Die Liebeshändel des Abbé d'Herblay von Dogtanianette
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 5 BewertungenKapitel Ein Abbé in spe
Sie saß allein in ihrem Boudoir, in tiefen Sorgen versunken. Sie hatte sich einen Lehnstuhl ans Fenster gerückt und sah versonnen hinaus auf den Park. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, und die untergehende Sonne überzog den Boden ihres Zimmers noch einmal wehmütig mit ihren Strahlen, den Abschied verkündend. Die Luft war erfüllt von Rosenduft und dem Balsam der großen, alten Bäume. Die Nacht zog unaufhaltsam herauf. Eine weitere Nacht ohne den Geliebten. Wo mochte Aramis jetzt sein? Sie hatte ihn oft so genannt, wenn sie zusammen waren. Es war sein Name bei den Musketieren gewesen. Doch ein Teil von ihm würde immer Aramis bleiben.Sie liebte ihn bisweilen so sehr, dass es schmerzte. Er war alles für sie. Warum hatte er ihr nicht geschrieben wie sonst? Wie oft war sie heute schon im Schlosspark spazieren gegangen! Doch in dem Hohlraum der alten Linde hatte sich kein Brief ihres Liebsten befunden. Hatte dieser Mesner etwas damit zu tun? Hatte er sich vielleicht eines ungeliebten Auftrages entledigt? Keine Nachricht von Aramis. Die teuren, so stark herbeigesehnten Worte. Der Trost, der aus den in dieser vertrauten, zierlichen Handschrift geschriebenen Zeilen sprach. Es waren nur Worte auf Papier, aber es war besser als nichts. Die Briefe halfen ihr, die Zeit zu überstehen, bis sie sich wieder sehen konnten. Sie dachte an ihr letztes Rendezvous. An die gestohlenen Stunden im Park. Er hatte ihr gehört, nur ihr allein mit Leib und Seele. Ihr schöner Edelmann mit den schwarzen Augen. Sie hielten sich eng umschlungen bis der Morgen graute. Als der Tag anbrach, war er fort gegangen. Zurück in das Kloster, so wie immer. Seit der alte Herzog von Longueville, ihr Gatte, wieder im Schlosse weilte, konnten sie sich nur noch unter erschwerten Bedingungen sehen. Doch das sollte sie nicht abhalten! Sie würden Mittel und vor allem Wege finden. Auf diesem Gebiet war ihr schöner Geliebter sehr erfinderisch. Als die junge Frau an die Strickleiter dachte, musste sie trotz ihrer Sorgen lächeln. Wie hatte der gute René sich abgemüht, um zu ihr zu gelangen! Auch was das Bäumeklettern betraf, konnte er mittlerweile einem Eichhörnchen Konkurrenz machen. Und dennoch hatte sie seit einiger Zeit dieses seltsame Gefühl, dass etwas Schlimmes geschehen würde. Etwas stimmte nicht, sie konnte es spüren aber nicht benennen. Sie waren beide in Gefahr! Ihre Liebe war eine gestohlene Liebe. Ob sie schon bald für diese Liebe bezahlen musste? Eines Tages würden sie sie finden. Sie hatten sich schuldig gemacht, und die junge Frau wusste, dass ihr Handeln falsch war, doch ihre Liebe war wie ein verzehrendes Feuer und niemand war in der Lage, diese Flammen zu ersticken. Mochten sie auch am Morgen ihre Aschen herauskehren! Heute waren sie am Leben, sie waren jung und einfallsreich und Meister im Verdrängen ihrer Sünden. Wie ging Aramis mit der Schuld um? Konnte er damit besser leben als sie? Er war Abbé und hatte die Weihen empfangen. Er hatte geschworen, der Welt zu entsagen und ein Leben in Demut und Askese zu führen. Fühlte er sich seines Glaubens so wenig verpflichtet? Würde er sich dann ihr auf ewig verpflichtet fühlen? Aramis war ein Freigeist, der immer in erster Linie sich selbst gehören würde. Er liebte sie, daran bestand für sie kein Zweifel. Er begehrte sie und schenkte ihr