Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 23
Kapitel 23
Auf die Trauer über den Tod meiner Tochter folgte bald eine tiefe Leere in meinem Inneren. Obwohl es nur wenige Momente gewesen waren, die ich sie im Arm halten durfte, schien ein Teil von mir nun zu fehlen. Die meiste Zeit über lag ich im Bett, gab mich Überlegungen hin, die am Ende völlig sinnlos waren. Schritte am Gang, ein leises Klopfen an meiner Tür. Ich hatte nicht die Kraft, darauf zu reagieren. Wann ich zuletzt etwas gegessen hatte, wusste ich nicht mehr, und Wasser trank ich nur wenig. Was spielte es schon für eine Rolle, ob ich irgendwann an Durst und Hunger zugrunde ging? Niemandem würde es auffallen.
Irgendwann in diesen endlosen Stunden schob jemand einen Brief unter meiner Tür hindurch. Auf dem Umschlag befand sich ein Siegel. Obwohl ich mir nicht die Mühe machte mein Bett zu verlassen, um mir das Schreiben anzusehen, wusste ich doch, dass es nur vom Kardinal stammen konnte. Er ließ mir für gewöhnlich seine Anordnungen in solchen versiegelten Briefen überbringen. Was auch immer er diesmal von mir wollte, es interessierte mich nicht mehr. Nie wieder würde ich seine Aufträge erfüllen. Es war mir gleich, ob ich ohne ihn im Rinnstein verrecken würde. Jemand wie ich kam nicht in den Himmel, von dem man mich in Kindertagen gelehrt hatte, doch selbst die Hölle würde gegenüber diesem Leben eine Erlösung sein.
Ein nachdrückliches Klopfen holte mich aus meiner Apathie. Langsam hob ich den Kopf, blickte auf die dunkle Tür, vor der immer noch der ungeöffnete Umschlag lag. Ich reagierte nicht, hoffte nur, wer auch immer dort draußen stand, würde unverrichteter Dinge wieder seiner Wege gehen.
„Madame, ich weiß, dass Ihr da seid“, erklang dumpf eine vertraute männliche Stimme. „Seine Eminenz ist keineswegs erbaut darüber, dass Ihr seiner schriftlichen Anordnung in seinem Palais zu erscheinen, nicht gefolgt seid. Er hat mich daher beauftragt Euch daran zu erinnern. Ihr mögt mich jetzt begleiten.“
Das also stand in dem Brief. Nun wusste ich auch, dass es Gérôme Beauval war, den der Kardinal geschickt hatte. Jener Gardist, der mich bereits nach Paris gebracht hatte. Obgleich das erst wenige Monate zurück lag, erschien es mir unendlich lange her zu sein. Immer noch gab ich keine Antwort.
„Ich muss darauf bestehen, dass Ihr mit mir kommt, da mir ausdrücklich befohlen wurde nicht ohne Euch zu erscheinen“, fuhr er fort und klopfte erneut. Er würde sich nicht durch bloßes Schweigen abweisen lassen.
„Wollt Ihr diese Tür einschlagen, wenn ich sie nicht aus freiem Willen öffne?“
„Genau das beabsichtige ich zu tun, wenn es nötig sein sollte. Jedoch wäre es mir lieber Ihr würdet mich freiwillig begleiten. Glaubt mir, es ist besser für unser beider Seelenheil, der Anordnung Seiner Eminenz zu folgen.“
Eine Unterredung mit dem Kardinal war gewiss das letzte, was ich jetzt wollte, doch es schien als bliebe mir keine Wahl. Gérômes Worte waren unmissverständlich, er würde mich zwingen mit ihm zu gehen. Seufzend schlug ich die Bettecke zurück und erhob mich. Dunkle Schlieren begannen sogleich vor meinen Augen zu tanzen, sodass ich mich wieder setzen musste, ehe meine Knie nachzugeben drohten. Ich fühlte mich so schwach und ausgelaugt.
