Septembersonne von Maron
Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 1 BewertungenKapitel Der Tag erwacht
1. Kapitel – Der Tag erwacht
Es war an einem jenen schönen Septembermorgen, wie man es sich nur wünschte. Die Sonne stand im tiefblauen Himmel gerade über die Dächer von Paris, eine leichte und vielleicht letzte Sommerbriese wehte um die alten Häuser und vom nahenden Herbst war noch nicht die geringste Spur. Es war ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit und dennoch schien sich niemand darüber beklagen zu wollen. Zur neunten Stunde strömten die meisten Leute auf den Markt, zwischen den Ständen und den Karren redeten sie im Kreise der Verkäufer und Käufer mit Bekannten und Fremden über unwichtige und wichtige Gerüchte, die in Paris jeden Tag neu auffrischten und sich in allen Gassen winden wollten. So entging auch keinem, dass der König einen großen Ball plante, wohl nur, um zeigen zu wollen, dass die vermeintlich leere Staatskasse dennoch prall gefüllt war. Das war nicht sonderlich spannend, umso interessanter war aber die Nachricht, dass ausgewählte arme Bürger, die Paris einen Dienst geleistet hätten, eingeladen würden. Jeder wunderte sich über diese Neuigkeit und niemand wollte so recht Glauben daran schenken, dass einer in ihrem Kreise, der untersten aller Schichten, je das Schloss betreten würde. Dennoch war dieses Thema ein absoluter Hochgenuss für Gerüchteverbreiter und arglosen Damen, die sich daraus Nutzen für sich erhofften.
Unweit von den amüsanten Gesprächen auf dem Marktplatz entfernt, hielt sich der Kardinal auf. Er spazierte mit seinem Lakaien Bernouin im Garten des Schlosses umher. Kardinal Richelieu sah zufrieden aus. Seine sonstigen, auffälligen, Stirnrunzeln, die er stets hatte, denn er grübelte ständig nach, waren heute geglättet und ließen ihn jünger erscheinen als man ihn sonst schätzte. In seiner rechten Hand trug er ein Buch mit sich, welches er kaum Beachtung schenkte, denn er schwankte es hin und her als sei es nichts weiter als Luft in seiner Hand, was aber seinem Lakaien offensichtlich schwer im Magen lag. Bernouin, der zwei Schritte hinter seinem Herrn lief, blickte auf das Buch mit einer schmerzverzerrten Miene und zusammengepressten Lippen. Beinah sah es so aus, als hielt sich der Lakai in Sprungbereitschaft, falls Richelieu das Buch tatsächlich fallen lassen würde. Nach einer Weile blieb Richelieu vor einem der drei großen Brunnen stehen und ließ sich auf eine Bank nieder. Bernouin blieb stehen.
„Setz dich doch und steh hier nicht wie angenagelt herum.“ Bat Richelieu in einem äußerst freundlichem Tone, was dem Lakaien zu erschrecken schien. Zaghaft ließ er sich neben dem Kardinal nieder, wohl bedacht, nicht zu nahe an seinen Herrn zu rücken.
„Hast du schon von den Gerüchten gehört, Bernouin?“ fragte Richelieu und atmete tief ein.
„Von welchen, Eure Eminenz?“ fragte der Lakai blass werdend.
„Die über den König und dem Ball!“
Bernouin tat, als müsse er überlegen. In Wahrheit war dieses Gerücht auch im Hofe des Königs das Gesprächsthema Nummer Eins und auch er kannte alle Einzelheiten, die gesprochen wurden.
„Nun ja, Herr Kardinal, noch vor einer Stunde habe ich Madame de Plusbelle davon sprechen hören.“
Der Kardinal räusperte sich und stand wieder auf. Bernouin, der damit nicht gerechnet hatte, sprang ebenfalls sofort auf um keinen falschen Eindruck, er sei unwürdig, die Gedanken seines Herrn nicht lesen zu können, bei Richelieu zu machen. Doch dieser interessierte sich nicht für die Manieren seines Lakaien.
„Erzähle mir ausführlich, während wir ein Stück zum Markt laufen, was Madame de Plusbelle gesprochen hat!“
„Selbstverständlich, Eure Eminenz!“ sagte Bernouin etwas irritiert aber voller Eifer. Er konnte nicht ahnen, warum Richelieu davon wissen und worauf er hinausgehen wollte. Aber der Kardinal war in jeder Hinsicht ein guter Politiker und Bernouin musste zugeben, dass sein Herr eine Hand zum Schachspiel hatte, wenn es darum ging, einen Schachzug für sich gewinnen zu können. Da der Lakai in allen Einzelheiten seines Herrn eingeweiht war und nicht drum herum kam, etwas nicht zu wissen, verspürte er bereits die aufsteigende Macht von Richelieu über den König, wie Rauch aus einem Schornstein. Während die beiden den Schlossgarten verließen und Bernouin ausführlich und mit Gesten die Worte der Madame de Plusbelle wiederholte, taten sich auf dem Markt spektakuläre Szenen zu.