in glühenden Nächten mehr, als sie je zu hoffen gewagt hätte. Doch würde es auch morgen so sein? Würde sie immer die Einzige für ihn bleiben? Er hatte schon vielen Frauen Lebewohl gesagt, das wusste sie. Er war wie das Wetter, genauso unbeständig. Und er war zu schön, viel zu schön. Sie liebte sein sanftes, fein geschnittenes Gesicht mit den großen, dunklen, von langen Wimpern umrahmten Augen, seinen zerbrechlichen, alabasterweißen Körper, die filigran geschwungene Form seiner Lippen und das weiche, duftende Haar, das ihm natürlich gewellt über die Schultern fiel. Wenn er schlief, glich er nicht mehr dem Soldaten. Wenn die Anspannung des Tages von ihm abfiel, ging eine Veränderung mit ihm vor, die sie immer wieder aufs Neue berührte. Weich und verletzlich kam er ihr in solchen Augenblicken vor. Ewig konnte sie dann so dasitzen und seinen Schlaf bewachen. Sie waren dazu gezwungen, ein Leben am Rande des Abgrundes zu führen, das sie so nicht wollten. Ein Leben in den Schatten, am dunklen Ende der Straße. Ein Leben in Angst, Hast und Hoffnung, ständig auf der Suche nach verborgenen Winkeln. Ein trauriges Dasein, doch Aramis war jedes Opfer wert. Doch eines Tages würden sie sie finden! Sie fröstelte unwillkürlich, erhob sich und schloss das Fenster. Mittlerweile war es draußen stockfinster geworden. Im Raum brannten Wachskerzen und verbreiteten ein gespenstisches Dämmerlicht. Plötzlich verzog die Herzogin schmerzvoll das Gesicht. Schon seit heute Morgen ging es ihr nicht gut. eine regelmäßig wiederkehrende Übelkeit war seit Tagen ihr lästiger Begleiter. Die junge Frau setzte sich, das Unwohlsein so gut es eben ging ignorierend, energisch an ihren Frisiertisch. Sie öffnete ihr Haar und begann, die langen, goldenen Flechten zu kämmen. Nach einer Weile ließ sie die Haarbürste sinken und betrachtete ihr trauriges, blasses Gesicht im Spiegel. Was sollte nun werden? Ihr Gatte, der Herzog, durfte nie erfahren, dass sie das Kind eines anderen unter ihrem Herzen trug. Es drohte die Verbannung oder Schlimmeres. Man würde sie beide mit unerbittlichem Hass verfolgen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, von René getrennt zu werden. Das durfte nie und nimmer geschehen!
"Nein, nein und nochmals nein!" gellte es an ihre Ohren. "Athos, Porthos- nie seid ihr da wenn man euch braucht!" Athos öffnete hastig die Tür zum Krankenzimmer und stürzte in den Raum, dicht gefolgt von Porthos, der, ein großes Stück Schinken in der Hand, mit vollen Backen kaute. Aramis saß mit einem dicken Kopfverband im Bett. Neben ihm stand mit beleidigter Miene der Arzt. "Könntet ihr diesem Herrn bitte klar machen, dass ich kein Klistier wünsche!" wetterte der Abbé. "Aber mein Herr" verteidigte sich der Arzt empört "warum zischt Ihr über wie Fett in der heißen Pfanne? So ein aufweichendes Klistier durchfeuchtet ganz wunderbar das Gedärm. Es erfrischt den müden Geist und..." "Ja,ja, vielleicht schärft es auch noch Euren stumpfen Verstand, es ist mir einerlei- ich will nicht!" unterbrach ihn Aramis unwirsch und ganz seine guten Manieren vergessend. "Aber mein Herr..." beharrte der Doktor "Kein aber! Mir tut der Kopf weh, Arme und Beine brennen wie Feuer! Wozu also ein Klistier? Hinaus mit ihm!" "Ich verbiete mir diesen Ton, mein Herr!" erwiderte der Mediziner pikiert. "So ein schönes, belebendes Klistier hat noch niemand geschadet!" "Dann verabreicht es Euch doch selbst, elender Quacksalber und lasst mir meine Ruhe" giftete Aramis