Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 21
Kapitel 21
Das Neujahrsfest im Louvre lag bereits wieder ein paar Wochen zurück. Im Mantel der Gräfin de Lechelle hatte ich vom Kardinal eine Einladung für dieses große Ereignis erhalten, damit ich zwischen dem versammelten Hochadel ein wenig die Augen und Ohren offen hielt. Männer bezirzen konnte ich nun nicht mehr, da ich in meinem derzeitigen Zustand nicht besonders begehrenswert war. Dieser Meinung schien auch Seine Eminenz höchstpersönlich zu sein, denn er unterließ seine Annäherungsversuche. Auf die Neuigkeit selbst hatte er überraschend gleichgültig reagiert. Trüge ich nicht bereits Oliviers Kind in mir, wäre ich wohl früher oder später von einem dieser verwöhnten Adelssprösslinge schwanger geworden, auf die ich angesetzt wurde. Ich dankte es jedoch dem Himmel, dass es so weit nicht gekommen war.
Für die Zeit, über die ich nun keine Aufträge ausführen konnte, hatte ich eine neue Aufgabe erhalten. Ich musste die englische Sprache erlernen. Das gefiel mir, denn es verschaffte mir neue Möglichkeiten. Irgendwann wollte ich die Britischen Inseln sehen. Ein alter Wachmann der Garde, der einige Jahre in England verbracht hatte, erteilte mir auf Geheiß des Kardinals Unterricht. Monsieuer Grimaud versuchte es zwar hinter seinem mürrischen Gebaren zu verbergen, doch ich merkte, dass er diese Abwechslung in seinem nunmehr ruhigen Leben durchaus zu schätzen wusste. Sein Unterricht glich in gewisser Weise den Fechtstunden, die mir Olivier ab und zu erteilt hatte, um mir beizubringen mich im Notfall zu verteidigen. Er brachte mich jedes Mal mit einer neuen Herausforderung an meine Grenzen - nicht nur an jene der Geduld. Obwohl ich mich bemühte schnell zu lernen und es mir auch bald gelang mich einigermaßen verständlich zu machen, genügte ihm das nicht. Eine Sprache war für den alten Streiter wie ein Instrument. Jedes kleine Kind konnte in eine Flöte blasen, doch ihr eine Melodie zu entlocken musste man erst lernen.
Langsam wanderte ich durch die winterlichen Straßen heimwärts. Von dem glitzernden Weiß frisch gefallenen Schnees war längst nur noch unansehnlicher grauer Schlamm zurückgeblieben. Ich war ganz in meiner Gedankenwelt versunken, hörte deshalb die von zwei Pferden gezogene Kutsche erst, als sie in scharfer Geschwindigkeit so dicht an mir vorbei ratterte, dass ich gerade noch einen Satz rückwärts machen konnte. Schmutzigbraune Schneereste spritzten mein Kleid nass.
„Merde!“ fluchte ich wütend.
Jäher Schmerz in meinem Unterleib ließ den Ärger rasch wieder verrauchen und ich legte die Hand auf meinen rundlichen Bauch. Das Kind bewegte sich in meinem Inneren. Es waren die Tritte seiner winzigen Füße, die ich spürte.
Dankbar für die angenehme Wärme, die ich in meinem Zimmer im Hause des Ehepaars Thorigny vorfand, entledigte ich mich der dicken Winterkleidung. In meinem momentanen Zustand fühlte ich mich auch ohne die zusätzlichen Schichten aus Stoff schwer genug. Ich konnte es schon jetzt kaum erwarten mein Kind endlich in den Armen zu halten, obgleich ich wusste, dass es noch für eine Weile in mir wachsen würde, ehe es bereit war, auf die Welt zu kommen. Nur im Unterkleid ließ ich mich aufs Bett sinken und legte eine Hand auf meinen geschwollenen Leib. Wieder reagierte das kleine Wesen in mir mit heftigen Bewegungen.
„Du bist aber ganz schön wild heute“, murmelte ich verträumt lächelnd. „Langsam wird es wohl ein wenig eng bei dir. Ein bisschen Geduld müssen wir beide noch haben. Wenn du auf die Welt kommst, hat der Frühling längst angefangen und die Sonne wird dir gefallen. Ich freue mich auch schon auf die wärmere Zeit. Hier in der Stadt sind die Winter nicht schön, aber irgendwann werde ich dir zeigen wie herrlich verschneite Felder und Wälder sind, das verspreche ich dir.“
Während ich leise mit meinem Kleinen sprach, ließen die Tritte immer mehr nach, bis es ganz ruhig war. Es schlief. Und auch mir fielen die Augen zu. Dabei musste ich noch die Schriften lesen, die mir Grimaud als Hausarbeit mitgegeben hatte. Er würde schimpfen, wenn ich es nicht tat. Sollte er. Seit mir die Schwangerschaft deutlich anzusehen war und der Kardinal mich zufrieden ließ, hatte mein Leben wieder eine gewisse Regelmäßigkeit gewonnen und ich war so ausgeglichen wie seit der Zeit mit Olivier nicht mehr. Dieses Kind war der Mittelpunkt meines Seins.
