Zwischen den Fronten von kaloubet , Rochefort, Aramis und Armand-Jean-du-Plessis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 94 BewertungenKapitel Rückkehr und Wiedersehen
Die Versuchung war groß, doch abzuwarten und zu beobachten, was der junge Ire tatsächlich vor hatte, aber Rochefort entfernte sich zielstrebig und ohne inne zu halten von dem Gehöft. Er war stolz darauf, selbst einem Feind gegenüber noch niemals ein gegebenes Wort gebrochen zu haben, und er würde heute nicht damit anfangen.
Mitternacht musste lange vorüber sein – Eile tat not, es lag noch ein mehrstündiger Fussmarsch vor ihm. Unter äußerster Wachsamkeit, um nicht unversehens noch einem Posten oder einer Patrouille in die Hände zu laufen, entfernte er sich mehr und mehr vom englischen Heerlager und strebte in Richtung Saint Blanceaux. Er hatte lange überlegt, auf welchem Wege er die Île de Ré wieder verlassen konnte. Von La Rochelle herüber zu kommen, war aufgrund seiner Tarnung als Freiwilliger vergleichsweise einfach gewesen. Doch zurück aufs Festland durfte ohne Erlaubnis und strenge Kontrolle der englischen Besatzer niemand mehr. Schließlich sollten keine Informationen zu den französischen Truppen durchdringen. Schwimmen schied aus. Er war ein leidlich guter Schwimmer, doch diese Strecke traute er sich nicht zu. Es unter irgendeinem Vorwand offen im Hafen von St. Martin zu versuchen, war ihm zu unsicher. Jemand konnte ihn nach entsprechenden Papieren oder Befehlen fragen oder ihn wiedererkennen. Und irgendwo ein kleines Boot zu stehlen und selbst zu rudern war ebenfalls wenig erfolgversprechend, weil zwischen dem Festland und der Insel ständig englische Schiffe präsent waren. Blieb die Möglichkeit, auf die Hilfe Einheimischer zu zählen und zu hoffen, dass sich die Engländer bei ihnen unbeliebt genug gemacht hatten…
Während er durch die Nacht hastete, kehrten seine Gedanken zu Shamrock zurück. Er war inzwischen geneigt, seine ursprüngliche Vermutung, der Mann arbeite für Buckingham, zu revidieren. Aus ein, zwei Bemerkungen war zu entnehmen gewesen, dass er keine besondere Sympathie für den englischen Oberkommandierenden zu hegen schien. Und er hatte mehrmals betont, dass er Ire und ein freier Mann sei. Ich stehe jemandem im Wort, einem Mann wie Ihr einer seid, und ich denke, auch in einer sehr ähnlichen Position. Konnte er damit Lord Walsingham gemeint haben, der das Spionagenetz der englischen Krone koordinierte? Wie auch immer, dieser Shamrock schien ein interessanter Mensch zu sein und vermutlich auch ein fähiger Agent. Vielleicht ergab sich ja einmal die Gelegenheit, mehr über ihn heraus zu finden.
Einige Meilen vor Saint Blanceaux lag noch ein kleines Dorf, das hauptsächlich eine Fischersiedlung war. Als er es endlich erreicht hatte und die Hütten schemenhaft vor sich liegen sah, zeigte sich im Osten bereits ein erster Hauch der Dämmerung. Bald würden die Fischer mit der Morgenflut auslaufen. Der Graf verließ seine Deckung hinter einer niedrigen Hecke und wanderte nun offen den Strand entlang, auf das erste Haus zu, das etwas abseits von den anderen lag. Davor war ein Mann gerade damit beschäftigt, sein Boot klar zu machen. “Bonjour”, grüßte Rochefort den Fischer. Dieser hielt überrascht in seiner Arbeit inne. Als er einen bewaffneten Fremden auf sich zukommen sah, wich er unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Der Ankömmling hatte zwar Französisch gesprochen, aber das hieß noch nichts… “Keine Sorge”, beschwichtigte Armand sogleich, als er die Reaktion gewahrte, “ich gehöre nicht zu den Engländern.” Der Mann schien sich etwas zu entspannen, war aber immer noch misstrauisch. “Ich stehe im Dienst Seiner Majestät, unseres Königs Louis XIII.”, fuhr der Graf fort. “Ich hatte einen Auftrag hier auszuführen, damit wir diese englische Plage wieder los werden. Und nun bräuchte ich Deine Hilfe.” Der Graf hatte mit einer gewissen Autorität gesprochen, sich aber Mühe gegeben, gleichzeitig vertrauenerweckend zu wirken.