zurück. Als der Arzt zu einer Retourkutsche ansetzte, ergriff Athos schnell das Wort:" Was fehlt unserem Freund denn nun eigentlich?" "Ja, zum Henker" versetzte Porthos "das würde mich auch interessieren!" "Nun," begann der Arzt wichtig und rückte seine Brille zurecht "außer einer starken Gehirnerschütterung, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte, ist sein rechtes Bein stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich rate daher sehr davon ab, es in den nächsten Tagen auch nur im Geringsten zu belasten. Absolute Bettruhe ist unerlässlich und für den Genesungsprozess zwingend erforderlich. Erst nach dieser Frist werden wir sehen, ob es sich nur um eine starke Verstauchung handelt, oder ob etwas gebrochen ist. In diesem Fall bin auch ich mit meinem Latein am Ende...doch vielleicht haben wir Glück!" "Das ist alles? Mehr könnt Ihr nicht für ihn tun?" fragte Porthos erstaunt. "Bedaure" entgegnete der Arzt und machte ein Gesicht, als ob er ein Pfund Zitronen gegessen hätte. "Der Herr muss sein Bein ruhig halten und brav im Bett liegen bleiben. Das macht fünfzig Franken!" "So viel? Für was denn?" empörte sich der unbequeme Patient. "Für was denn, für was denn" echote der Arzt "für meine Arbeit natürlich!" Der Mediziner war nun wirklich schwer beleidigt und fühlte sich in seiner Berufsehre zutiefst gekränkt. Die hohe Rechnung war seine Rache an diesen Ignoranten. Unsere Freunde waren allerdings viel zu bestürzt, um sich lange über den völlig überhöhten Preis aufzuregen. Athos bezahlte die verlangte Summe und der Herr Doktor verabschiedete sich mit dem Versprechen, in drei Wochen wieder nach Aramis zu sehen.Als der Arzt mit hoch erhobenem Kopf hinausgerauscht war, herrschte betretene Stille im Raum. Mit einem möglicherweise gebrochenen Bein war in jenen Zeiten nicht zu spaßen! Athos und Porthos nahmen sich Stühle und setzten sich zu Aramis ans Bett. Während der Arzt Aramis untersuchte hatte, hatte Porthos dem Grafen von La Fère bei einem reichlichen Frühstück noch einmal ausführlich berichtet, was auf dem Marktplatz und im Schlosspark vorgefallen war. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass man mich ermorden wollte!" brach Aramis als Erster das Schweigen. "Aber es muss jemand die Leine manipuliert haben. Es wird dieser rothaarige Bursche gewesen sein. Er kam mir gleich so seltsam vor. Aber wer war sein Auftraggeber?" "Könnte es nicht der Kerl aus dem Park gewesen sein? Der, vor dem ich Euch gerettet habe? Der verderbte Abbé?" fragte Porthos. "Nein, Worminger war es nicht. Er braucht mich! Er ist hinter ein äh Geheimnis gekommen, mit dem er mich erpresst. Ich bin nützlich für ihn. Warum sollte er diese Situation beenden?" "Aber er hat nichts getan, um Euch nach Eurem Unfall zu helfen! Er hat Euch in den Park geschleppt und hätte Euren Tod billigend in Kauf genommen!" rief Porthos empört aus. "Worminger war in diesem Moment nur das Opfer seiner niedrigen Triebe." entgegnete Aramis mit ruhiger Stimme. "Der infame Schurke hat die Gunst der Stunde genutzt. Ich glaube, er hat in diesem Moment nicht an die Folgen gedacht. Er ist ein Aas, das keine Skrupel kennt, aber er ist nicht das Hauptproblem! Ich habe noch weitaus gefährlichere Feinde im Kloster!" "Was sagt Ihr da Aramis?" fragte Athos und blickte seinen Freund beunruhigt an. "Die Wahrheit lieber Athos" kam es düster zurück. "Mann stellt mir schon lange nach und es wurden immer wieder Anschläge auf mich verübt. Angefangen