Je suis une femme von Engel aus Kristall
Durchschnittliche Wertung: 5, basierend auf 38 BewertungenKapitel Kapitel 24
Kapitel 24
Die Stille war drückend. Es kostete mich immense Kraft den stechenden Augen des Kardinals standzuhalten. Ich war überzeugt, dass mir nicht gefiel, was ich gleich zu hören bekommen würde. Richelieu schien jeden Moment auszukosten, den er mich im Ungewissen ließ. Er spielte mit mir, wie so oft.
„Lord Byron de Winter“, begann er endlich, „Er und sein Bruder Lord Francis de Winter sind englische Adlige und sehr angesehen am Königshof. Wie mir nun zu Ohren kam, ist der Lord auf der Suche nach einem Weib für sich. Ihr werdet nach England reisen und ihn für Euch gewinnen. Dies sollte Euch keine größeren Schwierigkeiten bereiten, nicht wahr, Anne?“
„Nach England??“ entfuhr es mir überrascht. Ich dachte an den Sprachunterricht bei Monsieur Grimaud. Offensichtlich schien der Kardinal seine Pläne schon weit im Vorhinein geschmiedet zu haben.
Er schritt langsam wieder um den wuchtigen Tisch herum, um auf seinem Sessel Platz zu nehmen. Ohne seine Aufforderung abzuwarten, setzte ich mich ihm gegenüber und blickte ihn an. Sollte er mir sein Vorhaben erläutern, danach würde ich entscheiden, ob es den angebotenen Preis wert war. Noch vor kurzer Zeit hätte ich fast alles getan, um das von ihm in Aussicht gestellte Dokument in den Händen zu halten.
„Ihr werdet nach Hause zurückkehren, Eure Habe packen und dann warten, bis Ihr abgeholt werdet. Einer oder zwei meiner Gardisten geleiten Euch sobald das Wetter ein wenig reisefreundlicher geworden ist nach Calais, von wo aus Ihr Euch an Bord eines Schiffes begebt, welches nach England segelt. Ein Mittelsmann wird Euch dort erwarten. Eure Aufgabe ist, wie bereits von mir angedeutet, Lord Byron de Winter. Ich bezweifle nicht, dass es Euch rasch gelingen wird, ihm näher zu kommen. Habt Ihr das erreicht, werdet Ihr alles dafür tun, um an seiner Seite zu bleiben. Wenn er Euch einen Antrag macht, heiratet ihn. Er ist Euer Schlüssel zum englischen Königshaus. Französischen Boden zu betreten, ist Euch ohne meine Erlaubnis nicht gestattet, so Euch an dem von mir versprochenen Schreiben gelegen ist. Habt Ihr das verstanden?“
Die Worte hallten in meinem Kopf wider wie dumpfe Glockenschläge. Er verlangte viel und für einen Augenblick war ich tatsächlich versucht ihm zu entsagen. Doch dann nickte ich langsam. „Ja, Eminenz. Ich will mich bemühen Eure Anordnungen auszuführen, so gut mir das möglich ist.“
Solange es ein kleines bisschen Hoffnung gab, zurück zu erhalten, was mir gestohlen worden war und wieder eine ehrbare Dame zu sein, war das einiger Mühe wert. Mir war nur wenig darüber bekannt, aber genug, um zu wissen, dass ich nach Schottland, Wales oder Irland gehen konnte, um neu zu beginnen, sollte die Aufgabe scheitern. Der Kardinal würde mich nicht finden.
„Nun geht, Anne“, sagte er leise. „Und wagt es nicht mich zu enttäuschen.“
Ich knickste höflich und entfernte mich. Auf dem Gang wartete Gérôme, um mich wieder nach Hause zu bringen, doch ich entschloss mich zu Fuß zu gehen. Die klare kalte Luft verursachte ein Kribbeln auf meinen Wangen und der Nasenspitze, das ich nicht unangenehm fand. Es zeigte mir, dass ich lebendig war. Auf der vereisten Brücke über der Seine hielt ich an, starrte minutenlang hinab in das dunkle Wasser, doch das Flüstern des Flusses war verstummt. Vielleicht gab es tatsächlich einen Grund, aus dem ich am Leben geblieben war, obgleich ich nicht glaubte, dass es sich um den Willen Gottes handelte. Sobald ich den kostbaren Schrieb des Kardinals in meinen Händen hielt, würde ich in die Champagne zurückkehrten. Olivier de la Fère sollte die Wahrheit erfahren und wenn es das letzte war, was ich tat. Und er sollte wissen, dass er eine Tochter gehabt hätte. Der Verlust meiner armen kleinen Mélisse schmerzte wie eine frisch gerissene Wunde, doch wusste ich, dass die Zeit allein Heilung zu bringen vermochte. Die Erinnerung würde ich mit mir nehmen, wohin ich auch ging.
