„Ein Wolf im Palais Cardinal?“ von Armand-Jean-du-Plessis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 24 BewertungenKapitel Wohl keine Komödie!
Die Sicherheitsmaßnahmen im Palais Cardinal waren exorbitant. Man hätte meinen können, man sei in der Bastille, dem berüchtigten Pariser Staatsgefängnis, und nicht im luxuriösen Gebäudekomplex des Ersten Ministers von Frankreich, Kardinal Richelieu. Alle der fast zweihundert Kardinalsgardisten hatten Dienst. Über die Dienerschaft war eine Ausgangssperre verhängt worden. Jede Lieferung ins Palais wurde penibel überprüft. Selbst die Gärten waren durchsucht worden.
Doch die illustren Gäste im Inneren bekamen von all dem wenig mit. Man speiste vorzüglich. Suppen und Gebratenes, Sülzen und Pasteten, Fischgerichte und Mehlspeise, es mangelte an nichts. Die Musik war exklusiv, auch wenn für den heutigen Abend kein Tanz vorgesehen war. Statt des Tanzes würde es eine Vorführung einer Commedia dell’arte der berühmten Schaustellergruppe der Fideli unter Giambattista Andreini geben. Kardinal Richelieu hatte die Truppe eigens aus Venedig, der Heimatstadt seines Ehrengastes, kommen lassen. Dieser, Seine Exzellenz, Alvise Contarini, Sonderbotschafter der Republik Venedig, sollte sich besonders gut amüsieren. Und bis jetzt tat der Botschafter dies, so wie die anderen sehr exklusiven Gäste auch.
Nur einer wirkte eher verdrossen. Von einem Balkon aus betrachtete der Comte de Rochefort die Szenerie. Er war ganz in Schwarz gekleidet, nur bei genauerer Betrachtung waren die feinen Silberfäden zu erkennen, mit denen das Gewand durchwirkt war. Es wirkte so düster wie seine Stimmung. Dieses Fest war ein hohes Sicherheitsrisiko. Gesandte und Botschafter aus Spanien, England, Österreich und anderen, kleineren Nationen waren geladen worden. Und die Diplomaten waren gar nicht die eigentliche Gefahr. Aber sie hatten selbstverständlich zahlreiche Dienerschaft zum Fest mitgebracht, von Kammerzofen für die Gattin, über Kutscher und Leibdiener, bis hin zu bewaffneten Leibwächtern. Rochefort hatte dafür gesorgt, dass diese gesamte Entourage nicht die herrschaftlichen Räume betreten durfte und das hätte fast einen Skandal ausgelöst, weil die Gattin des bayrischen Gesandten darauf bestanden hatte, ihre Friseurin in die Salons mitzunehmen.Nun, man hatte sich geeinigt, dass das eigens hergerichtete Ankleidezimmer wohl reichen müsste.
Genau genommen war noch jemand nicht besonders glücklich. Ein leises Winseln drang aus dem heute nicht benutzten kleinen violetten Salon. Luna, die kleine Halbwölfin, war sogar äußerst unzufrieden. Nun gut, sie hatte einen riesigen Knochen vor sich liegen und an dem hatte sie auch eine Zeit lang herumgekaut, aber das reichte doch nicht auf Dauer um sich zu beschäftigen. Das ganze Palais war voller interessanter Gerüche. Seltene Speisen, fremdartige Parfums und Duftöle vermischten sich mit dem Geruch vieler unbekannter Menschen. Sogar der Geruch eines fremden Hundes war dabei. Das war wohl nur einer dieser kleinen weißen Schoßhunde, aber Luna wollte alles beschnüffeln. Doch sie war hier eingesperrt worden. Das war unfair und ungerecht. Sie hatte ihre Empörung deutlich gezeigt, in dem sie sich auf dem Sofa erleichtert hatte, obwohl Rochefort sich die Zeit genommen hatte einen langen Spaziergang mit ihr zu machen. Man hatte alles Zerbrechliche aus dem Salon entfernt und so musste sie sich damit begnügen, die Stühle und den Tisch anzunagen. Dann kam sie auf die Idee ihr Rudel zu rufen, also den Kardinal, seinen Geheimdienstchef Rochefort, Bernadette, die Zofe, die immer das Fressen brachte, und Christian, den Pagen, der sie immer gern kraulte. Sie war jetzt fast sechs Monate alt und das Heulen ging schon recht gut und laut. Irgendjemand würde sie schon hören.
Das Fest strebte seinem Höhepunkt entgegen – dem Auftritt der Komödianten. Zwei Höflinge tuschelten, dass es schon lange keine Commedia dell’arte in Paris mehr gegeben habe. In seiner Jugend hatte König Louis XIII. diese Art der Unterhaltung geliebt, genauso wie seine Mutter Maria de Medici. Bis 1622 war die Vorgängerkompanie der Fideli ein ständiger Gast am Pariser Hof gewesen. Man munkelte, dass dies 600 Livre im Monat gekostet haben soll. Doch Kardinal Richelieu hatte dem ein Ende gesetzt- er bevorzugte die Förderung des französischen Theaters. Doch für Sonderbotschafter Alvise Contarini war eine Ausnahme gemacht worden. Er war schließlich der Architekt des Bündnisses zwischen Frankreich und der Republik Venedig. Auch dass Frankreich die Schweden unterstützte, sollte seine Idee gewesen sein.
