„Ein Wolf im Palais Cardinal?“ von Armand-Jean-du-Plessis
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 24 BewertungenKapitel Attila und Luna
Das Wetter von Paris zeigte sich von seiner unfreundlichen Seite. Es war nass und kalt und windig – und das war noch untertrieben. Es regnete in Strömen und ein schneidender, kalter Wind sorgte dafür, dass man sprichwörtlich nicht einmal einen Hund vor die Türe jagte. Luna, die Halbwölfin, hätte wohl niemand vor die Tore des Palais Cardinal gejagt, aber auch sie war ausnahmsweise mal lieber drinnen. Toben im Schlamm war zwar nett, aber der Regen war zu dicht und der Wind einfach grauslich. Hier im Palais brannten in vielen Zimmern die offenen Kamine und es war wohlig war. Zwar nicht überall, aber viel besser als im Louvre schräg gegenüber. Der alte Königssitz war zugig, verwinkelt, mit dicken Mauern und galt als unheizbar. Kein Wunder also, dass seine Majestät Ludwig XIII. beschlossen hatte, das Diplomatentreffen in den Wohnsitz seines Prinzipalministers, Kardinal Richelieu, zu verlegen. Doch davon wusste Luna natürlich noch nichts und ihr war langweilig. Vielleicht würde ein kleiner Rundgang durch ihr Revier für Ablenkung sorgen.
Wie selbstverständlich lenkte sie ihre Schritte in den Dienstbotentrakt in Richtung der Küchen. Da hörte sie ein Fiepen und eine Maus huschte über den Gang. Das war zwar keine stattliche Beute, aber Luna war eine sehr begabte Mäusefängerin. Einmal hatte sie bei einem Spaziergang im Garten acht Mäuse gefangen und war dafür ausdrücklich gelobt worden. Und Mäuse schmeckten gar nicht so schlecht. Es war nur ein Sprung aus dem Stand und schon hatte sie die Maus mit ihren Pfoten erwischt und sie war fast drei Meter weit weg gewesen. Doch dann kam eine Überraschung. Plötzlich war da ein wütendes Fauchen und ein riesiger blaugrauer Fellball mit ausgefahrenen Krallen sprang auf die Halbwölfin zu.
Es war Attila, der Kartäuserkater des Kardinals. Und Attila war richtig zornig. Auch er war bei diesem Wetter natürlich nicht draußen gewesen, sondern hatte Beschäftigung im Palais gesucht. Es hatte recht lange gedauert, bis er endlich eine Maus zu Spielen gefunden hatte. Das Fangen war kein Problem gewesen, und er liebte es seine Sprungfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit an seiner Beute mehrmals zu trainieren, bevor er sie verspeiste. Und jetzt machte ihm diese unverschämte Luna die Beute streitig, das ging ja mal gar nicht! Das war schließlich sein Revier und er war hier der Herr im Haus. Einzig dem Kardinal schuldete er Respekt, zumindest ein wenig. Nur Seine Eminenz durfte ihn streicheln und kraulen, denn dieser war der Herrscher der Menschen und damit auch der Herr über die Speisekammern.
