Septembersonne von Maron
Durchschnittliche Wertung: 4, basierend auf 1 BewertungenKapitel Ein König und ein Kardinal
3. Kapitel – Ein König und ein Kardinal
Wie sehr hasste Richelieu die Musketiere des Königs. Immer und überall waren sie da um Schwierigkeiten zu bereiten, sich zu duellieren und lausig in Ecken zu stehen. Im Kardinalspalais erwartete er den Bericht von Bernouin ab, der, wie der Kardinal es ihm aufgetragen hatte, mehrere Soldaten auf den Marktplatz zu schicken hatte. Während diesen wenigen Minuten lief der Kardinal in seinem Gemach im Kreis, nachdenklich über den heutigen, verteufelten Tag, der, wie Richelieu feststellen musste, gegen ihn gewesen war. Wenig später erstattete Bernouin Bericht über seine erledigte Aufgabe. Richelieu nickte, gab ihm Anweisung, im Palais zu bleiben während er selbst in den Palais Royal hinüberging um mit dem König zu sprechen.
Ludwig XIII hatte den Kardinal nicht erwartet, war aber nicht
minder erfreut darüber, dass jener ihn um eine Audienz ersuchte.
Der König sass an seinem Schreibtisch und schrieb einige Briefe als
der Kardinal eingelassen wurde.
„Herr Richelieu!“ sagte Ludwig erfreut. „Wie schön, Euch zu
sehen.“
Kardinal Richelieu lächelte etwas gezwungen und nickte als Dank.
Mit einem Wink des Königs setzte sich der Kardinal auf einen
Stuhl.
„Habt Ihr von der erfreulichen Nachricht gehört?“ fragte der König
und räumte seine Feder beiseite um sich Richelieu ganz widmen zu
können.
„Welche Nachricht meint Ihr, Sire? Ihr wisst, in letzter Zeit gibt
es viele gute Nachrichten auf Eurem Hofe!“ meinte Richelieu. Er
erwartete, dass Ludwig den Ball meinte oder zumindest ein geplantes
Fest, von dem ja ganz Paris sprach.
„Wirklich, mein lieber Kardinal Richelieu, Ihr solltet mich öfters
besuchen kommen!“ lächelte der König. „Im ganzen Land ist die Ernte
dieses Jahr besonders fruchtbar gewesen! Dank dem langen und
heissen Sommers haben die Pflanzen einen erstaunlichen Ertrag
gebracht! Denkt nur an die guten Weine oder die Früchte! Das Land
und die Bauern sind zufrieden! Gibt es etwas herrlicheres als ein
zufriedenes, gesättigtes und glückliches Land zu führen?“
Der Kardinal spürte die ehrliche Freude des Königs, der genüsslich
eine Kirsche ass, darüber. Doch ihm lag kein Kirschstein, sondern
ein anderer Stein im Magen.
„Sire, das ist bewundernswert! Ein glückliches Frankreich!“ meinte
Richelieu mit gespielter Freude und Stolz. Er vermutete, dass
Ludwig absichtlich nichts von dem Ball sagte. Langsam aber sicher
begannen sich im Kopf von Richelieu Fäden zusammenzustricken.
„In der Tat, Herr Kardinal, in der Tat! Gleich morgen wird eine
Fuhr mit Früchten aus der Provence kommen und unseren Gaumen ein
Fest bereiten!“
„Verzeiht, das ich Euch unterbreche, Sire, doch Ihr habt eben
selbst mein Anliegen angeschnitten, mit welchem ich zu Euch
gekommen bin!“
Der König, etwas überrascht, blickte den Kardinal an. Ludwig sprach
sich selbst wieder zur Vernunft und tat neugierig, um zu erfahren,
was Richelieu denn wichtiges mit ihm zu besprechen hatte.
„Ich bitte Euch, Herr Kardinal, erzählt mir Euer Anliegen.“
Kardinal Richelieu räusperte sich. Jetzt kam es darauf an, auf
keinen Fall unhöflich zu sein oder dem König falsche Gedanken
aufzuhausen. Aber Richelieu wollte dem König zeigen, wer der
Letztere war, der lachen würde. Es galt, Ludwig ein schlechtes
Gewissen zu machen.
