And if I were to meet.... von Anonymous

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Kapitel Kriegslisten von Anonymous

Kriegslisten

Da stehen wir nun, hilflos, einsam und verlassen. Nunja... nicht ganz verlassen. So grob geschätzt eintausend fremde Männer stehen um uns herum, beachteten uns entweder gar nicht oder - für meinen Geschmack - etwas zu aufmerksam. Musketiere...

Ich packe Stella kurzerhand am Arm und zerre sie mit mir die Aufgangstreppe hinunter. Erst, als wir wieder glücklich vor dem Haupttor des Hôtels stehen, wage ich, kurz aufzuatmen. Na, das war ja was! Ich weiß, wie ich mir diesen Trubel im Hauptquartier immer vorgestellt habe und ich erinnere mich jetzt nur zu gut an die Beschreibung, die Dumas selbst gegeben hat. Das Wort "betrunken" spielte da eine zentrale Rolle, ebenso "töten", getötet werden" und "rächen". Was für eine Truppe, das wäre auch mein Kindheitstraum, da beizutreten!

Ich muss sagen, besonders wohl habe ich mich die ganze Zeit über nicht gefühlt, während Stella allerdings mit unserem Leutnant beschäftigt war und wohl weniger auf ihre Umgebung geachtet hat. Ich zumindest bin es leid, dumm angestarrt zu werden von dem ein oder anderen nicht gar so vertrauenserweckend dreinblickendem Augenpaar. Das sind also d'Artagnans Untergebene... Ich meine natürlich, Trévilles Untergebene! Ich glaube, in diesem Zusammenhang möchte ich im Moment lieber von den Untergebenen des Hauptmanns denken... Was ja letztlich auch voll und ganz der Wahrheit entspricht. Herr Gott nochmal, wie kann man sich wünschen, hier beizutreten?!

Ich glaube, das ist eine Mentalität, die ich nie so recht verstehen werde. Oder Dumas hat noch verklärender gearbeitet, als er selbst zugibt. Gibt er das eigentlich zu? Hm... sobald ich wieder zu Hause bin, werde ich den Roman noch einmal gründlich lesen und mit Rotstift alles markieren, was garantiert NICHT so romantisch ist, wie es klingen soll.

"Was sollen wir jetzt machen?" Stella reißt mich aus meinen nicht ganz so fröhlichen Gedanken.

"Gute Frage. Was wolltest du denn nun eigentlich beim Hauptquartier?"

"Nichts."

"Nichts?" Ich glaube, das Augenbraueheben beherrsche ich mittlerweile auch ganz gut. In Geschichten passiert es reichlich oft, dass irgendwer verwundert die Augenbraue hebt. Oh bitte, ich will keiner dieser Romanfiguren ähnlich sein! Aber irgendwie... scheint man ja immer ein wenig von sich selbst mit hineinzuschreiben. Das würde ich nicht einmal als Mary-Sue bezeichnen, sondern als Stil. Oder aber, irgendwann wird man seinen Romanfiguren doch ähnlich. Och nö... "Ich verstehe schon. Du wolltest den Herrn Leutnant nur ungern allein lassen."

"Natürlich! Er war im Begriff, sein Haus zu verlassen, um hierher zu kommen. Was soll ich denn allein bei Planchet?"

"Keine Ahnung", gebe ich zu und kann mir trotzdem nicht die Spitze verkneifen. "Ihm im Haushalt helfen. Die Betten machen, zum Beispiel."

Stella läuft rot an und ich glaube, ich habe mal wieder das ganz große Fettnäpfchen getroffen. Oder eher: Die Ölwanne, die da so rumstand und nur darauf wartete, dass ich reinfalle. Ok, ist hiermit geschehen. Wie geht es weiter?

"Apropos Bett." Stella hat sich schnell wieder gefangen, Glück gehabt. "Wo sollen wir die Nacht verbringen? Hast du Geld?"

"Nein. Hast du eine Ahnung, wo hier überhaupt eine Herberge wäre?"

"Nein."

"Super."

