Wem die Stunde schlägt von LadyAramis

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Kapitel Was auf dem Friedhof gesprochen wurde

Kapitel 9

Was auf dem Friedhof gesprochen wurde

 

Der Husten kam in der Nacht. Aramis hatte es ernst gemeint, als  er Porthos gesagt hatte, er solle sich keine Sorgen machen. Er war wirklich der Meinung gewesen, sein Unwohlsein hänge einfach mit der Kopfwunde und dem feuchten Aufenthalt im Kerker zusammen. Jetzt, als er bereits zum dritten Mal von einem fürchterlichen Hustenkrampf geschüttelt wurde und seine Brust sich anfühlte, als stünde sie in Flammen, war er sich dessen nicht mehr so sicher.

Als er endlich das Gefühl hatte, wieder atmen zu können, lehnte er erschöpft die heisse Wange gegen den kalten Stein. Er hätte sogar die Kälte diesem furchtbaren Gefühl der Atemnot vorgezogen, das ihm so schlagartig überfiel wie ein plötzlicher Pfeil ins Herz. Er rieb sich mit der Hand über die Brust und schloss die Augen. Die Erkenntnis, die lange im Hintergrund gelauert hatte, dämmerte ihm nun deutlich und klar. Er war ernsthaft krank.

Obwohl Porthos gerne so tat, als sei Aramis ein  Wunderheiler, war er kein Arzt. Er hatte sich auf dem Schlachtfeld einige medizinische Erkenntnisse angeeignet, weil er nicht hatte ansehen wollen, wie seine Freunde vor seinen Augen verbluteten. Mit Krankheiten dagegen kannte er sich nur oberflächlich aus. Dennoch reichten seine bescheidenen Fähigkeiten aus,  um zu begreifen, dass seine Krankheit in der Lunge sass und nicht im Kopf. Und er wusste auch, dass Lungenkrankheiten oft genug tödlich verliefen.

Wieder stieg der Hustenreiz in ihm auf. Instinktiv versuchte Aramis ihn zu unterdrücken, aber das stellte sich als blöde Idee heraus. Seine Brust fühlte sich an, als wolle sie auseinanderbrechen und seine Atemzüge kamen in schnellen, heftigen und schmerzhaften Stössen. Doch als er versuchte, den Schleim abzuhusten, brachte das seine Kopfschmerzen mit jäher Heftigkeit wieder zurück. Sein Kopf fühlte sich an, als müsse er zerspringen, während er sich verzweifelt um Luft bemühte.

Als der Anfall vorbei war, zitterte er am ganzen Körper und seine Haare klebten feucht an seiner Stirn, die sich furchtbar heiss anfühlte. Das Fieber hatte ihn endgültig im Griff. Nun, dachte Aramis mit einem jähen Anflug von Galgenhumor, dann bleibt wohl nur noch die Frage: Was tötet mich zuerst? Meine Lunge oder der Henker?

Er wünschte sich, dass Porthos wäre hier um über den Witz zu lachen.

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Es war geradezu grotesk, dass die Sonne in aller Fröhlichkeit vom Himmel strahlte, während sie Francis zu Grabe trugen. Wenn es nach Porthos‘ Stimmung gegangen wäre, hätte es in Strömen regnen sollen, es hätte Blitze und Donner geben müssen, am besten noch ein Sturm. Aber während sie um das frisch aufgeschüttete Grab standen und der Pfarrer in leisen, aber klaren Worten die letzten Gebete für Francis sprach, zwitscherten die Vögel ihr Frühlingslied und die ersten Sommervögel tanzten im Wind, als wäre dies eine Hochzeit und keine Beerdigung.

Ein besonders hartnäckiges Exemplar eines Falters setzte sich auf den dunklen Priesterrock des Pfarrers. Es war ein schönes Tier, mit zitronengelben Flügeln. Jedoch entdeckte Porthos auf den zweiten Blick zarte, weisse Tupfer. Der Anblick des Schmetterlings lenkte ihn ab von den traurigen Worten und der Tatsache, dass sie hier gerade einen Bruder begraben hatten. Porthos hasste Abschiede. Er hatte seine Mutter früh verloren, er hatte viele Freunde verloren und er ahnte, dass er auch noch viele verlieren würde. Das blieb nicht aus, wenn man in einem Regiment diente, dass für seine Kühnheit im Kampf berühmt war. Und dennoch zog sich Porthos‘ Herz bei jedem Mann, den sie verabschieden mussten, vor Schmerz zusammen. Denn nichts erschien ihm schlimmer, als wenn jemand endgültig fortging und es keine Chance gab, all das zu sagen, was unausgesprochen geblieben war.