„Seit ich heute morgen meinen Fuss aus meinem Zimmer gesetzt habe,
spricht alle Welt von einem Fest, einem Ball, den Eure Hoheit zu
planen gedenkt! Natürlich war ich erstaunt und entsetzt darüber,
dass Leute eine solche Idee, die ein armer Irrer aus dem Ärmel
geschüttet hat, glauben und weitererzählen konnten! Ganz Paris
scheint sich auf die Nachricht, welche von einer Einladung armer
Bürgerlichen erzählt, gestürzt zu haben! Natürlich habe ich mir
gedacht, dass Ihr, Sire, Euren Kardinal nicht zuletzt, sondern eher
als Ersten davon informieren würdet! Ich bin noch immer voller
Entsetzen darüber, wie selbst auf ihrem Hofe davon gesprochen wird!
Ich wollte Euch darauf informieren, denn Ihr wisst um meine Sorge
um Euer Ansehen.“
Ludwig war während des Gesprächs des aufgeregten Kardinals etwas
blass unter den Tisch gerutscht. Ängstlich und vorsichtig blickte
er auf den – scheinbar – ahnungslosen Richelieu, als er sich zurück
in den Stuhl hievte.
„Monseigneur, dieser arme Irre muss dann wohl ich sein.“ sagte
Ludwig trocken. Ihm wurde eben wieder bewusst, dass er der König
war und tun und machen konnte, was ihm beliebt war.
„Sire, Ihr?“ fragte Richelieu erstaunt. Natürlich war es immer noch
gespielt und er war entzückt darüber, dass der König ihm seine
Schauspielerei nicht ansah. Denn der König war ein Menschenkenner
und hatte meistens ein gutes Auge für solche Mimikspiele.
„Tatsächlich habe ich vor drei Tagen beschlossen, einen Ball zu
geben. Die Idee lieferten mir die Nachrichten aus ganz Frankreich
über die gute Ernte. Ich war, muss ich gestehen, sehr entzückt
darüber! Einige Bauern kamen in den letzten drei Tagen aus allen
Ecken meines Reiches um sich bei mir für etwaige Unterstützung in
Krediten zu bedanken, die ich ihnen im Verlauf der letzten Jahre
geliehen und bewilligt habe. Auch meine Gemahlin ist davon
begeistert und riet mir zu dieser Idee, die mir kam. Ich werde
einige Leute aus dem Land, die in diesem Jahr grossartige Dinge
geleistet haben, einladen, gleich, welchen Stand, Rang und Namen
sie haben! Ich möchte, dass Frankreich auf seinen König ebenso
stolz sein kann, wie ich es auf die Ernte bin.“
Richelieu wusste nicht, ob er darüber lachen oder weinen sollte.
Eine gute Ernte war tatsächlich ein Grund für einen Ball mit
solchen absurden Einladungen? Richelieu verspürte Magenschmerzen.
Ludwig sah bei allem aus, als meine er es ernst und aufrichtig und
war wohl auch stolz darüber. Für Richelieu aber, der doch das Geld
zusammenhielt und stets um die Sicherheit von Ludwig bangte, war
dies ein Scherz.
„Und diese Idee stammt ganz allein von Euch, Sire?“
Jetzt begann das Spiel. Ludwig sah blass aus, etwas unsicher und
für den Kardinal war klar, dass der König log.
„Wisst Ihr, Herr Kardinal,“ sagte Ludwig mit einer unsicheren
Stimme, „eigentlich sprach meine Gemahlin zuerst von diesem
Ball.“
Soso, dachte Richelieu, Anna von Österreich steckt also dahinter.
