Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Eine Jungfrau in Nöten

 

Kapitel 10

Eine Jungfrau in Nöten

 

Richelieu pflegte nicht nur spät zu Bett zu gehen, er pflegte auch sehr früh aufzustehen. Er liebte die frühen Morgenstunden fast noch mehr als die Nacht. Wenn der König und sein Gefolge schlief, waren die Gänge des Palastes wie ausgestorben und es war ein Genuss durch den noch mit Tau benetzten Garten schlendern zu können, ohne Angst haben zu müssen, hinter jedem Busch über ein Liebespaar zu stolpern. Und er liebte es, alleine in der einsamen Kapelle zu beten, die er zu der seinen auserkoren hatte.

Er war kein Mann, der sich selbst belog. Er wusste, er hatte sich in seinem Streben nach Macht weit von Gott entfernt und diese stillen Gebetsmomente, waren die einzigen in denen er sich seinem Herrn noch nahe fühlte. Damals, als er sich der Politik zugewendet hatte, hatte er gewusst, dass er diesen Preis zahlen müsste und er hatte es gerne getan. Dennoch bedeutete das nicht, dass er nicht hin und wieder die Notwendigkeit spürte, seine Sünden ehrlich vor Gott zu tragen.

Seine Laune war deshalb durchaus gut zu nennen, als er in seinen Reisemantel gekleidet aus seinen Gemächern trat und sich abmühte, die ledernden Handschuhe überzuziehen. Sie wurde jedoch schlagartig schlechter, als er beinahe mit diesem missmutigen Musketier Athos zusammengestossen wäre, der aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen draussen rumlungerte.

„Ist Euch langweilig, Monsieur Athos?“, fauchte Richelieu. Er hatte gehofft, so schnell keinen Musketier mehr zu Gesicht zu bekommen. Nachdem dieser Prozess endlich zu einem für ihn sehr erfreulichen Ende gekommen war, war er nicht gerade scharf auf die Gesellschaft jener Männer, deren Freund gerade im Kerker vor sich hin schmachtete.

Zu seiner Überraschung vollführte Athos einen eleganten Hofknicks, der von einer höfischen Erziehung zeugte. „Eure Eminenz, ich stehe ganz zu Euren Diensten.“

 „Was steht Ihr?“, hakte er missgelaunt nach. Einer der vielen Gründe wieso Richelieu die Musketiere nicht ausstehen konnte, war ihr zu ausgeprägter Sinn für Humor. Man konnte immer davon ausgehen, dass irgendeiner von Trévilles Männern noch einen blöden Witz riss. Und Athos hatte einen sehr feinen Sarkasmus, man wusste nie Recht ob er einen auf dem Arm nahm oder tatsächlich etwas ernst meinte.

Athos‘ Gesicht konnte man nur als liebenswürdig bezeichnen. „Zu Euren Diensten“, wiederholte er, „der König selbst hat den Wunsch geäussert, dass wir für Eure Bewachung zuständig sind.“

Zum zweiten Mal in dieser Woche war Richelieu so überrumpelt, dass ihm die Züge entgleisten. „Und wieso genau sollte ich mich ausgerechnet von Euch bewachen lassen?“

In Athos‘ blauen Augen tanzte ein spöttischer Funken, als er zuckersüss erwiderte: „Weil der König es will.“

Wenn Richelieu etwas nicht war, dann war es dumm. Es kam ihm äusserst seltsam vor, dass Louis ihm auf einmal seine ach so geliebten Musketiere zur Verfügung stellte und Athos‘ betont unschuldiger Augenaufschlag weckte sein Misstrauen erst recht. „Und wer mag dem König wohl diesen Gedanken eingegeben haben?“, fragte er gedehnt. Er konnte sich nur den Captain Tréville vorstellen. Aber wieso sollte der Hauptmann so etwas tun.

Die Lippen des Musketiers kräuselten sich amüsiert. „Aber Eminenz: Wer würde es je wagen, den König irgendwelche Gedanken einzugeben?“

Richelieu sah ihn scharf an. Von diesen vier ständigen Unruhestiftern hasste er Aramis, weil er ihm die Geliebte ausgespannt hatte, Porthos widerte ihn an, weil seine Haut dunkel war und d’Artagnan faszinierte ihn, weil er viel Potential in diesem jungen Burschen sah. Doch vor Athos fürchtete er sich ein wenig, denn Athos war weder ein einfacher Bauernjunge noch kam er von der Gosse. Er war ein Edelmann, dass sah man in jeder Geste und hörte man in jedem Wort. Und es war sehr schwierig ihn zu lesen, denn er verschloss sein Herz und hielt seine Zunge streng im Zaun.

