Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 18
Kapitel 18
Es dauerte nicht lange, bis ich meinen ersten Auftrag durch einen Mittelsmann des Kardinals erhielt. Ich sollte mich unter dem Decknamen Gräfin de Lechelle auf einer Festlichkeit einschleichen, mein Ziel war ein junger Mann aus einer reichen Kaufmannsfamilie, der erst kürzlich aus England zurück gekehrt war. Meine Aufgabe bestand darin, herauszufinden, ob er durch seine geschäftlichen Kontakte mit dem Königshof irgendetwas über Buckingham, den Regenten der Briten wusste. Das noble Palais, in dem das Fest stattfand, war nicht meine Welt, doch zumindest war ich tatsächlich eine Gräfin gewesen und konnte mich auch wie eine benehmen.
Männer waren so berechenbar! Schon den Blick einer hübschen Frau nahmen sie als Aufforderung. Nur allzu bereitwillig ließ er sich von mir bezirzen und schließlich saß ich neben ihm in seiner Kutsche, die über die nächtlichen Straßen holperte. Er war widerlich, konnte seine Hände kaum bei sich behalten. Sein Atem roch beträchtlich nach Alkohol. Ich musste mitspielen und so tun als gefielen mir all diese Annäherungen, die in mir Übelkeit entstehen ließen. Als wir in seinem Haus angelangt waren, brachte er eine Karaffe mit gutem Wein, wie ich annahm, um mich williger zu machen.
„Ihr seid ausnehmend schön, Gräfin“, murmelte er berauscht, während seine Finger wieder eine gierige Wanderschaft über meinen Körper begannen.
Ich zuckte zusammen, als seine Hand unter mein Kleid glitten und mir zwischen die Beine fasste. Rasch richtete ich mich auf dem Bett auf. „Mein Ring! Er ist weg… ich habe ihn verloren. Vorhin war er noch da!“
„Wir werden ihn nachher suchen…“, raunte mein Verehrer, ohne von seiner Tätigkeit abzulassen.
„Aber er gehörte meiner Mutter… er ist wertvoll!“ Entschieden schob ich ihn beiseite. „Irgendwo hier muss er sein.“
Widerwillig begann er auf dem Boden nach dem Schmuckstück zu suchen, während ich die Gelegenheit nutzte, um eine Brise des Pflanzenpulvers, welches ich in einem kleinen Säckchen bei mir trug, in sein Weinglas zu schütten. Dann beugte auch ich mich hinunter und tat schließlich, als hätte ich den vermissten Ring soeben gefunden, der natürlich meinen Finger genauso wenig verlassen hatte, wie er meiner Mutter gehörte. Der junge Mann schlief den Schlaf der Gerechten, nachdem er seinen Wein ausgetrunken hatte. Ich stahl mich davon, fand sein Arbeitszimmer und suchte dort seine Unterlagen nach Brauchbarem durch. Das ein oder andere würde dem Kardinal schon gefallen. Nach getaner begab ich mich auf den Weg zurück zu meinem Zuhause bei den Thorignys.
In etwa auf diese Weise lief es meistens ab. Die Männer waren für gewöhnlich genauso leicht zu überlisten wie sie sich verführen ließen. Aber leider griff der ein oder andere ganz Ungeduldige nicht zu Wein oder Champagner, um sich geflissentlich ins Reich der Träume schicken zu lassen. Dann musste ich ausharren bis er seine Triebe gestillt hatte und danach von selbst einschlief. Wie mich das anekelte! Doch der Kardinal verlangte Ergebnisse, allzu oft konnte ich mir leere Hände nicht leisten, weil ich nur in seiner Gunst stand, so lange ich erfolgreich war. Je öfter mir keine Möglichkeit blieb, als diesen Männern meinen Körper zu überlassen, desto weniger berührte es mich noch. Schließlich empfand ich gar nichts mehr, wenn sie mich unter sich aufs Bett drückten und mich gierig nahmen.
Eines Morgens wanderte ich durch eine der vielen armseligen Gegenden in Paris. Es hatte geregnet, doch gleich wie viel Wasser vom Himmel kam, es würde nicht reichen, um den Schmutz fortzuwaschen, der hier vorherrschte. Auf einmal trat vor mir ein bemerkenswert gut gekleideter Mann aus einer schmalen Nebengasse, der so gar nicht in das Bild des Elends passen wollte. Im Vorbeigehen sah er mich kurz an, ehe er seines Weges ging. Ich hielt bei dem Durchlass inne, aus dem er gekommen war und kurz darauf erschien in den Schatten ein ganz junges Mädchen, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Sein magerer Körper war in ein zerschlissenes Kleid gehüllt, das blonde Haar verfilzt und die braunen Augen völlig leer. Es zitterte nicht nur ob der Kälte des Frühlingsmorgens. Dem armen Ding versagten auf einmal die Beine den Dienst, ich tat einen großen Schritt und fing die Kleine auf, ehe sie auf den nassen schmutzigen Boden sank. Der Mann, der natürlich nichts anderes als ein Freier gewesen war, hatte sie geschlagen, ein frischer Bluterguss zeigte sich unter ihrem rechten Auge.
„Er… er hat mich um mein Geld geprellt…“ wimmerte sie schwach. „Wie soll ich denn nun meinen Jungen ernähren… mein kleiner Junge… er hat doch Hunger…“
„Shhh…“ sagte ich leise, holte ein paar Münzen aus meiner Tasche und legte sie in ihre schmale knochige Hand. „Hier, kauf damit Brot für deinen Sohn.“
Sie riss erstaunt die Augen auf. „Danke… ich danke Euch!“
Mit einem aufmunternden Lächeln half ich ihr auf die Beine. Sie bedankte sich noch mehrmals überschwänglich, ehe sie davon stolperte. Diesen Tag würden ihr Kind und sie überleben, aber vielleicht forderten Hunger und Elend bereits ihr Opfer, bevor am nächsten Abend die Sonne unterging. Das arme Ding musste seinen Körper verkaufen, konnte nie wissen, ob es an Männer geriet wie jenen an diesem Morgen, die es statt mit Geld mit Schlägen bezahlten.
