Spiel mir das Lied vom Tod von andrea
Durchschnittliche Wertung: 2, basierend auf 1 BewertungenKapitel Mariä Empfängnis im Jahre 1674
Die letzten Worte des Herrn Gullién blieben bei Aramis nicht ohne Wirkung. Vielleicht war es wirklich die letzte Beichte, die ihn noch auf dieser Erde festhielt. Dieser Grund schien ihm äußerst logisch, weswegen er gleich am Tag nach der Jagd, den ehrwürdigen Pater Cruz, den Pfarrer von La Vola, am Ausgang der kleinen Dorfkirche abfing.
"Guten Morgen Padre, ein sehr schöner Gottesdienst war das heute wieder."
"Reden Sie nicht, Herr Bischof", war die verbitterte Antwort auf diesen Gruß, "ich hab genau gesehen, wie Sie während der Predigt geschlafen haben."
Der Schlag hatte gesessen. Aramis merkte wie er rot wurde.
"Tja, da haben sie mich wohl ertappt, Padre, aber was halten sie davon, wenn ich es gleich im Beichtstuhl zu tiefst bereue und Sie mich auch noch von ein Paar anderen winzigen Sünden lossprechen."
"Beichten? Sie waren doch, seit Sie hier leben, noch nicht ein einziges Mal in der Beichte, so was schimpft sich Bischof."
"Vielleicht hatte ich es bis heute noch nicht nötig."
"Du sollst nicht lügen, sagt der Herr."
Auch der zweite und dritte Schlag hatten ihr Ziel nicht verfehlt, mit diesem Dorfpriester war anscheinend nicht zu spaßen. Doch Aramis ließ nicht locker.
"Und wenn schon, dann habe ich mich eben jetzt entschlossen zu beichten. Gott vergibt alle Sünden."
"Dann beichten Sie doch bei ihm, sehr lange kann es bei Ihnen ja nicht mehr dauern bis Sie mit ihm Bekanntschaft schließen."
" Gott geb's! Bei dir aber auch nicht du Pfaffe."
" Wie war das gerade?"
" Ach, nichts. Ich habe nur laut gedacht. Aber wenn Sie mir partu nicht die Beichte abnehmen wollen, dann lassen Sie uns doch ein wenig plaudern.
Wenn Sie wüssten was ich so alles erlebt habe. Ich meine, Sie haben ihr wunderbar ruhiges und langweiliges Leben ja vielleicht nur hier verbracht, aber ich habe Intrigen geschmiedet, in Kriegen mit gekämpft und Duelle ausgefochten. Was meinen Sie, ob Gott mir das vergeben kann?"
"Gut, Herr Bischof, kommen Sie mit rein, aber lassen sie mich mit ihren Geschichten ihn Ruhe."
Vollends zufrieden folgte Aramis dem Priester, der die Kirchentür wieder aufschloss und in dem dunklen Gemäuer verschwand.
Keine zehn Minuten später sprang die Tür wieder auf und der Priester erschien im Tageslicht.
"Raus, raus aus dieser heiligen Stätte! Wie können Sie überhaupt noch unter die Augen von Jesus Christus treten? Sie, sie Heide, sie wollen ein Christ sein? So eine Sündenlast kann ein einzelner gar nicht tragen! Aber dafür schmoren Sie ewig in der Hölle!"
"Ganz ruhig, ganz ruhig, Padre! Sonst platzen Sie noch vor lauter Wut und das wollen wir doch nicht, oder?", schallte es zur Antwort und nun tauchte auch Aramis am Ausgang auf und folgte dem ausgestreckten Finger des Paters zum Ausgangstor des Kirchengeländes, das sogleich in den kleinen Stadtpark führte.
"So eine Sündenlast kann kein einzelner tragen", äffte Aramis den erbosten Priester nach, "Wenn der jemals Athos, Porthos oder d'Artagnan begegnet wäre! Aber nach diesem trockenen Gespräch habe ich Durst, ich gehe in Wirtschaft."
