"Die Gräfin de Winter" von Rochefort

  Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 30 Bewertungen

Kapitel Die Gärten von Amiens Teil 1

Indessen hatte der Geheimdienstchef Seiner Eminenz keine Zeit sich persönlich um die geheimnisvolle Engländerin zu kümmern. Die Vorgänge rund um die englisch-französische Hochzeit hatten Vorrang vor allem anderen und
Richelieu wünschte, dass er das Netz an Agenten und Informanten, mit denen er die daran beteiligten hohen Herrschaften umgeben hatte, persönlich koordinierte und alles von Belang sofort an ihn weiter leitete.

Prinzessin Henriette hat ihre Reise in Richtung der englischen Heimat ihres königlichen Gemahls bereits angetreten. Begleitet wurde sie dabei von Königin Anna, der Königinmutter Maria de Medici und natürlich der englischen Delegation unter Führung des Herzogs von Buckingham. Die französische Hofgesellschaft wollte ihr bis zur Küste das Geleit geben. Rochefort hatte sich ebenfalls auch den Weg gemacht, jedoch nicht offen im Gefolge der Prinzessin, sondern der Reisegesellschaft in einigem Abstand heimlich folgend. Er war zu bekannt bei Hofe; wenn er spionieren wollte, musste das unbemerkt geschehen. Seine offensichtliche Anwesenheit würde all jene, die er beobachten wollte, warnen und zur Vorsicht mahnen. Der Stellvertreter des Stallmeisters von Maria de Medici, welcher im Solde des Kardinals stand, leitete dem Grafen die Mitteilungen der diversen Spitzel weiter und umgekehrt konnte Rochefort ihnen auf diesem Wege neue Anweisungen zukommen lassen. 

In erster Linie war es der Herzog von Buckingham, der fast täglich für neuen Gesprächsstoff sorgte. Seine schwärmerische, über jedes schickliche Maß bei weitem hinaus gehende Verehrung für Königin Anna erregte zunehmend den Unmut Seiner Majestät und auch Richelieu fand dieses Verhalten des englischen Premierministers schlichtweg inakzeptabel – was diesen aber nicht im Mindesten zu kümmern schien! Und Rochefort selbst hatte spätestens nach jenem Zwischenfall bei Hofe eine ausgeprägte Abneigung gegen den
großsprecherischen Herzog entwickelt.

Es war bei einem der ersten Empfänge gewesen, die der König für die englische Delegation im Louvre gegeben hatte. Der Stallmeister des Kardinals hatte seinen Herrn dorthin begleitet und irgendwie schien Rochefort im Verlauf des Abends den Unmut Buckingshams erregt zu haben. Vielleicht lag es daran, dass er nicht einmal den Versuch machte zu verbergen, dass er sich von dem großartigen Auftreten des Herzogs, der zu erwarten schien, dass ihm alle
Welt in uneingeschränkter Bewunderung zu Füßen lag, nicht im Mindesten
beeindrucken ließ. Wie dem auch sei – jedenfalls schlenderte der Herzog wie
zufällig vorbei, als sich Rochefort gerade in angeregter Konversation mit der
Marquise de Rambouillet und einigen Mitgliedern ihres Salons befand und
gesellte sich zu ihnen. Geschickt brachte er das Gespräch auf das Thema Mode
und deren Stellenwert um dann ganz beiläufig die Bemerkung fallen zu lassen:

„Es ist doch zu schade, dass man einen eleganten Kavalier wie Monsieur le Comte de Rochefort immer nur in traurigem Schwarz sieht.“

(Dazu muss man wissen, dass der Graf, vor allem bei Hofe, schwarze Kleidung bevorzugte. Es war seine Art, sich vom Rest der meist papageienbunt gekleideten Schar der Höflinge abzuheben und zu signalisieren, dass er es absolut nicht für notwendig erachtete, sich irgendwelchen Modediktaten zu unterwerfen.)

„Würdet Ihr in meinen Diensten stehen, so seid versichert, dass Ihr es Euch leisten könntet, jeden Tag nach der neuesten Mode gekleidet zu sein.“

Der Angesprochene hob leicht die Augenbrauen und musterte den Herzog demonstrativ von seinen sündhaft teuren, mit aufwendigen Schnallen
geschmückten Schuhen über die seidenen Strümpfe bis zu seinem
juwelenverzierten, über und über mit Schleifen und Bändern verzierten Wams.