Ich seufzte traurig. Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich im Grunde gar nichts anderes tat. Ob es nun eine dunkle Seitengasse war oder ein weiches Bett spielte kaum eine Rolle, ich gab meinen Körper für mein Leben. Und für das meines noch Ungeborenen. Ich war das geworden, was ich niemals werden wollte. Mit einem bitteren Lächeln legte ich die Hand auf meinen Bauch, wo sich bereits eine kleine Rundung erfühlen ließ. Oliviers Kind, dessen Bewegungen ich bereits in meinem Leib spüren konnte, würde nichts als eine Hure zur Mutter haben. Aber es würde auch ein Dach über dem Kopf haben und immer genug zu essen.
Es erstaunte mich, dass mich der Kardinal für meinen nächsten Auftrag zu sich rief. Normaerweise ließ er mich durch Boten über mein Ziel informieren. Seit dem Tag, an dem ich nach Paris gekommen war, hatte ich sein Palais nicht mehr betreten. von einem Gardisten wurde ich ins Arbeitszimmer seiner Eminenz geführt, wo er hinter seinem wuchtigen Schreibtisch thronte.
„Ah“, sagte er, als ich vor ihm knickste. „Wenn das nicht Anne ist. Ihr werdet mit jedem Mal reizender, meine Liebe.“
„Guten Morgen, Eminenz“, grüßte ich ihn, ohne auf seine Worte auch nur im Geringsten einzugehen. „Ihr wünscht mich zu sehen?“
Er nickte leicht. „In der Tat, in der Tat. Ihr habt Euch inzwischen bewehrt, aber nichts anderes habe ich erwartet. Eure nächste Aufgabe ist darum von allergrößter Wichtigkeit.“ Mit einem Handgriff holte er aus seinem Tisch ein kleines Bild hervor und legte es vor mich hin. „Der Graf de Saint Germain.“
Mäßig interessiert betrachtete ich den jungen Mann, der mit ernsten blauen Augen in die Welt hinaus blickte. Was sollte an ihm so Besonderes sein? Er war gewiss nur ein weiterer verwöhnter Adelsspross.
„Glaubt mir, er ist nicht wie andere Männer“, fuhr der Kardinal fort. „Er ist ein Gelehrter, ein Reisender und wahrscheinlich noch viel mehr. Am Pariser Hof ist er genau so ein willkommener Gast wie bei den Engländern und den Österreichern. Er war in Indien und Afrika, kaum vorstellbar welches immense Wissen er sich dort aneignen konnte. Eure Aufgabe ist es, ihm dieses zu entlocken und alles, was Ihr von ihm zu erfahren vermögt, ist von Belang.“
Ich betrachtete das Bild nun näher. Dass all das auf diesen jungen Mann zutreffen sollte, konnte ich nicht recht glauben. Ihm schienen dafür schlicht die Lebensjahre zu fehlen. Mein Blick fiel auf die Unterschrift in der linken Ecke, ich stutzte. „Dieses Gemälde ist fast zwanzig Jahre alt, wie soll ich ihn denn erkennen?“
Mein Gegenüber sah mich ernst an. „Ihr werdet ihn schon erkennen, wenn Ihr ihm am Hofball begegnet. Er hat sich nicht sehr verändert. Und wagt es in diesem Fall nicht mich zu enttäuschen, habt Ihr verstanden, Anne?“
„Ja, Eminenz“, antwortete ich kühl mit einem leichten Nicken. Ich beäugte das Bild noch einmal gründlich. Letztlich war er, gleich wie gebildet, auch nur ein Mann mit einfachen männlichen Trieben. Er würde nicht schwieriger zu überlisten sein als die anderen vor ihm.
Von diesem Standpunkt war ich nicht abgekommen, als ich mich in einem edlen Kleid aus feinen Stoffen unter die Gäste des königlichen Balls mischte. Bisher hatte ich den Louvre nur von außen bewundert, die innere Pracht war schier überwältigend. Der große Saal war festlich geschmückt, die reichhaltig gedeckte Tafel ächzte unter mehr Essen als ich jemals gesehen hatte. Wie viele Hungernde würden davon satt?
Ich wandte meinen Blick von den Speisen ab, ließ ihn auf der Suche nach dem Grafen de Saint Germain durch die Menge der Männer und Frauen schweifen. Auf dem Gemälde mochte er kaum älter sein als fünfundzwanzig, so musste ich nach einem Edlen im reiferen Alter Ausschau halten. Bereits mehrmals war ich durch den Saal gegangen, als ich in einiger Entfernung einen Adligen bemerkte, der fein gekleidet war, doch ohne den Pomp, mit dem man sich sonst heraus putzte. Er stand beinahe reglos da, drehte mir den Rücken. Während ich ihn noch ansah, wandte er sich jäh um und unsere Blicke trafen sich. Es waren dieselben blauen Augen wie auf dem Bild des Kardinals. Ich hatte den Grafen de Saint Germain gefunden! Und jetzt verstand ich auch, was seine Eminenz mit den Worten, er hätte sich nicht sehr verändert, gemeint hatte. Ewas ich sah, war kein Mann in seinen Vierzigern. Er war immer noch jung! Der Graf schien meinen Blick bemerkte zu haben, er kam auf mich zu und ich versteifte mich unwillkürlich. Doch dann war er verschwunden, von der Menge der Festgäste verschluckt.