Die Liebeshändel des Abbé d'Herblay von Dogtanianette
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 5 BewertungenKapitel Regentage im Leben
Aramis erwachte mit Kopfschmerzen an diesem Morgen. Und äußerst missgestimmt. Ein prüfender Blick aus dem Fenster trug nicht gerade zur Verbesserung seiner Laune bei. Der Himmel war grau in grau und Regen trommelte unaufhörlich gegen die Scheibe.
Nach einer Weile erhob sich der Abbé gähnend von seiner komfortablen Bettstatt und schlüpfte in seine Samtpantoffeln. Noch im Nachtgewand, das reich mit Spitzen und Rüschen verziert war, tappte er langsam zum Fenster und sah hinaus.
Das Jesuitenkloster von Noisy war auf einer Anhöhe am Rande der Stadt erbaut worden, von der man weit über das Land sehen konnte. Von hier aus ließ sich bei sonnigem Wetter die kleine Stadt mit ihren Gehöften, Fachwerkhäusern, Giebeldächern, engen Straßen und Türmen wunderbar überblicken.
Heute allerdings goss es wie aus Kübeln und Nebel zog in Schwaden über das Schloss des Erzbischofs hin und legte sich wie eine Decke drückend über Noisy-le-Sec. Auch die Morgensonne ließ ihre wohltuenden Strahlen vermissen und dunkle Wolken zogen unaufhörlich über den Himmel.
"Bei diesem Wetter würde man normalerweise nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen!" murmelte der Abbé übellaunig. "Sollte der Himmel selbst mir heute zu Hilfe kommen?" Doch rasch verwarf er diesen Gedanken wieder. Es war sinnlos, sich selbst etwas vorzumachen. Er würde das Kloster heute verlassen, wie schlecht das Wetter auch sein mochte. Daran führte kein Weg vorbei.
An diesem denkwürdigen Tage sollte ja das große Mysterien-Schauspiel auf dem Marktplatz von Noisy aufgeführt werden, und zwar von den würdigen Jesuitenpatres persönlich.
"Es ist also wieder soweit"seufzte Aramis ergeben. "Die Theatermaschine wird angeworfen!" Der Abbé wandte sich vom Fenster ab, durchschritt rasch den Raum und ließ sich in einen eleganten Sessel fallen. Er dachte mit Unbehagen an den vor ihm liegenden Tag, den es nun durchzustehen galt.
Er konnte sich denken, welcher seiner Mitbrüder auf die glorreiche Idee gekommen war, ihn als Engel verkleidet aus großer Höhe an einer Leine auf die Bühne schweben zu lassen. Direkt nach ihm war dann das große Feuerwerk an der Reihe.
Seine Kopfschmerzen verstärkten sich. Als hätte er nicht schon genug Sorgen gehabt, jetzt hatte er auch noch für eine völlig überflüssige Sache zu funktionieren. Doch ein reibungsloser Ablauf musste in jedem Fall gewährleistet werden. In Sachen Disziplin verstanden seine Ordensbrüder keinen Spaß! Er wollte nicht noch eine weitere Disziplinierungsmaßnahme heraufbeschwören. Die Flugeinlage an der Leine genügte ihm vollkommen. Also zurück zum Ablauf!
Nach dem Mysterien-Schauspiel würde es einen rituellen Umzug - eine feierliche Prozession von Noisy aus auf das freie Land- geben. Mit dem Ziel dieses zu segnen und zu heiligen. Entlang der Strecke würden dann immer wieder kleine biblische Episoden aufgeführt werden. Er selbst - Aramis- war hier für die Rolle eines Pharisäers vorgesehen. Jedes Mitglied des Ordens hatte seine Rolle mit Begeisterung und Überzeugungskraft zu spielen. Das wichtigste Ziel war es, die Menge zu bewegen. Es galt, Herzen zu gewinnen und Seelen zu retten.