Luna war im allerletzten Moment ausgewichen – oder fast ausgewichen – eine Kralle hatte noch leicht ihre Schnauze gestreift und das ging ja mal gar nicht! Das war schließlich ihr Revier und sie war hier die Herrin im Haus. Der daraufhin folgende Kampf war heftig. Luna war größer, hatte mehr Reichweite und war extrem geschickt. Attila war wendiger, schneller auf kurze Distanz und sehr präzise mit seinen messerscharfen Krallen. Das hätte böse enden können, wenn da nicht Beatrice, die Erste Küchenmagd, gewesen wäre. Sie mochte die beiden Kämpfer sehr und versorgte beide ab und zu mit Küchenabfällen. Auch wusste sie, wie sehr der Kardinal seinen Attila und der Comte de Rochefort seine Luna schätzten. Und sie kannte auch die Schwäche beider Kombattanten. Sie füllte rasch einen großen Eimer mit kaltem Wasser und mit viel Schwung landete der Schwall auf Attila und Luna. Rasch verschwand Beatrice wieder hinter die Küchentür - sicher war sicher. Attila und Luna waren so verdutzt und auch ein wenig erschrocken, dass der Kampf sofort beendet war. Beleidigt zog sich Attila mit großen Sprüngen über Kästen und Kommoden zurück, nicht ohne nochmal wütend zu fauchen. Aber jetzt musste erst einmal das kostbare seidige Fell gepflegt werden. Luna schüttelte sich empört. Sie hasste große Wassermengen von oben. Doch sie war so in den Kampf vertieft gewesen, dass sie nicht gesehen hatte, woher der hinterhältige Angriff gekommen war. Sie beschloss ebenfalls Fellpflege zu betreiben. Der Kater hatte ja den Kampfplatz verlassen und somit war sie die Siegerin. Die glücklichste Maus von Paris, die beide Angriffe der gefährlichen Jäger überlebt hatte, rannte inzwischen so schnell wie noch nie in ihrem Leben und zitterte noch lange, auch als sie schon in ihrem Mauseloch verschwunden war.
Im Großen Salon des Palais Cardinal tummelten sich eine Menge Leute. Da waren natürlich Seine Majestät der König von Frankreich und Navarra, Seine Eminenz der Kardinal Richelieu, sodann der Botschafter des Königreichs von Schweden, die Botschafter der Republiken von Venedig und Genua und einige Gesandte deutscher Fürstentümer. Aber auch zahlreiche Dienstboten waren anwesend und eine große Zahl an Bewaffneten, die eigentlich weniger üblich waren. Da aber die Botschafter in Kriegszeiten auf einen Leibwächter bestanden hatten, hatte der Comte de Rochefort auch darauf bestanden, dass die Garde Seiner Eminenz anwesend war. Und wenn die Garde Seiner Eminenz anwesend war, dann musste der König selbstverständlich seine Musketiere mitnehmen. Daher kam es zu der etwas grotesken Situation, dass bei diesem inoffiziellen Botschaftertreffen mehr als doppelt so viel Wachen anwesend waren, als Diplomaten und Dienstboten zusammen.
Richelieu saß am Kopf der Tafel neben Seiner Majestät und auf seinem Schoß hatte es sich Attila gemütlich gemacht und schnurrte zufrieden, als er gekrault wurde. Interessanter Weise drehte sich das Gespräch des Botschafters von Genua, Ubertino Pallavicini, um den Kartäuserkater. Der Botschafter versuchte seit geraumer Zeit den Kardinal davon zu überzeugen, dass das edle Tier ein ausgezeichnetes Gegengeschenk für seinen Vetter Agostino, den Dogen von Genua, sei, der ja jetzt auch König von Korsika war. Er verwies auf die Truhe mit edelsten Tuchen, die er als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Der Prinzipalminister von Frankreich blieb höflich, aber bestimmt - und ablehnend. Attila war ein Geschenk von Pater Joseph, seinem engsten Berater, und ein Geschenk dürfe man nicht weiterschenken. Ja, er wäre aus einem Wurf, den der bekannte französische Gelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc aus Damaskus mitgebracht hätte und sein langes, seidiges blaugraues Fell wäre eine Rarität selbst auf den europäischen Königshöfen, aber nein, Attila wäre unverkäuflich.
