Je suis une femme von Engel aus Kristall

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Kapitel Kapitel 22

Kapitel 22


Mélisse unternahm zwar Versuche zu saugen, doch blieben sie erfolglos. Es kam keine Milch, ich konnte das Kind, das ich geboren hatte, nicht ernähren. Die Hebamme schien damit gerechnet zu haben, sie kehrte nach kurzer Zeit mit einem Fläschchen aus Holz zurück und unterwies mich, wie ich es halten musste, damit die Kleine aus dem darauf angebrachten ledernen Sauger zu trinken vermochte.
„Das ist für das Kind wesentlich leichter als Milch aus der Brust zu bekommen“, erklärte Madame Chamberet. „Es sollte alle paar Stunden nach Nahrung verlangen. Füllt das Fläschchen mit warmer Kuhmilch, nachdem Ihr es vorher gut ausgewaschen habt.“
Ich nickte leicht, während Mélisse endlich an dem weichen Leder saugte. Als sie offenbar satt waren und ihre kleinen Lippen losließen, blickte ich die Hebamme zögernd an. „Sie wird es doch schaffen, oder?“
Die blonde Frau seufzte leise. „Ich wünschte wirklich, ich könnte Euch diese Sicherheit geben. Dass sie getrunken hat, ist jedenfalls ein gutes Zeichen. Aber ich will ganz ehrlich mit Euch sein. Eurer kleinen Tochter steht eine schere Zeit bevor, sie ist schwach. Wenn sie durchhält, wird jede verstreichende Stunde sie dem Leben näher bringen. Betet für Sie, mehr könnt Ihr jetzt nicht tun.“
Darauf vermochte ich nichts zu erwidern, eine eisige Kälte bemächtigte sich meiner. Madame Chamberet schenkte mir ein Lächeln, das mich trösten sollte, und legte mir die Hand auf den Arm, ehe sie sich erhob.
„Ich werde nach Hause gehen. Ruht Euch jetzt aus, Ihr benötigt Schlaf“, sagte sie. „Zögert bitte nicht, nach mir zu schicken, sollte etwas sein.“
Dankbar nickte ich ihr zu und wünschte ihr noch einen angenehmen Tag. Als sie mein Zimmer verlassen hatte, betrachtete ich nachdenklich meine kleine Tochter. Sie schlief ganz friedlich in meinen Armen, ich konnte ihre Atemzüge hören. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, weil es still war im Raum, doch die sachten Geräusche schienen manchmal ungleichmäßig zu klingen. Obwohl die Müdigkeit schwer auf mir lastete, fand ich keine Ruhe. Meine Gedanken glitten das eine ums andere Mal langsam davon wie durch die Finger rinnender Sand.

Wie die Hebamme geraten hatte, gab ich Mélisse aus der Flasche zu trinken, als sie wach wurde. Sie nahm jedoch nur wenig von der warmen Kuhmilch auf, sodass ich das hölzerne Gefäß beinahe noch halbvoll auf das kleine wacklige Nachttischchen neben meinem Bett stellte. Behutsam drückte ich meiner Tochter einen Kuss auf die Stirn.
„Schlaf, meine Kleine. Du musst zu Kräften kommen, damit du bald die Welt da draußen sehen kannst“, sagte ich leise zu ihr. „An klaren Sommertagen ist der Himmel so blau und die Sonne fühlt sich herrlich warm an auf der Haut. In den Büschen singen die Vögel. Wenn du groß genug bist, werde ich dir das Reiten beibringen, so wie dein Vater es mich gelehrt hat. Ich wünschte er könnte dich jetzt sehen und dich halten. Strahlen würde er vor Stolz. Bestimmt wirst du ihm später ähnlich sehen. Seine blauen Augen hast du ja schon. Er hätte dich so geliebt.“
Ich war überzeugt davon, dass Olivier ein wunderbarer Vater geworden wäre. Mélisse sollte erfahren welch ein Mensch er war, ich nahm mir vor ihr viel von ihm zu erzählen. Sie sollte mit Stolz an ihn denken und niemals mit Zorn. Dann tat ich etwas, das ich eigentlich schon längst aufgegeben hatte. Ich betete zu Gott.

Die Stunden verrannen quälend langsam. Das Ende des Tages brachte Wolken mit sich, die von den letzten Sonnenstrahlen in blutroten Schimmer getaucht wurden. Die Erschöpfung, gegen die ich so lange angekämpft hatte, trug schließlich den Sieg davon. Als ich aus dem Schlaf schreckte, war es bereits dunkel vor den Fenstern. Ich benötigte einige Augenblicke, um mich zurecht zu finden. Mélisse lag völlig ruhig in meinen Armen, sie schien zu schlafen. Inzwischen hätte sie längst wieder nach Nahrung verlangen sollen. Behutsam legte ich meine Tochter auf die Bettdecke, um die Öllampe auf dem Tisch vor dem Fenster zu entzünden. Flackernde Helligkeit begann den Raum zu erfüllen.
Als ich Mélisse im Schein der Lampe betrachtete, wollte ich aufschreien, doch aus meinem Mund drang nur ein ersticktes Keuchen. Ihr Gesichtchen, das zuvor noch von einem zarten rosa Ton gewesen war, hatte sich dunkel verfärbt. Ich begriff jäh, dass sie nicht einfach still war, sondern vollkommen reglos. Ihre angestrengten Atemzüge hatten sich nicht beruhigt, sie waren verstummt.
Vorsichtig drückte ich den leblosen kleinen Körper meiner Tochter an mich. Das konnte doch nur ein schlimmer Traum sein, aus dem ich jeden Moment erwachen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Es war die bittere Wahrheit.
„Warum? Warum tust du mir das an?“ wisperte ich heiser. Das sollten die letzten Worte sein, die ich in meinem Leben an Gott richtete.
Für eine lange Zeit saß ich einfach da, mein Kind in den Armen haltend. Ich wollte nicht glauben, dass sie tatsächlich gegangen war. Nur wie aus weiter Ferne nahm ich die ans Fenster prasselnden Tropfen und die dumpfen Donnerschläge wahr.

