Zwischen den Fronten von kaloubet , Rochefort, Aramis und Armand-Jean-du-Plessis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 94 BewertungenKapitel Schwarzmond
Die Atmosphäre im Salon des Hôtel de Marsans war deutlich ungemütlicher als noch vor einigen Tagen. Das lag allerdings nicht an Cathérine de Parthenay, der Herrin des Hauses. Sie saß ruhig und gelassen in einem bequemen Fauteuil und blickte Shamrock mit sichtlichem Interesse an. Ihr Sohn hingegen starrte ihn wütend an. Er stand hinter seinem Lehnstuhl, mit den Händen im Zorn die Lehne umklammernd, als würde er sein Gegenüber erwürgen wollen.
„Jetzt erklärt Euch endlich, und keine Ausflüchte! Ihr seid ein englischer Spion! Für wen arbeitet Ihr, und wie könnt Ihr es wagen, in meine Dienste zu treten? Für Spione haben wir hier in Frankreich nur den Strick. So sprecht doch! Hat Lord Buckingham es nötig, mir einen Spitzel ins Haus zu setzen? Das könnte er noch bereuen. Diese Unverschämtheit hat Konsequenzen. Dafür sorge ich höchstpersönlich. Glaubensbrüder und Verbündete sollten so ein Gebaren nicht an den Tag legen. Und eingeschmeichelt hat er sich bei mir, seine Dienste als Übersetzter angeboten, um mich zu bespitzeln. Eine Ungeheuerlichkeit!"
Der junge Ire war bei dieser Tirade bisher gar nicht zu Wort gekommen. „Mylord...", schnell verbessert er sich auf Französisch, „Monsieur le duc, Euch und Eurer Sache ist kein Schaden entstanden. Dies diente zu Eurem Schutz und um mögliche französische Agenten zu enttarnen."
„Was für eine freche Ausrede, ich…" Zu mehr kam er nicht, denn die leise aber mit Autorität erfüllte Stimme seiner Mutter erklang. Benjamin de Rohan verstummte sofort. „Mein Sohn, bitte beherrscht Euch. Seine Lordschaft, der Herzog von Buckingham, mag ein kluger Feldherr sein, doch die Umsicht, einen Mann seines Vertrauens heimlich in Euren Haushalt zu installieren, hat er wohl nicht. Das ist das Werk eines Mannes mit Weitblick und Vorsicht. Eines Mannes wie Lord Walsingham zu Beispiel, nicht wahr?"
Erneut war Shamrock beeindruckt. Die Analyse war so treffend, und Cathérine de Parthenay schien wirklich gut informiert. Höflich erwiderte er: „Madame, ich bewundere Eure Scharfsinnigkeit und bitte untertänigst um Verzeihung, wenn ich dies so nicht zugeben kann. Was ich allerdings zugeben kann, ist, dass ich ein besonderes Auge auf jenen Musketier Aramis habe, den Seine Lordschaft Buckingham mit so offenen Armen empfangen hat und ihn jetzt sogar als militärischen Berater einsetzt. Ein Verräter unter den königlichen Musketieren Frankreichs ist doch höchst selten und auch seltsam."
„Aramis?", war die nachdenkliche Antwort der Hausherrin, „ich denke ich habe den Namen schon einmal gehört, im Zusammenhang mit unserer Königin, Anna von Österreich, der katholisch-spanischen Habsburgerin Anna von Österreich, wohlgemerkt. Und ein Musketier des Königs also, ja, das ist wahrlich seltsam, ich würde sogar sagen, verdächtig."
„Das waren auch meine Gedanken, Madame", mischte sich de Rohan wieder ins Gespräch ein, "und ich ließ ihn sogar beobachten, aber außer ein paar vagen Indizien war nichts zu entdecken, und Lord Buckingham blockiert jeden Versuch, ihn zu warnen."
„Auch ein Buckingham wird wohl auf einen Mann hören, der für Lord Walsingham arbeitet, insbesondere dann, wenn er Beweise vorlegen kann, aber ich sehe Euch an, über die verfügt Ihr zur Zeit noch nicht. Aber es gibt eine wichtigere Angelegenheit, wegen der ich Euch rufen ließ."
Seamus dachte bei sich: „Sie hat es mir angesehen? Mit dieser Madame würde ich gern eine Partie Karten spielen, welche Herausforderung!" Schnell verwarf er diesen Gedanken wieder, wie absurd, er, der kleine irische Spieler und Agent, Sohn eines Buchhalters, und die Herzoginmutter, der Inbegriff anständiger Hugenotten, am Spieltisch! Inzwischen fuhr sie fort, und Shamrock konzentrierte sich wieder.
„Unsere englischen Verbündeten werden Hilfe benötigen, wenn sie die Île de Ré besetzen wollen. Fort Saint Martin sollte man als Befestigung nicht unterschätzen. Aber es gibt dort einen gottesfürchtigen, braven Calvinisten, nur ein junger Unteroffizier, aber er kennt die Anlage genau, und sicher auch die Stärke der Besatzung und weitere nützliche Informationen. Bei Neumond wird er eine Nachricht, die um einen Stein gewickelt wird, an der Südseite der Mauer fallen lassen. Unsere englischen Freunde werden diese Informationen gut gebrauchen können, aber jemand muss sie holen und durch die Linien zum englischen Oberkommando bringen. Und er muss vorgelassen werden, das ist entscheidend. Mein Sohn wird nicht nur seinen Groll gegen Euch fallen lassen, die Familie de Rohan hat noch nie einen Gefallen unerwidert gelassen."