Da nun Essen aufgetragen wurde, endete das Gespräch und die Gesellschaft widmete sich den Genüssen der Tafel. Als einziger der hochrangigen Gäste nahm der Mann ganz in Schwarz nicht Platz. Der Comte de Rochefort beobachtete lieber die Szenerie. Er war von den bewaffneten Leibwächtern der Gäste so gar nicht begeistert. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie nicht einmal das Palais betreten, geschweige denn Waffen in den Salon mitbringen dürfen. Und dann musste er auch noch ein Auge auf Luna haben. Ihm war nicht klar, wie sie in den Salon gekommen war. Manchmal glaubte der Comte, sie könne durch geschlossene Türen gehen wie ein Geist. Sie war wahrscheinlich auf Essensreste von der Tafel aus, aber Rochefort befahl Luna bei ihm zu bleiben. Man musste die Gäste ja nicht unbedingt unnötig erschrecken. Wegschicken wollte er Luna aber auch nicht. Niemand war so schnell wie die Halbwölfin, wenn wirklich Gefahr drohte, und ihr Instinkt war überragend. Das hatte sie mehrfach bewiesen.
Der Geheimdienstchef war erst etwas beruhigt, als nach dem Essen eine Besprechung im kleinen Rahmen stattfand und dort wurden Dinge besprochen werden, die nicht für Leibwachen bestimmt waren. Trotzdem blieb der Comte natürlich beim Kardinal, als dieser sich zu der Besprechung mit den Diplomaten in den kleinen Salon zurückzog. Auch Luna war zufrieden. Wie üblich hatten die Menschen einige der besten Stücke, wie Knochen, achtlos auf den Boden fallen gelassen. Man musste nur schneller sein als die Dienerschaft. Aber eigentlich war das leicht. Niemand würde einer Luna ihre Beute streitig machen. Schon ein ganz leises Knurren reichte aus, damit die Dienstboten warteten bis sie fertig war. Das Knurren war natürlich nicht wirklich ernst gemeint, aber niemand vom Servierpersonal Seiner Eminenz hatte jemals auch nur die geringste Lust verspürt auszuprobieren, ob man Luna etwas wegnehmen könne. Auch Attila hat etwas gefunden, das ihn interessierte. Ein Lakai hatte gerade eine Truhe mit Stoffen ausgeräumt. Offene Truhen hatten eine fast magische Anziehungskraft auf den Kartäuserkater. Oh, sie war innen mit Samt ausgelegt! Und die Truhe roch ganz leicht parfümiert und war sicherlich warm und kuschelig. Mit einem Satz sprang Attila hinein. Sergio, der Leibwächter der genuesischen Botschafter hatte die Szene beobachtet und ihm kam eine Idee. Mit zwei, drei schnellen Schritten war er bei der Truhe und warf rasch den Deckel zu. Wenn er dem Dogen dieses Geschenk brachte, wäre er sicher bald Leibwächter des mächtigsten Mannes von Genua und nicht nur der Laufbursch eines Botschafters. Dem Tier würde schon nichts passieren, die Truhe war ja nicht luftdicht, damit die Tuche, die darin transportiert wurden nicht modrig werden konnten. Notfalls konnte er später ja noch ein Loch bohren und Futter würde er unterwegs besorgen. Erstmals musste die Truhe zur Kutsche des Botschafters gebracht werden. Das sollte aber kein Problem sein, denn die kostbaren Stoffe waren ja bereits entnommen worden, und es war daher nicht weiter auffällig die Transportkiste wieder mitzunehmen. Gedacht – getan, Sergio war sehr zufrieden und malte sich schon aus, welche Privilegien mit seiner neuen Position verbunden wären.
Der Geheimdienstchef war erst etwas beruhigt, als nach dem Essen eine Besprechung im kleinen Rahmen stattfand. Dort würden Dinge besprochen werden, die nicht für Leibwachen bestimmt waren. Trotzdem blieb der Comte natürlich beim Kardinal, als dieser sich zu der Besprechung mit den Diplomaten in den Kleinen Salon zurückzog. Auch Luna war zufrieden. Wie üblich hatten die Menschen einige der besten Stücke wie Knochen achtlos auf den Boden fallen gelassen. Man musste nur schneller sein als die Dienerschaft. Aber eigentlich was das leicht. Niemand würde einer Luna ihre Beute streitig machen. Schon ein ganz leises Knurren reichte aus, damit die Dienstboten warteten, bis sie fertig war. Das Knurren war natürlich nicht wirklich ernst gemeint, aber niemand vom Servierpersonal Seiner Eminenz hatte jemals auch nur die geringste Lust verspürt auszuprobieren, ob man Luna etwas wegnehmen könnte.
