt haben. Weiß der Teufel was er zu verbergen hat, dieser alte Fuchs, aber sein Gesicht gestern nacht, das hat mir zu denken gegeben, Euch etwa nicht? Er weiß etwas, darauf verwette ich meine...“
In diesem Moment stieß Athos ihn an und wies auf die gegenüberliegende Seite der Gasse. Ein Edelmann trat aus der Haustür. Ein auffälliges und elegantes Federgesteck zierte seinen Hut. Anmutig hob sich die Gestalt des Chevaliers vom Nachthimmel ab.
„Sieh an, zu so später Stunde stattet er noch Besuche ab?“ D‘Artagnan verständigte sich durch eine vielsagende Kopfbewegung mit Athos und die beiden folgten Rochefort. Die Dunkelheit und die Nebelschwaden, die durch die Straßen zogen, boten ihnen Schutz. So überquerten der Chevalier und seine beiden Verfolger den Pont Neuf, auf dem an diesem Samstagabend reger Betrieb herrschte, und wandten sich dann in Richtung Louvre. Schließlich tauchte ein prächtiger Palais im Renaissancestil vor ihnen auf. Mehrere Kutschen standen vor dem Tor, auf das Rochefort geradewegs zusteuerte. D’Artagnan und Athos blieben überrascht stehen.
„Das Hôtel de Rambouillet!“ Es war das erste, was Athos an diesem Abend gesprochen hatte
„Teufel, was will er hier?“ D’Artagnan zupfte sich am Schnurrbart, wie er es stets tat, wenn ihn eine Frage besonders beschäftigte. „Wenn Rochefort ein Dichter ist, dann bin ich Priester!“
„Lasst mich allein hineingehen.“ schlug Athos vor: „Zusammen sind wir so auffällig, dass der Chevalier uns zweifellos sofort erkennen wird.“
D’Artagnan erschien die Aussicht auf die Warterei vor dem Palais in dieser nasskalten Nacht nicht gerade verlockend. Doch er sah ein, dass Athos recht hatte. Zudem war er selbst wohl kaum der richtige Mann für eine Mission in einem Salon littéraire. Er, der, wenn er danach gefragt würde, womöglich die Pléiade zu einer spätmittelalterlichen Verbrecherbande erklären würde.
So nickte er also seufzend.
Die hohe Decke und die beiden kunstvoll gestalteten Deckenkronleuchter ließen den Saal größer wirken als er eigentlich war. Komplizierte Boiserien, die goldenes Laub darstellten, verzierten die mit blauem Damast drapierten Wände. Die Einrichtung – elegant, jedoch ungewöhnlich schlicht für die Zeit- bestand aus einigen wenigen samtbezogenen Polstersesseln. Mindestens ein duzend gut gekleideter Damen und Herren standen in kleineren Grüppchen beisammen. Einige mit geröteten Gesichtern, wild gestikulierend, andere mit eher besonnenen Mienen und anmutiger, beherrschter Körpersprache.
Catherine de Vivonne, die Marquise de Rambouillet, beobachtete mit leicht schräg gelegtem Kopf und jenem geheimnisvollen Lächeln, das sie sich aus ihrer Jugendzeit bewahrt hatte, ihre Gäste. Selbst noch unentdeckt von der Gesellschaft, die sich in ihrem Salon eingefunden hatte, stieg die Gastgeberin anmutig und langsam die Treppe in den Saal hinab. Gedichtausschnitte, Gesprächsfetzen, höflich-galantes Lachen drangen flüchtig an ihr Ohr. Wie viele Menschen waren es gewesen, die sie in diesem Saal schon empfangen hatte, die hier geredet, gedichtet, gelacht, geschwiegen hatten? Wie viele würden es noch werden? Menschen, die, so unterschiedlich ihre Ansichten auch sein mochten, durch ein geheimnisvolles Band miteinander verknüpft waren: Jene seltsame Leidenschaft, die Poesie genannt wurde, Dichtkunst oder Lyrik. Die Kunst das Wort zu einem Geschenk Gottes zu machen. Sie, Catherine, hatte ihren kleinen Teil dazu beigetragen, dass sie jenes Geschenk als Geschenk erkannten. Ein Gedanke, der sie an Tagen, da ihr Herz leichter war, glücklich zu machen vermochte...
„...Mais depuis que notre jeunesse
Quitte la place à la vieillesse,
Le temps ne la ramène plus....“
Der Seigneur de Racan - um den sich die größte Gruppe geschart hatte – hatte die Stimme erhoben, um dem Höhepunkt seines Vortrags den gewünschten dramatischen Klang zu geben. Doch es waren nicht seine Worte, die die Marquise so plötzlich aus ihren Gedanken gerissen hatten. Nein, was sie in der Bewegung innehalten ließ, war vielmehr der stechende Blick jenes Edelmanns, der sich unter den Zuhörern des Dichters befand und sie so unverwandt anblickte. Offensichtlich hatte er schon eine Weile versucht Madame de Rambouillet auf sich aufmerksam zu machen, ohne dass sie ihn bemerkt hätte. Woher nur waren ihr diese seltsam scharfen Augen und das bleiche Gesicht mit dem sarkastischen Zug um den Mund bekannt?
Ohne davon abzulassen die Marquise mit seinem durchdringenden Blick gefangenzuhalten, unterbrach der Fremde den Vortrag des Seigneur de Racan, um die angefangene Ode an dessen statt weiter vorzutragen.