Deshalb wusste er, er würde aus diesem Mann nicht mehr rauskriegen. Aber er würde dieser seltsamen Laune des Königs schon noch auf dem Grund gehen. Also schwieg er, rauschte mit wehenden Gewändern an Athos vorbei, der sich ihm anschloss wie ein stummer, hartnäckiger Schatten.

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Thomas Maleyn war übler Stimmung. Statt sich mit den Huren von Paris zu vergnügen, musste er sich vor der Zelle dieses vermaledeiten Musketiers die Beine in den Bauch stehen, weil der Kardinal dessen strengste Bewachung gefordert hatte. Als könne sich dieser Aramis einfach mit einem Schlag in Luft auflösen, wenn man nicht ständig durchs Schlüsselloch späte. Wenn Thomas den schlimmen Husten richtig deutete, würde dieser Mann so oder so abkratzen, selbst wenn es ihm wie durch ein Wunder gelänge, der drohenden Hinrichtung zu entgehen.

Das Rascheln von Röcken riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Ein ganz und gar zauberhaftes Wesen huschte die dunklen Gänge entlang, ein schmales Frauenpersönchen mit einem geflochtenen Korb in der Hand. Sofort nahm Thomas eine geradere Haltung an und versuchte sich an einem lieblichen Lächeln, als die Frau näher kam. „Mylady.“

Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. Der Kerker war nur schwach von Fackeln beleuchtet und sie trug eine reichlich altmodische Haube, die ihr Haar verdeckte und zusätzliche Schatten auf ihre Stirn warf. Dennoch, ihrem wohl gerundeten Körper nach zu schliessen, war sie jung und wohl auch leidlich ansehnlich.

Sie lachte geziert. „Ich bin keine Lady. Sondern eine gute Fee!“ Mit flinken Händen schob sie das Tuch von ihrem Korb und enthüllte eine Flasche Wein.

Wenn Thomas Maleyn ein intelligenter Mann gewesen wäre, hätte er gewiss begriffen, dass dies kein Zufall sein konnte. Schöne Frauen tauchten nicht einfach ohne Grund bei Wachmännern an und betörten sie mit Wein. Aber er kein intelligenter Mann, er war grobschlächtig und grausam, besass aber weder Verstand noch ein Gespür für andere Menschen. Deshalb sagte er dem Wein tüchtig zu, währen die geheimnisvolle Schöne mit mildem Lächeln neben ihm sass und keinen Tropfen anrührte. Und als er unendlich müde wurde, seine Glieder sich schwer anfühlten und er zu Boden sackte, gab er sich dem süssen Schlaf ohne Widerstand hin.

Und merkte nicht einmal, wie geschickte Finger den Schlüssel aus seiner Tasche fischten.

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Aramis hob die schweren Lider, als er unwirsch am Arm hochgezogen wurde. Der Husten hatte ihn die ganze Nacht wachgehalten und am Ende war er in einen unruhigen Schlummer gefallen. Jetzt stand er auf mehr als wackligen Beinen und blinzelte verwirrt. Für einen Moment glaubte er seine Sinneskraft spiele ihm einen Streich, denn vor ihm stand niemand anders als eine grinsende Constance, gekleidet wie eine trauernde Witwe.

„Du machst dich ganz gut als Jungfrau in Nöten, Aramis“, sagte sie und die spöttische Stimme war zweifellos die von Constance. Doch trotz ihrer spitzen Worte waren ihre braunen Augen voller Sorge und sie wollte die Hand prüfend auf seine Stirn legen. Weil er wusste, dass sie sein steigendes Fieber bemerken würde, drehte er den Kopf weg. Er wollte nicht, dass seine Freunde von seiner Krankheit erfuhren. Sie machten schon genug durch, seinetwegen.

„Ich liebe diese Rolle“, murmelte er, während Constance sich an seinen Ketten zu schaffen machte.

„Erwarte aber nicht, dass ich dich wie meine Braut über die Schwelle trage.“

Als es ihr endlich gelang Aramis‘ Fesseln zu lösen, fühlte er ihm ersten Moment nur brennenden Schmerz, als seine tauben Knochen jäh zum Leben erwachten. Zudem fand er es auf einmal furchtbar schwierig das Gleichgewicht zu halten und er sackte hilflos gegen seine Retterin, die ihn sanft auffing und stützte. Schweratmend blieb er einige Momente schwer auf sie gestützt stehen und versuchte seine Kräfte wieder zu sammeln.

