Je suis une femme von Engel aus Kristall

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Kapitel Kapitel 3

Kapitel 3


Einmal mehr war ich unglaublich dankbar für die Zeit der Weinlese, die dem fünfzehnten Sommer meines Lebens folgte. Papa war beschäftigt, und das wusste ich zu nutzen. Er merkte es nicht, wenn ich mich davon schlich, um die Tage mit Michel zu verbringen. Mit meinem besten Freund hatte ich jede Menge Spaß, in seiner Gegenwart fühlte ich mich frei. Er brachte mir in dem Weiher, der unser Treffpunkt war, das Schwimmen bei, und zu seinem Flötenspiel lernte ich viele neue Lieder.
Als dann das große Fest ins Haus stand, war Papa der Meinung, dass ich ein neues Kleid brauchte. Kein ganz normales, sondern ein besonders hübsches und teures. Ich war darüber sehr verwundert, er hatte noch nie mehr Geld als unbedingt nötig für mich ausgegeben. Das Aussuchen des Stoffs und selbst das Anpassen beim Schneider zusammen mit Mama machte mir großen Spaß. Ich genoss es auch einmal etwas Schönes zu bekommen.

Später erzählte ich aufgeregt Michel davon, und beschrieb ihm in allen Details den Stoff, und den Schnitt, den das Kleid haben sollte. Er hörte zu, obwohl er als Junge sicher nicht sehr viel mit einem solchen Thema anzufangen wusste.
„Weißt du was ich seltsam finde?“ fragte ich ihn schließlich.
Er grinste. „Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen.“
Da hatte er natürlich recht. „Die älteren Jungen im Dorf sehen mich in letzter Zeit irgendwie ganz komisch an. Aber im Grunde ist das gar kein schlechtes Gefühl. Ich verstehe nur nicht wieso sie es tun...“
Michel schien mein Unverständnis zu amüsieren, er lachte. „Weil du wunderhübsch bist, du Dummerl.“
Eigenartigerweise störte mich diese Bezeichnung aus seinem Munde nicht. Schließlich wusste ich, dass er es nicht so meinte wie Papa, wenn er Ähnliches zu mir sagte. Ich ließ mich von ihm ans Ufer des Weihers ziehen. Unsere Gesichter spiegelten sich auf der glatten Wasseroberfläche.
„Siehst du dich nie selber im Spiegel an?“ fragte er, während er mich von der Seite her betrachtete.
„Doch schon...“ Ich hielt inne. Natürlich wusste ich wie ich aussah. Es hatte mir nur nie jemand wirklich das Gefühl gegeben, dass ich schön war. Durch Michels Augen erkannte ich das nun zum ersten Mal. Ich hatte rotes Haar, das mir glatt und seidig über die Schultern fiel, tiefgrüne Augen und helle, fast weiße Haut.

Bei meinem nächsten Gang in die Stadt genoss ich die Blicke der jungen Männer ganz bewusst. Ich hätte mich aber nie getraut einen von ihnen anzusprechen. Inzwischen hatte der Schneider mein Kleid fertig, sodass ich es abholen konnte. Es war noch schöner als ich es mir vorgestellt hatte. Der Schnitt war schlicht, doch er betonte meine Figur sehr. Am besten gefiel mir der fliederne Farbton. Ich konnte es kaum erwarten Michel das Kleid zu zeigen. Zum Glück traf ich ihn auch an diesem Tag mit seiner Flöte beim Weiher an.
Irgendwie schaffte er es mich dazu zu überreden, es anzuziehen, damit er sehen konnte, wie es mir stand. Ich drehte mich vor seinem kritischen Blick und wartete auf seinen Kommentar.
Lächelnd streckte er beide Daumen nach oben. „Hinreißend schaust du aus. Bestimmt bist du auf dem Fest das hübscheste Mädchen.“
Diese Bemerkung gab mir dann doch etwas zu denken. Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, jedoch verstand ich nicht, weshalb Papa offenbar plötzlich wollte, dass ich auffiel. Für gewöhnlich war es ihm am liebsten, wenn ich keinen Mucks von mir gab.

Als ich mich von ihm in dem neuen Kleid begutachten ließ, musste ich unwillkürlich schaudern. Er schien jedoch zufrieden und trug mir auf, mein Haar bei dem Fest aufgesteckt zu tragen. Lieber hätte ich es offen gelassen.
Dann war es so weit. Voller Vorfreude sah ich dem Abend entgegen, während Mama mir dabei half mich zurecht zu machen. Dass es so einen Unterschied machte, auf einmal nicht mehr ein stiller Beobachter, sondern mittendrin zu sein, hätte ich nie gedacht. Teils genoss ich die Aufmerksamkeit, die man mir entgegen brachte, teils war sie mir unangenehm.
Nach einer Weile, als das Fest in vollem Gange war, kam Papa mit einem jungen Mann auf mich zu. Offenbar wollte er, dass ich Zeit mit seinem Begleiter, den er mir als Raymond d’Arlais vorstellte, verbrachte. Noch war ich viel zu naiv um den Grund dafür zu erkennen.