„Gebt mir zehn Minuten“, murrte ich an die Tür gewandt. „Ich muss mich erst ankleiden. Ihr könnt so lange unten auf mich warten.“
Tatsächlich hörte ich seine sich entfernenden Schritte. Ich widerstand der Versuchung mich wieder ins Bett zu flüchten. Ein Blick in den angelaufenen Spiegel, der über der kleinen Kommode hing, sagte mir, dass ich grauenvoll aussah. Bis ich mich gewaschen, angezogen und frisiert hatte, vergingen gewiss mehr als zehn Minuten, doch Gérôme kam nicht, um nachzusehen wo ich blieb. Madame Thorigny hatte ihn inzwischen mit einer Melange und einem Stück Kuchen versorgt.
Wortlos folgte ich dem Gardisten zu seiner Kutsche. Er half mir auf den Bock, wobei ihm nicht entging, wie schwach ich auf den Beinen war. Es mussten einige Tage gewesen sein, die ich nichts mehr gegessen hatte, mein Gefühl für Zeit war verloren gegangen. Wir hatten eben die Seine überquert, als Gérôme das Pferd vor einer Bäckerei durchparierte. Er hieß mich zu warten, während er vom Wagen sprang und das Geschäft betrat. Doch das Rauschen des nahen Flusses zog mich an wie eine leise Stimme, die mich mit süßen lockenden Worten rief. Sie sang von Frieden und Stille. Langsam lenkte ich meine Schritte auf die vereiste Brücke, bis ich die Mitte erreichte. Es hatte ein wenig zu schneien begonnen und ich sah zu wie die Flocken auf dem dunklen Wasser schmolzen. In der Kälte des Flusses würde ich die Erlösung finden, nach der ich mich sehnte, wenn mich die Strömung fort trug. Das steinerne Geländer der Brücke war nicht sehr hoch, ich brauchte nur darüber hinweg zu klettern. Dann würde mein Körper hinab in die finstere Tiefe sinken und der Strom all meine Gefühle davon tragen.
Es schien so leicht zu sein. Und doch zögerte ich. Diesem Leben jetzt ein Ende zu setzen, hieß auch der bevorstehenden Begegnung mit dem Kardinal zu entgehen. Vor ihm zu flüchten. Das letzte bisschen Stolz, das ich mir bewahrt hatte, begehrte dagegen auf. Nein, vor ihm würde ich nicht davon laufen! Die Zusammenarbeit mit diesem Menschen zu beenden, das würde mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllen. Er sollte sehen, dass ich ihn nicht fürchtete! Danach konnte ich immer noch meinen Seelenfrieden in der ewigen Umarmung des dunklen Flusses suchen.
Just als ich mich umwandte, um zur Kutsche zurückzukehren, hörte ich Gérômes Stimme meinen Namen rufen. Er blickte mich fragend an, doch ich schuldete ihm keine Erklärung. Wortlos schwang ich mich wieder auf den Bock, wartete, dass er es mir gleich tat und wir unsere Fahrt fortsetzten. Bevor er jedoch die Zügel ergriff, reichte er mir ein Baguette, das er vom Bäcker geholt hatte.
„Hier, Ihr müsst etwas essen, sonst fallt Ihr am Ende noch vor Seiner Eminenz um“, sagte er nachdrücklich. „Madame Thorigny meinte Ihr hättet seit Tagen nichts zu Euch genommen.“
Dankbar nahm ich das Brot an. Vor dem Kardinal Schwäche zu zeigen, war das letzte was ich wollte. Den übrigen Weg zu Richelieus Palais brachten wir schweigend zu. Ich legte mir schon im Stillen die Worte zurecht, die ich an ihn zu richten gedachte. Gérôme brachte mich zum Arbeitszimmer des Kardinals und entfernte sich erst auf dessen Wink hin.
Mir bot sich ein vertrauter Anblick. In seiner roten Robe, behangen mit dem schweren goldenen Kreuz stand Richelieu hoch aufgerichtet hinter dem wuchtigen Schreibtisch. Die schweren Brokatvorhänge waren zur Gänze aufgezogen, sodass Sonnenlicht durch das hohe Fenster hinter ihm in den Raum flutete. Seine Gestalt wirkte imposanter denn je und ich konnte durchaus verstehen, weshalb die einfachen Leute fast so etwas wie ein göttliches Wesen in ihm sahen.