Sie schüttelte ihn leicht. „Aramis, wir müssen gehen. Wir haben wenig Zeit und wenn ich dich nicht rechtzeitig hier rauskriege, wird Porthos mir den Kopf abreissen.“

Aramis nickte. „Woher hast du den Schlüssel?“, fragte er und unterdrückte mit Mühe, einen neuerlichen Hustenanfall. Seine ersten Schritte waren wacklig, aber schliesslich kehrten seine Lebensgeister halbwegs wieder zurück. Constance hielt ihm hilfsbereit die Tür auf.

Constance blinzelte kokett. „Weibliche Überzeugungskraft“, erklärte sie mit diesem reizenden Mädchenlächeln, mit dem sie wohl d’Artagnan einst um den Finger gewickelt hatte. Als Aramis aus seiner Zelle trat, sah er, was sie mit  weiblicher Überzeugungskraft gemeint hatte. Der Wache lag friedlich schlummernd vor der Tür, einen Arm selig um die Weinflasche geschlungen.

Sie eilten durch die dunklen Gänge. Aramis spürte, dass ihn mit jedem Schritt die Kraft mehr verliess und er sehnte sich danach anzuhalten, um nach Luft zu schnappen. Seine Lunge brannte unbarmherzig und er war so schweissgebadet, als sei er lange Zeit gerannt und nicht erst ein paar Schritte gegangen. Er spürte wieder die vertraute Schwere in seinem Geist, ein undurchdringlicher Nebel schien sich darüber zu legen und zu verhindern, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. Seine Beine wurden schwerer und er stolperte Constance hinterher wie ein junger Hund.

Die junge Frau eilte durch das Gefängnis, als breche sie jeden Tag aus einem aus, so zielstrebig wusste sie, welche Abzweigungen sie nehmen mussten, um nicht einer Wache in die Finger zu laufen. Und so gelangten sie unbehelligt in das grelle Morgenlicht.

Aramis blinzelte in der plötzlichen Helligkeit und zum ersten Mal seit Constance wie ein rettender Engel in seiner Zelle erschienen war, spürte er, wie süsse Erleichterung ihn durchflutete. Er war frei. Es war eine Gnade den Wind noch einmal spüren zu können und die Sonne, die ihm ihre warmen Strahlen schenkte, als wolle sie ihm einen Gruss senden.

Zwei Pferde standen wartend im Hof. Constance schwang sich trotz ihres umständlichen Rockes mühelos in den Sattel und nahm die Zügel in die Hände. „Komm schon, Aramis“, rief sie ungeduldig.

Aramis stieg ebenfalls auf sein Pferd, allerdings bedeutend langsamer. Seine Seite schmerzte und sein Atem ging schnell und hastig. Als er im Sattel sass, rollte ein neuer Hustenanfall über ihn und er wäre um Haaresbreite zu Boden gestürzt. Constance lehnte sich zu ihm rüber und klopfte ihn auf den Rücken, was als liebe Geste gemeint war, ihm jedoch nicht sonderlich half.

Als der Husten endlich verebbt war, schnalzte Constance ärgerlich mit der Zunge. „Sobald wir in Sicherheit sind, legst du dich ins Bett. Du klingst wie ein erkältetes Fischweib!“

Obwohl er sich so elend fühlte, musste Aramis lächeln, als er diesen unrühmlichen Vergleich hörte. „So sehr ich deine bezaubernde Anwesenheit schätze: Wieso schickt d’Artagnan mir sein Mädchen statt selbst zu kommen?“ Dass seine Freunde einen waghalsigen Rettungsplan schmiedeten um ihn rauszuholen, überraschte ihn nicht sonderlich, aber die Tatsache, dass sie ihn nicht selbst in die Tat umsetzten, war eigenartig. Porthos liebte es seinen Retter zu spielen und für d’Artagnan war ein Tag ein verlorener Tag, wenn er nicht mindestens eine waghalsige Aktion gewagt hatte.

Constance lächelte geheimnisvoll. „Oh sagen wir, deine Freunde sorgen gerade für eine andere Jungfrau in Nöten.“

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„Warum zum Teufel kann er nicht in einer normalen, schönen Kirche beten? Warum muss es ausgerechnet die Kapelle am Arsch der Welt sein?“, zischte d’Artagnan, als er schon wieder einen Stiefel voller Schlamm rauszog. Athos konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. D’Artagnan war immer der Erste wenn es um einen heldenhaften Kampf ging, aber wenn es seinen Kleider oder Schuhen an den Kragen ging war er so mimosenhaft wie ein Mädchen.