Gesagt getan und wenig später saß unser Bischof bei einem guten Glas Wein in der Bar von La Vola und dachte darüber nach wie gern ihn die Kellnerinnen früher immer bedient hatten, als er noch jung war, doch eine grobe Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen.
"He Alter, nimm verdammt noch mal deine dreckigen Augen von meiner Frau, ich kann nicht leiden, wenn sie jemand anstarrt!"
Aramis schaute auf, diese, in einem fabelhaftem französisch gesprochenen, beleidigenden Worte kamen von einem schon ziemlich betrunkenen Edelmann in Reisekleidung.
"Entschuldigen Sie, mein Herr", antwortete er deshalb gelassen, "aber ich habe ihre Frau nicht angesehen."
"Wie, willst du damit sagen meine Frau wäre hässlich?" schnaubte nun der Trunkenbold.
Aramis konnte sich eines breiten Grinsens nicht erwähren. Dieser unhöfliche Mensch erinnerte ihn irgendwie an den Keiler von gestern und genau wie dieser schien sich jetzt auch der Reisende, trotz den möglichst beruhigenden Worten seiner Frau, zum Angriff bereit zu machen.
"Du lachst mich also aus, alter Mann, du willst dich also mit mir anlegen, ja?"
Nun wurde auch der Wirt auf seinen ungehaltenen Gast aufmerksam und forderte ihn auf gefälligst höflicher zu dem Herrn Bischof zu sein oder seine Bar sofort zu verlassen.
"Danke Herr Rentillo", meinte hierauf hin Aramis, in dessen Kopf sich eine Idee festzusetzen begann, "ich stehe über solchen Dingen. Aber wenn der Herr sich so schlimm beleidigt sieht, dann kann man dem, denke ich, Abhilfe schaffen."
"Ja Herr Bischof, ein Duell," meldete sich da wieder der betrunkene Reisende zu Wort, " heut Abend im Wald vor den Toren von diesem Kaff, da ist 'ne Lichtung, da treffen wir uns um Sechs, dann knall ich dich ab Herr Bischof, das wird dein letzter Spaziergang."
"Wenn Sie wüssten wie oft mir das schon jemand gedroht hat, aber ich will nicht zimperlich sein und nehme ihre Aufforderung an." meinte Aramis, "Bei einem Duell erschossen werden ist allemal besser als von einem Keiler zerrissen, auch wenn ich diese neumodische Art von Zweikampf nicht gerne habe, wenn man diesen Kugelwechsel überhaupt als Kampf bezeichnen kann."
Gegen Abend, als Aramis, Gott weiß welcher Sünden er sich wieder schuldig machte um eine Ausrede zu finden diesmal das Abendgebet ausfallen zu lassen, sich auf den Weg zum Kampfplatz machte, hatte sich der, am Morgen noch Wolkenlose Himmel, zugezogen.
Als er eintraf hatte sich sein Kontrahent bereits eingefunden. Hoffendlich etwas nüchterner als am Morgen, wie Aramis hoffte, damit er wenigstens richtig zielen können würde und seine Hoffnungen schienen sich zu bestätigen, denn der Herr nährte sich ihm höflich und half ihm sogar beim Absteigen.
"Ich muss sie um Verzeihung wegen meines Benehmens heute Morgen bitten, Herr Bischof, aber ich hatte wohl zuviel getrunken und wenn Sie sich wegen ihres Alters nicht in der Lage zu diesem Duell fühlen, bin ich gern bereit davon zurückzutreten."
" Danke mein Herr, aber nein Danke. Wenn ich mich dazu nicht in der Lage fühlen würde, dann hätte ich ihrer Aufforderung nicht zugestimmt. Außerdem bin ich in meinem Leben noch nie von einem Duell zurückgetreten. Geben Sie mir jetzt meine Waffe und lassen Sie uns endlich anfangen, ich bin nämlich heute noch mit ein paar alten Freunden verabredet müssen Sie wissen und ich komme ungern zu spät."
