"Die Gräfin de Winter" von Rochefort

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Kapitel Erste Schritte

Charlotte de Winter war zufrieden mit sich selbst. Endlich hatte sie in
Paris Fuß gefasst. Auch wenn sie bemüht gewesen war, hinsichtlich des
„vorzeitigen unglückseligen Dahinscheidens“ ihres englischen Gattens alle
Eventualitäten in Betracht zu ziehen und die Geschehnisse so zu arrangieren,
dass kein Verdacht auf sie fiel, so hatte sie es für ratsam gehalten, England
vorerst einmal auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Finanziell war sie
hinreichend abgesichert, denn Lord Winter war äußerst wohlhabend gewesen –
andernfalls wäre es ihr auch gar nicht eingefallen, ihn als ihren Gemahl zu
wählen! – und als seine Witwe bezog sie immer noch die Einkünfte aus seinen
Gütern.

Das Glück war ihr weiterhin hold gewesen, als sie erfahren hatte, dass in
einem der vornehmsten Viertel der Stadt, auf der Place Royal ein elegantes
Stadthaus zum Verkauf stand. Es war ihr nicht schwer gefallen, den Besitzer,
einen betagten Marquis, der beschlossen hatte, seinen Lebensabend auf seinem
Familiensitz auf dem Lande zu verbringen, davon zu überzeugen, sie den anderen Interessenten vorzuziehen… So hatte sie schon nach kurzer Zeit ihr
provisorisches Logis bei den Verwandten ihres verstorbenen Gemahls gegen diese komfortable und standesgemäße Residenz tauschen können. Auch überwältigte sie der Hof mit seinen zahlreichen Festivitäten. Dazu gesellten sich immer mehr Einladungen von vorwiegend adeligen männlichen Bekanntschaften. Zum Schein nahm sie diese nur sehrzögerlich an, war sie doch auf ihren guten Ruf bedacht.

Als großen Erfolg verbuchte sie es auch, dass sie schon zwei Wochen nach ihrer Ankunft in den berühmten „Salon Rambouillet“ eingeladen wurde. Die Schirmherrin des Salons de Rambouillet, war Catherine de Vivonne,
Marquise de Rambouillet, eine der am meisten beachteten Damen der Pariser
Gesellschaft. Ihr Salon gab zu dieser Zeit die Trends in Musik, Dichtkunst,
Mode und gutem Geschmack. Was den Damen des Salons de Rambouillet gefiel, waren vogue!

Eine einzige Tatsache jedoch gab es, die Charlotte etwas beunruhigte: Man beobachtete sie! Sie hatte gelernt, ein feines Gespür für solche Dinge zu entwickeln und sie war sich ganz sicher, dass sie sich nicht
irrte. Die Gräfin war es gewohnt, Aufmerksamkeit zu erregen, alle Blicke auf
sich zu ziehen und in Gesellschaft im Mittelpunkt zu stehen. Doch sie konnte
sehr gut zwischen dieser Art Aufmerksamkeit und einem gezielten Versuch sie
auszuspionieren unterscheiden! Zwar hatte sie bis jetzt nie eine konkrete
Person ausmachen können, auf der ihr diesbezüglicher Verdacht ruhte, doch es
hatte immer wieder Situationen gegeben, in denen sie sich sicher war bespitzelt
zu werden. Der Mann in der Toreinfahrt schräg vis-a-vis, dessen Gesicht im
Halbdunkel nicht zu erkennen war, hatte dort nicht zufällig gestanden, als sie
ihr Haus am Place Royale verließ. Und sie hatte sich auch sicher nicht eingebildet, dass bei manchen Abendgesellschaften dieser oder jene Dienstbote etwas länger in ihrer Nähe verharrte, während sie gerade ein Gespräch führte, als es zum Entzünden der Kerzen oder zum Nachschenken des Weines notwendig gewesen wäre. Sie begann zu überlegen, wann das begonnen hatte. Systematisch ging sie in Gedanken die Tage seit ihrer Ankunft in Paris durch – – ja, doch, sie erinnerte sich! Das Fest in den Tuilerien! Dort hatte sie das erste Mal das Gefühl gehabt, dass jemand sie beobachtete. Leider hatte sie denjenigen nie genauer ins Auge fassen können. Wenn sie jetzt zurückdachte, so gewann sie sogar den Eindruck, dass dieser Edelmann, der immer wieder verstohlen in ihre Richtunggeblickt hatte, bewusst ihre Nähe meiden wollte. Sie erinnerte sich nur, dass er damals ein Gewand von bordeauxroter Farbe getragen hatte, dass er groß, schlank und sein Haar dunkel war. Doch das waren zu wenige Anhaltspunkte, um gezielt nach ihm zu forschen. Und durch Fragen Aufmerksamkeit erregen wollte sie nicht.