„Der Kardinal schätzt eben die Einsamkeit. Wenn Richelieu eine Kirche der Stadt betritt ist er doch sogleich umgeben von Bittstellen und Meuchelmördern“, erklärte Athos leise, den Blick auf Richelieus Rücken gerichtet. Der Kardinal schritt forschen Schrittes voran, Porthos an seiner Seite. Er hatte seit ihrem Aufbruch keinen Ton gesagt, sondern schien tief in Gedanken versunken. Nur hin und wieder warf er ihnen einen bitterbösen Blick zu, allerdings war dies ja nichts Neues für die Musketiere.

„Wie kann er nur so schnell laufen“, stöhnte d’Artagnan und wischte sich den Schweiss von der Stirn.

Athos zuckte mit den Schultern. „Er ist nun mal ein Mann von vielen Talenten.“ Und ein gefährlicher Mann, erinnerte er sich. Das Possenspiel, das sie hier wagten, war riskant. Richelieu war nicht dumm, er würde wissen, dass hier etwas faul war. Aber jetzt war es ohnehin zu spät alles abzublasen.

Die Kapelle war schon in Sichtweite, als ein lauter Pfiff durch den Wald schallte. Flohs Zeichen. Athos legte die Hand auf seinen Degen und sah wie d’Artagnan es ihm gleichtat. Sie wechselten einen schnellen Blick. Es war so weit.

Nur wenige Wimpernschläge danach brach die Höhle los.

Mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll stürzten sich absonderlich maskierte Gestalten auf die kleine Delegation und fuchtelten drohend mit ihren Messern. Sie wären auch wahrlich ein unheimlicher Anblick gewesen, wenn Athos nicht gewusst hätte, dass es Porthos‘ alte Bekannte waren, die unter den bemalten Masken steckten.

„Angriff!“, brüllte Porthos völlig überflüssigerweise und stiess den Kardinal eine Spur zu heftig in den Schlamm, bevor er seinen Degen zog.

Athos stellte bald fest, dass es ganz schön schwierig war, nur so zu tun, als würde er ernsthaft kämpfen. Porthos hatte Floh versprechen müssen, dass sie niemanden ernsthaft verletzen würden, was, rückblickend betrachtet ein ziemlich blödes Versprechen gewesen war. Athos fühlte sich gezwungen, sich absichtlich einen Schlag gegen die Schläfe einzuhandeln, damit er einigermassen überzeugend seinen Degen fallen lassen konnte.

D’Artagnan und Porthos lieferten eine ähnlich peinliche Vorstellung. D’Artagnan fuchtelte mit seinen Degen wahllos in der Gegend herum, wobei er seinen Gegner jedes Mal um Haaresbreite verpasste, als habe er kurzfristig sein Sehvermögen eingebüsst. Porthos hatte sich entschieden sowohl Hut als auch Degen in dramatischer Geste wegzuwerfen und sich mit dem Anführer – vermutlich Floh – auf dem Boden zu wälzen, wobei sie schrille Schreie ausstiessen, wobei diese eher nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht, als nach einem Kampf auf Leben und Tod klang.

Athos beschloss, seine Ehre zumindest halbwegs wieder herzustellen, zumal sie die Angreifer irgendwie überzeugend wieder loswerden mussten. Er setzte einen der Räuber ausser Gefecht, indem er ihm das Knie zwischen die Beine rammte. Einem anderen hieb er den Ellbogen ins Gesicht und schlug ihm eine blutige Nase.

D’Artagnan war dazu übergegangen einen der Maskierten mit viel Geschrei durch den Wald zu verfolgen, als sei dieser ein besonders appetitlich aussehendes Reh. Porthos und Floh genossen noch immer ihr Schäferstündchen auf dem Boden, während der Kardinal sich langsam wieder aufrichtete, die dunklen Augen geweitet. Offenbar war er verängstigt, also hatte er das Schmierentheater noch nicht durchschaut.

Wie vereinbart zog einer der Diebe eine Muskete und richtete sie auf Kardinal, wobei er sich so langsam bewegte, als sässen sie alle zusammen bei einem gemütlichen Sommerpicknick. Das gab Athos genug Zeit sich mit viel Gewese auf den wieder stehenden Kardinal zu stürzen. „Runter!“, und legte sich mit seinen ganzen Gewicht auf Richelieu, wobei er seinen Kopf vielleicht eine Spur zu euphorisch in den Schlamm drückte.