Sein Gegenüber hatte mit gerunzelter Stirne zugehört. “Meine … Hilfe?” “Ja.” Rochefort deutete aufs Meer hinaus. “Ich muss wieder zurück zum Festland, ohne dass die Engländer mich schnappen. Ich habe gesehen, dass sie euch Fischer nicht am Auslaufen hindern…” Der wettergegerbte Einheimische nickte. “Das ist schon richtig. Wir dürfen rausfahren. Und die Herren Engländer schlagen sich dann mit unserem Fang die Bäuche voll.” Er spuckte verächtlich in den Sand. “Aber es ist niemandem gestattet, drüben anzulanden. Wer’s versucht, den hängen sie auf, hat es geheißen.”
“Das ist mir klar. Ich möchte Dich auch nur bitten, mit mir so weit hinüber zu fahren, wie Du es wagen kannst, ohne Verdacht zu erregen. Den Rest der Strecke schwimme ich.” Während er sprach, hatte er sein Wams aufgeknöpft und aus seiner Innentasche einen Beutel hervor geholt. “Natürlich gehst Du ein Risiko ein. Dafür sollst Du aber auch nicht unbelohnt bleiben.” Er hielt dem Mann eine Handvoll Silbermünzen entgegen. Dessen Augen weiteten sich - das war weit mehr, als er in einem ganzen Jahr mit dem Fischfang verdienen konnte! Entschlossen streckte er die Hand nach dem Geld aus. “Abgemacht. Ich fahr’ Euch rüber.” Er hielt kurz inne und blickte nachdenklich vor sich hin. “Ich glaube, ich würd’s auch tun, wenn Ihr mir nichts dafür gegeben hättet. Vor zwei Tagen waren ein paar von diesen verfluchten englischen Bastarden hier. Sie wollten all unsere Vorräte. Mein Sohn hat sich ihnen in den Weg gestellt. Da haben sie ihn so brutal zusammengeschlagen, dass nur Gott allein weiß, ob er je wieder ganz gesund werden wird.” In hilflosem Zorn presste er die Kiefer zusammen. “Ich bin gleich soweit.” Einige Handgriffe noch, dann begann er das Boot ins Wasser zu schieben. Rochefort packte mit an. Als das Fahrzeug von der Flut erfasst wurde, sprangen sie hinein. “Man darf Euch nicht sehen”, sagte der Fischer. “Ich hoffe, der Herr hat kein Problem damit, unter ein paar stinkenden Netzen zu liegen.”
