Caroline von Eugénie

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Kapitel Im Palast

Da man sich mit unerklärlichen Fragen nicht lange aufhalten soll, begann ich den Haushalt meines Vaters zu führen. Natürlich wollte ich Marie, Pierre und Justine Wiedersehen. Doch sie waren weg. Niemand konnte mir sagen wohin. Es ging das Gerücht um sie seien wieder aufs Land zu Verwandten gezogen. Justine sei angeblich mit einem Bauernsohn verlobt und Pierre sei nun Laufbursche bei einem hohen Herrn. Was mit Marie geschehen war wusste niemand. Alles hatte sich geändert. Alles um mich herum war ernster geworden.

Die Wochen zogen ins Land und alles blieb gleich. Doch eines Abends, es war schon sehr spät, fast Nacht kam d’Artagnan zu uns. Er war kreidebleich im Gesicht, seine Hände zitterten und vor Aufregung brachte er kaum ein Wort heraus. Als er zur Tür herein kam sah er mich mit einem Blick an der mir Angst machte. Es war eine Mischung aus Verzweiflung, Wut, aber auch Neugier. Mein Vater und er schlossen sich im Zimmer ein und redeten lange.
Ich weiß bis heute nicht warum ich es tat, aber ich sah durchs Schlüsselloch. Ich wusste genau, dass mein Vater das nicht leiden konnte, doch was ich da sah werde ich nie vergessen. Beide saßen sich gegenüber, am Tisch stand eine Flasche Wein die noch unberührt war. Sie redeten aufgeregt doch plötzliche verstummten beide. D’Artagnan hielt einen Ring hoch, mein Vater griff nach ihm, betrachtete ihn genau, sah von d’Artagnan zum Ring und wieder zu Ihm und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. Nun redete mein Vater sehr leise. Es war mich unmöglich auch nur ein Wort zu verstehen. Kurz danach kam d’Artagnan wieder heraus. Ich fragte ihn was den passiert sei doch er strich mir übers Haar und über mein Gesicht. Er sah mich mit einem Blick an den ich nicht verstand. Mein Vater hat mir nie gesagt was in jener Nacht vorgefallen war zwischen den beiden. Doch ich vermute er hat ihm dieselbe Geschichte erzählt wie er sie mir ein paar Minuten später. Die Geschichte seiner großen Lieben und sein damit verbundenes Herzensleid. Die Geschichte meiner Geburt. Obwohl die Ereignisse schon lang zurücklagen erinnerte er sich an jedes Detail. An das Kleid, dass sie bei ihrer ersten Begegnung trug, wie sie sich verliebten, an ihre erste gemeinsame Nacht und auch an jedes Detail als er schließlich versuchte sie zu töten.

Nachdem mein Vater mir die Geschichte erzählt hatte, war ich böse, zornig und wütend auf ihn. Wie konnte er es tun? Wie konnte er seine große Liebe einfach so töten? Selbst wenn sie eine Diebin oder schlimmeres war, er hatte sie doch geliebt? Obwohl ich meine Mutter ja nie kennen gelernt hatte, empfand ich plötzliche einen großen Schmerz, eine große Leere in mir. Bis jetzt wurde diese Leere von einem Geheimnis ausgefüllt doch nun da ich die Wahrheit kannte fühlte ich mich unglaublich verloren.
Mein Vater versuchte es mir zu erklären doch ich wollte nicht auf ihn hören. Zwei Tage sprach ich kein Wort mit ihm. Er war verzweifelt und wusste sich nicht zu helfen.
Eines Abends schickte er Aramis zu mir. Vielleicht hatte ein Theologe mehr Glück bei mir. Und in der Tat es half. Den ganzen Abend redete Aramis mit mir. Über Gott, über die Erbsünde, davon das wir unser Schicksal nur wenig beeinflussen können. Wir alle seien Geschöpfe Gottes und unser Weg ist uns vorbestimmt. Er nahm sich viel Zeit und ging behutsam auf meine Fragen ein. Zum Schluss sagte er mir noch, das irren menschlich, jedoch vergeben göttlich ist.
Ich beschloss daher meinem Vater zu vergeben. Meine Wut war noch keineswegs verraucht, aber sie würde verschwinden.

