"Die Gräfin de Winter" von Rochefort
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 30 BewertungenKapitel Erste Schritte
Charlotte de Winter war zufrieden mit sich selbst. Endlich hatte
sie in
Paris Fuß gefasst. Auch wenn sie bemüht gewesen war, hinsichtlich
des
„vorzeitigen unglückseligen Dahinscheidens“ ihres englischen
Gattens alle
Eventualitäten in Betracht zu ziehen und die Geschehnisse so zu
arrangieren,
dass kein Verdacht auf sie fiel, so hatte sie es für ratsam
gehalten, England
vorerst einmal auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Finanziell war
sie
hinreichend abgesichert, denn Lord Winter war äußerst wohlhabend
gewesen –
andernfalls wäre es ihr auch gar nicht eingefallen, ihn als ihren
Gemahl zu
wählen! – und als seine Witwe bezog sie immer noch die Einkünfte
aus seinen
Gütern.
Das Glück war ihr weiterhin hold gewesen, als sie erfahren
hatte, dass in
einem der vornehmsten Viertel der Stadt, auf der Place Royal ein
elegantes
Stadthaus zum Verkauf stand. Es war ihr nicht schwer gefallen, den
Besitzer,
einen betagten Marquis, der beschlossen hatte, seinen Lebensabend
auf seinem
Familiensitz auf dem Lande zu verbringen, davon zu überzeugen, sie
den anderen Interessenten vorzuziehen… So hatte sie schon nach
kurzer Zeit ihr
provisorisches Logis bei den Verwandten ihres verstorbenen Gemahls
gegen diese komfortable und standesgemäße Residenz tauschen können.
Auch überwältigte sie der Hof mit seinen zahlreichen Festivitäten.
Dazu gesellten sich immer mehr Einladungen von vorwiegend adeligen
männlichen Bekanntschaften. Zum Schein nahm sie diese nur
sehrzögerlich an, war sie doch auf ihren guten Ruf bedacht.
Als großen Erfolg verbuchte sie es auch, dass sie schon zwei
Wochen nach ihrer Ankunft in den berühmten „Salon Rambouillet“
eingeladen wurde. Die Schirmherrin des Salons de Rambouillet, war
Catherine de Vivonne,
Marquise de Rambouillet, eine der am meisten beachteten Damen der
Pariser
Gesellschaft. Ihr Salon gab zu dieser Zeit die Trends in Musik,
Dichtkunst,
Mode und gutem Geschmack. Was den Damen des Salons de Rambouillet
gefiel, waren vogue!
Eine einzige Tatsache jedoch gab es, die Charlotte etwas
beunruhigte: Man beobachtete sie! Sie hatte gelernt, ein feines
Gespür für solche Dinge zu entwickeln und sie war sich ganz sicher,
dass sie sich nicht
irrte. Die Gräfin war es gewohnt, Aufmerksamkeit zu erregen, alle
Blicke auf
sich zu ziehen und in Gesellschaft im Mittelpunkt zu stehen. Doch
sie konnte
sehr gut zwischen dieser Art Aufmerksamkeit und einem gezielten
Versuch sie
auszuspionieren unterscheiden! Zwar hatte sie bis jetzt nie eine
konkrete
Person ausmachen können, auf der ihr diesbezüglicher Verdacht
ruhte, doch es
hatte immer wieder Situationen gegeben, in denen sie sich sicher
war bespitzelt
zu werden. Der Mann in der Toreinfahrt schräg vis-a-vis, dessen
Gesicht im
Halbdunkel nicht zu erkennen war, hatte dort nicht zufällig
gestanden, als sie
ihr Haus am Place Royale verließ. Und sie hatte sich auch sicher
nicht eingebildet, dass bei manchen Abendgesellschaften dieser oder
jene Dienstbote etwas länger in ihrer Nähe verharrte, während sie
gerade ein Gespräch führte, als es zum Entzünden der Kerzen oder
zum Nachschenken des Weines notwendig gewesen wäre. Sie begann zu
überlegen, wann das begonnen hatte. Systematisch ging sie in
Gedanken die Tage seit ihrer Ankunft in Paris durch – – ja, doch,
sie erinnerte sich! Das Fest in den Tuilerien! Dort hatte sie das
erste Mal das Gefühl gehabt, dass jemand sie beobachtete. Leider
hatte sie denjenigen nie genauer ins Auge fassen können. Wenn sie
jetzt zurückdachte, so gewann sie sogar den Eindruck, dass dieser
Edelmann, der immer wieder verstohlen in ihre Richtunggeblickt
hatte, bewusst ihre Nähe meiden wollte. Sie erinnerte sich nur,
dass er damals ein Gewand von bordeauxroter Farbe getragen hatte,
dass er groß, schlank und sein Haar dunkel war. Doch das waren zu
wenige Anhaltspunkte, um gezielt nach ihm zu forschen. Und durch
Fragen Aufmerksamkeit erregen wollte sie nicht.