Ludwig bemerkte anscheinend die Nachdenklichkeit von seinem
Minister, die ihm schon manchen privaten Sieg gekostet hatte, so
dass er schnell anfügte: „Aber ich befand die Idee für gut und
denke, die Idee hätte auch von mir stammen können!“
Richelieu lächelte. Er, der von Anna wenig hielt, auch, weil sie
sich in die Politik einmischte und geheimen Anliegen nachging,
begann in dem harmlosen Ball eine Intrige zu sehen. Es galt jetzt,
zuerst Anna auszuschalten.
„Sire, bei allem Respekt, findet Ihr nicht, dass ein solcher Ball
zu kostspielig ist?“
„Ich habe genug Geld, Herr Kardinal.“
„Nun, aber wie steht es mit Ihrer und Annas Sicherheit?“
„Ich habe die Musketiere, die mich und Anna verteidigen werden,
wenn es der Notfall verlangt.“
„Woher wisst Ihr dann über die guten Taten, die Eure Bürger
vollbracht haben? Nirgends in unseren Abteilungen führen wir eine
solche Liste worauf steht: Gilbert Clavel, Metzger in der Gasse,
mon Dieu, soundso hat am 15. des Monats Juni eine glorreiche Tat
begangen und Frankreich und seinen König gerettet!“
Der König fühlte sich unter Druck gesetzt. Schon lange hielt
Kardinal Richelieu ihn immer noch für ein Kind und behandelte ihn
auch so. Er war alt genug, um selbst entscheiden zu können, was
richtig und falsch war. Und Anna war seit geraumer Zeit sehr nett
und fürsorglich zu ihm gewesen. Ludwig wollte nicht verstehen,
warum Richelieu in Anna eine Feindin sah. Aber natürlich wollte er
auf seinen Minister nicht verzichten, tat er Frankreich doch stets
gutes.
„Monseigneur, ich glaube nicht, das ich Euch dies erzählen müsste!
Ich habe meine Leute, die eben eine solche Liste anfertigen! Morgen
weiss ich, wer eine Einladung erhält!“
Der Kardinal war entzürnt darüber. Ludwig stellte sich zum
erstenmal über den Kardinal und dieser war eine solche Situation
nicht gewohnt.
„Und wie erstellen Ihre Leute eine solche Liste? Gehen sie auf die
Strassen und fragen die Leute?“ lachte der Kardinal
spöttisch.
Ludwig bemerkte den Zorn des Kardinals, liess sich diesmal aber
nicht einschüchtern, denn dieser Ball war für ihn wie für Anna
wichtig. Eine Idee, auf die sich die Eheleute einig waren, war
vielleicht auch ausschlaggebend für die weitere Zukunft. Denn
Ludwig wusste von Annas früheres Geheimnis mit Lord Buckingham.
Jetzt lag fast ein Jahr zwischen dem heutigen Tag und dem Tod von
Buckinghams. Und Anna war für Ludwig nach wie vor eine hübsche und
wunderbare Person, die er auf keinen Fall durch weitere Lügen und
Intrigen verlieren wollte. Tatsächlich schien in letzter Zeit das
Zusammenleben der beiden auf eine glorreiche Zukunft blicken. Anna
war friedvoller als zuvor und unternahm viel mehr mit Ludwig. Sie
erfreute sich auch an die vielen Ausflüge mit ihrem Gemahl, der
öfters Zeit mit ihr und ihren Wünschen und Fragen verbrachte. Nur
Richelieu wollte dies wieder einmal nicht einsehen. Ein wahrer
Staatsmann eben, von dem Ludwig viel hielt aber in einigen Dingen
unglaublich hasste.
„Ihr habt es erraten, Monseigneur! Ich habe Posten auf den
Hauptstrassen und auf dem Marktplatz aufgestellt!“ erwiderte der
König und stand wütend auf. „Desweiteren möchte ich nicht, dass Ihr
Euch in meine Angelegenheiten einmischt, Herr Kardinal! Sie sind
ein guter Minister und werden es auch sicherlich bleiben
wollen!“
Richelieu war blass geworden. Soeben musste er zwei schreckliche
Dinge feststellen. Das erste war, das der König wirklich wütend auf
ihn war und das zweite zermürbte seinen Kopf, denn es sah so aus,
als hätte er eben einen Fehler begangen. Er stand ebenfalls
auf.