“Nein, mach’ nur!” Rochefort kauerte sich am Boden des Bootes zusammen und sein Fluchthelfer bedeckte ihn zur Tarnung mit Fischnetzen. Bange Minuten waren auszustehen, als ihm der Mann nach einiger Zeit zuflüsterte: “Ein englisches Schiff kommt.” Doch es fuhr vorbei, ohne dass die Besatzung dem kleinen Boot mehr als einige prüfende Blicke zuwarf. “Es ist soweit”, meldete sich der Fischer schließlich wieder zu Wort. “Ich muss jetzt umkehren.” Armand schlüpfte aus seinem Versteck. “Danke!” Er schwang sich über Bord und ließ sich ins Wasser gleiten. Es wurde bereits langsam hell. Immer wieder spähte er während des Schwimmens in die Runde; einige feindliche Schiffe waren zu erkennen, doch keines nah genug um ihm gefährlich zu werden. Trotzdem seufzte Armand zutiefst erleichtert auf, als er endlich festen Boden unter den Füßen spürte und ans Ufer watete. Die Anspannung hatte ihn hellwach gehalten, doch nun schlug bleierne Müdigkeit wie eine Welle über ihm zusammen. Er versuchte abzuschätzen, wie weit es von hier zum französischen Lager war. Egal, irgendwie würde er die Strecke bewältigen…
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Eigentlich hatte Shamrock ursprünglich vorgehabt auf der englischen Pinasse mitzufahren. Sie sollte die Nachricht des ersten Triumphes von Lord Buckingham in die Heimat bringen und dort Begeisterungsstürme auslösen - den glorreichen Sieg der calvinistischen Kräfte auf der Insel Ré. Das sollte auch Geld in die nicht besonders gut gefüllte Kriegskassa spülen. Der junge Ire bezweifelte stark, dass dies gelingen würde. Der Admiral überschätzte seine Beliebtheit bei weitem. Doch nach den Ereignissen im Kommandozelt hatte sich Shamrock spontan dazu entschlossen, nicht mitzusegeln. Stattdessen hatte er einem Gewährsmann einen codierten Brief an Lord Walsingham mitgegeben, in dem er geschildert hatte, welche Dienste er für den englischen Geheimdienst geleistet und dass er damit seinen Teil der Abmachung erfüllt hatte. Seine Lordschaft kannte ihn, und er würde wissen, dass er das Angebot, ständig für ihn zu arbeiten, ablehnen würde. Das war früher schon so gewesen und wurde von beiden Seiten akzeptiert.
Der Graf von Rochefort mit seiner großzügigen Tat, ihn zu verschonen, und der Mut dieses Aramis, von dem er jetzt sicher war, dass er ein französischer Spion war, hmm, zumindest zeitweise, hatten ihn doch stark beeindruckt. Darum war er in die Nähe der heranrückenden französischen Truppen gereist. Etwas schwieriger war es gewesen, einen Unterschlupf zu finden. Doch schließlich hatte er eine kleine Schäferhütte entdeckt, die vor Kurzem aufgegeben worden war. Wahrscheinlich hatte der Schäfer seine Tiere in Sicherheit gebracht. So ein Tross war immer hungrig. Dann hatte er einen kurzen Brief geschrieben:
Wenn Ihr an dem weiteren Schicksal eines Mannes interessiert seid, der sich Aramis nennt, so könnt Ihr mich in der kleinen Kate jenseits des Wäldchens, nordöstlich des Lagers, in den nächsten 3 Tagen antreffen. Ihr könnt Euch gerne versichern, dass ich alleine bin.
Den Brief hatte er an den Comte de Rochefort adressiert und mit einem Kleeblatt versehen. Ein Bauernbursch, der recht zuverlässig gewirkt und eine Silbermünze erhalten hatte, nebst dem Versprechen, dass der Adressat im französischen Lager ihm eine weitere geben würde, sollte in der Zwischenzeit den Brief überbracht haben. Shamrock war gespannt, ob der Graf kommen würde. Es war ja auch nicht sicher, ob er im Lager war.
Falls er nicht kommen würde, könnte er hier noch eine Nachricht hinterlassen, allzu lange wollte er in dieser Gegend nicht mehr verweilen. In den Pariser Salons wurde neuerdings öfters Karten gespielt, und um recht nette Sümmchen, hatte er gehört…
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Rochefort versuchte seine Ungeduld zu zügeln. Würde man seinen Plan in Paris gut heißen? Und vor allem: Würde man rasch genug eine Entscheidung fällen, um das Unternehmen in der nächsten Schwarzmondnacht durchführen zu können, wie er es mit Toiras abgesprochen hatte? Ruhelos streifte er durch die Lagergassen. Untätigkeit war ihm zuwider; vielleicht würde er heute Nachmittag noch einmal nach La Rochelle gehen, um sich dort umzuhören.