Auch Attila hat etwas gefunden, das ihn interessierte. Ein Lakai hatte gerade eine Truhe mit Stoffen ausgeräumt. Offene Truhen hatten eine fast magische Anziehungskraft auf den Kartäuserkater. Oh, sie war innen mit Samt ausgelegt! Und die Truhe roch ganz leicht nach Parfum und war sicherlich warm und kuschelig. Mit einem Satz sprang Attila hinein.
Sergio, der Leibwächter des genuesischen Botschafters, hatte die Szene beobachtet und ihm kam eine Idee. Mit zwei, drei schnellen Schritten war er bei der Truhe und warf rasch den Deckel zu. Wenn er dem Dogen dieses Geschenk brachte, wäre er sicher bald Leibwächter des mächtigsten Mannes von Genua und nicht nur der Laufbursche eines Botschafters! Dem Tier würde schon nichts passieren, die Truhe war ja nicht luftdicht, damit die Tuche, die darin transportiert wurden, nicht modrig werden konnten. Notfalls konnte er später ja noch ein Loch bohren und Futter würde er unterwegs besorgen. Erstmal musste die Truhe zur Kutsche des Botschafters gebracht werden. Das sollte aber kein Problem sein, denn die kostbaren Stoffe waren ja bereits entnommen worden und es war daher nicht weiter auffällig, die Transporttruhe wieder mitzunehmen. Gedacht – getan, Sergio war sehr zufrieden und malte sich schon aus, welche Privilegien mit seiner neuen Position verbunden sein würden.
Attila war empört. Wie konnte man es wagen, seine neue, kuschelige Kiste zu verschließen? Und jetzt schaukelte sie auch noch. Wütend warf er sich gegen die Wände der Truhe und seine messerscharfen Krallen zerfetzten den ausgelegten Samt binnen weniger Sekunden. Aber die Transporttruhe war mit Eisenbändern verstärkt, selbst der große Kartäuserkater konnte sich da nicht befreien. Er begann zu maunzen, dann zu schreien. Sergio warf hastig zwei dicke Pferdedecken über die Truhe und verstaute sie im Gepäckwagen des Botschafters. Der Leibwächter des genuesischen Gesandten schaffte seine Beute rasch in die hinterste Ecke des Kellers im Botschafterpalais und fuhr dann schnell zurück zum Palais Cardinal, damit es nicht auffiel, dass er kurz weg gewesen war. Mit der Zeit gesellte sich ein wenig Angst zu Attilas Zorn. Wer hatte es gewagt ihn einzusperren und warum? Er jammerte und maunzte ununterbrochen.
Die Besprechung mit den Diplomaten war schließlich zu Ende und wie jeden Freitag, wann immer es möglich war, fütterte der Kardinal seine Katzen selbst. Sie liebten den „Fischtag“ und für Richelieu war es entspannend, seinen Lieblingen beim Fressen zuzusehen und die besten Leckerbissen selbst zu verteilen. Man behauptete, dass der Prinzipalminister von Frankreich seine Katzen mehr mochte als die Menschen. Und in diesem Gerücht wahr wohl einiges an Wahrheit enthalten, wenn man dem mächtigsten Mann Europas zusah, wie liebevoll er seine Miezen behandelte. Aber etwas beunruhigte ihn heute. Attila war nicht gekommen und eine Fischmahlzeit würde er nicht auslassen. Die Katzen des Kardinals wussten genau, wann diese spezielle Fütterung war und sie hatte sogar ein eigenes Glockensignal. Kardinal Richelieu wartetet eine Weile, dann ließ er die Dienerschaft befragen. Beatrice, die Erste Küchenmagd, berichtete, sie war sich sicher Attila, schreien gehört zu haben, als sie Küchenabfälle in den Hof gebracht hatte. Zuerst hatte sie befürchtet, dass Luna und Attila wieder aneinandergeraten waren, wie heute vormittags, aber wahrscheinlich hätte der Kater nur eine andere Katze aus seinem Revier vertrieben. Richelieu dankte ihr und ließ Rochefort zu sich kommen.
