Zwischen den Fronten von kaloubet , Rochefort, Aramis und Armand-Jean-du-Plessis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 94 BewertungenKapitel Riskantes Spiel
Rochefort verließ den Erdkeller und spähte in die Runde – alles ruhig. Rasch huschte er zu dem Gehöft hinüber. Es musste nun etwa um Mitternacht herum sein. Kurz spielte er mit dem Gedanken, ob er noch einen Tag länger im englischen Lager bleiben und doch versuchen sollte, mit Aramis Kontakt aufzunehmen. Nein, zu riskant. Sowohl für ihn als auch für den jungen Musketier. Er bewegte sich an der Wand der Schmalseite des Hofes entlang auf die Hausecke zu. Ein wenig abgelenkt durch seine Überlegungen registrierte er die Gefahr im allerletzten Moment – da war jemand! Keine Zeit mehr, eine Waffe zu ziehen, er bog bereits um die Ecke! Der Graf reagierte im Reflex und blitzschnell, rammte dem Mann den linken Ellbogen in die Magengrube und versetzte ihm mit der Rechten einen Fausthieb gegen den Kopf. Doch entweder der Kerl hatte einen ziemlich harten Schädel, oder er hatte ihn in der Hast schlecht erwischt, jedenfalls ging der Fremde zwar zu Boden, war aber keineswegs außer Gefecht, sondern versuchte sich wegzurollen und langte mit der Hand zu seinem Stiefel, wohl um ein Messer zu ziehen. Der Agent Seiner Eminenz kam ihm abermals zuvor, riss seine Pistole aus dem Gürtel und schlug mit dem Kolben zu. Betäubt blieb der Mann liegen.
Gespanntes Lauschen, doch die Nacht blieb still – offenbar hatte niemand den kurzen Kampf bemerkt. Armand fluchte innerlich. Auf Situationen wie diese konnte er gut und gerne verzichten. Ihm war klar, dass er den Unbekannten eigentlich nicht am Leben lassen konnte. Aber es war eine Sache, einen Gegner im Kampf auszuschalten – einem Wehrlosen die Gurgel durchzuschneiden eine ganz andere. Er wollte wissen, wen er hier eigentlich überwältigt hatte. Den Bewusstlosen unter den Achseln fassend, schleifte er ihn auf den offenen Hauseingang zu. Bei seinem ersten Besuch auf der Insel hatte er sich dieses Gebäude auch von innen angesehen und wusste daher, dass es hinter der Küche noch einen kleinen, fensterlosen Raum gab, wohl eine ehemalige Vorratskammer. Dort hinein schleppte er den Mann, lehnte ihn gegen die rückwärtige Wand und zog schwer atmend die morsche Holztür hinter sich zu. Nun konnte er es wagen, Licht zu entzünden. Die Kerze hochhaltend nahm er seinen Gefangenen in Augenschein – und hielt überrascht inne. Das war doch der Engländer, den er auf dem Boot gesehen und der sich dann nach der Landung von der Gruppe getrennt hatte! Er machte nicht den Eindruck eines Soldaten oder Söldners, auch seine Hände sahen nicht aus wie die eines Menschen, der körperlich hart arbeiten musste oder täglich mit Waffen hantierte. Sein Gesicht wirkte intelligent, einnehmend, ja sympathisch. Der Graf durchsuchte ihn gründlich nach Waffen, tastete auch die Kleidung und deren Innenfutter nach verborgenen Briefen oder Dokumenten ab. Was er fand, waren ein Beutel mit Feuerstein, Stahl, Zunder, nebst einer Kerze, ein kleiner Geldbeutel mit ein paar kleineren französischen Münzen sowie zwei fein geschnitzte Würfel, vielleicht aus Elfenbein, und ein Päckchen abgegriffener Spielkarten. Und da waren natürlich der Stiefeldolch, den Rochefort erwartet hatte, und zwei weitere Dolche, die sehr ausbalanciert wirkten und wohl Wurfklingen waren. Nichts jedoch, was ihm einen genaueren Aufschluss über die Identität des Mannes oder dessen Absichten gegeben hätte. Er platzierte die Dinge neben sich auf dem Boden, holte eine kleine Feldflasche hervor und spritzte dem Betäubten etwas Wasser ins Gesicht, worauf dieser benommen blinzelnd die Augen aufschlug. Rasch drückte er dem Mann mit der anderen Hand seinen Dolch an die Kehle. „Wenn Ihr zu schreien versucht, seid Ihr tot."
