Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 16
Kapitel 16
Tage vergingen. Wie lange saß ich nun schon hier drin? Ich wusste es nicht, ich hatte bald jegliches Zeitgefühl verloren. Die Zeit spielte ohnehin keine Rolle mehr, ich musste nie wieder darauf achten pünktlich zum Frühstück zu erscheinen. Ob Olivier manchmal an mich dachte? Ich ertappte mich oft dabei, mich zu fragen, wo er sich gerade aufhielt und was er tat. Die meiste Zeit schlief ich, das war auch die einzige Möglichkeit Stunde um Stunde in der engen Zelle zu überstehen ohne verrückt zu werden. Nach dem Aufwachen fühlte ich mich elend. Wahrscheinlich war es das halb verdorbene Essen oder das Wasser, das mich krank machte.
Dann stand auf einmal der Gefängnisaufseher mit einem Schlüssel vor meiner Zelle. Mein Herz hüpfte, als er tatsächlich aufschloss, denn trotz allem hoffte ich immer noch, Olivier würde mir eine zweite Chance geben und mich zurück holen. Doch er war es nicht, der draußen im Freien im Tageslicht auf mich wartete, sondern ein Mann, den ich nicht kannte. Er trug einen rotschwarzen Umhang, ich erinnerte mich, solche Kleidung schon einmal gesehen zu haben, doch nicht wo.
„Hier ist das Mädchen, Monsieur“, sagte der Aufseher. „Ich übergebe sie hiermit Eurer Verantwortung, was weiter mit ihr passiert, soll mich nicht kümmern. Passt nur auf, sie ist lange nicht so unschuldig, wie sie aussehen mag.“
Der andere Mann nickte leicht. „Habt Dank.“ Dann wandte er sich mir zu. „Folgt mir, Madame. Ich habe den Auftrag Euch nach Paris zu bringen.“
Und das war der vorerst der einzige Satz, den ich von ihm zu hören bekam. Mit Ausnahme seines Namens, er hieß Gérôme Beauval. Ich war unsicher was nun auf mich zukam, was mich am Ziel dieser Reise erwartete. Paris selbst sah ich gleichmütig entgegen, vor ein paar Jahren wäre ich aufgeregt gewesen beim Gedanken diese Stadt zu betreten, doch ich ahnte, dass es dort für das Landkind, das ich war, nicht besser sein würde, als in Lille damals.
Während die kleine Kutsche über die unebenen Straßen rumpelte, saß ich im Inneren des Verschlags und bekam so nicht einmal mit, wie wir die Grafschaft de la Fère hinter uns ließen. Gérôme war sehr darauf bedacht, mir keine Möglichkeit zur Flucht zu geben, aber sonst behandelte er mich nicht schlecht. Die ganze Zeit über sprach er nur das Nötigste mit mir.
„Wollt ihr mich weiterhin beharrlich anschweigen? Bis nach Paris werden wir noch eine Weile gemeinsam reisen, ist es nicht so?“ startete ich am Abend, als wir rasteten, den Versuch einer Unterhaltung.
„Da habt Ihr schon recht.“ Er reichte mir ein Stück Brot. „Esst, damit Ihr bei Kräften bleibt.“
Dankbar nahm ich das helle Gebäck entgegen. Es war hart, aber es füllte meinen Magen. Für den jungen Mann war das Gespräch damit beendet, er aß stillschweigend auf, legte sich dann schlafen.
Am Morgen war mir wieder fürchterlich schlecht. Wir waren noch nicht lange unterwegs, als ich Gérôme deshalb bitten musste anzuhalten. Das karge Frühstück wollte nicht verbleiben wo es war. Im Lauf des Vormittags begann es mir besser zu gehen, doch diese Übelkeit wiederholte sich auch am folgenden Tag.
„Oje, geht es Euch heute wieder nicht gut?“ fragte Gérôme, als ich wieder hinter einigen Büschen verschwand, um mich zu übergeben. „Seid Ihr reisekrank?“
Ich schüttelte den Kopf, als ich sehr blass wieder hervor kam. „Mir ist noch nie bei einer Kutschfahrt übel geworden, egal wie holprig die Straße war.“
„Das ist nicht gut… ich hoffe Ihr seid nicht ernsthaft krank. Im nächsten Dorf suchen wir besser einen Heilkundigen auf.“ Er schien tatsächlich ein wenig besorgt zu sein, wenn auch eher um die Erfüllung seines Auftrags.
Selber war ich in Gedanken bereits alle Möglichkeiten durchgegangen, die mir einfielen. Von der Reise selbst war mir sicher nicht so übel, es hatte schon im Gefängnis begonnen und am Essen konnte es jetzt auch nicht mehr liegen, weil Gérôme das Gleiche zu sich nahm.
„Mir fällt da etwas ein“, sagte der junge Mann nach einer Weile. „Meiner Frau war morgens oft schlecht, als sie unser erstes Kind erwartete.“
Bei diesen Worten durchzuckte es mich siedend heiß. Warum hatte ich daran noch nicht gedacht? Eine zweite Erkenntnis holte mich ein, nämlich die, dass mein Blut nicht gekommen war. Als ich eingesperrt war, hatte ich kaum Zeitgefühl gehabt, aber jetzt wusste ich ja wieder, welchen Tag wir hatten. Ich wurde fast nie krank, also war dies die einzige Erklärung, die blieb. Ich war schwanger! Unsicher legte ich die Hand auf meinen Bauch, im Moment konnte ich es noch nicht fassen.