„...Les lois de la mort sont fatales
Aussi bien aux maisons royales
Qu’aux taudis couverts de roseaux...“
„Ihr kennt das Gedicht bereits?“ bemerkte der Seigneur in säuerlichem Tonfall – erzürnt darüber ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner Ode von diesem ungehobelten Laien unterbrochen worden zu sein. Die Marquise jedoch war bei den Worten des Fremden zusammengezuckt, als habe der Teufel persönlich zu ihr gesprochen.
Les lois de la mort sont fatales.
Ein Schauer durchfuhr sie. So emotionslos diese wenigen Zeilen auch vorgetragen worden waren, so aussagekräftig waren sie doch gerade durch diese Nüchternheit. Woher nur kam ihr dieser Edelmann bekannt vor? Endlich erkannte sie, wen sie vor sich hatte. Rochefort! Der Spitzel des Kardinals! Es bestand also kein Zweifel, dass dies eine Anspielung auf den Bericht des Propagandablatts des Kardinals war. Jener Bericht, der sie in Zusammenhang brachte mit dem frevelhaften Mord am Gardeleutnant Seiner Eminenz.
Sein Plan funktioniert! Man hält mich für die Mörderin!
Doch weshalb versuchte Rochefort sie zu warnen? Weshalb stellte sich der Stallmeister des Kardinals gegen seinen Herrn? Oder war er womöglich bereits mit dem Auftrag hierher gekommen sie festzunehmen? Man durfte sie jetzt nicht verhaften! Noch nicht! Sonst war alles verloren. Jérémies Mörder würde unentdeckt bleiben, seine Verbrechen ungesühnt und an seiner Statt würde sie, die Marquise de Rambouillet,....
Eine Hexe. Mit Luzifer im Bunde.
Man würde sie verbrennen. Sie spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Schwankend griff sie nach dem Treppengeländer.
Du darfst nicht daran denken! Du hast gewusst, worauf du dich einlässt! Du hast gewusst, dass es gefährlich werden würde!
In diesem Moment wurden die Dichter und Edelleute im Salon, die den Blicken jenes eigenartigen fremden Edelmanns mit den Augen gefolgt waren, auf ihre Gastgeberin aufmerksam. Ein Raunen ging durch den Saal und im nächsten Moment war die Marquise von einer Menschentraube umringt. Noch immer wie betäubt ließ sie die mehr oder minder originellen Komplimente, mit denen man sie überhäufte, über sich ergehen, während ihre Augen den Chevalier suchten. Jedoch ohne Erfolg. Er war in der Menge verschwunden.
„Maman, Maman!“ drang plötzlich die Stimme ihrer Tochter an ihr Ohr. Julie, das hübsche Gesicht mit den großen klugen Augen und dem sinnlichen Mund gerötet, umfasste aufgeregt das Handgelenk ihrer Mutter „Ihr müsst das neue Sonett des Duc de Montausier hören. Er hat es mir gewidmet.“ Zerstreut warf die Marquise einen Blick auf den neusten Verehrer ihrer Tochter, der sich aus Verlegenheit halb hinter dieser versteckte. Monsieur de Montausier war nicht der erste und er würde gewiss nicht der letze sein, der ihre Tochter mit Liebesgedichten überhäufte.
Erst jetzt schien Julie die ungewöhnliche Blässe ihrer Mutter aufzufallen. „Aber Maman, ist Euch nicht wohl? Mon Dieu, Ihr seid weiß wie die Wand! Ihr solltet Euch hinlegen.“ Eigenartig betont fügte sie noch hinzu: „ Verabschiedet Euch von Euren Gästen... Es ist allerhöchste Zeit.“ Einen Augenblick sahen Mutter und Tochter sich an und ein verschwörerisches Band schien zwischen ihnen zu sein. Dann nickte die Marquise fast unmerklich und wandte sich zu ihren Gästen um.
„Mesdames, Messieurs, ich bedaure Ihnen sagen zu müssen, dass ich mich heute Abend nicht wohl fühle und würde sie bitten mein Haus zu verlassen und ein andermal wiederzukommen.“
Ohne auf die verwunderten Rufe und die höflichen Fragen, ob man einen Arzt rufen solle, einzugehen, wandte die Marquise sich wieder zur Treppe.
„Madame, vergebt mir, Euch erschreckt zu haben.“ Catherine fuhr zusammen, als der Chevalier de Rochefort plötzlich neben ihr stand. Ohne sie anzublicken, die Augen auf einen Punkt an der Wandtäfelung geheftet, sprach er leise und hastig.
„Ich muss Euch warnen. Ihr spielt ein gefährliches Spiel. Es könnte tödliche Folgen für Euch haben“
Mon Dieu, was weiß dieser Elende? Oh, Jérémie, Ihr habt mich gewarnt! Ich hätte den Brief verbrennen sollen...
Les lois de la mort sont fatales.
Die Marquise schluckte heftig, verbarg jedoch den Tumult, der in ihrem Innern tobte, hinter einer Maske der Teilnahmslosigkeit.
„Monsieur, ich kenne Euren Namen nicht, noch weiß ich, wovon Ihr sprecht. Wenn dies ein Scherz sein soll, so ist es kein besonders geistreicher. Wenn Ihr mich nun entschuldigt...“
Etwas zu hastig stieg die Marquise die Treppe hinauf. Die Miene des Chevaliers blieb unbewegt.
Das kleine Gespräch war von den Gästen, die bereits im Begriff waren aufzubrechen, unbemerkt geblieben. Nur ein einziger Edelmann, der sich die Vorträge der Dichter und Philosophen angehört hatte, ohne selbst ein Wort zu sprechen, hatte die wenigen Worte Rocheforts vernommen: Ein Edelmann, der genauso wenig wie der Chevalier ein häufiger Besucher des Hôtel de Rambouillet war...