Shamrock war noch halb betäubt, erkannte aber sofort, dass er in Lebensgefahr war. Der Dolch an seiner Kehle und die Worte waren deutlich gewesen. Und der Mann bluffte nicht, das hatte er am Tonfall herausgehört. Andererseits, wenn ihn der Fremde hätte töten wollen, wäre das bereits geschehen. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er versuchen sollte, vorsichtig nach seinen versteckten Klingen zu greifen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Zu gefährlich, er musste auf Zeit spielen. Er stöhnte daher leise, besser er tat so als wäre er schwerer verletzt. „Was wollt Ihr von mir?", röchelte er unter einem weiteren gequälten Stöhnen.
Rochefort kniff leicht die Augen zusammen und musterte sein Gegenüber eindringlich. Verstellte sich der Fremde nur, oder ging es ihm tatsächlich so schlecht? An dessen Haaransatz begann sich zwar eine ansehnliche Beule zu zeigen, doch der Graf hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass er seinen Kontrahenten ernsthaft verletzt hatte. „Wer seid Ihr und was wolltet Ihr hier?" fragte er scharf.
„Patrick, und ich wollte mir die Befestigungen der Südseite des Forts ansehen - für gute Informationen gibt es gutes Geld von den Offizieren", antworte der junge Ire gepresst. Ein guter Bluff musste immer einen Teil Wahrheit enthalten, es gab ja wirklich Belohnungen für Informationen, und zur Südseite der Festung wollte er ja auch.
Der Agent Seiner Eminenz schwieg einige Atemzüge lang. „Wenn Ihr vernünftig seid und keinen Lärm schlagt, dann können wir uns in einer etwas angenehmeren Position unterhalten", schlug er dann vor und sah seinen Gefangenen dabei fragend an.
„Sure", und dann ergänzend auf Französisch: „Aber sicher doch", war die kurze Erwiderung.
Vorsichtig zog Rochefort daraufhin seinen Dolch zurück und ließ sich zirka in einem Meter Abstand auf dem Boden nieder. Er griff nochmals nach seiner Feldflasche und hielt sie dem Mann entgegen: „Wasser?"
„Danke". Shamrock griff sich an den Kopf. Er schmerzte, aber er konnte nicht umhin, etwas zu übertreiben. Vorsichtig blickte er sich um. Der Fremde hatte ihm natürlich seinen Stiefeldolch abgenommen, und auch seine beiden Wurfklingen. Ob er das kleine Rasiermesser übersehen hatte, das im Kragen der Jacke versteckt war? Aber das war egal, es hatte ihm schon bei vielen Gelegenheiten geholfen, aber das war keine von ihnen. Der Mann ihm gegenüber war extrem aufmerksam. Ein einfacher hugenottischer Freiwilliger, wie man aus der Kleidung hätte schließen können, war das sicher nicht. Vorsichtig nahm er die Wasserflasche entgegen, nahm einen Schluck und gab sie ebenso vorsichtig zurück. Die Gefahr, abgestochen zu werden war noch lange nicht gebannt. Er musste das Gespräch am Laufen halten und abwarten. Bitten oder gar Betteln war hier der falsche Weg, soviel hatte er bereits erkannt. Daher fragte er ganz offen: „Und wie geht es jetzt weiter?"
Ein leises ironisches Lächeln glitt über das Gesicht des Grafen. "Um ehrlich zu sein: darüber bin ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren. Es wird wohl in erster Linie von Euch abhängen." Eine kurze nachdenkliche Pause. "Ihr seid vermutlich weder Soldat noch Söldner. Und den kleinen Habenichts, der für ein paar Münzen Kopf und Kragen riskiert, indem er hier kundschaften geht, nehme ich Euch auch nicht ab." Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf "Patricks" Kleidung, die zwar schlicht und zweckmäßig, aber durchaus nicht ärmlich, sondern von guter Qualität war. "Außerdem: Warum solltet Ihr hier in der Nacht herumschleichen, wenn es nur darum geht, Euch die Befestigungen anzusehen? Bei Tag sieht man die viel besser. Die englischen Truppen haben die ganze Insel besetzt, einen Belagerungsring um das Fort angelegt, sie können hier tun und lassen, was sie wollen. Um die Festung näher in Augenschein zu nehmen bedarf es also keiner Heimlichtuerei. Und wenn man nicht in Schussweite geraten will – nun, es gibt Fernrohre…. Ich habe Euch auf dem Fischerboot gesehen. Wisst Ihr, was ich denke: Ihr arbeitet für Buckingham, seid aus seinem Stab oder seid ein Militärkundschafter aus seinen Regimentern und werbt vielleicht auch Freiwillige in La Rochelle an." Gespannt wartete Rochefort, wie der Mann auf diese Analyse reagieren würde.
