Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 15
Kapitel 15
An einem besonders schwülen Augusttag starb Fleurette, ich fand sie tot auf der Weide. Ihr altes Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Ein allerletztes Mal strich ich behutsam über ihre weichen Nüstern und lehnte den Kopf an ihren Hals. Doch jetzt waren keine gleichmäßigen Atemzüge mehr zu spüren. Tränen liefen meine Wangen hinab. Die kleine Stute war zu Mélisse gegangen. Als einer der Stallburschen dazu stieß, rannte ich über den Hof zu den Stallungen, um den Wallach zu holen, den ich meistens ritt, wenn ich zusammen mit Olivier unterwegs war.
Es war ein hübscher temperamentvoller Winterrappe namens Ténèbres. Mit tränenverschleiertem Blick trieb ich ihn zum Galopp einen Waldweg entlang. Stundenlang ritt ich ziellos umher, bis meine Gedanken ein wenig klarer wurden. Durch Fleurette war ein Teil Mélisses immer noch bei mir geblieben, ihre Anwesenheit hatte mir Trost gespendet, aber nun war auch sie fort. Dass dieses Unglück nur der Vorbote für viel mehr war, ahnte ich weiß Gott nicht.
Dieser Tage hatte Olivier viel zu tun und ich ritt oft allein mit Ténèbres aus, obwohl er wiederholt sein Missfallen kundtat. Gerne hielt ich dabei an einer sonnigen Stelle am Flussufer Rast, ließ den Wallach grasen und genoss für eine Weile das warme Wetter, sowie die Geräusche und Gerüche. Doch als ich an diesem Nachmittag in der Wiese liegend vor mich hin döste, mischte sich Hufgetrappel unter das Zwitschern der Vögel. Erstaunt öffnete ich die Augen und sah Olivier zusammen mit Silvain auf mich zukommen. Auch das noch. Die beiden parierten ihre Pferde durch, als sie mich erreichten und stiegen ab.
Olivier schloss mich in seine Arme, er war ausgesprochen guter Dinge. „Anne, Liebes, wie schön dich zu sehen. Ich wollte gern mit dir ausreiten, aber du warst schon weg. Im Stall habe ich dann Silvain getroffen und wir sind gemeinsam aufgebrochen.“
„Entschuldige bitte, ich habe nicht geahnt, dass du heute Zeit hast“, antwortete ich ein wenig verlegen.
„Na ich werde noch einmal darüber hinweg sehen“, Er grinste schelmisch. „Aber nur, wenn wir jetzt zusammen zurück reiten. Du könntest meinen Bruder ein wenig in seine Schranken weisen. Die alte Eiche ist das Ziel, bist du dabei?“
Silvains durchbohrte mich mit einem drohenden Blick, als ich wortlos nickte. Meinem Gemahl eine Abfuhr erteilen konnte ich schlecht. Für den Rest unserer Rast schwieg ich die meiste Zeit, wartete nur bis Olivier den Rückweg antreten wollte. Nach einer Weile verkündete sein Bruder, er habe die Pferde bereits fertig gemacht und wir schwangen uns in die Sättel.
Beim Wettreiten im schnellen Galopp dachte ich nicht mehr an Silvain und seine Abneigung, ich versuchte alles um ihn zu schlagen. Fast hatte ich es auch geschafft, Ténèbres war schneller denn je, doch dann löste sich der Sattel unter mir. Mein Wallach strauchelte und ich sah nur noch den Boden auf mich zukommen. Hart schlug ich gegen einen im Unterholz verborgenen Stein, die Luft blieb mir weg.
Olivier rief meinen Namen, doch ich vermochte ihm nicht zu antworten. Kurz darauf erschien sein besorgtes Gesicht über mir. Ich keuchte im Versuch Atem zu holen.
„Ganz ruhig, Anne“, sagte er sanft. „Gleich ist es besser.“
Er zog seinen Dolch, den er immer dabei hatte und ich spürte wie die Klinge die eng geschnürten Bänder meines Kleides durchschnitt. Luft strömte in meine Lungen, ich sah wieder klarer. Doch etwas stimmte nicht, ich wusste es sofort, als Oliviers Blick mich berührte. Ich folgte ihm verwirrt, und ich begriff.
Vollkommen überrascht starrte er das Zeichen an, das in meine Schulter eingebrannt war. Was ich am meisten gefürchtet hatte, war eingetroffen. Er hatte die verfluchte Lilie in meiner Haut entdeckt.
„Silvain hatte also doch recht… ich kann nicht glauben was ich sehe“, sagte er bitter mit versteinerter Miene, während sein Bruder mich gehässig musterte.
„Ich habe nichts verbrochen, bitte glaub mir“ brach es aus mir hervor, ich wollte nach seiner Hand greifen, doch er wandte sich abrupt ab.
„Dieses Zeichen trägt nur jemand, der eines Verbrechens schuldig ist. Du hast mich von Anfang an belogen und benutzt. Mich hat die Liebe geblendet, aber mein Bruder erkannte die Wahrheit…“
Jedes seiner Worte kam einem Schlag ins Gesicht gleich. Ich wünschte fast er würde einfach zuschlagen, denn damit konnte ich umgehen. Nicht jedoch mit seinen Vorwürfen, die mir verzweifelte Tränen in die Augen trieben. Ich biss mir auf die Zunge, wollte mir diese Blöße vor Silvain nicht geben.