Der Geheimdienstchef von Frankreich fand die Angelegenheit nicht trivial, denn ein Verdacht gegen seine geliebte Luna stand im Raum. Auch kannte er Richelieu sehr genau und die Stimmung des Kardinals konnte sehr schnell umschlagen und manchmal wurde der mächtige Mann wortwörtlich krank vor Sorge. „Eure Eminenz, ich bin mir sicher, dass Luna Eurem Attila nichts angetan hat. Vielleicht würden sie sich gegenseitig kratzen und zwicken und schlimmstenfalls könnte auch etwas Blut fließen, aber sie würde nie ein Tier aus diesem Haushalt töten.“ Die Stimme des Geheimdienstchefs war sehr ernst und bestimmt. „Eigentlich denke ich das auch, aber ich möchte sicher gehen, dass Attila nicht vielleicht doch verletzt irgendwo liegt“, erwiderte der Kardinal ebenso ernst. Der Comte holte rasch Luna und kam dabei sofort auf den Gedanken, sie auf die Fährte des Katers anzusetzen. Wenn jemand Attila finden könnte, dann die Halbwölfin mit ihrer unvergleichlichen Spürnase. Er ließ sie an Attilas Katzenkörbchen schnuppern und die Spur aufnehmen.
Ah, ein Suchspiel, da gab es immer eine besondere Belohnung! Aber warum sollte sie ausgerechnet diesen frechen Kater suchen, der ihre Position als Hausherrin hier im Palais immer wieder in Frage stellte? Und es war eine richtig schwierige Aufgabe. Attila steifte durch alle Räume, patrouillierte, was er für sein Revier hielt. Aber Luna bemühte sich, die frischeste Spur zu finden. Doch auch das war gar nicht so einfach. Hatte er sich absichtlich versteckt? Aber es war doch Fischtag, das war seltsam. Auch Luna liebte Fischtag, und wenn Rochefort sie mit Fisch fütterte, dann würde sie sich das auch niemals entgehen lassen. Es dauerte eine Weile und sie hatte immer noch keine ganz frische Fährte finden können, doch da war eine ganz dünne Spur, die zumindest die jüngste war. Sie war aber sehr schwach. Hatte jemand den Kater getragen? Das wäre ungewöhnlich. Der Duft führte in den Hof in den Bereich, wo die Kutschen standen. Von dort vielleicht noch zum Haupttor, aber Luna war sich da nicht mehr ganz sicher. Sie blickte den schwarzen Leitwolf fragend an. Dieser ganz schwachen Spur konnte sie in den Straßen der Stadt nicht mehr folgen.
Rochefort hatte Luna die ganze Zeit begleitet. Als sie im Bereich der Kutschen und des Eingangstores angekommen waren, stutzte er. Ob Attila in eine der Botschafterkutschen geschlüpft war? Aber das hätte man bemerken müssen, der Kater war so gar nicht zutraulich zu Fremden. Der Comte befragte also die Wachen am Eingang und auch das übrige Personal, das in der Nähe zu tun gehabt hatte. Die Kardinalsgardisten am Tor konnten genau aufzählen welche Kutschen der Diplomaten und auch welche Transportwägen das Palais verlassen hatten. Sie wussten genau, dass Hauptmann Jussac und Rochefort darauf Wert legten, dass man so etwas registrierte und sich auch merkte.
