Je suis une femme von Engel aus Kristall

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Kapitel Kapitel 25

Kapitel 25



Als Sutherland gegangen war, betrachtete ich nachdenklich das in grobes Papier gewickelte Päckchen, welches von einer Leinenschnur zusammengehalten wurde. Mit mäßiger Neugier wickelte ich den darin verborgenen Gegenstand aus. Ein schlichter Rahmen aus Holz, in dem eine Kohlezeichnung steckte, sowie ein kleiner Lederbeutel kamen zum Vorschein. Es handelte sich um das Abbild eines Mannes in seinen Dreißigern, dessen Haltung einen Herrn von Stand verriet, wenn er auch nicht so edle Gesichtszüge wie Olivier besaß. Sofern es die Linien aus Kohle offenbarten, war sein Haar blond oder hellbraun und die Augen dunkel. Er trug keinen Bart, sein gerundetes Kinn war stattdessen nur vom leichten Wuchs weniger Tage bedeckt. Auf der Rückseite des Bildes hieß es in Worten aus Tinte ‚Lord Byron de Winter’ und darunter ‚The Owl, Cubert Alley’. Dies war also der Mann, auf den mich Richelieu angesetzt hatte. Sein Gesicht war hübsch, doch das Leben selbst hatte mich gelehrt, wie wenig das bedeutete. Den genannten Pub hatte mir Sutherland bereits gezeigt und am nächsten Tag würde ich ihn schon wieder finden. Für den Moment wollte ich nur schlafen. Bevor ich mich aufs Bett legte, inspizierte ich noch den Beutel, der ebenfalls in dem Päckchen gewesen war. Er enthielt ein paar englische Geldmünzen, hungern musste ich also vorerst nicht. Mit dem Gedanken daran, was nun wohl auf mich zukam, schlief ich schließlich ein.

Der folgende Morgen war kühl und feucht. Nebel hing tief im Irrgarten der verwinkelten Gassen. Erst jetzt begann ich wirklich zu begreifen, dass Frankreich und alles, was mir je im Leben vertraut gewesen war, weit hinter mir lag. Vielleicht war es besser, Olivier für immer zu vergessen. Wenn ich nach Schottland oder Irland weiter zog, brauchte ich Richelieus verfluchtes Schreiben nicht. Diese Möglichkeit war verlockend, aber nein, noch konnte ich diesen Weg nicht gehen.
Nachdem ich ziellos ein paar Straßen entlang gewandert war, stieß ich auf eine Bäckerei, wo ich ein wenig Brot kaufte. Dabei fand ich den Wert der Geldmünzen heraus. Für einige Tage mochte ich davon überleben, vielleicht ein bisschen länger, wenn ich sehr sparsam damit umging. Der Kardinal hielt mich an der kurzen Leine, um sicher zu stellen, dass ich möglichst rasch Resultate lieferte. Anschließend machte ich mich auf die Suche nach der Cubert Alley und versuchte mir die Wege gut einzuprägen.
Bei Einbruch der Dämmerung kehrte ich zum Pub zurück, vor dem jetzt eine Laterne brannte und die kleine metallene Eule über dem Eingang beleuchtete. Auf der gegenüber liegenden Seite gab es einen schmalen Durchlass, der in einen dunklen Hinterhof zwischen den Häusern führte. Dort verbarg ich mich, um abzuwarten und zu beobachten. An diesem Abend erschien Lord de Winter jedoch nicht und ich kehrte schließlich halb erfroren kurz vor Mitternacht in mein Quartier zurück. Dann am nächsten Tag wurde das geduldige Warten belohnt, ich bekam ihn erstmals zu Gesicht. Ein hochgewachsener schlanker Mann, der zunächst einen fast jungenhaften Eindruck erweckte, ritt auf einem hochbeinigen Pferd die Straße entlang. Nach dem Absitzen führte er es in einen Durchgang neben dem Pub, ähnlich dem, in welchem ich mich wieder zurückgezogen hatte. Wahrscheinlich lag dahinter ebenfalls ein kleiner Hof. Während ich wartete, zählte ich die dumpfen Schläge der Kirchenglocke. Nach mehr als zwei Stunden verließ Lord de Winter das Lokal und verschwand mit seinem Schimmel in der Nacht.