Sie überlegte, ob sie einen Fehler begangen, irgendetwas
getan hatte, was diese unerwünschten Versuche, ihr nachzustellen
ausgelöst
haben könnte. Doch ihr fiel nichts ein. Bis auf die Tatsache, dass
sie
Engländerin war. Denn trotz der ausgehandelten Eheverbindung waren
lange nicht alle Ressentiments zwischen den beiden Königreichen
ausgeräumt und das beide versuchten, durch Spionage möglichst viel
über die Pläne des jeweils anderen zu erfahren, war nicht weiter
ungewöhnlich. Zudem war nun der Herzog von Buckingham schon seit
fast einer Woche in Paris und seine glanzvollen Auftritte waren
Tagesgespräch bei Hofe wie auch bei der Pariser Bevölkerung. Und
mit seinem exaltierten und selbstherrlichen Gehabe hatte er sich
nicht nur Freunde hier gemacht…
Mylady runzelte leicht verstimmt ihre schöne, blasse
Stirn,
als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, während sie im Salon
ihres Hauses auf einem mit feinster Seide bespannten Diwan ruhte.
Vielleicht wäre es besser gewesen, erst nach Paris zu kommen,
nachdem dieses ganze Hochzeits-Tam-Tam vorbei war … andererseits …
es war ihr ratsam erschienen, England so bald als möglich hinter
sich zu lassen. Hier in Frankreich sollte ihre Zukunft liegen,
nicht auf dieser feuchten, nebeligen Insel. Die Heirat mit Lord
Winter war eine Notwendigkeit gewesen, um sich eine neue Existenz
aufzubauen, doch nun war sie frei und wollte ihr Leben nach ihren
Vorstellungen gestalten. Ihre Lippen kräuselten sich leicht in
einem verächtlich-spöttischen Lächeln, als sie sich ausmalte, wie
leicht es ihr fallen würde, sich auch hier wieder einen der
zahllosen wohlhabenden Herren zu angeln, die nur nach ihrem schönen
Körper gierten… Aber nein, das war es nicht, was sie wollte.
Schließlich konnte sie nicht jeden Ehegemahl nach kurzer Zeit
verschwinden lassen. Irgendwann würde trotz aller Vorsicht der
Verdacht auf sie fallen. Sie wusste noch nicht genau, wie sie ihr
künftiges Leben hier gestalten wollte, aber es würde sich ein Weg
auftun, dessen war Charlotte sich sicher. Sie war schon immer gut
darin gewesen, Chancen, die sich ihr boten, zu erkennen und zu
ergreifen. Was sie dabei allerdings ganz und gar nicht brauchen
konnte, war, dass man sie festsetzte, weil man sie für eine
englische Spionin hielt.
Was also war zu tun? Sich in ihrem Haus zu verstecken kam
nicht in Frage – damit würde sie sich erst recht verdächtig machen.
In allen
Gesprächen hatte sie sorgfältig irgendwelche verfänglichen
politischen
Äußerungen vermieden. Sie zeigte sich informiert und interessiert,
vor allem an
diversem Hofklatsch, der in Umlauf war, doch sie bezog niemals
Stellung. Was
gingen auch eine Lady, die hier war um das Leben zu genießen,
irgendwelche
politischen Querelen an? Sie vermied es sorgfältig den Anschein zu
erwecken,
dass sie einer bestimmten Partei bei Hofe – der royalistischen,
der
kardinalistischen oder auch der von Königin Anna – in irgendeiner
Weise den
Vorzug gab. Sie pflegte Kontakte in alle Richtungen und nahm
gesellschaftliche
Einladungen von unterschiedlichsten Personen an, egal welcher
Fraktion sie angehörten.
Nein, sie war sich keiner Unachtsamkeit bewusst und sie
würde daher auch an ihren momentanen Gewohnheiten nichts ändern. Es
würde sich schon noch herausstellen, wer da so auffallendes
Interesse an ihr hatte. Vielleicht erspähte sie ja jenen Edelmann
aus den Tuilerien irgendwo und dann würde sie herausfinden, wer er
war. Sie war sich sicher, dass der Schlüssel zu dem Rätsel bei ihm
zu finden war…