„Nun habt Ihr ja doch den Weg zu mir gefunden, Madame“, begann er mit leiser drohender Stimme. „Ihr wisst doch, ich warte nicht gern und noch weniger liebe ich es mich wiederholen zu müssen.“
„Bedauernswerterweise hat mich Euer Schreiben nicht erreicht, Ihr mögt mir also mein Versäumnis nachsehen“, erwiderte ich kühl. Er wartete darauf, dass ich vor ihm kriechend um Vergebung flehte, doch diesen Gefallen würde ich ihm niemals tun.
Er lachte leise und ging um den Tisch herum bis er vor mir stand. Sein durchbohrender Blick blieb für einen Moment an meinem Bauch ruhen. „Mir ist bekannt welch tragischen Verlust Ihr erlitten habt. Bedenkt jedoch, dass Gottes Taten niemals ohne Grund sind. Er ließ Euch das Leben, seid dankbar dafür.“
Die bittere Antwort, die mir auf der Zunge lag, verkniff ich mir. Ich wollte mit ihm nicht über meine arme Kleine sprechen und schon gar nicht über Gott. „Man muss das Beste aus dem machen, was einem gegeben ist. Ihr versteht sicher, dass für mich nun nicht länger die Notwendigkeit besteht, mich in Eure Dienste zu stellen.“
„Ihr weist die Hilfe zurück, die ich Euch in meiner Güte gewährte? Bedenkt wo Ihr wärt, Madame, hätte ich nicht zu Eurem Gunsten eingegriffen. Ich will es Euch sagen. In dieser Zelle verrotten würdet Ihr, aus der mein Gardist Euch geholt hat!“
„Und Ihr erinnert Euch der Worte, die Ihr bei unserem ersten Zusammentreffen in diesem Raum an mich gerichtet habt. Ihr sagtet ich wäre frei zu gehen, wenn ich wollte, und Ihr würdet mich nicht festhalten. Genau das beabsichtige ich jetzt zu tun, denn ich ziehe es vor mein Leben in der Gosse zu fristen, als mich noch länger von Euch wie eine Hure zu verkaufen zu lassen! Lebt wohl, Eminenz.“ Ich knickste und wandte mich auf dem Absatz um, doch bevor ich auch nur einen Schritt zur Tür machen konnte, vertrat er mir den Weg.
„Nicht so voreilig, meine Liebe. Zunächst sollten wir uns über Euren nächsten Auftrag unterhalten und über die Bezahlung“, bemerkte er in neutralem Tonfall, wobei seine Hand wie zufällig meine rechte Schulter berührte, wo das verfluchte Zeichen in die Haut gebrannt war. „Ich bin ein sehr mächtiger Mann, wie Ihr wisst. Wenn Euch daran gelegen ist, diesen bedauerlichen Irrtum aus der Welt zu schaffen, so vermag ich das für Euch zu erledigen.“
„Ihr könnt...?“ entfuhr es mir verblüfft. „Aber wie? Das Brandmal lässt sich nicht tilgen, es wird mich bis in mein Grab begleiten.“
Ein unergründliches Lächeln umspielte seine Lippen als er nickte. „Ja, ich kann. Ich werde Euch ein Dokument mit meinem Siegel und meiner Unterschrift ausstellen, welches besagt, dass Eure Verurteilung zu Unrecht geschah und als widerrufen zu betrachten ist. Dies ist für jedermann anzuerkennen und Ihr werdet wieder eine ehrbare Frau sein. Ihr seht also, ich bin bereit einen guten Preis zu zahlen.“
Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich mir nichts mehr gewünscht, als von meiner Schande befreit zu sein. Aber was würde das nun noch ändern? Selbst wenn es mir gelingen sollte Olivier zu finden, so vermochte dieses Dokument die Ereignisse nicht ungeschehen zu machen. Es lag jenseits seiner Möglichkeiten mich wieder als seine Frau anzuerkennen, selbst wenn ich ihm beweisen konnte, dass ich ihn nie belogen hatte. Doch vielleicht, wenn er die Wahrheit erfuhr und einsehen musste, dass er mir Unrecht getan hatte, würde er anfangen zu bereuen.