hat alles mit harmlosen Streichen: Abführmittel in der Suppe, Brennesseln und Diesteln im Bett, Verleumdungen die Abstrafungen von Seiten des Ordens zur Folge hatten und dergleichen mehr. Dann immer wieder Wormingers Schickanen. Er schwärzt mich bei jedem noch so kleinen Regelverstoß beim Prior an. Ich muss unglaublich vorsichtig sein, denn die Padres verstehen es zu strafen! Ich habe ohnehin das Gefühl, dass der Prior mich auf dem Kieker hat. Naja, wie auch immer. Dann kamen diese Drohbriefe. Eines Abends als ich müde in meine Zelle zurück kam, steckte ein blutverschmierter Dolch in der Wand, direkt über meiner Bettstatt! Auf einem kleinen Zettel standen die wenig originellen Worte 'Noch steckt der Dolch in der Wand!." "Pfui, was für ein makaberer Scherz!" rief Porthos empört aus. "Allerdings" pflichtete Aramis ihm trocken bei. "Doch es geht noch weiter! Vor etwa zehn Tagen war jemand nachts vor meiner Tür. Ich war zum Glück noch wach, da ich an einer Predigt feilte, die ich dem Abbé Renard versprochen hatte. Im Schein meiner Kerze sah ich, wie langsam die Türklinke heruntergedrückt wurde. 'Wer da?' rief ich dummerweise in meiner Überraschung und daraufhin hörte ich draussen Schritte, die sich schnell entfernten. Ich sprang aus dem Bett und rannte zur Tür, ich trat hinaus auf den Gang aber es war niemand mehr zu sehen. Der Unbekannte hatte das Hasenpanier ergriffen und war in der Dunkelheit des Korridors untergetaucht. In der folgenden Nacht wiederholte sich das Ganze und die Tür öffnete sich zu meinem Schreck einen Spalt breit und ich nahm einen Schatten war, der sogleich wieder verschwand. Der Besucher wurde wohl durch den Lichtschein gestört und zog sich daraufhin schnell zurück. Auch diesmal war er sofort wie vom Erdboden verschwunden, verschluckt von der Dunkelheit des Ganges. In der dritten Nacht nun, legte ich mich auf die Lauer, aber der Schurke tat mir leider nicht den Gefallen, sich auf frischer Tat ertappen zu lassen und tauchte diesmal nicht auf." Athos hatte dem Bericht des Freundes mit wachsender Besorgnis gelauscht. Er beugte sich zu Aramis vor und fragte leise:"Könnte es sich bei dem nächtlichen Besucher nicht doch um Worminger gehandelt haben?" "Das würde die Sache sehr vereinfachen" seufzte Aramis. "Leider weilte Worminger zu dieser Zeit nicht im Kloster, da er wegen Familienangelegenheiten für fünf Tage beurlaubt worden war. Ergo- er kann es nicht gewesen sein! Auch die Drohbriefe trugen nicht seine Handschrift, die würde ich erkennen.Seither" gestand der Abbé mit Bitterkeit in der Stimme "schlafe ich nur noch mit einem Dolch unter meinem Kissen und dem Degen am Bett und- wie ihr euch denken könnt-äußerst schlecht! Und nun dieser feige Mordanschlag! Ich bin nicht mehr sicher im Kloster....." Athos und Porthos sahen sich bestürzt an. "Freund, ihr könnt unmöglich dahin zurückkehren! In Eurem jetzigen Zustand werdet ihr Euren Verfolgern schutzlos ausgeliefert sein!" rief Athos, der noch ganz betäubt von dem Bericht des Freundes war. " Ja und dazu kommt noch erschwerend hinzu, dass die würdigen Padres meine Pflege selbst übernehmen werden" fuhr Aramis düster fort und seufzte. "Wir haben keine Dienstboten im Kloster und ich kann mir schon vorstellen, wer sich freiwillig melden wird! Ihr habt ja gesehen, wozu dieser Halunke Worminger fähig ist. Oh- mich graust es schon bei dem Gedanken! Dennoch, ich muss zurück. Ich kann das Kloster nicht so einfach verlassen. Der Orden ist alles was