„Monsieur le Comte!“ rief da eine Stimme hinter ihm. Ein junger Offizier kam raschen Schrittes heran und streckte ihm einen Brief entgegen. „Das hat so ein Bauernlümmel bei der Lagerwache abgegeben. Die Nachricht ist an Euch adressiert. War ganz schön unverschämt, der Kerl. Er meinte, er bekäme von Euch ein Silberstück dafür.“
Wortlos faltete der Stallmeister Seiner Eminenz das Schreiben auseinander, las – und war augenblicklich alarmiert.
„Soll ich ihn davonjagen lassen?“ fragte indes der Offizier, der wohl Rocheforts Blick falsch gedeutet hatte und sich gern ein wenig wichtig machen wollte.
„Niemand wird davongejagt! Und ob seine Forderung unverschämt ist oder nicht, entscheide ich, haben wir uns verstanden?“ entgegnete Armand scharf. Er konnte es nicht brauchen, dass man Leute vergraulte, die wichtige Informationen überbrachten. „Ich will den Mann sehen.“
„Jawohl, Monsieur le Comte“, beeilte sich der Zurechtgewiesene zu antworten, doch ihm war anzusehen, dass es ihm sauer aufstieß, dass ein Zivilist hier im Feldlager etwas zu sagen hatte.
Der Bauernbursch war noch da. Er fühlte sich sichtlich unwohl, doch harrte er tapfer aus, der versprochenen Belohnung wegen. Eingeschüchtert und ein wenig unbeholfen verbeugte er sich vor dem Grafen. „Komm“, forderte dieser ihn auf, „gehen wir ein paar Schritte.“ Nachdem sie außer Hörweite der Soldaten waren, fragte Rochefort ihn nach dem Aussehen des Mannes, der ihm den Brief übergeben hatte. Die Beschreibung passte auf Shamrock. Armand nickte dem jungen Mann freundlich zu und drückte ihm eine Silbermünze in die Hand. „Das hast Du gut gemacht!“
Wenig später saß er bereits im Sattel seines braunen Wallachs „Bacardi“ und galoppierte aus dem Lager. Wohin der Ritt ging, hatte er niemandem gesagt. Die Botschaft des Iren konnte eigentlich nur eines bedeuten: Aramis war enttarnt worden! Theoretisch gab es freilich noch eine zweite Möglichkeit, nämlich, dass man ihn in eine Falle locken wollte. Es war denkbar, dass Shamrock später doch mit jemandem über seine nächtliche Begegnung gesprochen und man dem Agenten eine hohe Summe geboten hatte, wenn er dabei mithalf, den Leiter von Richelieus Geheimdienst unschädlich zu machen. Es gab nur wenige Menschen, die nicht käuflich waren... Es galt daher vorsichtig zu sein, alles andere wäre unprofessionell und sträflich leichtfertig gewesen.
Da er täglich auszureiten pflegte, hatte er bereits die gesamte Umgebung des Heerlagers durchstreift und wusste, wo die Schäferhütte zu finden war, die in dem Brief genannt wurde. Nun näherte er sich nicht in direkter Richtung, sondern auf Umwegen und prüfte sorgsam die Umgebung, ob sich irgendwo ein Hinweis auf einen Hinterhalt fand, doch alles schien in Ordnung zu sein. So ritt er schließlich auf die Wiese hinaus, auf der die Kate stand, hielt aber in sicherer Distanz davor sein Pferd an und verharrte abwartend.