Wieder einmal versinken wir beide in grübelndes Schweigen, während um uns herum die Leute im Hôtel ein- und ausgehen. Zu schade auch, dass Tréville gerade beim König ist... Wenn er so ist, wie Maike ihn immer beschreibt, würde er uns beide sicher nicht hier auf der Straße in der Kälte stehen lassen - aus reiner Höflichkeit, versteht sich. Und selbst, wenn er so wäre, wie ich ihn immer beschreibe, dann würde er uns zumindest eine warme Zelle anbieten... Na gut, so gemein bin ich nun auch nicht - aber mir ist gerade nach Sarkasmus.

"Sag mal..." überlegt Stella laut. "Wenn wir hier über Nacht bleiben... und einschlafen... wachen wir dann wieder zu Hause auf?"

"Weiß nicht."

"Irgendwie scheint mir das ohnehin kein gewöhnlicher Traum zu sein."

"Ach?" Ich glaube, ich sollte meinen Sarkasmus doch einmal bändigen. Stella kann schließlich auch nichts dafür. "Das werden wir wohl sehen, wenn es soweit ist. Aber ich möchte nicht auf offener Straße die Nacht verbringen. Es wird bestimmt noch viel kälter..."

"Ach", gibt Stella im gleichen Tonfall zurück. Gut, wir sind quitt. Nur vor einem warmen Herd hocken wir immer noch nicht. Wohin nur, wohin? Etwas zupft an meinem Mantel. Es ist Stella, die gedankenverloren eine Falte glatt streicht. Moment mal... das ist nicht _mein_ Mantel!

"Meinst du, er will ihn wiederhaben?"

"Was?" schreckt Stella aus ihren eigenen Überlegungen und mustert mich einen Moment verwirrt. Dann versteht sie. Sie grinst.

"Bestimmt!"

"Bald?"

"Sehr bald."

"Dann los."

Es dauert nicht lange, dann sind Stella und ich wieder in der Rue des Fossoyeurs. Ich habe mir den Weg einigermaßen eingeprägt, während Stella mehr mit d'Artagnan beschäftigt war - sie kann sich gleich gerne wieder beschäftigen, solange ich endlich ein prasselndes Feuer im Ofen bekomme!

Es ist Planchet der uns öffnet und reichlich entgeistert starrt. Ich hebe eine Augenbraue - wow, das funktioniert wirklich! Eine Universalgeste, irgendwann werde ich sie bei einem meiner Professoren anwenden. Das verhindert einen Haufen dummer Fragen. Planchet tritt auch schon, ganz Diener, unterwürfig bei Seite und lässt Stella und mich eintreten.

"Wer ist es?" schalt es aus einem Nebenraum und die Stimme erkenne ich sofort wieder, während sich Schritte dem Flur nähern, wo Stella und ich stehen und darauf warten, dass unser Held aus dem Zimmer tritt. Und da ist er auch schon, nur noch in Hemd und Hose - und sieht nicht minder entgeistert drein, als sein Diener, der es jetzt ziemlich eilig hat, sich in seine Kammer zu verkrümeln.

"Wir sind's", fällt mir keine geistreichere Antwort ein und ich bekomme dafür auch gleich einen Knuff von Stellas Ellbogen in die Seite. Schon gut, schon gut. "Ich habe noch Euren Mantel und wollte ihn Euch zurückbringen, Monsieur."

"Aber... Ihr hättet ihn doch behalten können. Bis morgen früh", stottert d'Artagnan völlig überrumpelt, indem er den Mantel entgegen nimmt. Er könnte mir ja fast leid tun - wenn er nur ein bißchen mehr Grips beweisen würde. Ja, schlau und listig, das ist er. Aber vom Umgang mit Damen hat er nun wirklich nicht gerade viel Ahnung. Wie gerne würde ich entnervt mit den Augen rollen. Aber das wäre Stellas und meiner Sache nicht eben dienlich, also senke ich scheu die Lider und blicke betreten zu Boden. Ich hoffe, Stella kann für einen Augenblick einmal das Anhimmeln sein lassen und ebenfalls hilflos, einsam und verlassen wirken. Es scheint zu funktionieren.

"Nun... vielen Dank, dass Ihr den Mantel zurückgebracht hat", versucht d'Artagnan verlegen, diesmal die richtigen Worte zu finden. Nun, das klingt schon einmal gut. "Aber nun werdet Ihr wieder frieren, Mademoiselle."