 

Sie überlegte, ob sie einen Fehler begangen, irgendetwas
getan hatte, was diese unerwünschten Versuche, ihr nachzustellen ausgelöst
haben könnte. Doch ihr fiel nichts ein. Bis auf die Tatsache, dass sie
Engländerin war. Denn trotz der ausgehandelten Eheverbindung waren lange nicht alle Ressentiments zwischen den beiden Königreichen ausgeräumt und das beide versuchten, durch Spionage möglichst viel über die Pläne des jeweils anderen zu erfahren, war nicht weiter ungewöhnlich. Zudem war nun der Herzog von Buckingham schon seit fast einer Woche in Paris und seine glanzvollen Auftritte waren Tagesgespräch bei Hofe wie auch bei der Pariser Bevölkerung. Und mit seinem exaltierten und selbstherrlichen Gehabe hatte er sich nicht nur Freunde hier gemacht…

Mylady runzelte leicht verstimmt ihre schöne, blasse Stirn,
als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, während sie im Salon ihres Hauses auf einem mit feinster Seide bespannten Diwan ruhte. Vielleicht wäre es besser gewesen, erst nach Paris zu kommen, nachdem dieses ganze Hochzeits-Tam-Tam vorbei war … andererseits … es war ihr ratsam erschienen, England so bald als möglich hinter sich zu lassen. Hier in Frankreich sollte ihre Zukunft liegen, nicht auf dieser feuchten, nebeligen Insel. Die Heirat mit Lord Winter war eine Notwendigkeit gewesen, um sich eine neue Existenz aufzubauen, doch nun war sie frei und wollte ihr Leben nach ihren Vorstellungen gestalten. Ihre Lippen kräuselten sich leicht in einem verächtlich-spöttischen Lächeln, als sie sich ausmalte, wie leicht es ihr fallen würde, sich auch hier wieder einen der zahllosen wohlhabenden Herren zu angeln, die nur nach ihrem schönen Körper gierten… Aber nein, das war es nicht, was sie wollte. Schließlich konnte sie nicht jeden Ehegemahl nach kurzer Zeit verschwinden lassen. Irgendwann würde trotz aller Vorsicht der Verdacht auf sie fallen. Sie wusste noch nicht genau, wie sie ihr künftiges Leben hier gestalten wollte, aber es würde sich ein Weg auftun, dessen war Charlotte sich sicher. Sie war schon immer gut darin gewesen, Chancen, die sich ihr boten, zu erkennen und zu ergreifen. Was sie dabei allerdings ganz und gar nicht brauchen konnte, war, dass man sie festsetzte, weil man sie für eine englische Spionin hielt.

Was also war zu tun? Sich in ihrem Haus zu verstecken kam
nicht in Frage – damit würde sie sich erst recht verdächtig machen. In allen
Gesprächen hatte sie sorgfältig irgendwelche verfänglichen politischen
Äußerungen vermieden. Sie zeigte sich informiert und interessiert, vor allem an
diversem Hofklatsch, der in Umlauf war, doch sie bezog niemals Stellung. Was
gingen auch eine Lady, die hier war um das Leben zu genießen, irgendwelche
politischen Querelen an? Sie vermied es sorgfältig den Anschein zu erwecken,
dass sie einer bestimmten Partei bei Hofe – der royalistischen, der
kardinalistischen oder auch der von Königin Anna – in irgendeiner Weise den
Vorzug gab. Sie pflegte Kontakte in alle Richtungen und nahm gesellschaftliche
Einladungen von unterschiedlichsten Personen an, egal welcher Fraktion sie angehörten.

Nein, sie war sich keiner Unachtsamkeit bewusst und sie
würde daher auch an ihren momentanen Gewohnheiten nichts ändern. Es würde sich schon noch herausstellen, wer da so auffallendes Interesse an ihr hatte. Vielleicht erspähte sie ja jenen Edelmann aus den Tuilerien irgendwo und dann würde sie herausfinden, wer er war. Sie war sich sicher, dass der Schlüssel zu dem Rätsel bei ihm zu finden war…