Der Reisende gab Aramis eine Pistole und beide nahmen Rücken an Rücken Aufstellung. Nach sieben bei jedem der beiden recht unterschiedlich langen Schritten, denn Aramis' Schrittlänge hatte sich sehr zu seinen Ungunsten entwickelt, drehten sich beide ruckartig um. Aramis drückte sehr schnell ab, es war ihm egal wo- hin er schoss, wenn nur sein Gegner nicht sein Ziel verfehlen würde, dann schloss er die Augen.
Zwei Schüsse hallten durch die Dämmerung.
Ein lautes kaum menschliches Geschrei ließ Aramis seine Augen öffnen. Er fühlte keinerlei Schmerzen und auch sein Gegenüber sagte kein Wort. Doch aus einem anderen Grund als Aramis, der aus Zorn schwieg immer noch am Leben zu sein. Denn in der Stirn seines Kontrahenten klaffte ein Loch.
Der Fakt war nämlich der, dass Aramis immer noch einer der sichersten Schützen überhaupt war und sein Gegner, der jetzt nach hinten umkippte, anscheinend einer der schlechtesten.
Das Geschrei entpuppte sich als das Wiehren von Aramis' Pferd, das von einer Kugel durchbohrt sein Leben aushauchte. Und kurze Zeit später war er allein mit seinem Zorn, der nun auch, in Form eines kräftigen Gewitters, über unseren Freund hereinbrach. Die Blitze erhellten den Himmel und der Sturm peitschte den Regen über die Lichtung.
Unser Held lief unter eine hohe Eiche um sich unter zu stellen und plötzlich fuhr ein heller, gleißender Strahl in diesen erwürdigen alten Baum, der mit einem lauten Krachen, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donner zerbarst und als flammendes Skelett über Aramis zusammen brach. Wiederum schloss er die Augen.
Als er wieder zu sich kam lag er in mitten von brennenden Ästen, die neben ihm niedergefallen waren.
Völlig unversehrt richtete Aramis sich auf. Er war den Tränen nah. Warum er? Warum musste er übrig bleiben? warum musste er jetzt triefend nass und fröstelnd nach Hause laufen, weil irgend ein Hornochse sein Pferd statt ihn erschossen hatte? Warum?
Als er am Tor von La Vola eintraf wurde er schon erwartet, von einer ebenso nassen und dreckigen Figur wie er eine war.
"Hände hoch und Geld raus, Alterchen! Sonst schieß ich dich ab. Verstanden?"
Das war zuviel. Alles was ein Mann an Unannehmlichkeiten an einem Tag erleben konnte hatte er ruhig über sich ergehen lassen. Er hatte sich von einem Priester der Kirche verweisen lassen. Er hatte sich in der Gastwirtschaft anpöbeln lassen. Er hatte ein Duell und einen Blitzeinschlag hinter sich und war noch am Leben und jetzt wollte ihn ein kleiner möchtegern Bandit überfallen.
"Erschieß mich doch verdammt noch mal, versuch' s doch, drück ab", fing er an zu schreien, " aber ich sag dir, du wirst es nicht schaffen! Deine Waffe hat nasses Pulver, oder du hast vergessen zu laden oder der Blitz trifft dich wenn du versuchst zu zielen! Und weißt du warum? Weil der liebe Herrgott nichts besseres zu tun hat als darauf aufzupassen das ich nicht glücklich sterben kann. Weil der liebe Herrgott nämlich nie das tut was die Menschen wollen. Weil wir wahrscheinlich in so unverständlichen Worten zu ihm sprechen, die er nicht versteht. Und nenn mich verdammt noch mal nicht Alterchen."
Mit diesen Worten schuppste Aramis den verdutzten Räuber aus dem Weg und lief nach Hause.