„Monsieur le Duc“, erwiderte er sodann sanft mit einer spöttischen kleinen Verbeugung. „Eure Sorge um mein Wohlergehen rührt mich zutiefst.“ Die Worte des Grafen troffen förmlich vor Ironie. „Mir ist bewusst, dass es Leute gibt, die ihrer Kleidung einen übertriebenen Stellenwert beimessen – wohl um damit von gewissen Unzulänglichkeiten ihres Charakters abzulenken.“ Letzteren Teil des Satzes hatte Rochefort bewusst sehr betont gesprochen und blickte dabei dem Engländer direkt und herausfordernd ins Gesicht, um nach einer winzigen Pause fortzufahren: „Da ich mich selbst aber nicht zu selbigen zähle, so seid versichert, dass ich mit meiner momentanen Situation voll und ganz zufrieden bin.“

Die Umstehenden hielten den Atem an und Buckingham wurde erst blass, dann schoss ihm die Zornesröte ins Gesicht. Man sah ihm überdeutlich an, dass er den Unverschämten am liebsten geohrfeigt hätte, doch das wagte hier vor versammelter Hofgesellschaft nicht einmal er. „Ich werde es mir merken, Monsieur de Rochefort“, gab er dann in vor Wut leicht gepresstem Tonfall zurück. Und sich zu dem Grafen neigend, fügte er gefährlich leise hinzu: „Und ich werde mir Euch merken.“

„Herzogliche Durchlaucht, es ist mir die allergrößte Ehre, einen dauerhaften Platz in Euren Gedächtnis gefunden zu haben.“ Falls dies überhaupt noch möglich war, so hatte sich der Spott in Rocheforts Stimme noch vertieft.

Just in dem Augenblick bat der Zeremonienmeister die anwesenden Gäste zum Tanz, was Buckingham dazu nützte, sich mit einer brüsk-arroganten Bewegung von seinem Kontrahenten abzuwenden. Mit vollendeter Eleganz verbeugte er sich vor einer hübschen jungen Vicomtesse, die ihm schon die ganze Zeit schmachtenden Blick zugeworfen hatte, und geleitete sie auf die Tanzfläche.

Der Stallmeister Seiner Eminenz blickte ihm hinterher und man hatte den Eindruck, dass er Mühe hatte, nicht in ungebührlich schallendes Gelächter auszubrechen. Die Marquise de Rambouillet schlug ihm tadelnd mit dem
Fächer auf den Arm. „Also wirklich, Monsieur le Comte, war das nicht etwas
leichtfertig, sich den Herzog so zum Feind zu machen?“ Der Graf zuckte die
Schultern. „Und wenn schon… das musste einfach sein. … Erweist Ihr mir die Ehre dieses ersten Tanzes?“

Tags darauf stand dann in aller Morgenfrühe ein englischer Edelmann vor dem Stadthaus des Grafen und wünschte Rochefort zu sprechen. Als ihn dieser in den Salon gebeten hatte, entledigte er sich sogleich seines Auftrages: Seine fürstlichen Gnaden, der Herzog, würden ihn heute Abend bei Sonnenuntergang hinter dem Luxembourg erwarten, um einen gewissen Vorfall am vergangenen Abend so zu bereinigen wie es sich für Kavaliere geziemte. Er möge einen Sekundanten seiner Wahl mitbringen. Der Stallmeister seiner Eminenz hatte ihn ruhig angehört, um ihm dann mitzuteilen, dass es ihm unendlich leid tue, der Einladung des Herrn Herzogs nicht Folge leisten zu können, aber es gäbe in Frankreich gewisse königliche Edikte, die ein Stelldichein dieser Art untersagen würden - als treuer Untertan seiner Majestät könne er sich einen derartigen Gesetzesbruch keinesfalls leisten. Die Miene des Engländers sagte alles darüber, was er von dieser Antwort hielt, doch den Grafen schien dies nicht weiter zu kümmern und er entließ seinen frühen Besucher mit kühler Höflichkeit.