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Shamrock hatte es sich in der Hütte so gut es ging gemütlich gemacht. Die Gegend hatte er natürlich ausgekundschaftet. Sie war recht einsam gelegen, aber da sie von einer großen Wiese umgeben war, konnte man sich nähernde Personen schon auf eine gewisse Distanz bemerken. Es war ein lauer Sommerabend, die Sonne stand schon tief, wärmte aber noch kräftig. Die Zikaden sangen ihren Lockruf, und nichts deutete darauf hin, dass nur wenige Kilometer entfernt auf der Insel Ré weiterhin gestorben wurde. Seamus hatte es sich auf dem nur leicht abgeschrägten Dach bequem gemacht. Hier oben konnte man den Sommer genießen und ein wenig Abstand von den Anstrengungen der letzte Tage bekommen. Aber natürlich hatte man von hier auch einen guten Überblick, falls sich wer nähern sollte. Und richtig, da kam ein einzelner Reiter. Der junge Ire zückte sein Fernrohr mit einem Lächeln. Dieser Comte de Rochefort hatte ihn mit seiner Bemerkung, dass man damit das Fort auskundschaften konnte, auf die Idee gebracht, dass er sich ein solches zulegen sollte. Der englische Leutnant hatte sich gar nicht so ungern davon getrennt, da er dafür seinen Schuldschein zurückbekam, mit einer doch beträchtlichen Summe. Englische Offiziere spielten sehr gerne Karten und auch Würfel, auch wenn es eigentlich im Felde strikt verboten war. Das hieß aber nicht, dass sie gute Spieler waren...
Es war wirklich der französische Geheimdienstchef, den Shamrock dort im Glas erblickte, und er schien allein zu sein. Zumindest konnte man sonst niemand sehen. Vorsichtig stand der junge Ire auf, sodass man ihn am Dach der Kate gut erkennen konnte. Dann kletterte er hinab, öffnete die Türe und das Fenster, damit man sehen konnte, dass in der Hütte sonst niemand war. Dann holte er ein Tischchen und zwei Schemel nebst einer Flasche Rotwein und stellte sie so vor die Tür, dass die Strahlen der Abendsonne sie noch beschienen, und wartete.
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Armand bemerkte Shamrock im selben Moment, als er sich vom Dach der kleinen Hütte erhob. Mit einem gewissen Erstaunen, das schließlich sogar in einen Hauch von Amüsement umschlug, verfolgte er dessen Aktivitäten. Offenbar versuchte der Ire alles zu tun, um seinem Besucher zu demonstrieren, dass dies hier keine Falle war. Unter anderen Umständen hätte den Grafen vielleicht gerade das misstrauisch gemacht, aber er empfand hier nicht das geringste Gefühl einer Bedrohung. Also schwang er sich vom Pferd und ging langsam auf die Schäferkate zu. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Bacardi, dessen feine Sinne ihn schon oft vor einem Hinterhalt gewarnt hatten, doch der Braune schritt ruhig und entspannt neben ihm her, die Ohren interessiert nach vorne gerichtet.
Auf dem kleinen Holztischchen stand sogar eine Flasche Wein. Der Mann hatte wirklich Stil! „Mit einem so raschen Wiedersehen habe ich nicht gerechnet“, begrüßte er den Iren. Während er ihm kurz zulächelte, wurde ihm bewusst, dass er sich tatsächlich freute, ihm abermals zu begegnen. Doch sofort wurden seine Züge wieder ernst, als er fortfuhr: „Allerdings dürften die Umstände auch diesmal nicht sonderlich angenehm sein, wenn ich Eure Nachricht richtig deute.“
„Bonsoir, Monsieur le Comte“, grüßte Shamrock freundlich zurück, „nun, da mögt Ihr im Prinzip Recht haben, für mich sind die Umstände aber erfreulicher.“ Er setzte sich, nahm aus seinem Ranzen noch etwas Brot und Käse und zwei schlichte Holzbecher heraus. Er schnitt Brot und Käse auf, öffnete den Wein und schenkte ein. „Wenn Ihr nicht in besonderer Eile seid, dann plaudern wir doch etwas. Ich fange mal an. Ich stehe zur Zeit nicht mehr in englischen Diensten. Kurz bevor mein Auftrag beendet war, traf ich auf einen jungen Musketier, der sich Aramis nannte. Der junge Mann befand sich gerade in einer für ihn äußerst unangenehmen Lage. Er wurde mitten in Lord Buckinghams Kommandozelt festgenommen. Da Ihr gekommen seid, gehe ich davon aus, dass Euch die näheren Umstände interessieren werden.“ Seamus macht eine kurze Pause und gönnte sich einen Schluck Wein und einen Bissen vom Käsebrot.