Seamus wusste als Spieler genau, wann sein Blatt zu schwach war, um ein Spiel zu gewinnen. Er konnte sich vielleicht auf Lord Walsingham berufen, aber das würde ihm nicht viel nützen. Im Grunde würde auch dieser wollen, dass er genau das tun würde, was Cathérine de Parthenay von ihm verlangte. Innerlich seufzte er, das Risiko wurde immer größer, so wie der Einsatz, ob auch der Gewinn das wirklich ausgleichen konnte, war ungewiss. Diesmal blieb seine Miene aber unbewegt und sein Stimme stoisch: „Es ist mir eine Ehre der Familie de Rohan zu Diensten sein zu dürfen, da ich damit zugleich meinem Land diene."
***
Neumond, oder besser Schwarzmond, wie der Volksmund ihn nannte. Wenn eine Nacht wie diese auch noch wolkenverhangen war, so blieb man besser in seinem sicheren Haus. Doch diesen Luxus konnte sich Shamrock nicht leisten. Heute sollte er die Nachricht aus Fort Saint Martin erhalten. Auf die Île de Ré zu gelangen war überhaupt kein Problem gewesen. Englische Pinassen kontrollierten den Seeweg von La Rochelle zur Insel. Nachdem aber die Tagesschriften der Protestanten von einem ersten glorreichen Sieg Buckinghams berichtet hatten, waren Freiwillige aus La Rochelle zur Unterstützung für ihre englischen Glaubensbrüder auf die Insel geströmt. Ihre Anzahl war nicht so groß, dass sie irgendetwas bewirkt hätte, sie war eher symbolträchtig. Auch waren es keine Soldaten, vielmehr junge tatendurstige Hugenotten, ein paar Söldner, die sich verdingen wollten und Männer ohne viel Besitz, die sich schnellen Reichtum und Beute erhofften. Seamus hatte dieser Haufen nicht gefallen, und er hatte sich schnell absentiert, nachdem sie angelandet waren.
Nördlich der Festung lag eine Ortschaft, die ebenfalls Saint Martin hieß. Dort hatte er einen kleinen Zwischenstop gemacht. Sie war zwar von englischen Truppen besetzt worden, aber sonst bisher verschont geblieben. Der junge Ire musste einen langen Umweg um die Festung in Kauf nehmen. Sie östlich zu umgehen war unmöglich, denn dort lag der kleine Hafen der Festung. Der war zwar auch in englischer Hand, aber die Augen und Kanonen der Franzosen waren dieser Seite stets zugewandt. Auf der West- und Südseite hatte man begonnen, Gräben für die Belagerung auszuheben. Der Belagerungsring um das Fort war aber noch nicht vollständig geschlossen. Immer noch wurden weitere Truppen aus den Schiffen an Land gebracht, die restliche Insel erkundet, und viele Männer wurden für Patrouillen auf See benötigt. Seamus hatte nicht vor, irgendjemand von den englischen Kommandeuren über seinen Plan in Kenntnis zu setzen. Das würde ihn nur aufhalten, und er wollte diesen Auftrag so schnell als möglich beenden.
Das war nicht sein Krieg, und ein Krieg würde es werden, davon war er felsenfest überzeugt, auch wenn es die Einwohner von La Rochelle nicht wahr haben wollten. Der französische König konnte es sich niemals gefallen lassen, dass eine französische Stadt offen mit England paktierte und englische Soldaten eine Insel direkt vor der französischen Küste besetzten. Ludwig XIII. sollte angeblich kein starker Monarch sein, aber die Ehre des Königs war damit verletzt worden. Und selbst wenn der König so schwach war, wie manche Gerüchte lauteten, ein Kardinal Richelieu war das sicher nicht, und er würde es nicht zulassen, dass Frankreich sein Gesicht in der Weltöffentlichkeit verlor. Nein, es war besser so schnell wie möglich diese Gegend zu verlassen. Dieser Auftrag noch und nichts wie weg.
Das Umgehen der englischen Gräben und Befestigungen hatte doch mehr Zeit in Anspruch genommen, als er gedacht hatte. Er sollte sich besser etwas beeilen. Hier südlich der Festung gab es nur wenig Deckung. Zum Glück war es eine so finstere Nacht. Ein paar einzelne Höfe, das war alles, dann etwa vierhundert Meter offenes Gelände bis zum Felsen, auf dem Fort Saint Martin errichtet worden war. Obwohl Teile der Festung mit Fackeln beleuchtet waren, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Feind nächtens annäherte, war der Südturm kaum auszumachen. Was wohl im Kopf des jungen Hugenotten vorging, der ihm den verräterischen Bericht vom Turm herabwerfen sollte? Glaubte er, seine Kameraden im Namen seines protestantischen Gottes verraten zu müssen? Versprach er sich, im Falle eines Sieges der Hugenotten belohnt und befördert zu werden? Wie auch immer, Shamrock würde es wohl nie erfahren.
Nun noch an diesem Gehöft vorbei. Es wirkte verlassen, was wohl kein Wunder war, da es so nah an der Festung lag. Kein Geräusch war zu vernehmen, und natürlich auch keinerlei Lichtschein. Die Türe stand sperrangelweit offen, aber das war jetzt egal. Nur noch diese Wand entlang und dann in geduckter Haltung in Richtung des Turmes huschen…