„Fällt es sehr auf, wenn ich ihr den Hals umdrehe?“

D’Artagnans zischende Stimme schreckte Porthos aus seinen Gedanken. Er riss sich vom Anblick des Sommervogels los und folgte d’Artagnans Blick. Was er sah, liess seine Laune noch weiter in den Keller sinken. Ellen war da. Er hatte sie bis jetzt nicht erkannt, weil sie einen schwarzen Schleier vor dem Gesicht getragen hatte. Jetzt hatte sie ihn – vermutlich wegen der Hitze – zurückgeschlagen. Ihre Tränen rührten Porthos nicht im Mindesten, im Gegenteil. Ihre Leidensmiene liess Porthos‘ Blut vor Zorn kochen. Dupont mochte den Todesstoss gegen Aramis geführt haben, aber es war Ellen, die ihm das Schwert erst an die Kehle gelegt hatte.

„Ich denke, es würde die Stimmung doch etwas stören, wenn du die Verlobte des Toten erwürgst“, sagte Athos in seiner üblich trockenen Art und Weise. Porthos kam nicht umhin  seinen Freund zu bewundern, der in der Lage war zu sprechen, ohne dass man seine Lippenbewegungen sah.

„Aber ich würde mich danach besser fühlen!“, moserte d’Artagnan.

„Ich helfe dir gerne dabei“, bot Porthos an.

Athos fuhr seine beiden Ellbogen aus, um seinen Freunden gleichzeitig einen Knuff zu verpassen. „Jetzt hört endlich auf mit euren Rachegedanken! Fällt euch nicht irgendwas an ihr auf?“

„Dass sie schon wieder weint?“, lautete d’Artagnans geistreiche Bemerkung, was ihm einen erneuten Rippenstoss seitens Athos einbrachte.

„Ihre Eltern sind nicht dabei.“

Porthos fand, dass Athos auch schon interessantere Entdeckungen gemacht hatte. Normalerweise war ihr Anführer unschlagbar darin, verborgene Zeichen richtig zu deuten und Schlüsse daraus zu ziehen. „Es soll junge Damen geben, die das Haus durchaus ohne elterliche Begleitung verlassen.“

„Stell dir vor, das weiss ich! Aber mal angenommen, du wärst eine Frau, Porthos…“

D’Artagnan gluckste, ein allzu heiteres Geräusch, was ihm einen strafenden Blick des Pfarrers einbrachte. Aber wie üblich liess sich der junge Mann nicht massregeln. „Oh ja, wenn sich jemand in das Wesen einer Frau einfühlen kann, dann ist es wohl unser Porthos!“

„Wenn du jetzt wieder mit dem Kleid anfängst, kannst du dich gleich zu Francis ins Grab legen!“, drohte Porthos. Aber obwohl er ärgerlich klang, fühlte er sich seltsam beschwingt. Es tat gut mit seinen Freunden zu scherzen und sich gegenseitig zu necken. Es gab ihm trotz der traurigen Atmosphäre das Gefühl, am Leben zu sein.

„Könnt ihr euch vielleicht kurz mal wie erwachsene Menschen benehmen? Wenn du eine Frau wärst, Porthos und du gerade deinen Verlobten verloren hättest: würdest du dann alleine an seine Beerdigung gehen? Ohne die Unterstützung jener, die du liebst?“

Porthos zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Wahrscheinlich würde ich es vorziehen, sie an meiner Seite zu haben. Aber worauf willst du hinaus?“

„Ich denke, dass Ellens Eltern nicht hier sind, weil sie gar nicht wissen, dass Francis tot ist. Und wahrscheinlich auch nicht wissen, dass Francis und Ellen verlobt waren.“

Das war Porthos dann doch etwas zu weit hergeholt. Er schüttelte den Kopf. „Soweit ich weiss, ist es üblich die Eltern um die Hand ihrer  Tochter zu bitten. Da müssen sie schon etwas gewusst haben, Athos.“

„Wissen wir denn, ob sie wirklich offiziell verlobt waren?“, gab Athos zurück.

Porthos öffnete schon den Mund zu einer Erwiderung, da drehte sich Tréville zu ihnen um und seine Miene verhiess nichts Gutes. „Könnt ihr das Getuschel sein lassen? Das ist wirklich mehr als pietätslos!“

So verstummten die drei Musketiere und lauschten den sanften Worten des Pfarrers, während ihr Bruder in die letzte Ruhe hinüberglitt. Und Porthos schwor sich noch einmal, dass er Francis‘ Tod aufklären würde. Nicht nur um Aramis zu retten, sondern auch, um seinen verstorbenen Freund die Möglichkeit zu geben, Frieden zu finden.