Mit diesen Informationen ging der Comte de Rochefort zu Richelieu und erstattet Bericht. Der Kardinal runzelte die Stirn und erinnerte sich an das Gespräch mit Ubertino Pallavicini und sein Interesse an dem Kartäuserkater. Aber der Botschafter der Republik von Genua hatte einen tadellosen Ruf. Und Diebstahl war eine ernste Angelegenheit, selbst wenn es „nur“ um eine Katze ging. Der Kater war sehr wertvoll und daraus konnten ernsthafte diplomatische Verwicklungen entstehen. Abgesehen davon, dass Richelieu es sehr persönlich nehmen würde, wenn man sich an seinen geliebten Katzen vergreifen würde. Das Funkeln in seinen Augen hätte so manchen Mann zum Zittern gebracht. Doch seine Stimme war völlig ruhig, als er dem herbeigerufenen Sekretär ein Schreiben diktierte, in dem er seinen Besuch zum Frühstück in der genuesischen Botschaft ankündigte, da der Herr Botschafter ja heute um Vertiefung der Gespräche gebeten hatte. „Und Luna und Ihr werdet mich begleiten, wir brechen sehr früh auf“, meinte Richelieu und Rochefort nickte nur leicht: „Sehr wohl, Eure Eminenz, wir werden bereit sein.“
Schon zeitig am nächsten Tag rollte die Kutsche des Kardinals durch die Pariser Straßen auf das Botschafterpalais zu. Zwölf Mann Rote Garde und Rochefort flankierten sie zum Schutz Seiner Eminenz und auch Luna trabte mit. Im Haushalt des Gastgebers war man schon sehr geschäftig gewesen, denn der Prinzipalminister hatte sich sehr kurzfristig selbst eingeladen, auch wenn es nur ein Arbeitsfrühstück sein sollte. Sergio legte rasch einen Verband um seine blutige linke Hand. „Verdammtes Mistvieh“, fluchte er leise. Dabei hatte er die Truhe nur einen Spalt geöffnet, um dem Kater ein paar Fleischreste zu geben, und schon hatten sich die Krallen tief in seine Hand gebohrt. Fast wäre Attila entkommen, aber Sergio hatte den schweren Deckel fallengelassen und so war der Kartäuserkater immer noch gefangen.
Seine Eminenz hatte sich nach der Begrüßung mit dem Botschafter zu Frühstück und Besprechung zurückgezogen. Rochefort war mit der Sicherheit vor Ort beauftragt worden. Daher ließ er sich das Gebäude zeigen und Luna begleitete ihn dabei. Das Katzenkörbchen war natürlich zu auffällig gewesen, aber Richelieu hatte das Lieblingsspielzeug von Attila, eine getrocknete Hasenpfote mit Fell an einer Seidenkordel, dem Comte anvertraut. Unauffällig holte der Mann, der auch der Stallmeister Seiner Eminenz war, die Hasenpfote aus einem Beutel am Gürtel und gab Luna das Suchkommando.
Schon wieder ein Suchspiel und schon wieder dieser Kater? Luna war etwas verwundert und gestern hatte sie Attila nicht finden können. Eine kleine Belohnung hatte es trotzdem gegeben, aber natürlich waren größere Belohnungen besser. Sie machte sich also an die Arbeit. Die Gerüche waren hier fremdartig – ah, dort war die Küche, aber auch die verströmte seltsame Gerüche, voller sogenannter Gewürze, doch Luna mochte sie nicht besonders. Die meisten davon störten nur den guten Fleischgeschmack. Hier war keine Fährte von einer Katze. Die Halbwölfin bog in den Innenhof ab und begann an jeder Türe, in jeder Nische und in jedem Winkel zu schnüffeln. Der italienische Diener, der Rochefort begleitete, wunderte sich, was der Graf und das Tier hier trieben, aber ein eisiger Blick des Mannes in Schwarz genügte, um besser keine Fragen zu stellen.