Der Graf nahm Shamrock gegenüber Platz. „Nein, ich bin nicht in Eile und ja, ich würde gern Näheres erfahren.“ Dass der Ire Aramis als Musketier bezeichnet hatte, bewies, dass er gut informiert war. Rochefort griff ebenfalls zu seinem Weinbecher und war gespannt, was er zu hören bekommen würde. Aramis verhaftet! Verdammt, so waren die Engländer ihm offenbar doch auf die Schliche gekommen...
„Ich hatte ein paar Gelegenheiten, den Chevalier d’Herblay kurz kennen zu lernen. Im Nachhinein betrachtet, muss ich seinen Mut und seine Entschlossenheit bewundern. Ich weiß nicht, ob er einer Eurer Agenten ist oder er nur einen Auftrag ausführt, aber das Risiko war wohl von Anfang an sehr hoch. Insbesondere der Duc de Rohan misstraute ihm immer. Auch wenn es nicht mein Auftrag gewesen ist, so muss ich gestehen, dass ich indirekt dazu beigetragen habe, dass er nun in einer sehr misslichen Lage steckt. Aber es geht ihm gut, wenn Euch das beruhigt. Ich schulde Euch mein Leben, und da ich ein Mann bin, der ungern Schulden hat, werde ich versuchen, diese zu begleichen. Das wird wohl einige Zeit dauern, vielleicht wird es mir nie gelingen, aber versuchen werde ich es. Darum könnt Ihr gerne verlangen, dass ich Euch die Details erzähle, und ich betrachte das als erste Rate. Oder wir regeln das anders.“ Bei diesen Worten holte er ein Päckchen Spielkarten aus seinem Beutel. „Ich nehme an, Ihr spielt Piquet? Ich gedenke nach Paris zu reisen. Monsieur könnte mir vielleicht den einen oder anderen Salon empfehlen, wo man ein gepflegtes Spiel schätzt, wenn er hier eine Partie verliert. Vielleicht könntet Ihr auch gestatten, dass ich mich auf Euch berufe, um Einlass zu finden. Natürlich nur, wenn Ihr verlieren würdet. Ich setze die Informationen, die Ihr benötigt. Aber selbst wenn Euch Fortuna heute nicht zugetan ist, so könnt Ihr immer noch einen Gefallen von mir einfordern. Nun?“ Seamus war gespannt, ob sich Rochefort darauf einlassen würde.
Der Stallmeister Seiner Eminenz zog eine Augenbraue hoch, als er sich dergestalt herausgefordert sah. Mit anderen, auch gegnerischen, Agenten „Geschäfte“ zu machen, war ihm nicht fremd. Man musste sich nicht immer gleich an die Gurgel gehen. Manch eine Information, die für einen selbst nebensächlich war, konnte für den anderen wichtig sein und umgekehrt. Aber um Informationen spielen? Das war eine neue Variante! Wenn Shamrock ihn zum Glücksspiel aufforderte, dann war er vermutlich gut darin. Ob er wohl ein professioneller Spieler war, da er nach Salons in Paris gefragt hatte? Der Graf rückte seinen Schemel ein wenig zurecht, sodass er sich mit dem Rücken an die warme, von der Abendsonne beschienene Holzwand der Hütte lehnen konnte, schlug lässig die Beine übereinander und erwiderte: „Ein interessanter Vorschlag. Warum nicht? Spielen wir.“
„Ausgezeichnet, ich gebe, damit habt Ihr den minimalen Vorteil, die erste Vorhand zu sein.“ Karten wurden ausgeteilt, und das Spiel begann. Wie üblich sollten sechs Spiele gespielt werden, also eine ganze Partie. Zu Shamrocks Überraschung entschied der Graf die ersten beiden Spiele klar für sich, er war sowohl bei den Rummel, als auch bei den Sequenzen klar überlegen, aber ihm schien auch das Kartenglück hold zu sein. „My part“, meinte Seamus nach jedem verloren Spiel, und er erzählte, dass Aramis auf Betreiben der Offiziere verhaftet worden war, da seine Angaben über die französische Truppenstärke von Fort Saint Martin sich als falsch erwiesen hatten und man einem französischen Musketier den Verrat an Heimat und Corps auf Dauer nicht abgenommen hatte. Er erwähnte aber auch, dass Buckingham immer noch an Aramis glaubte. „Seine Lordschaft hat die Weitsicht eines Maulwurfs“, war sein Kommentar dazu. Dann schien sich Fortune wieder dem jungen Iren zuzuwenden. Es gelang ihm, die nächsten drei Spiele zu gewinnen und auch Kunststücke zu erzielen sowie Punkte durch Stiche zu erreichen. Vielleicht setzte sich nun ein wenig die Routine des geübten Spielers durch.