Meine wenigen Habseligkeiten waren rasch gepackt. Weil Richelieu nicht näher bezeichnet hatte, wann er jemanden zu mir schicken würde, blieb ich die meiste Zeit in meinem Gemach, als es wärmer zu werden begann. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass ich das Haus der Thorignys bald für immer verlassen würde. Ich hatte mich hier nie wirklich daheim gefühlt und doch war es das einzige Zuhause, das es für mich gab.
Nach vielleicht einer Woche erschien dann tatsächlich ein Gardist. Es war nicht Gérôme, den ich gut leiden mochte, sondern ein kleinerer drahtiger Mann mit hellem Kraushaar. Er stellte sich mir als Oscar Dontreix vor. Seine Aufgabe war es die Kutsche zu begleiten, in der ich reisen sollte. Und so kehrte ich Paris den Rücken. Diese große, laute und im Elend verkommene Stadt würde mir nicht sehr fehlen. Zunächst fand ich es sehr interessant, die vor dem Fenster vorbei ziehende Landschaft zu beobachten, doch nach einiger Zeit wurden die Bäume und Wiesen langweilig. Von Dontreix bekam ich nicht viel zu Gesicht, weil er neben der Kutsche her ritt. Ebenso wenig war es möglich eine Unterhaltung mit dem untersetzten Mann zu führen, der vorne auf dem Bock saß. Wir übernachteten in kleinen Herbergen und legten am Tag so viel Weg zurück, wie die Pferde verkrafteten. Je länger die Fahrt dauerte, desto unruhiger wurde ich innerlich. Ich hatte ja nicht die geringste Ahnung, was mich in England wohl erwarten mochte. Welch ein Mann war Lord Byron de Winter?
Das Meer empfing mich launisch. Heftige Wogen brachen sich am Gemäuer des Hafens und das Kreischen der Möwen verlor sich im Tosen des Sturmes. Aufgrund dieses Wetters konnte freilich kein Schiff übersetzen, sodass sich mein Aufenthalt in Calais ein wenig verlängerte. Am Morgen des vierten Tages zeigte sich die Sonne und die Luft war klar. In der Ferne erhoben sich die dunklen Umrisse der englischen Küste.
Dontreix begleitete mich bis zum Dock. Wahrscheinlich war er vom Kardinal beauftragt worden sicher zu stellen, dass ich auch wirklich an Bord des Segelschiffes ging, welches mich nach England bringen sollte. Wehmütig blickte ich zurück auf den sich immer weiter entfernenden Hafen. Ich atmete tief ein, spürte wie die salzige Seeluft meine Lungen hinab strömte. Während der gesamten Überfahrt rührte ich mich nicht vom Fleck. Als das Schiff den Hafen von Dover erreichte, klammerten sich meine Finger unwillkürlich an die hölzerne Reling, dass die Knöchel weiß hervortraten. Was mich auch erwarten mochte, wenn ich von Bord ging, ich fühlte die Gewissheit in mir, dass ein neuer Abschnitt in meinem Leben begann.
Auf dem Landungssteg sah ich mich gespannt um. Ich wusste nicht, wer kommen würde, um mich abzuholen. Es schien jedoch als musste ich mich nicht allzu lange gedulden. Ein dünner drahtiger Mann mit angegrautem dunklem Haar näherte sich mir.
„Ihr seid Miss de Lechelle?“ Er sprach mich in leisem Englisch an.
