"Die Gräfin de Winter" von Rochefort

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Kapitel Die Gärten von Amiens - Teil 2

span style="color: #000000;">Vorsichtig jede Deckung nutzend, bewegte sich Rochefort tiefer in die Gartenanlage hinein. Sie war prachtvoll gestaltet – kunstvolle Heckenlabyrinthe, verträumte Lauben und Wandelgänge wechselten mit üppigen, in geometrischen Mustern angelegten Blumenbeeten. Dazwischen spendeten plätschernde Springbrunnen angenehme Kühle und marmorne Statuen, die Figuren und Szenen aus der griechischen Mythologie darstellten, verliehen den Gärten einen leicht mystischen Zauber.

span style="color: #000000;">Wie der Graf vermutete, hatte die wärmende Frühlingssonne viele dazu verlockt, diesen herrlichen Mainachmittag im Freien zu verbringen. Auf einer Wiesenfläche ergötze sich eine Gruppe von Hofdamen unter lautem Gelächter mit einem Ballspiel. Mehrere Paare flanierten die Wege entlang, manche auf der Suche nach einem versteckten Plätzchen für ungestörte Zweisamkeit. Eine Gruppe junger Höflinge lagerte im Gras, die Reste eines Picknicks und mehrere Weinflaschen um sich verstreut, und unterhielt sich lebhaft. Aus einigen Wortfetzen, die zu ihm hinüber drangen, konnte Armand entnehmen, dass sie Englisch sprachen. Er entschied, sich dieser Gruppe zu nähern, vielleicht beredeten sie etwas von Interesse. Eine Gruppe üppig blühender Fliedersträucher einige Meter hinter den Männern bot ein geeignetes Versteck. Da der Stallmeister Seiner Eminenz das Englische fließend in Wort und Schrift beherrschte, hatte er keine Mühe, dem Gespräch zu folgen – und war im ersten Moment etwas enttäuscht, denn es ging um vergangene amouröse Abenteuer des Herzogs von Buckingham!

span style="color: #000000;">Nicht dass die Bettgeschichten der hohen Herrschaften in seinem Metier nicht häufig von größter Bedeutung sein konnten … aber Histörchen, die längst passé waren, versprachen nun einmal wenig aktuell brauchbare Informationen. Schon überlegte Rochefort, ob er sich leise zurückziehen und nach anderen „Opfern“ Ausschau halten sollte, als ein Name fiel, der ihn augenblicklich aufhorchen ließ:

span style="color: #000000;">„Also ich bin überzeugt, dass es außer Königin Anna sehr wohl noch eine Frau gibt, die Buckingham dauerhaft zu fesseln vermag – und zwar die Gräfin de Winter.“

span style="color: #000000;">„Ach was, die war doch damals nur wenige Tage bei Hofe und soweit ich weiß, ist es nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich was hatte mit dem Herzog“, entgegnete ein anderer aus der Gruppe, ein schlaksiger rotblonder Jüngling.

span style="color: #000000;">„Und ob sie was mit ihm hatte – ich weiß es aus verlässlicher Quelle“, das könnt Ihr mir glauben, Mortimer“, hielt sein Gesprächspartner dagegen, der sich trotz seiner Jugend schon ganz das Gebaren eines erfahrenen Hofmannes angeeignet hatte. „Er hat ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen und er hätte ihr das ganze Königreich zu Füßen gelegt, ganz so, wie er es jetzt für Königin Anna tun würde. Aber nach kaum einer Woche ist die de Winter dann wieder abgereist, wohl wegen der Erkrankung ihres Mannes. Ihr hättet den Herzog sehen sollen, als sie weg war – so habe ich ihn noch nie erlebt. Er hat sich wirklich gebärdet wie ein Liebeskranker!“

span style="color: #000000;">Die drei anderen Männer reagierten mit allen Anzeichen der Verblüffung: „Tatsächlich?“… „Er hat sich sonst nie etwas aus seinen verflossenen Liebschaften gemacht!“ … „Das ist in der Tat erstaunlich – wie hat er denn reagiert?“

span style="color: #000000;">„Zuerst hat er getobt. Dann hat er sich mehrere Tage in seinem Schlafzimmer eingeschlossen und wollte niemanden sehen. Und denkt Euch nur“, der Höfling senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, „er hat ihr sogar Briefe geschrieben, in denen er sie angefleht hat, zu ihm zurück zu kommen. Ich weiß es von einem seiner Kämmerer, der einen Blick darauf erhaschen konnte.“

span style="color: #000000;">„Nein!“ … „Was Ihr nicht sagt!“ … „Das ist ja kaum zu glauben.“

span style="color: #000000;">„Doch, genauso war es, das könnt Ihr mir glauben“, fuhr der junge Mann eifrig fort, offenbar erfreut darüber, mit dieser Geschichte so im Mittelpunkt des Interesses seiner Freunde zu stehen. „Diese Lady de Winter hat einfach etwas an sich – ich weiß selbst nicht, wie ich es beschreiben soll“, suchte er nach Worten. „Sie ist eine wahre Schönheit, aber da ist noch mehr – eine unglaubliche Ausstrahlung, etwas, das jeden Mann verrückt macht. Sie hätte alles von Buckingham haben können, wäre sie am Hof geblieben. Aber offenbar hat sie sich anders entschieden. Nach dem Tod ihres Gatten soll sie zurück nach Frankreich gegangen sein. Angeblich ist sie ja Französin von Geburt. Ich hatte mich schon gefragt, ob wir sie vielleicht in Paris zu sehen bekommen würden, doch auf den Empfängen und Festen für den Herzog war sie nicht zugegen. Sie wollte wohl eine Begegnung mit ihm vermeiden, nachdem sie ihn so schnöde sitzen gelassen hat.“ Er grinste.