Nun wollen wir aber zuvor von einem Bekannten erzählen, der sich ebenfalls auf dem Markt aufhielt, noch während Richelieu auf der Bank gesessen und mit Bernouin geredet hatte. In einer dunklen Ecke einer schmutzigen Gasse hielt sich Aramis auf. Mit einem großen Interesse beobachtete er die Gängigkeiten auf dem Markt. So wie es den Anschein hatte, war noch nichts sonderbares geschehen, sollte dies der Grund für Aramis Versteck sein. Der Musketier wartete in seiner Nische, an der er lehnte und weiter das Treiben beobachtete. In der Hand hielt er einen Apfel, wohl wollte er ihn essen, doch etwas wollte ihn nicht dazu lassen und verführte ihn zu einer ungestraften Sünde, wie Aramis es selbst nannte, dem heimlichen Zusehen, also das Beobachten.
Erst als ein etwas auffälliger Herr, kräftig, gross und durchaus ein Musketier, aufkreuzte, verließ Aramis sein Versteck und eilte zu eben diesem Herrn.
Es war nicht zu übersehen für den, der diesen starken Mann kannte, dass es sich um Porthos handelte. Er sah Aramis nicht sofort, sondern ließ einen schmeichelnden Satz bei einer schönen jungen Tochter eines Markthändlers hängen. Diese kleine Schönheit, wohl errötet und verlegen, war für Aramis unübersehbar.
„Porthos!“ rief er dem muskulösen Musketier zu, der von dem Anblick der Kleinen beinah den Blick nicht wenden konnte, und dann bereits Aramis unter seiner Nase vorfand.
„Hallo Aramis!“ begrüßte ihn Porthos mit voller Fröhlichkeit.
Aber Aramis war wütend. Sein feines Gesicht vergrub sich unter zähnefletschenden Mundwinkeln und einigen Sorgenfalten auf der Stirn.
„Porthos!“ wiederholte Aramis nochmals, „was treibst du hier? Hat d´Artagnan dir nicht gesagt, dass du auf deinem Posten stehen bleiben solltest?“
Porthos, der sich erst jetzt wieder zu erinnern schien, wurde etwas blass, behielt jedoch jede Vernunft, die er wegen der kleinen Händlerin nicht zu verlieren wagte.
„Nun, d´Artagnan sagte ja nicht, wie lange ich mich dort aufzuhalten habe.“ versuchte der Hüne sich aus der Situation zu retten.
„Natürlich nicht! Porthos, verschwinde zu deinem Platz zurück!“ keifte Aramis, „Und, was soll dieses Schauspiel, wenn nicht eher Schauerspiel, mit diesem Mädchen?“
„Was hast du gegen die Kleine? Sie ist hübsch!“
Aramis stieg die Röte in den Kopf.
„Du hast ja gar keine Ahnung, was es heißt, wenn sich eine Frau für einen Mann wie mich interessiert, Aramis! Als Abbé wirst du da keine Erfahrung haben! Und überdies sollte dich mein Liebesleben gar nichts angehen!“ meinte Porthos stolz und zeigte Brust.
Aramis, der voller Zorn war, konnte sich nicht beruhigen und ballte Fäuste.
„Porthos – geh – jetzt – zurück – auf – deinen – Posten!!!“ schnaubte Aramis ein weiteres mal und stampfte zurück in seine Nische, die nun nicht mehr als Versteck zu gelten brauchte, da einige Leute ihn in auffälliger Pose dorthin laufen sahen.
„Pah, was denkt sich Aramis eigentlich dabei? Er ist doch sonst nicht so wütend, wenn ich einem Mädchen schöne Augen mache.“ Murmelte Porthos zu sich, warf der kleinen Händlerin noch einmal ein charmantes Lächeln zu und verschwand unauffälliger als Aramis in sein Versteck, welches hinter einem Fischhändler lag.
Für Aramis war es unerklärlich, wie Porthos sich plötzlich für arme Frauen wie Markthändlerinnen interessierte, denn dies passte nicht zu ihm. Porthos, der immer nach mehr Titeln, nach mehr Ruhm und Geld verlangte und strebte. Überdies hatten sie eine wichtige Mission zu erfüllen und auch wenn Porthos Ausriss aus seinem Unterschlupf nicht gefährlich war, kostete es Aramis doch alle Nerven und Mühe, sich von einem Wutausbruch abzuhalten. Dieser Plan, der d´Artagnan ansteckte, womit Aramis schon im vornherein nicht einverstanden war, würde nicht aufgehen. Für Aramis war klar, dass er nunmehr einen Freundschaftsdienst erwies. Einen mühsamen Freundschaftsdienst.