Damit verhinderte er, dass der Kardinal sehen konnte, wie sich seine Angreifer völlig unbehelligt von den Musketieren zurückzoogen und einer von ihnen Porthos sogar noch einen schnellen Kuss auf die Wange drückte. Um zumindest die Geräuschkulisse überzeugend zu gestalten, schlug Porthos mit seinem Degen nach Bäumen und d’Artagnan gab einen überzeugenden Triumphschrei von sich.

Erst als Flohs Leute verschwunden waren, liess Athos Richelieu los und half ihm auf die Beine. „Es ist vorbei, Eure Eminenz“, sagte er.

Richelieu sah mehr als nur derangiert aus. Sein kostbarer Reisemantel war völlig mit Schlamm bespritzt, sein sonst so sauber gekämmtes Haar war ein wilder Wirrwarr aus Schwarz und Grau und sein Gesicht war voller Dreck. D’Artagnan reichte ihm ein Taschentuch, welches der Kardinal mit spitzen Fingern entgegen nahm, als sei es vergiftet.

„Kann mir einer der Herren erklären, was das eben war?“, fragte Richelieu. Seine sonst so gefasste Stimme zitterte ein wenig, aber der Hochmut kehrte schon in seine Haltung zurück.

„Ein Überfall würde ich sagen“, bemerkte Porthos unverschämt gutgelaunt, während er Hut und Degen wieder einsammelte.

„Das ist mir auch aufgefallen! Aber was wollten die?“, grummelte Richelieu, während er versuchte, das Gesicht wieder halbwegs sauber zu kriegen.

Athos versuchte, einen nachdenklichen Ausdruck in seine Miene zu zaubern. „Ich kann mir auch keinen Grund vorstellen. Wo Ihr doch so gut wie keine Feinde habt, Eure Eminenz!“

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Constance hätte wissen müssen, dass ihre Flucht bisher zu einfach verlaufen war. Sie und Aramis waren kaum vom Hof geritten, als sie Geschrei hinter sich hörte. Als sie sich im Sattel umdrehte, sah sie einige Soldaten herausstürmen, die Degen erhoben und laut fluchend. Mit hämmernden Herzen wandte sie sich wieder Aramis zu. „Schnell“, gebot sie, doch Aramis schien die Gefahr trotz seines schlechten Zustandes selbst erkannt zu haben und gab seinem Pferd die Sporen. Seite an Seite hetzten sie davon und blickten nicht zurück.

Wie jeder Musketier war auch Aramis ein guter Reiter, elegant und graziös, wenn auch nicht mit der Würde eines Athos‘ oder der Wildheit eines Porthos‘. Er gab ein ordentliches Tempo vor und Constance musste die brave Stute, die eigentlich d’Artagnan gehörte, ganz schön antreiben um mithalten zu können. Dennoch sah Constance, dass seine Finger sich förmlich um die Zügel klammerten und sie bemerkte auch sehr wohl, dass seine übliche Lässigkeit fehlte. Aramis war geschwächt, ob durch die unbarmherzige Kälte des Kerkers oder die erhaltene Kopfwunde vermochte sie nicht zu sagen. Aber auf jeden Fall war er nicht unbedingt in dem Zustand für eine wilde Flucht.

Constance wagte einen Blick über die Schulter und zerbiss sich einen Fluch. Zwei hartnäckige Reiter, gewandet in das auffallende Rot der Kardinalsgarde, setzten ihnen nach. Auffälliger ging es ja wohl nicht. Zum Glück befand sich das Gefängnis etwas ausserhalb von Paris, so dass ihnen zumindest die Verfolgung durch den Mob erspart blieb. Aber jetzt mussten sie die beiden irgendwie abschütteln, bevor sie zum Landhaus kamen und damit ihre Identität und ihren Aufenthaltsort verrieten.

Derselbe Gedanke schien auch Aramis gekommen zu sein. Er verliess im scharfen Galopp die Strasse und schlug sich in die Büsche. Constance folgte ihm, auch wenn sie nicht sonderlich begeistert war. Im Gegensatz zu ihren Freunden war sie keine sonderlich begnadete Reiterin und ihr Hintern tat jetzt schon weh. Wenn sie jetzt noch durch den mehr als unwirtlichen Wald jagen mussten, war wohl endgültig Schluss mit schmerzfreiem Sitzen. Doch zu ihrer Verblüffung blieb Aramis keineswegs im Sattel, sondern sprang ab. Seine übliche Gewandtheit liess ihn allerdings in Stich, er landete ziemlich unrühmlich in einem Dornengestrüpp, aus dem er sich mit einigen unflätigen Worten jedoch schnell wieder befreite. Sein Pferd stürmte ohne ihn davon.