Als während einer sehr kalten Nacht das Ziehen in meinem Rücken begann und ich deshalb keine Ruhe fand, bis es vor dem Fenster hell geworden war, machte ich mir noch keine Sorgen. Ich ging lange ohne ein wirkliches Ziel draußen umher, um Erleichterung in der bloßen Bewegung zu suchen. Es half nicht. Anstatt nachzulassen, wurde die Pein stetig heftiger und kehrte in immer kürzeren Abständen wieder. Für einen Augenblick lehnte ich mich gegen eine nahe Hausmauer, um mich auszuruhen. Meine Beine waren so schwer. Ich wollte nur noch zurück in meine vier Wände und mich unter die warme Bettdecke kuscheln.
Auf dem Flur begegnete ich Madame Thoriginy, die offenbar soeben den Boden von den Pfützen schneefeuchter Schuhe gereinigt hatte. Sie bedachte mich mit einem mürrischen Blick, weil ich ihre ganze Arbeit nun wieder zunichte machte. Als ein erneuter Krampf meinen Körper erfasste und ich mich am Stiegengeländer festhielt, änderte löste sich ihre versteinerte Miene.
„Was habt Ihr, Madame?“ fragte sie und trat hinter mich, um mich zu stützen.
„Ich weiß es nicht... die Schmerzen lassen einfach nicht mehr nach... seit der vergangenen Nacht.“
„Schafft Ihr es allein hinauf zu Eurem Zimmer?“ Sie musterte mich eindringlich. „Legt Euch bitte hin. Ich schicke gleich meinen Mann zu Madame Chamberet.“
Die Hebamme?? Es war doch noch vor der Zeit, das konnten keine Wehen sein. Aber was war es dann? In meinem Gemach angelangt ließ ich mich sogleich aufs Bett sinken. Jetzt verspürte ich wirklich Angst. War etwas mit meinem Kleinen nicht in Ordnung? Nein, ihm durfte einfach nichts fehlen!
„Bitte... hör auf...“, murmelte ich mit beiden Händen auf meinem Bauch. „Es ist noch zu früh für dich...“
Nach einiger Zeit kam Madame Thorigny tatsächlich mit der Hebamme, die sich meiner annahm. Ich überließ mich ihren kundigen Händen, hoffend, dass sie wusste, was nicht stimmte und auch etwas dagegen unternehmen würde. Madame Chamberet war noch recht jung und ihr pausbäckiges Gesicht verlieh ihr ein gutmütiges Aussehen. Ihre sanften dunklen Augen nahmen jedoch einen besorgten Ausdruck an, als sie behutsam meinen Leib abtastete.
„Ihr habt Wehen“, sagte sie schließlich. „Wenn die Schmerzen kommen, müsst Ihr tief durchatmen. Verstanden? Es wird jetzt nicht mehr lange dauern.“
„Aber... aber es ist doch noch viel zu früh!“ entfuhr es mir mit deutlicher Panik in der Stimme.
Sie bedachte mich mit einem beruhigenden Lächeln und drückte meine Hand. „Ihr müsst Euch jetzt vollkommen darauf konzentrieren Euer Kind auf die Welt zu bringen. Nur das ist von Bedeutung!“
Bevor mich erneute Pein erfasste, brachte ich noch ein Nicken zustande. Bald gelang es mir ohnehin nicht mehr an etwas anderes zu denken als die Wellen des Schmerzes und ich sehnte mich nur danach, dass es endlich vorbei war.
„Pressen!“ wies die Hebamme mich an. „Jetzt!“
Gehorsam sammelte ich meine Stärke und drückte mit der Wehe bis sie verebbte. Einmal. Zweimal. Dann beim dritten Mal glaubte ich zu zerspringen, ich hielt es nicht mehr aus. Wie ich die Kraft fand noch ein letztes Mal fest zu pressen, wusste ich nicht. Ich hörte mich selbst schreien, doch vermochte kaum meine eigene Stimme zu erkennen. Und dann war es vorbei. Der ungeheure Druck in meinem Unterleib war verschwunden. Endlich.
„Ihr habt es geschafft!“ sagte Madame Chamberet.
Erschöpft richtete ich mich auf, ich wollte mein Kind sehen. Es schrie nicht. Ging es ihm gut? Die Hebamme hielt es behutsam fest. Es war noch voll Blut und mit einer hellen dicklichen Masse verklebt. Und es war so unglaublich klein und zart. Auf einmal begann es zu schreien und ich realisierte, dass die blonde Frau ihm eben einen Klaps auf das Hinterteil gegeben hatte. Ich sah zu, wie sie es vorsichtig säuberte und in eine warme Decke wickelte. Dann endlich legte sie mir mein Kind in die Arme.
„Ihr habt ein kleines Mädchen auf die Welt gebracht.“ Etwas in ihrer Stimme wollte mir nicht gefallen. Immer noch waren ihre Augen sorgenvoll. „Madame, ich will ehrlich mit Euch sein. Euer Kind ist vor der Zeit geboren worden. Es ist sehr klein, aber wir wollen hoffen, dass es dennoch stark genug ist. Wichtig ist nun, dass es Nahrung zu sich nimmt.“
Ein Mädchen! Ich war so gebannt vom Anblick meiner neugeborenen Tochter, dass ich den Worten der Hebamme kaum folgte. Meine Kleine sollte Mélisse heißen, nach meiner Gönnerin, ohne deren gutes Herz ich Olivier ja gar nicht gekannt hätte. Mit klammen Fingern löste ich die Knöpfe und Bänder meines Kleides, um meine Tochter an die Brust zu lassen.