Auf einmal war es mir, als stünde jemand dicht vor mir. Als ich langsam den Kopf hob, erblickte ich ein vertrautes liebevolles Gesicht, von dem ich angenommen hatte, es nicht wiederzusehen. Blaue Augen betrachteten mich, die einer hübschen zierlichen Frau mit nussbraunen Locken gehörten.
„Mama...“, flüsterte ich.
Sie ließ sich neben mich sinken, schloss mich in Arme und ich konnte ihren lebendigen warmen Körper spüren. Behutsam strich sie mir übers Haar, wie sie es oft getan hatte, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen war.
„Shhh“, sagte sie leise zu mir. Ihre sanfte melodische Stimme war es, an die ich mich am deutlichsten erinnerte. „Ich bin ja da, mein Liebes.“
Halt suchend schmiegte ich mich an sie, vermochte mich nicht abzuwenden von ihr, weil ich fürchtete sie würde fort sein, sobald ich sie nicht mehr sah. Dieses schöne Gesicht, das so voller Liebe war. Der Ausdruck ihrer Augen war ernst, doch hatte er auch etwas Tröstliches.
„Manchmal nimmt Gott ein gerade geborenes Kind wieder zu sich, weil es noch nicht bereit für diese Welt ist. Deine kleine Tochter ist jetzt an einem besseren Ort. Trauere um sie, aber vergiss dabei nicht, dass dein eigenes Leben weiter geht. Du bist ja noch jung, Anne, und auch wenn dir die Nacht jetzt endlos erscheint, wird ein neuer Morgen folgen.“ Sie hielt inne, lächelte leicht. „Bessere Tage wird es geben, wenn du immer Hoffnung in dir trägst.“
Ich spürte wie mir erneut die Tränen kamen. „Sie war doch alles was ich hatte... Mama, was soll ich jetzt nur machen?“
„Das kann ich dir nicht sagen. Du allein bestimmst wohin dein Weg dich führt, das war die Wahl, die du getroffen hast.“ Sie streichelte mir zärtlich über die Wange. Danach sprachen wir nicht mehr. Die Ruhe, die sie ausstrahlte, gab mir ein Gefühl der Geborgenheit, wie ich es schon lange nicht mehr verspürt hatte. Vollkommen erschöpft sank ich in den Schlaf.

Helligkeit drang durch meine geschlossenen Lider. Der neue Tag hatte begonnen und einzelne Sonnenstrahlen blinzelten am wolkenverhangenen Himmel. Freilich war Mama nicht hier, ich begriff, dass ich alles nur geträumt hatte. Doch war jemand im Raum gewesen, denn das Fenster stand einen Spalt breit offen, sodass frische Luft herein strömte, und auf dem Tisch entdeckte ich einen Teller mit etwas Brot und Obst.
Aber Mélisse war fort. Erschrocken sprang ich aus dem Bett, drehte mich mehrmals suchend herum. Wo war sie?? Den Namen meiner Tochter rufend lief ich auf den Flur hinaus, wo ich bald auf Madame Thorigny traf. Diese ließ verschreckt den großen Wäschekorb fallen, als ich sie an den Schultern packte.
„Wo ist mein Kind? Wo ist es?“ rief ich.
Nachdem sich die ältere Frau wieder gefasst hatte, ergriff sie meine Handgelenke und drückte mich bestimmt von sich, damit ich aufhören musste sie zu traktieren. Bedauern stand in ihren dunklen Augen.
„Es tut mir so leid, Madame, Eurem Kind konnte nicht mehr geholfen werden. Als ich in Euer Gemach kam, um Euch eine Kleinigkeit zu essen zu bringen, war es nicht mehr am Leben. Ich bat meinen Mann dafür zu sorgen, dass es beerdigt wird, um Euch das zumindest zu ersparen.
Ungläubig starrte ich sie an. „Nein... NEIN! Mélisse...ich will zu ihr... sofort! MÉLISSE!“ Ich begann mich heftig gegen sie zu wehren, schlug um mich, bis sie mich nicht mehr halten konnte. Wie von Sinnen schrie ich die arme Frau an, bis ich jäh von starken Armen gefasst und von ihr weggerissen wurde. Obwohl ich mich gebärdete wie ein wildes in Raserei verfallenes Tier vermochte ich mich dem harten Griff Monsieur Thorignys nicht zu entwinden. Er lies mich nicht los, bis meine Kraft zuletzt aufgebraucht war und meine Knie einfach nachgaben. Weinend brach ich zusammen.