„Aramis“, begann Constance, da wurde sie schon von ihm vom Pferd gerissen. Sie stolperte über den Saum ihres Kleides und hätte ebenfalls nähere Bekanntschaft mit dem Dornbusch geschlossen, wenn er sie nicht am Arm festgehalten hätte. Mit der anderen Hand gab er d’Artagnans Stute, die verwirrt stehen geblieben war, einen Klaps und sie sprengte ebenfalls davon. Ihr blieb allerdings keine Zeit dem Pferd lange hinterherzuschauen, denn Aramis zerrte sie in eine Mulde und warf sich mit ihr auf den Boden.

Constance begriff langsam, was Aramis vorhatte. Statt sich von den beiden Gardisten wie Hasen durch den Wald jagen zu lassen, wollte er sich verbergen, bis sich vorüber waren. Da sie die Pferde frei gelassen hatten, würden sie vielleicht sogar den Hufgetrampel folgen und sich damit weglocken lassen. Und selbst wenn dies nicht gelang, so war es zu Fuss bedeutend einfacher sich zu verstecken.

„Du weisst schon, dass d’Artagnan uns umbringen wird, wenn wir ohne sein geliebtes Pferd auftauchen oder?“, fragte Constance in scherzhaftem Flüsterton.

„Diese Pferde finden ihren Heimweg immer wieder. Sie werden munter in den Stall der Garnison zurückkehren“, erwiderte Aramis, ebenso leise. Sie lagen so nahe beieinander, dass Constance seinen schweren, rasselnden Atem hören konnte. Wieder stieg eine Welle der Besorgnis in ihr auf und wieder wollte sie ihm die Hand auf die Stirn legen. Er fasste ihr Handgelenk, noch bevor ihre Fingerspitzen seine Haut berühren konnten.

„Ein verlorenes Pferd wird d’Artagnan uns vergeben, wenn wir jetzt zu vertraut miteinander werden, wird er vermutlich nie mehr mit mir sprechen“, sagte Aramis mit halbem Lächeln.

Constance errötete und fühlte eine eigenartige Scham, weil Aramis so unverhohlen auf ihre Liebelei mit d’Artagnan anspielte. Allerdings hatten sie und der Gascogner sich auch nie gross bemüht ihre Beziehung geheim zu halten. Ihre Entrüstung war also nur zum Teil gespielt, als sie antwortete: „Monsieur! Ich bin eine verheiratete Frau.“

„Verheiratet mit dem wohl grössten Idiot in ganz Paris.“ Aramis leises Lachen ging in ein heftiges Husten über und er hielt sich die Hand vor dem Mund, um den Laut zu unterdrücken. Constance bemerkte die Schweisstropfen, die auf seiner bleichen Stirn standen und wahrscheinlich nichts mit ihrer hastigen Flucht zu tun hatten. Constances Herz wurde schwer bei dem Gedanken, dass es ihnen irgendwie gelingen musste, zu Fuss zu ihrem Landhaus zu kommen, obwohl Aramis sich so offensichtlich unwohl fühlte.

Aramis schien ihren Trübsinn zu bemerken. „Ich finde, wir hätten hier eine perfekte Ausgangslage für eine Romanze. Wir sind Mann und Frau, allein im Wald, mit nichts ausser unseren Kleidern am Leib. Und der Mann sieht dazu noch blendend aus“, versuchte er sie aufzumuntern.

Constance schnaubte. „Aramis, ich will dich ja nicht beleidigen, aber im Moment schwitzt du wie ein Schwein, bist bleich wie ein Leichentuch und atmest schlimmer als mein Grossvater in seinen letzten Atemzügen. Eine Ziege wäre im Augenblick anziehender als du.“

„Ich bin ein Musketier. Es wäre schön, wenn du mir etwas Respekt erweisen würdest“, brummte Aramis, doch das schalkhafte Funkeln in seinen Augen verriet Constance, dass er ihre Kabbelei genoss.

„Ich habe lange genug mit einem Musketier unter einem Dach gelebt. Ich weiss, wie man mit euch redet“, sie warf ihm einen strafenden Blick zu, „und glaub mir, mein Leben war bedeutend ruhiger, als ihr noch nicht bei mir ein – und ausgegangen seid!“