"Die Gräfin de Winter" von Rochefort
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 30 BewertungenKapitel Gespräch im Garten
span style="color: #000000;">Zwei Männer schritten die sorgfältig gepflegten bekiesten Wege im Garten des Palais Cardinal entlang. Auch wenn er im Moment nicht seine Staatsrobe trug, sondern eine etwas schlichtere aber für einen Spaziergang weitaus praktischere Soutane, so war doch an der scharlachroten Farbe des Kleidungsstückes unschwer zu erkennen, wen man vor sich hatte: Kardinal Armand-Jean du Plessis de Richelieu, Erster Minister seiner Majestät König Louis XIII. von Frankreich. Zum Schutz gegen die bereits spürbare abendliche Kühle hatte er um seine Schultern einen ebenfalls roten, mit Zobelpelz verbrämten Umhang gelegt. Eine heftige Erkältung hatte ihm erst vor kurzem arg zugesetzt und immer noch überkamen ihn höchst unangenehme Hustenanfälle – so wie gerade eben wieder.
span style="color: #000000;">Sein Begleiter, der Seiner Eminenz gerade etwas Interessantes zu berichten schien, hielt inne und warf ihm einen besorgten Blick zu. „Monseigneur, wollt Ihr nicht doch lieber ins Haus zurückkehren? Ihr seid noch nicht ganz wieder hergestellt.“ Richelieu machte eine abwehrende Geste. „Nein, das geht schon. Die frische Luft tut mir gut und der Mantel ist warm.“ Er steuerte eine von der Abendsonne beschienene Bank an und ließ sich darauf nieder. Sein Begleiter setzte sich ohne jede Förmlichkeit oder eine Erlaubnis abzuwarten neben ihn. Die ganze Szene hatte etwas sehr Vertrautes. Einen imaginären Beobachter hätte es wohl verwundert, dass es jemand in der Gegenwart des gefürchteten Ersten Ministers von Frankreich wagte, sich so zwanglos zu betragen.
span style="color: #000000;">Der – bis auf den Spitzenkragen und die Manschetten seines Wamses – schwarz gekleidete Edelmann hatte nun offenbar seinen Bericht beendet. „Ihr habt einen guten Blick für Menschen“, meinte der Kardinal nach einigen Augenblicken nachdenklichen Schweigens. „Diese Frau scheint in der Tat eine ganz außergewöhnliche Ausstrahlung zu haben. Ihr habt recht damit, dass es von Nutzen sein könnte, mehr … Robyn!! Hör‘ sofort auf damit!!“ Seine Eminenz versuchte nach etwas zu greifen, das sich anscheinend unter der Bank befand. „Schluss damit! Lass‘ den Unfug!“ rief nun auch der Edelmann, sprang auf und zog ein sich sträubendes, hellgraues Fellbündel mit übergroßen Pfoten und vorwitzig dreinblickenden Augen unter der Bank hervor, das sich bei näherem Hinsehen als ein vielleicht 12 Wochen alter Irish Wolfhound-Welpe entpuppte. Der kleine Racker hatte sich offenbar in der hinter der Bank befindlichen Hecke verborgen, um dort auf Opfer für sein derzeit liebstes Spiel zu lauern, nämlich seine nadelspitzen Milchzähne an Knöcheln und Waden nichtsahnender Zweibeiner zu erproben. Dass es sich dabei in diesem Falle um die Knöchel des hochwürdigen Kardinals Richelieu handelte, schien ihn nicht im Mindesten zu stören! Und noch viel weniger schien er einzusehen, warum er nun auch noch zurechtgewiesen und angeleint wurde. Nach einigen vergeblichen Versuchen, sich zu befreien, ließ er sich schließlich mit einem resignierten Seufzen neben der Bank zu Boden sinken. Die Welt war ungerecht!
span style="color: #000000;">„Diese vierbeinige Plage hat mir gerade noch gefehlt“, knurrte Seine Eminenz missbilligend. „Ihr hättet ihn in England lassen sollen, Rochefort. Die verrückten Pferde, die Ihr immer wieder anschleppt, um sie auszubilden, bleiben wenigstens in den Stallungen, aber dieses Untier bringt meinen ganzen Haushalt durcheinander.“ Das schlechte Gewissen seines Stallmeisters schien sich in Grenzen zu halten, im Gegenteil, Richelieu meinte da sogar ein amüsiertes Funkeln in den Augen des Grafen zu entdecken. Vor einer Woche hatte Rochefort den Welpen mitgebracht und seither erfüllte Robyn wann immer er anwesend war die Gemächer des Palais mit heiterer Lebendigkeit. Und im Grunde, dessen war sich sein Stallmeister sicher, hatte der Kleine längst das Herz des Kardinals erobert…
span style="color: #000000;">„Was ich vorhin sagen wollte – “, fuhr Richelieu nach dieser Unterbrechung fort, „es könnte von Nutzen sein, mehr über diese Gräfin de Winter in Erfahrung zu bringen. Was sind die Gründe für ihren Aufenthalt in Frankreich? Hat sie vor, länger hier zu bleiben? Verfolgt sie bestimmte Ziele? Gibt es Leute, mit denen sie häufig Kontakt pflegt? Und so weiter. Überprüft das.“ Rochefort nickte: „Ich habe bereits damit begonnen und werde auch in England Erkundigungen über sie einziehen.“ Der Graf wirkte nachdenklich. „An diesem Abend in den Tuilerien habe ich mir vorzustellen versucht, was diese Frau erreichen kann, wenn sie sich ihrer Wirkung auf Männer ganz gezielt bedient… und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich dieser ihrer Macht voll bewusst ist und sie auch einsetzt – trotz dieses Hauches von Unschuld, mit dem sie sich zu umgeben bemüht war. Wenn es uns gelingen würde, sie auf unsere Seite zu ziehen – – Das Heikle an der Sache ist: Sie könnte genauso gut eine englische Spionin sein.“
span style="color: #000000;">Die Miene Seiner Eminenz verdüsterte sich bei diesen Worten. Es stand nämlich ein bedeutsames Ereignis unmittelbar bevor, ein Ereignis, das die Beziehungen zwischen Frankreich und England entscheidend beeinflussen und verändern konnte: die Vermählung der französischen Prinzessin Henriette, einer jüngeren Schwester von König Louis, mit dem englischen König Karl I. Der Kardinal hatte zäh daran gearbeitet, diese Verbindung zustande zu bringen, in erster Linie um zu verhindern, dass bei den Heiratsplänen des englischen Herrschers eine Kandidatin aus dem feindlichen Spanien zum Zuge kam. Doch diesseits wie jenseits des Kanals gab es nicht nur Befürworter dieser Ehe, sondern genügend einflussreiche Personen, die bis zuletzt versucht hatten, die Heirat zu hintertreiben. Hatte jemand von ihnen diese Lady de Winter womöglich damit beauftragt, irgendeine Intrige zu spinnen, die die Hochzeit im letzten Augenblick platzen lassen sollte? In wenigen Tagen würde eine englische Delegation unter der Leitung von George Villiers, Duke of Buckingham, dem Ersten Minister von König Karl, in Paris eintreffen, um die Braut in Empfang zu nehmen und nach England zu geleiten. Unangenehme Überraschungen konnte Richelieu also im Moment ganz und gar nicht gebrauchen.
span style="color: #000000;">Sein Geheimdienstchef schien seine Gedanken zu erraten. „Aber wenn dem so sein sollte, dann wird es ihr nicht gelingen, Schaden anzurichten. Ich kümmere mich darum.“