span style="color: #000000;">Die Höflinge tauschten noch eine Weile ihre Meinungen über die Gräfin de Winter und ihre Gründe Buckingham beziehungsweise England zu verlassen aus, bevor sie sich anderem, für Rochefort unwichtigen, Klatsch zuwandten.

span style="color: #000000;">Der Graf überdachte indessen das Gehörte. Was hier erzählt worden war, vermittelte wirklich nicht unbedingt den Eindruck, dass diese Engländerin eine Spionin war; zumindest keine des Herzogs. Sie schien eine sehr selbstständige und unabhängige Persönlichkeit zu sein – vielleicht ein Grund, warum sie trotz aller Privilegien, die die Position als Mätresse des mächtigsten Mannes von England geboten hätte, dieser Verlockung nicht erlegen war. Denn trotz allem war das Leben einer Mätresse ein Leben in einem goldenen Käfig… Rochefort war gespannt, ob sich der Bericht seiner englischen Informanten mit dem Inhalt dieses Gesprächs decken würde.

span style="color: #000000;">Er hätte sich nun gerne wieder entfernt, aber dies wurde durch ein junges Paar vereitelt, das es sich in einiger Entfernung hinter ihm in einer Laube gemütlich gemacht hatte. Sie mussten ihn unweigerlich bemerken, wenn er sein Versteck verließ. Also richtete er sich auf eine längere Wartezeit ein. Schließlich begann die Sonne langsam zu sinken. Die Engländer waren längst weg und dann endlich bemerkte auch die junge Dame in der Laube zu ihrem Kavalier, dass es beginne empfindlich kühl zu werden und man sich wohl besser zurück ins Schloss begeben sollte. Als die Luft rein war, schlich der Agent seiner Eminenz vorsichtig wieder zur Schlossparkmauer. Ein letztes Mal warf er einen Blick zurück in die Gartenanlage – und hielt inne. Eine Dame schritt in einiger Entfernung dahin, in Richtung des Rosengartens. Sie hatte sich in ein weites Cape gehüllt, dessen Kapuze ihr Haar bedeckte. Doch ihre Haltung, ihr Gang und das überaus kostbare Kleid, das kurz zum Vorschein kam, als der Wind ihren Mantel bauschte, brachten ihn auf den Gedanken: die Königin! Es war höchst ungewöhnlich, dass sie nicht von ihren Hofdamen begleitet wurde. Was ging hier vor?

span style="color: #000000;">Rochefort machte auf der Stelle kehrt, bemüht sie im Auge zu behalten ohne selbst gesehen zu werden. Anna von Österreich betrat den Rosengarten und ließ sich auf einer von hohen Rosenbüschen umrahmten Bank nieder. Vor dem Rosengarten befand sich eine größere freie Wiesenfläche, sodass sich Armand nicht unbemerkt weiter nähern konnte. So verharrte er im Schutze einer Hecke und beobachtete. Wenige Augenblicke später kam aus Richtung des Schlosses mit langen, ungeduldigen Schritten ein Kavalier heran, der unschwer als der Herzog von Buckingham zu erkennen war.

span style="color: #000000;">„Sie trifft sich hier zu einem Stelldichein mit dem Herzog?!“ durchfuhr es den Grafen ungläubig. „Das kann doch nicht ihr Ernst sein? Leichtfertige, pflichtvergessene Spanierin!“

span style="color: #000000;">Kaum hatte Buckingham die Königin erreicht, fiel er mit einer theatralischen Geste vor ihr auf die Knie. Die Entfernung machte es unmöglich genau zu verstehen was gesprochen wurde, doch Tonfall und Gestik des Engländers ließen kaum Zweifel darüber, dass er seine Angebetet mit Komplimenten und Liebesbeteuerungen überhäufte. Von Anna selbst war nicht viel zu erkennen, sie war zum Großteil durch die um die Bank wuchernden Rosen verdeckt. Schließlich sprang der Herzog wieder auf die Füße und beugte sich noch näher zu Ihrer Majestät, offenbar in dem Versuch sie in seine Arme zu ziehen. Dies schien der Königin denn doch zu weit zu gehen; sie ermahnte ihren stürmischen Verehrer mit erhobener Stimme – so, dass selbst Rochefort es hören konnte – dass er sie nicht weiter bedrängen solle. Und als Buckingham nicht gleich reagierte, rief sie mehrmals laut nach einer ihrer Hofdamen. Die Gesuchte, die offenbar unauffällig in einiger Entfernung gewartet hatte, hastete rasch herbei und nun endlich ließ der Herzog sie los und trat schwer atmend einen Schritt zurück.

span style="color: #000000;">Anna hatte sich von der Bank erhoben und griff, sich offenbar im Zustande heftigster Gemütserregung befindend, haltsuchend nach dem Arm ihrer Hofdame. Buckingham redete noch kurz auf sie ein, verbeugte sich schwungvoll und warf ihr eine Kusshand zu. Dann eilte er davon.