Je suis une femme von Engel aus Kristall

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Kapitel Kapitel 17

Kapitel 17


Der Kardinal nickte Gérôme kurz zu, woraufhin der jüngere Mann eine Verbeugung andeutete und sich rasch entfernte. Ich widerstand der Versuchung ihm nachzusehen, zwang mich stattdessen dazu den Blick nicht von Seiner Eminenz abzuwenden. Seine stechenden Augen taxierten mich vom Scheitel zu den Spitzen meiner Schuhe, hatte ich den Eindruck.
„Willkommen in Paris, Madame de la Fère“, begann er mit einem geheuchelten Lächeln. „Oder sollte ich de Breuil sagen?“
Bei diesen Worten durchzuckte es mich siedend heiß. Woher wusste er wer ich war? Und weshalb verhielt er sich auf einmal so freundlich mir gegenüber? Bei unserer ersten Begegnung hatte er mich vor allen Leuten ins Gesicht geschlagen, ehe mir die verfluchte Lilie in die Schulter gebrannt wurde. Die Lilie, die schuld daran war, dass ich nun hier stand, anstatt bei Olivier zu sein.
„Ich bin nicht länger Teil der Familie de la Fère, Eure Eminenz, aber das ist Euch bestimmt bekannt“, antwortete ich, bemüht um Festigkeit in meiner Stimme. Ich wollte vor ihm nicht wie ein dummes kleines Mädchen wirken. Seit damals hatten sich die Dinge geändert, ich war jetzt eine Frau.
Er nickte amüsiert. „Das ist es allerdings. Ihr fragt Euch sicherlich, woher ich den Namen Eurer Familie kenne. Für einen Mann in meiner Position ist es erforderlich bestens informiert zu sein.“ Geschmeidig erhob er sich und trat vor einen nahen Schrank, aus dem er eine Flasche mit einer goldbraunen Flüssigkeit nahm. „Darf ich Euch auch ein Schlückchen Cognac anbieten, Madame?“ Eine Antwort wartete er jedoch gar nicht erst ab, sondern stellte zwei Gläser auf den Tisch, ehe er sich wieder mir zuwandte. Sein Blick ließ mich erschaudern. „Aus Euch ist eine bemerkenswert hübsche Frau geworden.“
Unsicher strich ich mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Trotz seines veränderten Gebarens traute ich ihm nicht weiter, als ich meinen Arm auszustrecken vermochte. „Ihr habt mich bestimmt nicht hierher bringen lassen, um Euch mit mir darüber zu unterhalten, Eminenz.“
Richelieu lachte trocken. „Nein, gewiss nicht, Madame. Ich möchte Euch mein Angebot in Erinnerung rufen, das ich Euch unterbreitete, ehe Ihr… nun es vorzogt Euer Glück anderswo zu versuchen. Beeindruckend wie Ihr damals schon, als Ihr nur ein kleines mageres Ding wart, diesen Jungen geblendet und um den kleinen Finger gewickelt habt, doch wirklich.“
„Was ist mit ihm geschehen?“ entfuhr es mir. Ich erinnerte mich an den Burschen, der mir zur Flucht verholfen hatte. War er für seine Güte bestraft worden?
„Soweit mir bekannt, wurde er gründlich durchgeprügelt, aber was kümmert Euch das? Ihr wisst sicherlich nicht einmal mehr seinen Namen, er war ja nur Mittel zum Zweck für Euch, nicht wahr?“ Seine dunklen Augen blitzten boshaft.
„Er hieß Paul“, sagte ich nur.
Daraufhin wanderte seine Augenbraue überrascht in die Höhe. „Nun ja, um diesen einfältigen Jungen soll es hier nicht gehen. Ihr seid zweifellos zu viel mehr fähig, Madame. Tretet in meine Dienste, Ihr würdet es nicht bereuen. Was Ihr zu tun habt, ist einfach gesagt, Ihr erhaltet Aufträge, von bestimmten Personen Informationen zu beschaffen. Wie Ihr das anstellt, soll Eure Angelegenheit sein, doch es muss überaus diskret geschehen.“
Ich schluckte, es ging tatsächlich um das Gleiche wie damals. Es widerstrebte mir mit diesem Mann etwas zu tun zu haben, aber es war nicht gerade so, dass ich eine Wahl hatte. „Und was bekomme ich für meine Dienste?“
Erneut lachte er amüsiert auf. „Kluges Mädchen! Wenn Ihr Eure Aufgaben gut erfüllt, so werde ich mich großzügig zeigen. Ihr erhaltet eine Wohnung und an Geld, was Ihr zum Leben braucht, seid sicher es wird Euch an nichts fehlen.“
„Und wenn ich mich weigere?“ Ich biss mir auf die Zunge. Sein Angebot klang verlockend, denn ich war völlig mittellos. Mich selbst vermochte ich schon irgendwie zu erhalten, aber in ein paar Monaten würde ich auch für mein Kind sorgen müssen.
„Dann seid Ihr frei zu gehen, ich werde Euch nicht festhalten.“ Der Kardinal wies auf die große Tür. „Die Straßen von Paris erwarten Euch, es gibt genug Lumpenpack, bei dem Ihr Euch einrichten könnt und solange Ihr so hübsch seid, vermögt Ihr gewiss davon leben Euren Körper feilzubieten.“
Bilder aus der Zeit, die ich in den Straßen von Lille verbracht hatte, erschienen in meinem Geist. Nein, ich wollte auf keinen Fall als Bordsteinschwalbe enden, schon um meines Kindes willen nicht. Oliviers Tochter oder Sohn hatte etwas Besseres verdient. Zögernd nickte ich schließlich.
„Gute Entscheidung.“ Mit einem triumphierenden Lächeln reichte er mir eines der beiden Gläser, in die er nun Cognac gegossen hatte. „Trinkt mit mir auf unsere Zusammenarbeit. Ich rate Euch nur enttäuscht mich nicht.“