Rochefort hatte die eben geschilderten Szenen vor seinem geistigen Auge, als er in seiner Kammer in einem der Gasthöfe von Amiens saß und auf Nachricht von seinen Informanten wartete. Verrückter Engländer! Wenn er so weiter machte, würde er es wirklich noch schaffen, einen handfesten Skandal
und eine diplomatische Krise zwischen England und Frankreich herauf zu
beschwören… Der Graf schritt unruhig im Zimmer auf und ab. Vor dem Abend wurde es vermutlich sowieso keine Neuigkeiten geben und er hasste es, untätig zu sein. Warum also nicht versuchen, ob man nicht doch auch selbst ein paar Dinge in Erfahrung bringen könnte. Das Wetter war sonnig und mild – wie geschaffen für einen Spaziergang. Die Hofgesellschaft würde sich sicher gerade in den weitläufigen Gärten des Schlosses von Amiens tummeln. Da gab es unter Garantie das eine oder andere interessante Gespräch zu belauschen…

Kurz entschlossen verließ er den Gasthof und machte sich auf den Weg durch die Stadt in Richtung seines Zieles. In der schlichten Kleidung eines einfachen Stadtbürgers fiel er im Menschengewühl der durch die Anwesenheit der hohen Gäste hoffnungslos überfüllten Stadt nicht im Geringsten auf. Während des Gehens überlegte er, wie er am besten unbemerkt in die Gärten gelangen könnte, denn natürlich wurden auch diese gut bewacht, um die Sicherheit
der adeligen Herrschaften zu gewährleisten. Sein Blick fiel auf zwei
aufgeweckte Straßenjungen, die lautstark ihre Dienste beim Schuhe Putzen oder
für einen Botengang anboten und ihm kam eine Idee…

Etwa eine halbe Stunde später befand sich der Graf nahe der rückwärtigen Mauer der Gärten. Entlang dieser Mauer führte ein Karrenweg, jenseits des Weges erstreckte sich ein kleines Wäldchen, das dem Agenten Seiner Eminenz Deckung genug bot, um auf seine Gelegenheit zu warten. Die beiden Burschen waren Feuer und Flamme gewesen, als er ihnen weis gemacht hatte, dass er eine Liebste unter den Hofdamen der Königin hätte und nun eine Möglichkeit
finden müsse, unbemerkt in die Gärten des Schlosses zu einem Stelldichein mit
ihr zu gelangen. In erster Linie ausschlaggebend für ihren Eifer waren aber
natürlich die Münzen gewesen, die ihnen Rochefort als Belohnung in Aussicht
gestellt hatte. So viel, wie ihnen dieser Fremde versprochen hatte, würden sie
sich ansonsten nicht einmal in einer Woche verdienen können! Wohlweislich hatte Armand ihnen jedoch vorerst einmal nur die Hälfte der Summe als „Anzahlung“ gegeben, den Rest würden sie erst bekommen, wenn sie ihre Aufgabe zufriedenstellend ausgeführt hatte.

Die beiden königlichen Musketiere beobachtend, die an der Mauer entlang patrouillierten, harrte Rochefort seiner jungen Helfer – und da bogen sie auch schon um die Ecke, lautstark miteinander streitend! Einer schubste den
anderen und im Nu war eine handfeste Rauferei im Gange. Ärgerlich blickten die Musketiere zu den Störenfrieden. „He, was soll das!“ rief einer von ihnen.
„Macht, dass ihr weiterkommt!“ Doch die Jungen schienen ihn gar nicht zu hören. Schließlich riss sich der Kleinere los und versuchte wegzulaufen, der Ältere hob einen Stein auf und schleuderte ihn dem Verlierer nach. – Doch das
Wurfgeschoss verfehlte den Burschen und erwischte stattdessen den in einiger
Entfernung dahinter stehenden Musketier. „Verdammter Lausebengel!“ schimpfte der Getroffene wütend. „Das reicht jetzt. Du brauchst wohl eine Tracht Prügel!“ Er stürmte los; der zweite Musketier blieb stehen, blickte jedoch in Richtung seines Kameraden, um zu sehen, ob er der Störenfriede habhaft werden konnte.

Diese kleine Ablenkung reichte Rochefort. Mit ein paar schnellen Sprüngen war er bei der Mauer, zog sich hoch und glitt an der anderen Seite im Schutze einiger Büsche wieder herab.