Ich wusste nicht, wie ich seine Aufmerksamkeit erringen sollte, während sich die Vorgänge die Abende darauf wiederholten. Zumindest blieb genügend Zeit, um mir einen halbwegs glaubwürdigen Hintergrund für meine Person zu überlegen, mit dem ich ihm gegenüber treten konnte. Vorausgesetzt, mir fiel bald eine geeignete Möglichkeit ein, ihn zu ködern. Am vierten Tag begann es zu regnen und ich war durchnässt bis auf die Knochen, bevor er wieder ins Freie trat. Ich beschloss die Gelegenheit beim Schopf zu packen, denn eine bessere würde sich nicht ergeben. Als er auf sein Pferd gestiegen war, verließ ich meine Deckung. Im Schutz der Dunkelheit hastete ich ihm entgegen. Das Tier scheute und auf dem aufgeweichten Boden glitt ich nur allzu leicht aus. Er sprang ab, um mir auf die Beine zu helfen.
„Seid Ihr wohlauf, Miss?“
Ich nickte langsam, als säße mir der Schreck in den Gliedern. „Ja, es geht mir gut. Bitte entschuldigt meine Unachtsamkeit!“
„Es ist ja nichts geschehen. Aber sagt, was macht Ihr um diese Zeit und bei dem Wetter hier draußen?“
„Auch wenn ich es nur ungern zugebe, ich habe mich leider verlaufen. Könnt Ihr mir sagen, wie ich zum Buckthorn Way komme, mein Herr?“
Auf seinem nass glänzenden Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. „Das ist nicht weit von hier, ich bringe Euch hin. Mein Pferd kann uns beide tragen.“
„Oh nein, das ist nicht nötig! Wenn Ihr mir nur sagt, in welche Richtung ich gehen muss, finde ich schon selbst dorthin.“
„Seid nicht albern, Miss. Kommt, ich helfe Euch in den Sattel.“
Nach dem ersten Protest nahm ich sein Angebot natürlich nur allzu gerne an. Schließlich saß ich hinter ihm auf dem Rücken des Tieres und hielt mich an ihm fest. Nach ein paar Minuten waren wir vor Mister Biggs’ Haus angelangt und er stieg ab, um mir hinunter zu helfen.
„Vielen Dank, guter Herr“, sagte ich mit meinem kokettesten Lächeln. „Das war wirklich nicht nötig. Ich kann Euch dafür nicht einmal ein heißes Getränk anbieten. Aber ich lade Euch dennoch ein, drinnen zu warten, bis der Regen nachlässt, das ist ja das mindeste.“
Er wollte schon widersprechen, als ein Blitz die Nacht zerriss und Donner bedrohlich grollte. Das Pferd legte verängstigt die Ohren an. „Wenn es für meinen Ivory einen trockenen Ort gibt, nehme ich Euer Angebot dankend an.“
Wir brachten den Schimmel im Hof in dem Schuppen unter, in dem eine Ziege lebte, die den Bewohnern eines der angrenzenden Häuser gehörte, und rieben es gründlich mit Stroh trocken, damit es sich nicht erkältete. Dann geleitete ich Lord de Winter hinein ins Trockene und nach oben zu meinem Zimmer. Unten hatte der alte Biggs zwar den Kamin beheizt, doch es drang nur wenig von der Wärme durch die Leitungen bis ganz hinauf.

Der Lord musterte mich irritiert, als ich ihm den einzigen im Raum befindlichen Stuhl anbot, welcher zu dem krummbeinigen Tisch vor dem Fenster gehörte, während ich mich selbst auf dem Bett niederließ. Es tat gut, den triefenden Mantel und die durchweichten Stiefel abzustreifen. Das Haar klebte mir im Gesicht. Einen besonders reizvollen Anblick bot ich so gewiss nicht.
„Hier wohnt Ihr?“ fragte er mit ungläubig hochgezogener Braue.
Ich nickte leicht. „Ein Dach über dem Kopf und ein Bett zum schlafen, was sollte ich mehr benötigen?“
„Ihr seid sehr bescheiden, aber Euer Auftreten verrät eine Dame von Stand. Ihr stammt nicht von der Insel, oder? Euer Akzent klingt französisch, wenn ich mich nicht irre.“
„Da habt Ihr recht, ich kam vor einigen Tagen aus Frankreich nach England. Aber eine Dame von Stand, in dieser Hinsicht muss ich Euch enttäuschen, mein Herr. Ich kenne Euren Namen noch gar nicht.“
„Oh, das ist sehr unhöflich von mir!“ Er vollführte eine entschuldigende Geste. „Ich bin Lord Byron de Winter. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Man nennt mich Anne“, entgegnete ich schlicht.
„Anne“, wiederholte er in englischer Aussprache. „Das ist ein hübscher Name. Einfach, aber ausdrucksvoll, möchte ich sagen. Und wie geht es weiter?“
Ich bemühte mich um ein scheues mädchenhaftes Lächeln, von dem ich glaubte, es schon vor langer Zeit verlernt zu haben. „Nur Anne. Ich bin bei den Karmeliterinnen aufgewachsen, bei denen meine Mutter mich schon als Säugling lassen musste, und so kann ich weder ihren, noch den Namen meines Vaters tragen.“
„Und was führt eine Karmeliterin so weit in die Fremde, wenn Ihr mir die Frage gestattet?“
„Nur der Wunsch ein wenig von der Welt zu sehen. Mein Vater war Engländer, aber leider kannte ich ihn nicht. So möchte ich zumindest Bekanntschaft mit diesem Land schließen, in dem ein Teil meiner Wurzeln liegen. Das Klosterleben empfand ich mit dem Heranwachsen mehr und mehr beengend. Es war nicht geeignet für mich. Außerhalb dieser Mauern gibt es so viele aufregende Dinge zu entdecken.“
Ich sah ihm an, dass ihm noch viele Fragen auf den Lippen brannten und schlug geheimnisvoll die Augen nieder. Er folgte jeder meiner Bewegungen, während ich den altersschwach knarrenden Schrank öffnete, um ihm die dort befindliche, für kalte Nächte bestimmte Wolldecke zu reichen. Inzwischen hatte er seinen durchnässten Reitmantel abgelegt und nahm sie mit einem dankbaren Lächeln an. Sein Blick ruhte immer noch auf mir, als ich mich erneut auf der Schlafstatt niederließ. Langsam begann ich die Bänder meines Kleides zu lösen, um mich aus dem schweren Stoff zu schälen, bis ich nur noch die lange Unterwäsche am Leib trug. Ich hatte es nicht eilig damit, mich in die Bettdecke zu hüllen, denn Lord de Winter schien zu gefallen, was er sah. Die dünne Wäsche klebte mir feucht und durchscheinend am Körper, sodass sich meine Brüste darunter abzeichneten. Ja, ich wusste genau, wie ich auf die Männer wirkte. Er war gewiss keine Ausnahme.