„Ihr seid also Vater?“ fragte ich Gérôme beiläufig, im Augenblick konnte ich einfach nicht still sein.
Er nickte ein wenig verträumt. „Ja, ich habe einen Sohn von zwei Jahren. Das größte Geschenk, das meine Frau mir machen konnte.“
Damit war das eisige Schweigen durchbrochen, wir redeten nun die ganze Zeit über. Er erzählte mir von seinem Jungen und wie viel Freude so ein winziges Geschöpf bedeuten konnte, wenn es erst einmal auf der Welt war. Es kam mir fast vor, als wolle er mir damit Mut machen. Und schließlich tat er etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er ließ mich neben sich auf dem Kutschbock sitzen, an der Luft. Offenbar vertraute er aus welchem Grund auch immer darauf, dass ich nicht weglief. Das zu tun hatte ich ohnehin nicht vor, es gab keinen Ort, an den ich gehen konnte.
Im nächsten Dorf legten wir tatsächlich eine Rast ein, um jemanden zu suchen, der des Heilen kundig war. Die Alte konnte man als Kräuterhexe bezeichnen, aber immerhin schien sie zu wissen wovon sie sprach. Sie tastete in einer unangenehmen Prozedur meinen Leib ab und gelangte dabei zu derselben Erkenntnis wie ich zuvor. Ich trug tatsächlich Oliviers Kind unter dem Herzen. Das hatte er sich so gewünscht, und nun würde er es nie erfahren. Zum Schluss gab sie mir noch ein Beutelchen mit Kräutern mit, die gegen die Übelkeit helfen sollten, doch ich verwendete sie nicht. Auch wenn es unangenehm war, so handelte es sich um Zeichen meines ungeborenen Kindes. Das Wissen um die Schwangerschaft ließ mich den Verlust Oliviers ein wenig leichter ertragen, denn ein Teil von ihm lebte in diesem kleinen Wesen in mir, und das konnte mir keiner nehmen. Nie!
„Morgen Nachmittag werden wir Paris erreichen“, sagte Gérôme ein paar Tage später, als wir nach einem kargen Frühstück das Pferd anspannten, um weiter zu reisen. Diese Nachricht holte mich in die Wirklichkeit zurück, ich hatte aufgehört über das Ziel unserer Fahrt nachzudenken.
Angestrengt starrte ich auf die leere Straße, die sich zwischen einigen Bäumen verlor. „Ihr habt mir noch nicht gesagt, weshalb Ihr mich nach Paris bringen sollt.“
Er lachte bitter. „Man gab mir nur den Auftrag Euch zu holen, mehr wurde mir nicht mitgeteilt. Ihr seht also, ich kann Euch nicht sagen, was Euch erwartet.“
„Und von wem habt Ihr diesen Auftrag erhalten?“ bohrte ich weiter. Ich wollte wissen, was ich in der großen Stadt vorfand, und warum ich dorthin gebracht wurde.
„Der Befehl kam von Seiner Eminenz, dem Kardinal Richelieu, ich gehöre seiner Garde an.“ Er sah für einen Moment an sich herunter, und jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Diese Uniform hatte ich damals schon gesehen, als ich mit der verfluchten Lilie gezeichnet worden war! Und ich erinnerte mich an die Begegnung mit dem Kardinal. „Wessen hat man Euch verurteilt? Was kann jemand wie Ihr denn so Schlimmes verbrochen haben, dass es für Seine Eminenz von Interesse ist?“
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Das spielt keine Rolle… Niemand hat mich je gefragt, was geschehen ist, als man mir damals die bourbonische Lilie einbrannte.“
Darauf erwiderte der junge Mann nichts mehr, er schien tatsächlich über meine Worte nachzudenken. „Euer Geheimnis ist bei mir sicher, versprochen“, fügte er dann mit einem Lächeln hinzu, wobei sein Blick meinen Bauch streifte. Dafür war ich ihm so dankbar.
Als wir dann wegen eines heftigen Regengusses später als erwartet die Hauptstadt Frankreichs erreichten, musste ich wieder nach hinten in den engen Verschlag zurück kehren. Ich blieb eine verurteilte Verbrecherin und er hatte mich danach zu behandeln. So sah ich nicht viel von Paris, bis die Kutsche hielt, und ich mich im Hof einer prachtvollen Residenz wieder fand. Das Haus von Oliviers Familie war für mich schon sehr groß gewesen, doch dieses Gebäude übertraf es bei Weitem, es war unvorstellbar, so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen.
Das imposante Äußere wurde nur noch von dem herrlichen Inneren übertroffen. Die Eindrücke überfluteten mich, während ich Gérôme staunend durch Gänge und über Treppen folgte. Das Ziel war ein weitläufiges Zimmer, in dem ein wuchtiger Tisch aus dunklem Holz den Mittelpunkt bildete. Die Vorhänge bestanden aus edlen schimmernden Stoffen und an den Wänden gab es Gold und Marmor. Über der mächtigen Tür hing ein großes goldenes Kreuz. Zuletzt sah ich den Mann, der hinter dem Tisch in einem bequemen Sessel aus rotem Samt saß. Seine stechenden Augen hatten mich dagegen längst erfasst.
Ich erkannte dieses kühle Gesicht, umgeben von vollkommen glatt gekämmtem Haar, die prächtige rote Kleidung mit ihren reichhaltigen goldenen Verzierungen, das Kreuz um seinen Hals und die protzigen Ringe an seinen langen Fingern. Zunächst stand ich nur unschlüssig da, erst als ich Gérômes Hand auf der Schulter spürte, machte ich einen widerwilligen Knicks.