Seamus erwiderte das Lächeln: „Ah, so wie Ihr sprecht und an der Art wie Ihr darüber redet lässt sich also schließen, Ihr seid ein Kundschafter der sich nähernden französischen Truppen. Nun, Eure Abneigung gegen die Handlungen von Buckingham kann ich als Ire sogar gut verstehen, aber in diesen Zeiten muss man sehen, wo man bleibt. Und da Ihr ein guter Stratege zu sein scheint, wisst Ihr sicher auch Folgendes: Jede Festung hat ihre Schwachstellen… Abfallschächte, Aborte, Brunnen, die nicht im Festungskranz liegen, tote Winkel, die die Kanonen nicht abdecken... Das kann man nicht mit einem Fernrohr einschätzen, und bei Tageslicht riskiert man eine Kugel vom Fort herab. Es scheint mir also, wir gehen einer ähnlichen Profession nach. Bleibt die Frage, ob wir uns für ein paar gesammelte Informationen wirklich gegenseitig umbringen müssen?"
Rochefort hörte ihm mit wachsendem Interesse zu. Ein Ire also. Interessant. Und seine erste Einschätzung hatte ihn offenbar nicht getrogen. Der Fremde war klug und besaß, das musste man ihm lassen, eine gehörige Portion Mut und Kaltblütigkeit. Armand gewann immer mehr den Eindruck, einen „Berufskollegen" vor sich zu haben. Äußerlich blieb seine Miene kühl und unbewegt, als er bei dessen letzter Frage einhakte: „Damit wären wir genau beim Punkt. Im Moment", er warf einen kurzen Seitenblick auf das Spielkartenpäckchen, das mit den anderen gefundenen Sachen neben ihm auf dem Boden lag, „habe ich die besseren Karten. Aber das Blatt kann sich rasch wenden. Ich kann Euch gehen lassen und darauf zählen, dass Ihr mich nicht verratet. Tut Ihr es allerdings doch, habe ich ein Problem. Ich könnte Euch auch fesseln und knebeln und dann hier lassen. Aber wenn Ihr Pech habt, findet Euch keiner, und Ihr krepiert elendiglich. Weder das eine noch das andere scheint mir eine besonders erfreuliche Option. Daher frage ich Euch nun: Habt Ihr eine Idee, wie Ihr mich davon überzeugen könntet, Euch zu vertrauen? Wenn ja, dann hätten wir vielleicht eine Lösung für dieses Dilemma."
„Ich gebe zu, das ist etwas schwierig. Ihr könntet meinem Wort vertrauen, aber Ihr kennt mich nicht. Aber das Risiko ist für Euch vielleicht nicht so groß, wie Ihr denkt. Schusswaffe habe ich keine, also könnte ich nicht sofort Alarm schlagen. Wenn ich schreie, fange ich mir wahrscheinlich eine Kugel ein – vielleicht sogar von der eigenen Seite, nicht gerade meine Vorstellung von klugem Verhalten. Ich könnte zurück zum englischen Lager, jemand Kompetenten wecken lassen, Bericht erstatten und nach Euch suchen lassen. Optimistisch geschätzt dauert das zwei Stunden, und dann suchen sie nach einem französischen Spion in hugenottischer Kleidung, den ich beschrieben habe, wie ich ihn im Schein einer Kerze gesehen habe. Dass es französische Spione geben könnte, kann sich das englische Oberkommando denken, selbst wenn es mehr Feste feiert als Pläne auszuarbeiten. Euer einziges Risiko wäre es also, von der Insel herunterzukommen, ohne dass ich Euch persönlich wiedererkenne. Ich kann Euch versichern, dass ich Euch nicht jagen werde. Ihr habt mein Leben verschont, und meine Mutter hat keinen undankbaren Schurken großgezogen. Wir mögen auf verschieden Seiten stehen, und in den nächsten Wochen mag so manches Gräuel geschehen, aber noch gibt es Männer, die zu ihrem Wort stehen." Shamrock hatte versucht, Überzeugung in das Gesagte einfließen zu lassen. Wenn er den Fremden nicht überzeugen konnte, würde es einen Kampf auf Leben und Tod geben, den er höchstwahrscheinlich verlieren würde. Seine Worte waren ehrlich gewesen, aber was würde er in umgekehrter Lage tun? Nun, seinem Instinkt als Spieler mit Menschenkenntnis vertrauen - aber sein Gegenüber? Er konnte ihn noch nicht richtig einschätzen, aber seine Chancen hatten sich in den letzten Minuten wieder etwas verbessert.