"Der Weg der Bekehrung" murmelte der Abbé mit einem seltsamen Lächeln. Er betrachtete eine Weile versonnen seine schönen weißen Hände mit den langen schlanken Fingern. Dann wanderte sein Blick weiter zur Wand und seine schwarzen Augen starrten gebannt auf die Mauern, die sein Zimmer umgaben.
Es war ihm, als könne er diese mit der Kraft seiner Gedanken durchdringen, durch die Wände blicken, bis hinüber zu IHR. Er dachte an SIE - und an die Gefahr, in der sie beide nun schwebten. Sie mussten nun vorsichtig sein. Sehr vorsichtig!
Ein lautes Klopfen ließ Aramis erschrocken in die Höhe fahren. Besuch zu solch früher Stunde? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ärgerlich erhob sich der Abbé aus seiner bequemen Lage. Er streifte sich schnell seinen violetten Morgenrock über und ging dann mit resoluten Schritten zur Tür. Sollte es abermals dieser Unverschämte sein?? Mit Schwung öffnete Aramis die Tür. Draußen stand, mit einem boshaften Lächeln auf den dünnen Lippen, der Abbé de Worminger.
"Womit kann ich Euch dienen?" fragte Aramis kühl. "Ich muss gestehen, Ihr habt einen ziemlich unpassenden Zeitpunkt für Euren Besuch gewählt. Ihr tretet sehr früh auf den Plan an diesem Morgen!"
"Es tut mir furchtbar leid, Euch zu so früher Stunde stören zu müssen" entgegnete der Abbé mit dieser unglaublich leisen, schleppenden Stimme, die einen zur Weißglut treiben konnte, da sie einen zwang, ganz genau hinzuhören um überhaupt etwas zu verstehen.
"Unser Prior hat mich beauftragt, Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihr am heutigen Tage mit dem Verkauf unserer -ähem- Accessoires betraut werdet!" Mit diesen Worten griff er nach einem großen, neben ihm auf dem Boden stehenden Korb und reichte ihn Aramis mit einer Verbeugung. "Voilà Monsieur- hier ist eine kleine Auswahl des zur Verfügung stehenden Plunders. Der ganze Rest befindet sich- wie Ihr ja wisst- in unserem Kellergewölbe. Ich bin sicher, Ihr werdet Eure Aufgabe glänzend erfüllen!"
Aramis nahm den Korb unwillig entgegen und sah hinein. Er enthielt das Übliche: Heiligenbildchen, Rosenkränze, kleine Ablass-Medaillons....
"Wie kommt der Abt dazu, ausgerechnet mich mit dieser -hmmm- ehrenvollen Aufgabe zu betrauen?" fragte Aramis und sah dem anderen dabei fest in die mausgrauen Augen. Dann machte er einen Schritt auf de Worminger zu und seine Stimme wurde schneidend:
"Soweit ich unterrichtet bin, wart Ihr doch für den Verkauf dieser Sachen vorgesehen! Oder täusche ich mich da?" De Worminger lächelte und rieb die Handflächen gegeneinander. "Ich habe dem ehrwürdigen Abt anvertraut, dass es mir meine sehr angegriffene Gesundheit nicht erlaubt, bei diesem nasskalten Wetter den ganzen Tag über meinen Dienst zu versehen." Das Lächeln wurde noch eine Spur freundlicher. "Des Weiteren" fuhr er mit salbungsvoller Stimme fort "habe ich ihn davon in Kenntnis gesetzt, dass Ihr- der Abbé d'Herblay- Euch angeboten habt, diesen ehrenvollen Dienst für mich zu übernehmen, da Ihr mir gegenüber eine tiefe Verbundenheit und...Freundschaft empfindet." Und er sah ihn mit diesen kleinen, stechenden Augen lauernd an. "Das tut Ihr doch, nicht wahr?"
Aramis biss sich vor Wut auf die Lippen und wandte sich schnell von dem anderen ab. Er durchschritt hastig sein Zimmer und riss unsanft das Fenster auf.
Regen klatschte ihm ins Gesicht und der Wind zerzauste seine schwarzen Locken mit Macht. Seine Fäuste umschlossen das Fenstersims so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.