Da war etwas, oder? Ganz schwach. Bei dem kleinen Mann, bei dem Blut aus einem Stück Stoff drang. Bei dem Mann und vielleicht auch bei der Tür, wo er stand. Luna lief auf ihn zu. Mit einem Male wurde die Halbwölfin vorsichtig. Der Mann roch nach Aggression, ein wenig nach Angst und – ja, auch ein wenig nach dem Kater, sie hatte sich nicht geirrt. Luna kannte auch die Geruchsmischung des Mannes. So ähnlich rochen Hunde, die aus Unsicherheit zubissen. Sie knurrte tief, fast ein Grollen. Eine sehr deutliche Verwarnung. Ihre Ohren waren jetzt angelegt. Der Comte de Rochefort hatte die Szene von etwas weiter weg beobachtet. Auch ihm gefiel der Mann nicht. Er trug einen Verband, der wohl von einer frischen Verletzung herrührte, wie das Blut bewies, das durch den Stoff bereits durchsickerte. Und Luna hatte einen guten Instinkt.
Sergios Hand fuhr zum Griff seines Rapiers. Noch so ein aggressives Vieh und es schien zur Türe der Kellertreppe zu wollen. Das musste er verhindern. Als er mit der linken Hand zum Stilett greifen wollte, um nach italienischer Art beide Hände im Kampf zu benutzen, durchdrang ihn ein heftiger Schmerz. Die Wunde von Attilas Krallen war tief und es war wohl auch die Sehne verletzt. Rochefort, „die wandelnde Klinge des Kardinals“, war sofort mit blitzschnell gezogenem Rapier heran, aber gegen Luna war er eine Spur zu langsam. Sie wusste, dass man bei solchen Gegnern zuerst zuschlagen musste und aus dem Stand sprang sie Sergio an und mit einem Biss war er entwaffnet. Rocheforts Waffe an seiner Kehle überzeugte Sergio sehr schnell aufzugeben und Luna ließ ihn auf ein Kommando des Comte los. Die Wachen des Botschafters am Tor wollten vielleicht eingreifen, aber ein paar freundliche Kardinalsgardisten erklärten ihnen, dass sich die Angelegenheit sicher gleich klären würde.
Da die Lage unter Kontrolle war, begann Luna an der Türe zu schnüffeln und kratze daran. Rochefort entging das natürlich nicht und er prüfte, ob die Türe verschlossen war. Sie ließ sich öffnen und Luna huschte sofort hinein. Die Truhe zu finden war jetzt nicht mehr schwer, auch wenn sie im hintersten Winkel des Vorratskellers versteckt worden war. Ihr kurzes Aufbellen wurde aus der Kiste mit einem lauten Maunzen erwidert. Der Comte de Rochefort hatte Sergio bei den Kardinalsgardisten gelassen und war Luna gefolgt. Die Truhe wollte er aber lieber nicht öffnen. Attila war sicher verängstigt.
Doch das stimmte nur zum Teil. Die Stimme von Luna hatte er erkannt. Würde er ausgerechnet von dieser impertinenten Hündin gerettet werden? Nun gut, war sie wenigsten einmal nützlich. In dieser Kiste hatte es ja auch bereits zu stinken begonnen und Attila war sehr reinlich. Seinem Peiniger hatte er zumindest schon gezeigt, wie wütend er war. Das würde er gern noch einmal tun. Und er hatte den Fischtag versäumt. Den musste er unbedingt nachholen. Jetzt macht doch endlich wer diese dumme Truhe auf!
Am Abend desselben Tages saß der Geheimdienstchef von Kardinals Richelieu in seinem Arbeitszimmer und beendete seinen Bericht. Schließlich war er sehr gründlich und es war ein Fall für das Archiv. Die Bestrafung von Sergio hatte man dem genuesischen Botschafter überlassen und die Familie Pallavicini war nicht für ihre gnädige Art bekannt. Zu Rocheforts Füßen knackte eine zufriedene Luna mühelos die herrlichen Kalbsknochen.
Und noch jemand war bester Laune. Nicht nur Attila, der schnurrend im Schoß von Kardinal Richelieu lag und gekrault wurde, auch Seine Eminenz wirkte sehr befriedigt. Die dringenden Empfehlungen, die ein sehr zerknirschter Botschafter an seinen Vetter, den Dogen von Genua, schicken würde, könnten die Lage im Mittelmeer für Frankreich deutlich verbessern…