Beim Tanz hatte ich mehr Gelegenheit als mir lieb war, Raymond aus der Nähe zu betrachten. Er mochte an die zwanzig Jahre alt sein, und war mit seinem dunkelblonden Lockenkopf und den lebhaften nussbraunen Augen auch durchaus gut aussehend. Sein ganzes Auftreten ließ darauf schließen, dass er aus einer ähnlich wohl situierten Familie wie ich stammte.
Nach einer Weile hatte er zum Glück genug. Er zog mich fort vom Geschehen des Festes. Wohl oder übel musste ich ihm folgen und dabei ein halbwegs zufriedenes Gesicht machen.
„Ihr seid eine gute Tänzerin, Anne“, lobte er mich lächelnd.
Ich versuchte bei dieser nur allzu offensichtlichen Schleimerei nicht das Gesicht zu verziehen, die Wahrheit war, dass ich auf der Tanzfläche ähnlich unbeholfen war, wie ein Albatross beim Laufen.
„Vielen Dank, Monsieur d’Arlais“, sagte ich dennoch höflich. Seinen Namen betonte ich besonders, um ihn darauf hinzuweisen, dass ich ihm nie erlaubt hatte, mich beim Vornamen zu nennen. Seine Vertrautheit behagte mir nicht.
Er lächelte. „Aber warum so distanziert, meine Liebe? Bitte, nennt mich doch Raymond.“ Als er mir mit dem Handrücken über die Wange strich, war ich erst wie versteinert. „Ihr seid wunderschön, hat Euch das schon jemand gesagt?“
Die Worte holten mich aus der Starre und ich schob seine Hand nachdrücklich weg. „Mäßigt Euch, Monsieur!“
„Wie Ihr wollt, Anne. Aufgeschoben ist in diesem Fall ja keineswegs aufgehoben. Ich kann warten.“
„Bitte?“ Verblüfft hielt ich inne. „Für wen haltet Ihr Euch eigentlich? Ich bin nicht Eure Frau! Adieu, Monsieur d’Arlais!“ Ohne eines weiteren Wortes wandte ich mich ab, um zu den anderen Festgästen zurück zu kehren. Ein paar weitere Schläge von Papa würde ich überstehen, wie ich es ja immer tat.

Kaum war ich in Sichtweite der Terrasse, eilte Mama auf mich zu. Ihren Gesichtsausdruck wusste ich nicht zu deuten, es war eine Mischung aus Aufregung, Freude und Besorgnis.
„Anne, Chérie, da bist du ja! Komm mit, dein Vater wartet schon auf dich.“ Sie scheuchte mich in Richtung der Steinplattform, über die man ins Haus gelangte. Dort oben, und damit eine Stufe höher als die anderen Anwesenden, stand Papa. Offenbar wollte er etwas sagen. Erst als ich neben ihm stand, merkte ich, dass Raymond auf die andere Seite getreten war. Was wollte er hier nur?
Ich hatte jedoch keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Papa klopfte ein paar Mal mit einem Löffel auf sein Glas, um Aufmerksamkeit zu erregen. Als er alle Blicke auf sich hatte, legte er beides zur Seite.
„Liebe Gäste, ich bin glücklich heute ein erfreuliches Ereignis bekannt geben zu dürfen.“ Sein Blick fiel auf mich, und dann auf den jungen Mann. „Die Verlobung meiner Tochter Anne mit Raymond, dem ältesten Sohn von meinem guten Freund Pierre d’Arlais.“
Ehe ich reagieren konnte, legte er meine Hand in die Raymonds. Alle umstehenden Menschen begannen zu jubeln und zu klatschen. Es war mir allerdings überhaupt nicht klar, wieso sie das taten. Die Bedeutung von Papas Worten begriff ich in diesem Moment nicht. Sicher hatte ich ihn deutlich gehört, jedoch weigerte ich mich schlicht die Aussage anzuerkennen.

Den Rest der Feierlichkeit erlebte ich nur wie durch einen Nebelschleier. Hier und dort wurden mir Glückwünsche entgegen gebracht, die ich mit äußerst knapp ausfallendem Dank beantwortete. Am liebsten wäre ich jetzt allein gewesen, doch es war dauernd jemand um mich, sodass ich keine Gelegenheit hatte, mich davon zu stehlen.
Zumindest erkannte ich nun, warum Papa auf einmal wollte, dass ich auffiel. Das neue Kleid, passender Schmuck. Ich sollte schön aussehen für den Mann, an den er mich bringen wollte. Plötzlich fühlte ich mich unter all den bewundernden Blicken gar nicht mehr wohl, sondern kam mir vor wie eine Kuh auf dem Viehmarkt. Zum Glück wusste ich noch nicht, wie recht ich mit diesem Vergleich hatte.