„Steig wieder auf dein Pferd“, zischte Olivier knapp, ohne sich noch ein einziges Mal zu mir umzudrehen. Während des gesamten Weges zurück sprachen wir nicht ein Wort. Verzweifelt hoffte ich er würde sich währenddessen beruhigen und mich doch noch anhören. Er tat nichts dergleichen, er hatte bereits seine eigenen Vorstellungen gefasst. Im gräflichen Anwesen schloss er mich in die Kammer eines der Dienstboten ein.
Die nächsten Stunden erlebte ich wie in einem der Alpträume, die mich jede Nacht peinigten. Irgendwann klickte das Schloss, die Tür schwang knarrend auf und ein Mann, den ich nicht kannte, trat in Begleitung von Silvain ein. Ich wurde abgeführt wie eine gemeine Verbrecherin, dabei hatte ich mir nichts zuschulden kommen lassen. In den Augen von Oliviers Bruder las ich den Triumph. Im Augenblick war ich außerstande etwas zu fühlen, sonst hätte wahrscheinlich Hass in mir gebrannt.
Zum zweiten Mal in meinem Leben landete ich in einer kleinen, kalten und stinkenden Gefängniszelle. Ich fühlte mich genauso verlassen wie vor etwa dreieinhalb Jahren. Damals hatte mich der junge Bursche namens Paul befreit, ich erinnerte mich gut an ihn, doch jetzt würde mir gewiss niemand helfen. Das wollte ich auch gar nicht, denn ohne Olivier war alles sinnlos, was ich mir erträumt hatte vorbei. Nicht einmal zwei Jahre lang hatte unsere Ehe gedauert. Diesen Morgen war ich noch glücklich neben ihm aufgewacht, abends einschlafen würde ich allein im kratzenden Stroh.
Am nächsten Tag kehrte jener Mann zurück, der mich abgeführt hatte, und brachte mich in einen kleinen Raum. Ich reimte mir zusammen, dass es sich um den Aufseher des Gefängnisses handeln musste.
„Du hast Besuch“, sagte er knapp. „Monsieur de la Fére hat mich um eine Unterredung mit dir ersucht.“
Mein Herz hüpfte. Hatte Olivier es sich nun überlegt und wollte in Ruhe mit mir über alles sprechen? Er war es jedoch nicht, der das Zimmer betrat, sondern sein Bruder Silvain. Mit großen Augen starrte ich ihn an
„Ich hoffe du hast gut geschlafen, Comtesse.“ Er spuckte das Wort voller Verachtung aus. „So bequem wie das Ehebett meines Bruders, in das du dich eingeschlichen hast, ist es hier fürchte ich nicht.“
Gleichgültig blickte ich an ihm vorbei an die Wand. Seine eisgrauen Augen, die sich von Oliviers sanften braunen nicht mehr unterscheiden konnten, durchbohrten mich wie ein Degenstich.
Abrupt riss er meinen Kopf in seine Richtung. „Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede. Es hätte gereicht, wenn du dir beim Sturz von dem Gaul das Genick brichst, aber so ist es umso besser. Jetzt weiß mein Bruder wenigstens, dass du ihn die ganze Zeit hintergangen hast.“
Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Silvain war bei den Pferden gewesen, er musste etwas unter den Sattel meines Winterrappen gesteckt haben, um ihn scheuen zu lassen, sobald er mein Gewicht trug. Ich hatte mich immer bemüht mit ihm zurecht zu kommen, weil er der Bruder meines Mannes war, aber jetzt brannte Hass auf ihn heiß in mir.
„Ihr… Ihr seid schuld, dass er die Lilie entdeckt hat…“ stieß ich hervor. „Ihr habt alles zerstört… Nicht, weil Ihr euch um ihn sorgtet, sondern weil Ihr gerne in seiner Position wärt. Ich liebe Olivier, sein Titel und sein Geld haben mich nie interessiert, das wisst ihr ganz genau…“
„Jetzt reg dich nicht so auf. Irgendetwas hast du verbrochen, sonst hättest du nicht das Zeichen auf deiner Schulter. Ich habe die Erlaubnis meines Bruders dich zu befragen… nicht, dass ich sie gebraucht hätte.“ Er lächelte böse. „Wer bist du? Dein Name, dein Mädchenname, wie lautet er?“
Ich funkelte ihn hasserfüllt an. „Kein Wort werde ich Euch sagen, Ihr seid umsonst gekommen, Mons…“
Ehe ich zu Ende sprechen konnte, versetzte er mir einen Schlag, der mich durch den halben Raum schleuderte. Es war so, wie es immer gewesen war. Ich wehrte mich nicht, noch brach ich mein Schweigen. Nichts was er mir antun konnte, war schlimmer als das Wissen, dass Olivier mich verlassen hatte.
Schließlich sah er ein, dass er nicht bekam was er wollte, und nachdem er gegangen war, wurde ich in die Zelle zurück gebracht. Ich hatte noch nie aufgegeben, doch nun begann ich mir zu wünschen mir bei dem Sturz tatsächlich das Genick gebrochen zu haben.