Rochefort hatte sein Gegenüber genau beobachtet, entdeckte jedoch keinen Hinweis darauf, dass der junge Ire falsch spielte. Natürlich hielt er sich an seinen Teil der Abmachung und zählte einige Pariser Spielsalons auf, erwähnte, wo man welche Schichten der Pariser Gesellschaft anzutreffen pflegte und wo es zusätzliches Service, wie etwa die Verfügbarkeit hübscher, junger „Damen“, gab. Schließlich nannte er auch einen Salon, wo man ihm gewiss bevorzugte Behandlung angedeihen lassen würde, wenn er sich auf den Comte de Rochefort berief.
Das letzte Spiel war lange offen und hart umkämpft. Mit nur einem Punkt Vorsprung konnte sich aber der Comte durchsetzen. „Eine wirklich gute Partie“, war Shamrocks ehrliche Meinung. „Wenn man die einzelnen Punkte der Spiele zusammenzählt, bin ich ein klein wenig im Vorteil, aber das sechste Spiel ging an Euch. Lord Buckingham hat erreicht, dass Aramis auf seinem Flaggschiff, der „Triumph“, unter Hausarrest gestellt wird. Falls Ihr das Schiff nicht sowieso kennt, so ist es zu jeder Tages- und Nachtzeit an seinen teilweise purpurnen und goldenen Segeln leicht zu erkennen.“ Seamus verdrehte seine Augen bei diesen Worten nach oben. „Dort ist der Musketier für die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen, vorerst in Sicherheit. Er wird aber sicher streng bewacht, und eine Flucht wird ihm ohne Hilfe kaum möglich sein. Sollte sich aber ein Beweis finden, dass er ein französischer Spion ist, zum Beispiel, wenn ein französischer Offizier gefangen wird und so etwas aussagt, so wird man ihn wohl an der Rah aufhängen, Protegé des Admirals oder nicht.“ Nachdenklich nahm der Ire noch einen Schluck Wein. „Das würde ich bedauern, ich denke, unter anderen Umständen hätte ich den Chevalier gerne näher kennengelernt. Mehr kann ich Euch nicht erzählen, wie gesagt, mein Auftrag ist beendet, aber alle Details kann ich nicht aufzählen, ich möchte nicht zum Verräter werden. Was ich Euch berichtet habe, hättet Ihr vielleicht selbst herausgefunden, wahrscheinlich aber erst viel später. Nutzt diesen Zeit- und Informationsvorsprung, wenn Ihr könnt, auf mich wartet Paris.“
Was ihm sein Spielpartner soeben berichtet hatte, löste in Rochefort Erleichterung und Frustration zugleich aus. Gut, Aramis befand sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr. Doch wie zur Hölle sollte er ihn aus den Klauen der Engländer befreien, wenn er auf dem Flaggschiff des Admirals interniert war? Ihn aus dem Lager vor St. Martin heraus zu holen hätte er für machbar gehalten, doch an das Schiff heranzukommen war momentan ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab nur eine Chance, nämlich es im Rahmen seines Rettungsplanes für das belagerte Fort zu versuchen... Er sagte zu Shamrock: „Es war mir ein Vergnügen, mit Euch zu spielen, und ich danke Euch für die wertvollen Informationen. Der junge Mann sollte vorerst nicht direkt bedroht sein, denn über seinen Auftrag weiß nur eine Handvoll Leute Bescheid; einer davon bin ich, und die anderen befinden sich nicht vor Ort. Verraten kann ihn also niemand. Und ich werde mir etwas einfallen lassen.