Es kehrte wieder der gewohnte Tagesablauf ein. Doch dies sollte nicht lange so bleiben. Frankreich war im Krieg und mein Vater und seine Freunde mussten nach La Rochelle um gegen die Protestanten zu kämpfen.
Mein Vater machte sich große Sorgen was den aus mir werden würde, falls er nicht mehr aus dem Krieg heimkehrt. Er sprach darüber mit mir. Er fragte mich ob ich denn wieder ins Kloster wolle, denn er hätte das Geld um mir die Möglichkeit zu geben Gott zu dienen. Ich wollte nicht. Falls es keine andere Möglichkeit gibt so wolle ich mich fügen, doch gerne würde ich nicht gehen. Kurz dachte er auch darüber nach, mich zu verheiraten. Die Mitgift wäre gering, aber doch wäre ich beschützt. Doch diesen Gedanken verwarf er gleich wieder, da es keinen geeigneten Kandidaten gab und ich außerdem noch zu jung sei. Warum ich nicht in seiner Abwesenheit einfach hier in unserer Wohnung bleiben könnte. Das ginge nicht, sagte er. Ein Mädchen ohne jeglichen Schutz, ganz allein. Nein, dass war nicht möglich. Dann wolle ich mitkommen, nach La Rochelle und ebenso für den König kämpfen. Er begann zu lachen. Ein Kind im Krieg? Nein das ginge schon gar nicht. Ich bin kein Kind mehr, protestierte ich lautstark. Ja, das wisse er, deshalb habe er mit Monsieur de Treville gesprochen ob die Königin nicht eine Hilfe in der Wäscherei bräuchte. Monsieur hätte ein gutes Wort eingelegt und wenn ich wollte, könnte ich im Palast arbeiten. Das klang tausendmal verlockender als den ganzen Tag zu beten. Ich erinnerte mich an die Geschichten von Marie und tausende Bilder über den Palast tauchten in meinem Kopf auf. Ob all diese Fantasiebilder wohl der Wahrheit entsprachen?
Mein Vater meinte, der Palast sei ein sicherer Ort für mich. Monsieur de Treville kenne die Wäschebeschließerin. Sie sei eine anständige Dame und würde gut auf mich aufpassen.
Gesagt getan, am nächsten Tag brachte mich mein Vater in den Palast. Gerne hätte er mir etwas Besseres geboten, sagte er mir als wir uns verabschiedeten, doch er sei nur ein einfacher Musketier und seine Mitteln beschränkt. Ich versicherte ihm, dass ich zufrieden mit dem sei was ich bin, die Tochter eines Musketiers. Wir verabschiedeten uns unter Tränen und ich hoffte ihn bald wieder zusehen. Er versprach mir zu schreiben, doch ob ich jemals einen Brief erhalten würde bezweifelte ich. Wieder einmal war ich darauf gefasst ihn nie wieder zu sehen.

Die Wäschebeschließerin der Königin war erst sein kurzem in ihrem Amt. Nachdem man Constance Bonacieux entführt hatte und momentan niemand wusste wo sie war. Angeblich in einem Kloster. Ich erinnerte mich, dass sie d’Artagnan’s Geliebte war. Ich habe sie nie kennen gelernt, kannte sie nur aus Erzählungen. D’Artagnan hat mir in groben Zügen von ihrer Entführung berichtet und dass sie momentan in einem Kloster war. Dies war sicherer für sie, da sie einfach viel zu viel wusste über die Königin.
Die neue Wäschebeschließerin, Madame Bijou, die von allen nur Madame genannt wurde, war eine große, schlanke Dame mit dunklen Locken die sorgsam unter einer Haube versteckt waren. Ihr Gesicht verriet, dass sie keine sehr glückliche Person war. Die Gesichtszüge waren hart und ihre Lippen schmal. Als ich sie zum ersten Mal sah, bekam ich Angst. Sie kam auf mich zu und ohne ein Wort an mich zu richten sah sie auf meine Hände, meine Füße und auf meine Zähne. Ob ich denn überhaupt nähen und sticken könnte fragte sie mich. Ja, war meine wahrheitsgemäße Antwort. Ich wagte ihr nicht zu sagen, dass ich beides nicht besonders gut konnte. Ob ich es denn gewohnt sei mir die Hände schmutzig zu machen? Ich berichtete ihr davon, dass ich für meinen Vater den Haushalt geführt hatte und durchaus im Stande sei ordentlich zu arbeiten. Sie sah mich kurz an, packte mich und brachte mich in die Wäscherei. Kurz erklärte sie mir meine Aufgabe. Ich hatte die gebrauchte Wäsche der Hofdamen hierher zu bringen, Löcher zu stopfen, dann alles in die Wäscherei bringen und wenn die Wäsche fertig war, diese dann zusammen mit ihr in die Gemächer zurück zu bringen.

Sofort machte ich mich an die Arbeit. Die ersten Tage waren schrecklich. Auf Schritt und Tritt beobachtete mich Madame und tadelte bei jedem Fehler. Nach einiger Zeit besserte sich meine Lage. Ein neues Mädchen war in der Wäscherei und so hatte Madame jemand anderen zum quälen. Die arbeit war hart aber sehr schön. Vor allem war es jedes Mal aufregend wenn ich in die Prunkräume ging. Ganz versteckt über geheime Tapetentüren. Niemals wäre es Dienstboten gestattet gewesen die offiziellen Treppen zu benutzen. Doch die Räume die ich sah waren so prunkvoll. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es solche Pracht gab. Alle Fantasiebilder die ich mir über die Jahre ausgemalt hatte kamen nicht an das Original heran. Herrliche Gobelins, prachtvolle Möbel und vor allem so viele. In meines Vaters Wohnung standen zwei Betten, zwei Truhen und ein Tisch mit Sesseln. Doch hier gab es kleine Tischchen und große Tische, Betten mit Vorhängen, Truhen, kleine und große Schränke und vor allem sehr viele Spiegel. Ich war jedes Mal aufs Neue fasziniert.
Zu meinem großen Erstaunen fiel mir auch das Nähen und Sticken immer leichter. Ich war doch nicht so ungeschickt wie anfangs dachte und schon bald hatte ich viel Freude daran. Meine ganze Zeit verbrachte ich im Palast. Ich schlief auch dort, mit den anderen Mädchen in einem Raum am Dachboden. Dieser war in keiner Weise so luxuriös wie die übrigen Räume, aber es war warm, sauber und trocken.