Ich nickte, noch unschlüssig, was ich von meinem Gegenüber halten sollte. „Ja, die bin ich.“
„Sehr gut“, fuhr er fort, „Sutherland ist mein Name. Ich soll Euch nach London begleiten, folgt mir bitte.“
Jetzt musste ich mir Mühe mit der Sprache geben. Monsieur Grimaud hatte mir gerade einmal die Grundzüge beibringen können. Die meiste Zeit war es Sutherland, der das Wort führte. Obwohl er langsam sprach, hatte ich meine liebe Not den Zusammenhängen richtig zu folgen. Heiße Wut auf Richelieu stieg in mir auf, weil er mich so unvorbereitet in diese Misere gestoßen hatte. Wie sollte ich bloß an diesem neuen Ort bestehen, wenn ich mich kaum zu verständigen vermochte?
Auf dem Weg nach London nahm ich begierig alle neuen Eindrücke auf. Die verschlafenen Dörfer unterschieden sich kaum von jenen daheim in Frankreich, aber es war merkbar kälter, die winterliche Sonne brach kaum durch den Nebel. London jedoch war ganz anders als das laute unübersichtliche Paris. Eine geordnete Betriebsamkeit herrschte in den Straßen der Stadt. Unser Ziel war eine heruntergekommene Gegend am Stadtrand. Die Fassaden der Häuser verblassten zusehends, die Fensterscheiben waren verdreckt. Auf einmal wies Sutherland auf den Eingang zu einem Lokal, über dem in verschnörkelten Lettern „The Owl“ zu lesen war.
„Lord de Winter pflegt seine Abende seit dem Tod seiner Gattin in diesem Pub zu verbringen“, erklärte er. „Es ist hier nicht mehr so ausgestorben, wenn es dunkel ist, glaubt mir.“
„Seine Frau ist verstorben?“ fragte ich verwundert nach. Diese kleine Nebensächlichkeit hatte mir der Kardinal verschwiegen.
Der Engländer nickte mit einem schwer deutbaren Ausdruck. „Ja, sie starb im letzten Winter an der Diphtherie. Mittlerweile scheint er den Verlust überwunden zu haben, man trifft ihn wieder auf Festen an.“
„Hat er denn Kinder?“
„Nein, Miss, dieses Geschenk hat ihm seine Gattin nicht gemacht. Auch sein Bruder ist kinderlos, aber wenigstens nehme ich an, dass seine Schwester inzwischen Mutter geworden ist. Sie hat vor einigen Jahren geheiratet.“
Mir fielen gleich noch weitere Fragen ein und Sutherland schien viele Dinge zu wissen, doch jetzt kamen wir vor einem unscheinbar grauen Haus an, dessen schäbige Fassade drei Etagen empor reichte. Ganz oben dem Dachfenster fehlte die Scheibe. Mein Begleiter betätigte den angelaufenen Türklopfer, woraufhin nach einigen Augenblicken von ein kleiner alter Mann mit einem dünnen Kranz grauen Haares und griesgrämiger Miene öffnete. Es wurden einige schnelle Worte gewechselt und schon marschierte Sutherland mit meinem Koffer die Treppe nach oben. Irritiert folgte ich ihm. Innen war das Haus in nicht viel besserem Zustand als außen. Das Zimmer im obersten Stock, in dem er schließlich das Gepäck abstellte, war sehr klein und es roch modrig. Zerschlissene Vorhänge verdeckten das Fenster. Hier sollte ich also bleiben?
Der Engländer erriet meinen Blick offenbar. „Mit etwas Glück werdet Ihr nicht lange hier sein. Der Pub, den ich Euch zuvor gezeigt habe, befindet sich zwei Straßen weiter. Solltet Ihr mich brauchen, könnt Ihr mir über Mister Biggs eine Nachricht zukommen lassen. Er wird auch Eure Botschaften nach Frankreich übernehmen und an mich weiterleiten. Keine Sorge, er ist nicht so böse wie er aussehen mag, er ist nur kein Freund vieler Worte. Das hier habe ich Euch noch zu geben.“
„Ist gut“, antwortete ich, einen in braunes Papier gehüllte flachen Gegenstand entgegen nehmend. „Danke.“
„Auf wiedersehen, Miss.“
Er lüftete zum Gruß seinen Hut und ließ mich allein zurück. Sofort zog ich die Vorhänge beiseite, um das schmutzige Fenster zu öffnen. Die frische kalte Luft, die herein strömte, war herrlich. Erst jetzt blickte ich mich genauer in dem winzigen Raum um. Es gab ein Bett und einen kleinen Schrank. Das also sollte nun mein Zuhause sein. Zumindest für den Augenblick.