ich habe. Außerdem habe ich gewisse ähem- Verpflichtungen in der Gegend." "Ihr spracht vorher von einem Geheimnis, Aramis, mit dem Worminge Euch erpresst." sprach Athos mit ruhiger Stimme. "Worum handelt es sich dabei? Oder gehört das Geheimnis nicht Euch?" Aramis wurde rot bis hinter die Ohren. "Oh, bitte dringt nicht weiter in mich Athos!" wehrte er tödlich verlegen ab. "Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ihr werdet bei Zeiten schon noch alles erfahren! Wenn ich lange genug lebe, versteht sich!" setzte er mit einem zynischen Lächeln hinzu. Porthos war aufgesprungen. "Lasst mich Euch begleiten, Aramis!" rief er euphorisch und schlug dem Abbé kameradschaftlich auf die Schulter, worauf dieser schmerzvoll zusammenzuckte. Porthos bemerkte es in seinem Eifer nicht und schritt aufgeregt im Zimmer auf und ab. "Ich schleiche mich unbemerkt ins Kloster und leiste Euch dort Gesellschaft bis es Euch wieder besser geht!" fuhr er unbeirrt fort, seine Worte mit lebhaften Gesten begleitend. "Wenn jemand hereinkommt, verstecke ich mich im Wandschrank!" "Du vergisst," warf Aramis, sich die Schulter reibend, schnell ein "das wir im Kloster kaum Privatsphäre genießen! Da sich die Türen nicht abschließen lassen, könnte jederzeit ein ungebetener Gast unangemeldet hereinplatzen. Zudem werden unsere Zellen gegelmäßig durchsucht. Es ist eine Tatsache, die hier jedem bekannt ist. Niemand redet offen darüber, aber jeder weiß es." "Sie durchsuchen eure Zellen?" polterte Porthos los. "Das ist ja allerhand! Zu was soll das gut sein? Das ist ja wie in der Bastille..." "Nun"meinte Aramis und errötete leicht, wir hatten hier schon des öfteren ähem ungebetene Gäste und vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.Im übrigen hat man die Gastgeber mit grausamer und unerbittlicher Härte bestraft. Glaubt mir das, die Padres haben da ihre Methoden! Ihr seht also" schloss Aramis traurig und resigniert "Euer Plan, so gut er auch gemeint sein mag, ist keinesfalls durchführbar." "Gut" sprach Athos entschlossen "wir müssen folglich etwas anderes finden. Jetzt wäre D'Artagnan von Nutzen, da er immer die besten Ideen hat!" "Wie geht es ihm eigentlich?" fragte Aramis interessiert. "Habt ihr Nachrichten von ihm erhalten?" "Ich glaube nicht, dass er sich momentan in Paris aufhält" erklärte Athos. "Er hat nicht auf meinen letzten Brief geantwortet, den ich schon vor Monaten geschrieben habe." "Nun, er ist vielleicht sehr beschäftigt" entgegnete der Abbé leichthin. "Nein" widersprach Porthos sofort und mit Entschiedenheit. "Es ist nicht seine Art, ohne Grund damit aufzuhören, seinen Freunden zu schreiben!" Der Hieb saß und der Abbé d'Herblay kniff die Lippen zuammen und starrte verbissen vor sich hin. Athos rettete die Situation und fuhr schnell fort:"Gut, wie auch immer- wir müssen es eben ohne den Gascogner schaffen. Sagt Aramis" wandte er sich freundlich an den Jüngeren "wie steht es denn mit Besuchen hinter den Klostermauern aus? Dürft Ihr Besuch empfangen?" "Weltlicher Besuch ist uns nur in Ausnahmefällen gestattet" erwiederte der Abbé mit sanfter Stimme. "Und auch nur für kurze Zeit, höchstens ein Tag, keinesfalls mehr!" Plötzlich blitzte es in den sanften, dunklen Augen des Musketier-Priesters jäh auf. "Anders verhält es sich mit Mitgliedern des Ordens aus anderen Klöstern der Umgebung! Ihnen ist es sogar gestattet, sich für mehrere Tage im Kloster aufzuhalten. Wir haben hier für solche Gelegenheiten eine