Eines Tages, ich machte mich gerade auf den Weg in die Räume der Königin, kam ein junger Bursche, ungefähr in meinem Alter auf mich zu gerannt Er war von schlaksiger Figur, hatte langes dunkles Haar und seine Augen kamen mir bekannt vor. Es war Pierre, der Sohn von Marie. Wir begrüßten uns herzlich, denn schließlich hatten wir uns seit Jahren nicht mehr gesehen. Ich fragte ihn natürlich sofort nach Marie und Justine. Marie sei letzten Winter gestorben, erzählte er mir traurig und Justine habe geheiratet. Sie lebte mit ihrem Mann auf einem Bauernhof in der Nähe von Versailles. Das Leben dort gefalle ihr sehr gut. Nun fragte ich ihn natürlich auch noch was er denn hier um Schloss zu suchen habe. Pierre erzählte mir lange und ausführlich, dass er im Dienste des Kardinals stände. Im Moment sei der Kardinal auf ein kurzes Gespräch in den Palast gekommen. Denn eigentlich sei er bei den Truppen in La Rochelle. Mit wem er das Gespräch führte, dass konnte er mir nicht sagen. Ich gratulierte ihm zu seiner Stellung und trug ihm auf, meine besten Grüße an Justine auszurichten wenn er sie wieder sah.

Kurz darauf trat ich in das Gemach der Königin, ordnete die Wäsche im Kasten und wollte gerade gehen als ich Stimmen im Raum nebenan hörte. Ich wollte mich gerade zurückziehen als die Worte England, Buckingham und La Rochelle fielen. Seit Wochen hatte ich nur noch Gerüchte gehört über die Belagerung. Ich wusste auch nicht ob mein Vater und seien Freunde noch lebten oder bereits tot waren. Also beschloss ich kurz zu lauschen. Vielleicht würde ich endlich etwas Neues erfahren. Ich trat langsam zur Tür und sah durch das Schlüsselloch. Im angrenzenden Raum stand der Kardinal und neben ihm ein Herr den ich aber nicht genau sehen konnte. Wie ich richtig gehört hatte sprachen sie über den König und den Krieg. Sie beratschlagten sich über die beste Taktik und kamen zu dem Schluss, dass Buckingham aus dem Weg geräumt werden muss. Er dürfte unter keinen Umständen die Rebellen in La Rochelle unterstützen. Mir stockte der Atem. Ich hatte schon von Buckingham gehört und Gerüchte gingen um, dass er der Liebhaber der Königin sei. Der Kardinal sprach nun weiter und teilte dem anderen Herren mit, dass er Mylady de Winter mit dieser Aufgabe betrauen würde. Mylady de Winter, so nannte sich meine Mutter. Seit dem Abend, als Aramis zu mir kam um mit mir über die Ereignisse zwischen meinem Vater und meiner Mutter zu sprechen, hatte ich nicht mehr an sie gedacht. Und nun …………. Der Kardinal hatte aufgehört zu sprechen. Ich hörte wie sich bei der Tür Richtung Stiege näherten. Es bestand keine Gefahr, dass sie mich sehen würden, dennoch beschloss ich schleunigst zu verschwinden. Ein Satz beherrschte von nun an mein Denken. Ich musste es meinem Vater schreiben. Doch wie? Dann kam mir die Lösung ich lief in den Raum von Madame und stahl mir Papier und Feder, schrieb eilig die wichtigsten Inhalte des Gesprächs auf rannte zu Pierre. Wie ich aus dem Gespräch zwischen dem Kardinal und diesem seltsamen Herren erfuhr wollte beide bald wieder zurück nach La Rochelle. Pierre war im Dienste des Kardinals also würde er wohl auch bald wieder dorthin zurückkehren. Ich wollte ihm den Brief anvertrauen. Doch war es wirklich klug einem Diener des Kardinals solch etwas zu geben. Nun Pierre war nie besonders klug gewesen und er würde mir glauben, dass ich nur Sehnsucht, nach meinem Vater habe. Gesagt getan, ich erzählte Pierre wie sehr mir mein Vater fehlte, vergoss dabei ein paar Tränen und wie ich es vorhergesehen hatte, glaubte er mir. Er versprach mir hoch und heilig, dass er den Brief meinem Vater persönlich überreichen werde. Niemand würde ihn davon abhalten können. Ich war beruhigt und ging zurück an meine Arbeit.