Kardinal Richelieu überlegte indes, wieso der König ihm noch nichts von dem bevorstehenden Ball gesagt hatte. Es war ihm egal, dass sein Lakai mehr als er wusste, denn es waren bisher nur unbestätigte Gerüchte, die sich durchaus als falsch erweisen konnten. Ärgerlich hingegen machte ihn die Tatsache, dass es hiess, arme Bürger werden eingeladen.
„Ich verstehe nicht,“ meinte Richelieu nachdenklich als Bernouin mit seiner Geschichte beendigt hatte, „warum mich der König in solchen Dingen nicht auf dem Laufenden hält!“
Der arme Bernouin war noch völlig aus der Puste nach seiner aufwändigen Rede, so dass er jegliche Haltung vor dem Kardinal verlor und ein Gespräch mit seinem Herrn anfing.
„Aber Eure Eminenz, was interessieren Leute der Kirche denn solche Bälle?“
Erschrocken von seiner Verachtung der Etikette, lief Bernouin knallrot an. Der Kardinal starrte ihn überrascht an. Er nahm es sich aber nicht, seinen Lakaien auszuspielen, in dem er das Gespräch einfach weiterführte, was Bernouin sichtlich unangenehm war.
„Doch, mich geht dies schon etwas an, Bernouin!“ sagte der Kardinal in einer gespielt nachdenklichen Rolle. „Immerhin bin ich es, der Frankreich mit allen Mitteln unterstützt und ich verlange nicht viel von seiner königlichen Hoheit, doch möchte ich über die Gängigkeiten der Veranstaltungen im Schlosse aufgeklärt sein! Wie stehe ich nur da, wenn alle Welt von einem Ball spricht und ich wegen meiner Unwissenheit mich schämen muss!“
Bernouin schwieg. Richelieu blickte ihn über die rechte Schulter an. Sein Lakai war durchaus ein Mann von Güte und Ehre und doch geriet er stets bei den kleinsten Schwierigkeiten, die manchmal gar keine darstellten, in Panik und lief rot an. Das amüsierte den Kardinal in herrlicher Weise.
Bald erreichten sie den Marktplatz. Es war äusserst selten, dass der Kardinal hier auftauchte und sogleich begannen die Leute zu schweigen, zu flüstern und auf ihn zu zeigen. Viele begrüssten Richelieu mit tiefen Verbeugungen, einige taten es nur aus Gewohnheit, andere in tiefer Verehrung. Es war längst bekannt, dass Richelieu Paris in zwei Parteien spaltete.
Heute interessierte es ihn aber herzlich wenig, ob man sich vor ihm beugte oder nicht. Viel wichtiger war es für ihn, dass die Gespräche, welche so abrupt beendet worden waren, weitergeführt wurden. Deshalb entfernte er sich ein Stück vom Platz, den er eben durchquert hatte und liess es sich nicht ansehen, welches Interesse er heute in die Bürger steckte. Und ihm war es auch nicht entgangen, einige Musketiere zu erspähen. Darunter fand er auch Aramis vor. Da dieser aber sehr gelangweilt aussah und einen Apfel ass, wusste es der Kardinal nicht besser, als zu meinen, dieser Musketier stehe einfach nur so in der dunklen Gasse herum.
Nachdem Richelieu und Bernouin den Markt überquert hatten, verschwanden sie seelenruhig um eine Hausecke. Bernouin spazierte indes weiter als er bemerkte, dass sein Herr einige Schritte hinter ihm stehen geblieben war.
„Herr Kardinal?“ fragte Bernouin.
„Still!“ flüsterte Richelieu und lugte um die Hausecke. „Sag mir, Bernouin, ist es alltäglich, dass sich so viele Musketiere auf dem Markt umhertreiben? Mir kommt dies sehr verdächtig vor!“
Bernouin war wieder in die Situation geraten, die ihm Angst machte. Also beabsichtigte er die Ahnungen des Kardinals zu bestätigen.
„Gewiss, auch mir kommt dies seltsam vor.“
Der Kardinal bemerkte Bernouins Unwissenheit darüber. Aber es war nur Bernouin. Er wusste viel auf dem Hof, in Sachen, die die weite Welt anbelangten, war er jedoch unbrauchbar. Ausserhalb des Hofes war der Lakai verloren.
„Mir missfällt dies! Vor allem ist einer jener Musketiere dort, denen ich nicht besonders gut gesonnen bin! Wie dumm von mir, nur dich mitzunehmen, Bernouin! Wir müssen schnellstens in den Kardinalpalais und nach Soldaten schicken, die diesen einen dort, Aramis wird er genannt, nicht wahr, in Augenschein nehmen!“
„Oh ja, Eure Eminenz, welch glänzende Idee!“
„Das ist keine Idee, das ist ein Befehl! Lass nach Soldaten rufen und gib ihnen meine Anweisungen, die ich dir noch geben werde, während ich dem König einen Besuch abstatte und mich um den Ball erkundige!“ knurrte Richelieu und beeilte sich zurück in den Kardinalspalais.