Eine ganze Weile sah der Graf den Iren an, ohne etwas zu erwidern. Widerstreitende Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Im Grunde hatte er sich bereits entschieden, aber konnte er das auch verantworten? Konnte es nicht auch sein, dass dieser „Patrick" einen Hinweis auf den Geheimgang hatte und danach suchen wollte? Wenn der Tunnel entdeckt würde, könnte das den Fall des Forts nach sich ziehen, und es wäre dann seine, Rocheforts, Schuld. Doch andererseits war der Mann nicht in Richtung des Erdkellers unterwegs gewesen, als er ihn überrumpelt hatte, sondern eher in die Gegenrichtung... Und dass der Ire ihn täuschen und doch ans Messer liefern wollte, dieses Gefühl hatte er eigentlich nicht... Er atmete tief durch. „Also gut. Ich habe Euer Wort, dass Ihr nicht versucht, mir zu folgen, und keinen Alarm schlagt. Ihr habt mein Wort, dass ich Euch unbehelligt gehen lasse." Er streckte seinem Gegenüber die Hand hin – und entschied sich spontan, seinen Einsatz noch etwas zu erhöhen: „Ich bin der Comte de Rochefort."
„Der Comte de Rochefort…", Seamus wiederholte diese Wort langgezogen. Die wandelnde Klinge des Kardinal Richelieu, dachte er bei sich, oh my dear – und das sagt er mir auch noch so offen. Jetzt gäbe es einen triftigen Grund, Buckingham und seine Offiziere zu verständigen. Man munkelte, Rochefort war auch der Leiter des französischen Geheimdienstes. Was wollte er persönlich hier? Hmm… mit dem Festungskommandanten reden? Eine Nachricht in die Festung rein- oder rausschmuggeln? Dann griff er entschlossen nach der dargebotenen Hand. „Monsieur le Comte gehen ein großes Risiko ein, mir seinen Namen zu nennen. Mir ist nicht ganz klar, warum, außer vielleicht, um herauszufinden, ob mir Euer Name geläufig ist. Nun, ein gegebenes Wort ist ein gegebenes Wort." Vorsichtig, damit es nicht missverstanden würde, griff der junge Ire mit seiner linken Hand offen und deutlich unter seinen Ärmelaufschlag, holte ein kleines getrocknetes Kleeblatt heraus und hielt es Rochefort hin. „Ihr könnt mich Shamrock nennen, wer weiß, vielleicht sieht man sich eines Tages wieder, ich bin ein freier Mann, und meine Heimat ist Irland."
Armand nahm das Kleeblatt entgegen, betrachtete es kurz und verstaute es dann behutsam in einem Beutel an seinem Gürtel. Dann ruhte der Blick seiner nachtdunklen Augen wieder auf Shamrock. „Ich danke Euch für dieses Zeichen des Vertrauens." Nachdenklich fuhr er fort: „Warum ich dieses Risiko eingehe? Nun, Eure Vermutung ist zwar auch nicht ganz unrichtig, aber der eigentliche Grund ist das, was Ihr zuvor gesagt habt: Keiner weiß, wohin all dies hier noch führen wird ... zu nichts Gutem, vermutlich. Da kann es gewiss nicht schaden, auf der jeweils anderen Seite jemanden zu kennen, auf dessen Wort man zählen kann, oder?"
„Dem kann ich nur zustimmen, aber wenn sich die ganze unerfreuliche Angelegenheit zu einem Krieg ausweitet, dann ist das nicht mein Krieg. Ich stehe jemandem im Wort, einem Mann wie Ihr einer seid, und ich denke, auch in einer sehr ähnlichen Position. Aber ich gedenke mich nicht in einen längeren Konflikt hineinziehen zu lassen. Ich wünsche Euch viel Glück, viel Erfolg zu wünschen, wäre dann doch etwas übertrieben." Über Seamus` Gesicht zuckte ein freundliches Lächeln, doch dann wurde er sofort wieder ernst. „Es bleibt noch zu regeln, wer von uns zuerst geht und wie lange der andere wartet."
"Ich denke", meinte Rochefort, während er sich erhob, "ich werde jetzt einfach aufbrechen, und Ihr geht danach, wenn Ihr es für richtig haltet. Es tut mir leid, dass unsere Begegnung anfangs für Euch so … hmm … unangenehm verlaufen ist. Vielleicht gibt es ja einmal ein Wiedersehen unter erfreulicheren Umständen." In seiner Stimme, die bisher neutral und emotionslos geklungen hatte, lagen nun Respekt und auch eine Spur von Wärme. Er nickte grüßend. "Au revoir. – Und gebt auf Euch Acht."
„Same to you", war die kurze Replik.