Das Klirren der Gläser hallte immer noch in meinen Ohren, als ich wieder vor Gérôme stand. Der junge Mann hatte die ganze Zeit auf dem Gang gewartet und nun fuhren wir wieder durch die Pariser Straßen. Diesmal saß ich neben ihm auf dem Kutschbock, sodass ich alles sehen konnte, was mir zuvor entgangen war. Die Stadt war groß und furchtbar laut. Nach dem Glanz des Palais, in dem der Kardinal residierte und den sauberen Wohngegenden der Adligen und Gutbürgerlichen, konnte der Kontrast zu dem herunter gekommenen Viertel, durch das wir nun fuhren, kaum größer sein. Die Straßen waren verdreckt, die Häuser baufällig. An einer Ecke erhaschte ich für Momente den Blick auf ein junges Mädchen mit verfilztem Haar, das in schmutzige zerrissene Sachen gehüllt war, und an dessen Hand ein ganz kleiner, magerer, bloßfüßiger Junge hing. Niemand scherte sich um das Elend der beiden, weil es den anderen Menschen hier keinen Deut besser erging. Bald ließen wir diese ärmliche Gegend hinter uns, doch ich vermochte diesen Anblick kaum aus meinem Kopf zu vertreiben. Nur die Gunst des Kardinals bewahrte mich davor dort zu enden, ohne Hoffung, dass auf die finsteren Nächte einmal bessere Tage folgen würden.

Vor einem kleinen sauberen Wohnhaus hielt Gérôme den Wagen schließlich an. Er unterhielt sich kurz mit dem ein wenig untersetzten grauhaarigen Mann, dem das Gebäude offensichtlich gehörte. Einige Münzen wechselten den Besitzer. Monsieur Thorigny, so war sein Name, brachte mich anschließend in ein Zimmer unter der Dachschräge, in dem gerade ein Bett, eine Frisierkommode mit zerkratztem Spiegel und ein Schrank Platz fanden. Es hatte keine Ähnlichkeit mit meinem Gemach im Heim der de la Fères, was jedoch nicht an der Größe oder der Einrichtung lag, das alles bedeutete mir nichts. Bei Olivier und seiner Familie hatte ich mich zu Hause gefühlt, aber das hier war ein fremder Ort, ein kalter Ort. Doch zumindest hatte ich ein Dach über dem Kopf, das allein zählte.

In den nächsten Tagen versuchte ich mich an das Leben in Paris zu gewöhnen, obwohl es mir alles andere als leicht fiel, denn bereits Lille war mir zu groß und unüberschaubar gewesen, war ich doch in ländlichem Raum aufgewachsen. Wie sehnte ich mich zurück nach den Wäldern, den Wiesen und Feldern der Grafschaft. Selbst der Himmel über Paris schien anders zu sein, er war grau und wolkenverhangen, ich bezweifelte, dass die Sonne hier jemals so klar und kräftig scheinen würde. Wenngleich ich gehen konnte, wohin ich wollte, fühlte ich mich gefangen.
Vom Kardinal hörte ich nichts, worüber sich mein Bedauern in Grenzen hielt, die Begegnung mit ihm hatte mir vergangene Ereignisse, die ich zu vergessen versucht hatte, wieder überdeutlich in Erinnerung gerufen. Ich versuchte mit aller Kraft nicht mehr an die Ereignisse der Vergangenheit zu denken, nichts davon spielte mehr eine Rolle. Nur die Zukunft zählte, das Kind, das ich unter dem Herzen trug. Mein Unterbewusstsein sagte mir, dass es ratsam war, die Schwangerschaft so lange wie nur irgendwie möglich zu verbergen, was im Augenblick noch einfach sein mochte. Wenn ich doch nur Oliviers kluge Mutter hätte, um ihren Rat zu erbitten. Sie wusste bescheid, hatte sie doch selbst zwei starken Söhnen das Leben geschenkt.
Für Monsieur und Madame Thorigny schien ich kaum existent zu sein. Wann immer ich ihnen begegnete, wurde mein höflicher Gruß nur mit einem dezenten Kopfnicken erwidert. Es sollte mich nicht weiter stören, ich legte keinerlei Wert mehr auf neue Bekanntschaften. Anderen Menschen Zuneigung und Vertrauen entgegen zu bringen, hatte mir im Leben nie Glück gebracht. Freundschaft, Liebe, das vernebelte den Geist nur, machte ihn schwach und verletzlich. Ich würde niemals wieder jemanden nahe genug an mich heran lassen, um erneut verlassen oder weggestoßen zu werden. Ich brauchte niemanden, außer mir selbst!