“ Nach einer kurzen Pause, während derer er den letzten Bissen seines Käsebrotes verspeiste, fuhr der Graf fort: „Gestattet mir eine offene Frage: Ihr scheint mir ein Mann mit vielen Talenten zu sein. Warum riskiert Ihr Euer Leben mit Aufträgen für einen Schwachkopf wie Buckingham? Es ist nicht zu übersehen, dass Ihr ihn nicht ausstehen könnt.“
„Ich arbeite nicht für Buckingham. Ich habe einmal gesagt, es wäre für einen Mann wie Ihr einer seid. Und das habe ich auch so gemeint, man erzählt sich, Ihr leitet eine Art französischen Geheimdienst. In England gibt es spätestens seit Königin Elisabeth auch eine derartige Institution, aber das sollten keine Neuigkeiten für Euch sein. Ich stand…“, für einen kurzen Moment zögerte Seamus, aber ein Graf von Rochefort würde den Namen wohl kennen, „… Lord Walsingham im Wort. `A deal is a deal!´, so sagt man bei uns. Manchmal arbeite ich für ihn. Aber nicht ständig, ich mag eine gewisse Unabhängigkeit. Aber warum fragt Ihr? Ich muss Euch warnen, ich wechsle nicht so schnell die Seiten, insbesondere wenn es den vorigen Auftrag sabotieren würde.“
Armand nickte nachdenklich. Walsingham. So war seine diesbezügliche Vermutung doch richtig gewesen. Laut erwiderte er: „Hmm, ich gebe zu, ich hatte soeben den Entschluss gefasst, Euch zu fragen, ob Ihr für mich arbeiten würdet. Aber wenn Ihr ablehnt, verstehe und respektiere ich das. Trotzdem könnte ich mir auch in diesem Fall für die Zukunft eine gewisse Art des Zusammenspiels vorstellen, beispielsweise auf der Basis des Austausches von Informationen, wie wir es gerade eben gemacht haben. Immerhin haben England und Frankreich auch gemeinsame Feinde...“. Abwartend blickte er Shamrock an.
„Zum jetzigen Zeitpunkt für Euch arbeiten möchte ich nicht“, war die ehrliche Antwort. „Versteht das bitte nicht falsch, ich stehe in Eurer Schuld, aber auch wenn es nicht so wäre, hätte ich keine Bedenken, für Euch zu arbeiten, da ich Euch als Mann kennengelernt habe, der zu seinem Wort steht. Aber ich möchte nicht in Konflikt mit Lord Walsingham kommen. Wenn ich jetzt gleich in Eure Dienste treten würde, dann könnte das mit meinem vorigen Auftrag in Konflikt geraten. Auch wenn die Angelegenheit abgeschlossen ist, so schulde ich Seiner Lordschaft Loyalität in Bezug auf meine letzte Tätigkeit. Alles andere wäre sehr nahe am Verrat. Genau so würde ich auch Euch gegenüber handeln, falls ich für Euch einmal Dinge erledige. Und das kann ich mir in Zukunft gut vorstellen. Einen Informationsaustauch auf jeden Fall.“ Shamrock nahm den letzten Bissen Brot mit Käse und schenkte die letzten Schlucke Wein in die Becher. Er hob seinen Becher und zitierte einen alten irischen Trinkspruch: “May the best day of your past be the worst day of your future.”