JA, du Schlaumeier! Wie gerne würde ich ihm einige wenig schmeichelhafte Dinge an den Kopf werfen. Aber er versucht ja nur, höflich zu sein. Vielleicht kommt er irgendwann auch von allein auf den richtigen Gedanken, aber mir dauert das jetzt eindeutig zu lange. Ich glaube, ich habe den einen Fehler gemacht, nie Damen in meinen Fanfictions auftreten zu lassen, sondern immer nur Schurken und Intrigen. Da kann der arme Junge ja gar nichts anders, als völlig verwirrt zu sein.

"Seht Ihr, Monsieur, es ist so. Meine Freundin und ich, wir kennen niemanden hier in Paris. Wir sind heute hier eingetroffen und wurden von unseren Begleitern schon kurz nach Passieren der Stadttore getrennt. Ein Missverständnis, man hat sie verhaftet und abgeführt. Uns hat man zurückgelassen, allein, verängstigt mit keinem Pfenn... äh, Sous Geld. Wir wissen nicht, wohin..." lüge ich das blaue vom Himmel herunter (und tatsächlich ist es ja schon tiefschwärzeste Nacht da draußen). Es hat auch seine Vorteile, wenn man es mit einem ständig zur Übertreibung oder weglassen gewisser Wahrheiten neigendem Charakter zu tun hat. Man lernt dazu.

"Man hat sie verhaftet?"

"Grundlos", nicke ich, ohne aufzusehen. Noch ein wenig länger und ich werde noch einen echt klingenden Schluchzer zustande bekommen. Los, rette uns, 'dammig nochmal! Ich glaube, das ständige Fluchen ist ebenfalls ein Nebeneffekt, wenn man zuviel mit diesem Gascogner zu tun hat.

"Und man hat Euch nicht einmal gesagt, wohin man Eure Begleiter gebracht hat?"

Ich schüttele den Kopf und - da ist der Schluchzer! Ich bin guuuut. Stella legt tröstend einen Arm um meine Schulter und spielt mit das hilflose Mädchen, das sogar gezwungen ist, an fremder Leut's Türen anzuklopfen. Allerdings macht sie eine Einschränkung: "Es waren unsere Reisebegleiter, die uns sicher nach Paris bringen sollten. Aber anscheinend waren sie nicht so vertrauenswürdig, wie unsere Väter dachten."

Reisebegleiter... Bloß nicht riskieren, es könnte sich hierbei etwa um unsere Verlobten oder was weiß ich was handeln. Ich muss mich schon sehr zusammenreißen, um mein Kichern in einen weiteren Schluchzer zu verwandeln. Herrje, nicht nur ich kann gut lügen, wenn es sein muss. Und ich glaube fast, auch der Herr Leutnant hört lieber das Wort "Eskorte", als "Freunde".

"Mesdemoiselles", sagt er mit einer Verbeugung, ganz Kavalier. "Bitte sorgt Euch nicht weiter. Euch wird nichts geschehen und Ihr seid nicht ganz verlassen in Paris", bietet sich unser Held nun endlich als der große Retter an. Wurde ja auch Zeit.

"Sind wir nicht?" wage ich es, aufzusehen und d'Artagnan ein hoffnungsvolles Lächeln zu schenken. Er nickt freundlich und ich sehe zu Stella. Na also, läuft doch. Ich erhole mich jetzt ziemlich schnell von meinem beinahe Zusammenbruch. "Habt vielen Dank, Monsieur. Aber wir wollen Euch nicht zur Last fallen." Ein bißchen zieren muss man sich ja doch noch. Anscheinend habe ich Monsieur le lieutenant allerdings auch ein weiteres mal überrumpelt. Dass wir bei ihm bleiben diese Nacht hatte er wohl noch nicht so ganz geplant, zumindest spricht sein Gesichtsausdruck etwas in der Art. Aber jetzt ist es zu spät und wegzuschicken. Wieder nickt d'Artagnan und dann bekommen Stella und ich den Raum gezeigt, wo wir heute Nacht schlafen dürfen: In seinem Schlafzimmer. Hm, nicht schlecht, könnte allerdings etwas aufgeräumter sein.

Ich glaube, ich habe noch nie so schnell einen Mann aus seinem eigenen Schlafzimmer flüchten sehen. Zumindest wünscht uns der Leutnant nur flüchtig eine Gute Nacht und zieht dann die Tür hinter sich zu. Er wird wohl noch einiges zu Grübeln haben bis morgen früh.

Fortsetzung folgt...