Gästekammer..." "Ihr meint...." "Ja, wir basteln uns einen Abbé!" erklärte Aramis mit einem breiten Grinsen. "Der Euch als Leibwächter im Kloster zur Verfügung steht!" schloss Athos und lachte. "Großartig, Aramis, Ihr seid wirklich der Weisheit voll!" "Gut! Ich hoffe nur, dass es eine Soutane in meiner Größe gibt!" meldete sich nun auch Porthos zu Wort und zwirbelte unternehmungslustig seinen Schnurrbart. "Na, einerlei, dann ist sie eben ein wenig eng um die Brust und eine Handbreit zu kurz. Das bezeugt Demut, nicht wahr?" "Je nun, mein Freund," warf Aramis mit skeptischem Blick ein "Euer Antrag ehrt Euch, aber ein Abbé muss Latein und Griechisch verstehen. Könnt Ihr das?" "Nun, ich gebe zu, dass meine Erzieher die scholastischen Studien etwas vernachlässigt haben, aber..." "Und was ist" versetzte Aramis offenbar wenig angetan "wenn man Euch in eine theologische Diskussion verwickeln will? Ihr werdet des öfteren mit den Brüdern alleine sein, da ich das Bett nicht verlassen darf. Sie debattieren oft und gerne!" "Nun, ich schon auch, aber nicht in lateinischer Sprache, zugegeben." räumte Porthos nun doch etwas nachdenklich geworden ein. "Ein Abbé" sprach Aramis geduldig weiter "muss zudem stets diskret und äußerst verschwiegen sein. Er spricht nur, wenn es nötig ist und ist ansonsten stumm, blind und taub!" "Stumm,blind und taub meint Ihr?" fragte Porthos und kratzte sich am Kopf. "Zudem Porthos" schloss sich nun auch Athos an, "seid mir nicht böse, aber den Abbé nimmt Euch keiner ab! Mit Eurem Gardemaß wird man kein Kirchenmann, sondern sucht sein Glück auf den Heerstraßen! Wer hätte schon jemals so einen riesengroßen Abbé gesehen?" "Zudem" bemerkte Aramis mit einem feinen Lächeln "ist das Essen im Kloster absolut ungenießbar und Ihr werdet keinen Sonderstatus genießen als Gast. Für langjährige Mitglieder des Ordens gibt es natürlich gewisse Vergünstigungen..." "Ihr habt mich überzeugt!" brummte der Riese gutmütig. "Mir scheint, ich bin nicht zum Priester geboren! Dann soll Athos den Abbé geben. Und was mache ich solange??" "Nun, das wird sich schon alles finden!" sagte Aramis. "Zuerst einmal gilt es, passende Kleidung aufzutreiben und alles für die Verwandlung vorzubereiten. Wir brauchen eine Soutane für dich, Athos!. Ich würde dir ja gerne eine der meinigen anbieten, aber sie wäre ohnehin zu klein." "Seit unbesorgt, ich werde schon etwas geeignetes finden." versetzte Athos zuversichtlich. Und Porthos kann mir dabei helfen!" "Gut" sprach Porthos und stand auf. "Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Genug der langen Worte!" Athos erhob sich ebenfalls und nachdem sie Aramis noch einmal eingeschärft hatten, ruhig liegen zu bleiben, verließen sie gemeinsam das Krankenzimmer.
Als Aramis alleine war, schrieb er einen langen Brief. Porthos sollte ihn dann übermitteln. So hatte er schon eine Aufgabe und kam sich nicht allzu nutzlos vor. Er sollte ihn Bazin nach Notre Dame bringen. Der Diener würde ihn dann an die richtige Adresse weiterleiten, wie er es immer tat. Mann konnte nicht vorsichtig genug sein. Vorläufig würde er sich in diesem Punkt auch nicht seinen besten Freunden anvertrauen. Portos war einfach ein zu großes Risiko. Er trug sein Herz zu sehr auf der Zunge, bei aller Freundschaft...Der Abbé wollte sein Geheimnis um jeden Preis wahren. Nachdem der Brief aufgesetzt war, lehnte sich Aramis erschöpft aber zufrieden in die Kissen zurück. Er wollte jetzt nur noch an sie denken - an Anne-Geneviéve!