„Dann sind wohl die vielen umherstehenden Musketiere auf Eurem
Befehl auf dem Marktplatz!“ schrie der Kardinal und schüttelte,
entsetzt über seine voreiligen Gedanken und Befehle, den Kopf. Er
hatte ein Dutzend Männer dorthin geschickt, weil er einen Komplott
vermutet hatte, und nun stellte sich heraus, dass diese Musketiere
auf Befehl des Königs dort aufgestellt wurden.
Der König war jedoch überrascht, als er dies von Richelieu hörte.
Er wurde wieder ruhiger und auch der Kardinal schien zu merken,
dass etwas nicht stimmte.
„Sagtet Ihr eben meine Musketiere stünden auf dem
Marktplatz?“
„Ja, Sire.“
„Seltsam, ich habe einige Diener und Hofdamen um diese Aufgabe
gebeten, nicht aber die Musketiere! Von wie vielen sprechen
wir?“
Der Kardinal begann zu schwitzen. Er hatte nur drei gesehen, einer
davon war Aramis gewesen.
„Etwa ein gutes Dutzend! Darunter auch einer der vier berühmten
Musketiere!“
„Mmh, ein ganzes Dutzend!“ wiederholte der König. „Es ist keine
Mittagszeit, die für sie sprechen könnte, und so wie mir Hauptmann
de Tréville gestern erzählt hat, habe er im Moment ein wenig
Personalmangel, da er alle Musketiere im Dienst brauche. Meiner
Meinung nach dürfte dann auch kein Musketier in der Gegend
umherstehen. Vielleicht übergehen sie die Anweisungen ihres
Hauptmannes!“
„Vielleicht habe ich mich auch geirrt, Sire, was meine Vermutung
gegen einen Komplott anbelangt.“
„Ein Komplott?! Daran wage ich nicht zu denken, nein, meine
Musketiere haben mir immer die Treue geschworen und gehalten! Nein,
Herr Kardinal, das glaube ich nicht. Aber ich danke Euch für den
Hinweis, ich werde darüber noch heute mit dem Hauptmann
sprechen!“
„Sire, ich habe vorsichtshalber einige meiner Leute auf den Markt
geschickt. Sie werden mir Bericht erstatten, sollte doch etwas im
Busche sein!“
„Sehr gut, sehr gut, Richelieu! Wahrlich, ich mag nicht an einen
Komplott gegen mich denken, aber man weiss heutzutage nie, was
morgen passiert! Ich danke Euch für Euren grossartigen Geist und
Kopf! Frankreich wäre nur ein halbes Land ohne Euch!“
Der Kardinal bedankte sich mit einem Nicken und tat Anstalten zu
gehen. Ludwig setzte sich wieder hin. Kurz bevor der Kardinal die
Tür erreichte, rief ihn Ludwig zurück.
„Herr Kardinal, noch eine Frage!“
„Ich stehe Euch immer zu Eurer Verfügung!“ sagte Richelieu und
verneigte sich.
„Habt Ihr erkannt, welcher der vier berühmten Musketiere auf dem
Markt war?“
„Ja, Sire. Ein gewisser Aramis. Ich habe bereits schon öfters die
Ehre gehabt, mich mit ihm zu unterhalten!“
Der König nickte dankend und gab einen Wink, der dem Kardinal zur
Entlassung diente.
Richelieu trat aus dem Palais Royal. Obwohl er über den Ausgang
seines eigentlichen Problemes, dem Ball, nicht zufrieden war, war
er umso mehr erfreut zu hören, dass nun endlich die Musketiere in
ein schlechtes Licht gerieten. Besonders erfreulich war, dass der
erste der vier Unbestechlichen ein amüsantes Ende in einem Exil
oder Gefängnis verbringen würde oder zumindest keinen Dienst mehr
als Musketier leisten würde. Welch grossartiger Tag.