Die Vorstellung begann. Auftritt des Pantalone, ein reicher venezianischer Kaufmann mit brauner Maske, einem schwarzen Umhang und einem Ziegenbart, sowie seiner Tochter Isabella in einem knallroten Rock und weißer Bluse. Das Stück verlief wie viele andere. Der Dottore mit schwarzer Maske und Knollennase, kugelförmiger Stirn und roten Wangen, weißer Halskrause sowie schwarzer Jacke war der Gegenspieler, der Übles wollte, insbesondere die Liebe zwischen Isabella und ihrem Flavio zerstören um selber die schöne Isabella zu freien. Die Intrigen wurden durch die Zanni durchgeführt, die Dienerschaft der beiden Herren. Da war einerseits Arlecchino, der Spaßmacher mit lustigen Maske und Hut und einem Mantel, der aus bunten Flicken bestand, und andererseits Brighella mit schwarzer Maske und weißer Dienerkleidung.
Rochefort war inzwischen wieder in der Nähe von Kardinal Richelieu als er eine Berührung an seinen Beinen verspürte. „Wie ist das kleine Untier aus dem versperrten Salon entkommen?“, dachte der Geheimdienstchef und wollte Luna am Kragen packen. Doch diese schien das zu ahnen und verschwand blitzschnell zwischen den Sitzreihen. Rochefort grummelte. Hoffentlich machte die kleine Halbwölfin keinen Ärger.
Der Graf von Rochefort war nicht sehr an der Komödie interessiert, im Grunde mochte er das Theatervolk nicht besonders. Er hatte sogar angewiesen, dass sie Requisiten wie Dolche und Knüppel bei der Vorführung nicht verwenden durften, auch wenn das zu manchen der Rollen dazugehörte. Brighella und Arlecchino hatten sich inzwischen verbündet. Arlecchino würde Pantalone mit seinen derben Späßen ablenken und Brighella den Dottore mir Jonglierkunststücken. Derweilen sollten Isabella und Flavio heimlich heiraten. Das Geschehen verlagert sich hin zur ersten Reihe, damit Kardinal und Ehrengäste die Kunststücke besser sehen konnten. Brighella jonglierte mit mehreren keulenartigen Kegeln.
Plötzlich war ein tiefes Knurren aus dem Publikum zu hören. Dieser Geruch gefiel der kleinen Luna nicht. Mit einem Satz war sie zwischen den Sesselreihen hervorgesprungen und auf Brighella zu. Sie tat, was sie noch nie vorher getan hatte und biss mit aller Kraft in die Hand des erschrockenen Brighella. Rochefort wollte noch dazwischen gehen, aber er kam zu spät. Polternd fielen die Jonglierkeulen zu Boden. Dabei zerbrach eine dieser Keulen oder besser, sie bestand eigentlich aus zwei Teilen, die auseinander fielen. Ein Stilett polterte aus dem Kegel. Einem genauen Beobachter wie Rochefort entging auch nicht, dass aus der einen Hälfte der Jonglierkeule eine Flüssigkeit tropfte. Das Stilett, in seinem Ursprungsland Italien auch „Misericordia“ (lat. „Barmherzigkeit“) genannt, war wohl darin eingetaucht gewesen. Blitzschnell hatte Rochefort nun seinen Stiefeldolch gezogen, denn sein Rapier hatte er vor dem Festsaal platzieren müssen – verfluchte Étiquette. Aber auch mit einem Dolch an der Kehle und mit den Zähnen eines Halbwolfs in der Hand verbissen war Brighella schnell ausgeschaltet und von der Kardinalsgarde abgeführt.
Rochefort und Richelieu waren am nächsten Tag zu einer Besprechung zusammen gekommen. „Woher konnte Luna das wissen oder war das Zufall oder gar göttliche Fügung?“ Kardinal Richelieu blickte fragend zu seinem Geheimdienstchef. „Nun, Eure Eminenz, Wölfe haben einen sehr feinen Instinkt, wenn es darum geht, dass ihr Rudel in Gefahr ist. Und der Vicomte de Chizey, der Wolfsforscher, von dem ich Luna habe, hat mir erzählt, dass Wölfe und sogar Hunde Aggression riechen können.“ Rochefort kraulte der jungen Halbwölfin den Bauch, was diese sichtlich genoss. „Denkt Ihr, dass der Anschlag mir galt oder Botschafter Contarini?“, war die nächste Frage des Ersten Ministers. „Wir werden es aus dem Geschmeiß herausbringen, das verspreche ich Euch Monseigneur“, erwiderte Rochefort, „allerdings hat Hector herausgefunden, dass die Truppe vor ein paar Wochen in Brüssel gastierte und…“. „…und dort leben die Mutter des Königs und der Thronfolger Gaston im Exil“, ergänzte Richelieu säuerlich. „Eine letzte Frage, bevor wir mit den Unterlagen beginnen. Ich dachte, Ihr hattet Luna sicher verwahrt, wie ist sie entkommen?“ „Nun, entweder war es die göttliche Fügung, von der Eure Eminenz vorhin gesprochen haben oder ein gewisser Page hat die Salontüre aufgesperrt, weil Luna so laut geheult hat“, erwiderte Rochefort lächelnd. Kardinal Richelieu nahm die Arbeitsmappe aus der Schublade seines riesigen Schreibtisches. „Dann sagen wir, es hat sich gut gefügt, dass der Page wie Ihr und ich zum gleichen „Wolfsrudel“ gehören. – Nun, man hat mir schon Schlimmeres nachgesagt!