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Athos wartete bis sich die Trauergemeinde verstreut hatte, bevor er zu Tréville trat. Der sonst so ausgeglichene Mann, der seine Gefühle stets unter Verschluss hielt, wirkte sichtlich erschüttert und traurig. „Das ist jetzt schon der zweite junge Musketier, den ich innerhalb eines halben Jahres zu Grabe tragen muss“, murmelte er abwesend.

„Ich fürchte Captain, es wird nicht der Letzte sein, der uns verlässt.“

Ein schwerer Seufzer hob Trévilles Brust. „Wenn es aufhört mich zu kümmern, wenn ich Männer verliere, ist es Zeit meinen Abschied als Captain der Musketiere zu nehmen. Aber lasst uns hoffen, dass Aramis nicht der Nächste sein wird.“

Das hoffte Athos allerdings auch. Der Plan versprach zwar Erfolg, aber zugleich war er riskant und nicht leicht durchführbar. Und er besass einige Schwachstellen. „Meint Ihr wirklich, dass der Kardinal nicht stutzig wird, wenn wir uns plötzlich so besorgt um seine Gesundheit zeigen?“

„Natürlich wird er stutzig. Der Kardinal ist nicht dumm. Aber er wird sich dem Wunsch des Königs nicht widersetzen, da bin ich sicher.“

„Und wenn der König nicht darauf eingeht?“ Athos wusste, sie hatten das alles schon besprochen und bis tief in die Nacht an dem Rettungsplan gefeilt, aber er war trotzdem unsicher. Nicht weil er um sein eigenes Leben fürchtete, denn Athos war längst an einem Punkt angelangt, an dem der Tod keinen Schrecken mehr für ihn barg. Aber er hatte Angst davor, seine Freunde zu verlieren und wenn sie erwischt würden, würden sie Aramis bei seiner Hinrichtung gleich Gesellschaft leisten.

Ein humorloses Lächeln umspielte Trévilles Lippen. „Oh glaubt mir, Athos. Wenn es um die Sicherheit seines geliebten Kardinals geht, gibt es kein Opfer, das für Louis gross genug wäre.“

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„Ich muss mal schnell für kleine Musketiere.“

Porthos trug jene unschuldige Miene zur Schau, die er immer dann hervorkramte, wenn er etwas Dummes vorhatte. Also kniff d’Artagnan misstrauisch die Augen zusammen. „Du willst doch was anstellen, oder?“

„Anstellen würde ich das nicht nennen“, druckste Porthos herum.

„Du willst mit Ellen reden, oder?“

Von seinen drei Freunden war Porthos am leichtesten zu durchschauen. Athos war verschwiegen wie ein Grab und selbst seine Körpersprache war so sparsam, dass es schwierig war sie zu deuten. Aramis dagegen war ein Meister der Verstellung und man wusste nie so Recht ob er einem etwas vorspielte oder ob es ihm ernst war. Porthos dagegen war wie ein offenes Buch. Er trug sein Herz auf der Zunge und machte keinen Hehl aus seinen Gefühlen und Empfindungen. Und jetzt konnte d’Artagnan förmlich von seiner Stirn ablesen, was er vorhatte.

Porthos lächelte ertappt. „Ich möchte ihr einfach ins Gewissen reden. Ihr klarmachen, was sie anrichtet mit ihren Lügen. Vielleich kann ich zu ihr durchdringen.“

Das bezweifelte d’Artagnan. Diese Frau hatte den mehr als nur elend aussehenden Aramis kalten Herzens ins Gefängnis geschickt, sie würde sich kaum von einem wutschnaubenden Porthos beeindrucken lassen. Und Athos würde vermutlich einen Anfall kriegen, wenn er von dieser Aktion erfuhr. Aber d’Artagnan verstand, wieso Porthos das tun wollte. Es ging um Aramis. Seinen besten Freund. Also nickte d’Artagnan ergeben und Porthos verschwand mit einem letzten, dankbaren Winken.

D’Artagnan verspürte wenig Lust auf seine beiden Freunde zu warten. Also ging er alleine den sauber angelegten Friedhofswegen entlang. Der Friede der über dem Friedhof lag, barg etwas Tröstliches. In Gedanken versunken strich er den aneinandergereihten Gräbern entlang. Traditionell wurden Musketiere in diesem Teil des Friedhofs begraben, unter dem Namen, den sie in den Reihen ihrer Brüder getragen hatten. Teilweise waren die Namen schon so verwittert, dass d’Artagnan sie nicht mehr lesen konnte, andere waren schmerzhaft frisch und gestochen scharf. Und die meisten von ihnen, waren früh gestorben.

Als d’Artagnan die Musketiere kennengelernt hatte, war er begeistert und fasziniert gewesen von ihrer natürlichen Lebensfreude und ihrer Abenteuerlust. Sie genossen das Leben in vollen Zügen und das hatte auf ihn, den Bauernjungen, der bis jetzt vor allem harte Arbeit kannte, eine grosse Anziehungskraft ausgeübt. Aber nach und nach war ihm klargeworden, dass dieses Leben auch Schattenseiten barg. Ein früher Tod im Dienste des Königs war keine Seltenheit. D’Artagnan war ein Draufgänger, aber er verspürte nur wenig Lust den Heldentod zu sterben.

Ein Grabstein erregte d’Artagnans Aufmerksamkeit. Das Wetter hatte noch kaum Spuren auf dem Stein hinterlassen und das Datum lag gerade mal ein halbes Jahr zurück. Also hätte d’Artagnan den Mann wohl kennen müssen. Aber der schwungvoll geschriebene Name Isaac sagte ihm nichts. Was d’Artagnan jedoch mehr fesselte war die Grabinschrift, die unter dem Namen stand. Nur der Tod kann nicht verraten.

Meist zierten Familienmottos Gräber, aber das erschien d’Artagnan ein reichlich merkwürdiges Motto. Vielleicht war es aus einem Gedicht entnommen? Aber für d’Artagnan erschien es eher wie eine Warnung oder Drohung. Auf jeden Fall war es ein mehr als merkwürdiger Abschiedsgruss.

Ein lautes Fluchen liess d’Artagnan den Kopf heben. Zu seinem Amüsement sah er den Pfarrer, der sich gerade mit heftig gestikulierenden Armbewegungen einer besonders hartnäckigen Biene zu erwehren versuchte, wobei er ständig über sein Priestergewand stolperte. „Weiche von mir, du Kreatur des Teufels“, schrie er und schlug mit seiner Bibel nach dem armen Tier.

D’Artagnan wollte dem bedrängten Gottesmann schon zu Hilfe eilen, als sein Blick auf die beiden Mädchen fiel. Sie standen unter einer grossen Eiche und diskutieren heftig. Beide trugen Trauerkleidung und d’Artagnan glaubte, die eine auf der Beerdigung gesehen zu haben.

„Marie, du solltest das lassen! Das ist gefährlich!“ Die Sprecherin war blond, schlank und hochgewachsen und d’Artagnan hätte sie wohl hübsch gefunden, wäre ihre Stimme nicht so unerträglich schrill gewesen wäre.

Marie war deutlich kleiner als ihre Freundin und mit einer Fülle von dunklen Locken gesegnet. „Ich muss das tun. Er hat mich darum gebeten, es ist meine Pflicht, Fleur!“

Fleur umfasste Maries Schultern. „Ich beschwöre dich, Marie! Dein Cousin wurde ermordet. Willst du unbedingt die Nächste sein?“

D’Artagnan lauschte mit angehaltenen Atem. Das klang ja überaus interessant. Er hätte gerne weiter zugehört, doch unglücklicherweise sah ihn Fleur in diesem Moment. Er senkte zwar schnell den Kopf und tat so, als sei er noch immer in den Anblick des Grabsteines vertieft, aber Fleur schien bemerkt zu haben, dass ihr Gespräch belauscht wurde. Sie zog ihre Freundin am Arm und verschwand aus d’Artagnans Blickfeld.

D’Artagnans Gedanken überschlugen sich. Wenn Marie Francis‘ Cousine war, wusste sie vielleicht etwas. Und offenbar wollte ihre Freundin nicht, dass sie dieses gefährliche Wissen teilte? Oder war es um etwas ganz anderes gegangen und er interpretierte viel zu viel in dieses hitzige Gespräch hinein?

Auf jeden Fall, überlegte d’Artagnan, während er zusah wie der Pfarrer endlich die störrische Biene loswurde und mit gerafftem Priesterrock davonstapfte, muss ich Aramis fragen, ob Marie wirklich die Cousine von Francis ist. Und wenn ja, dann musste er dieser Dame mal auf dem Zahn fühlen. Aber  erstmal musste er sich auf ihren Rettungsplan konzentrieren. Immer eine Katastrophe nach den anderen, das war seine Devise.

Vielleicht stand das ja einmal auf seinem Grabstein.

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Porthos machte nicht viel Federlesen. Als Ellen endlich alleine war, packte er sie grob am Handgelenk und zerrte sie hinter eine ausladende Eiche. Sie war so verblüfft, dass sie es mit sich geschehen liess, doch kaum hatte sie sich gefasst, hob sie blitzschnell das Knie und verpasste ihm einen höchst schmerzhaften Tritt zwischen die Beine.

Er verdankte es allein seinem jahrelangen Training als Soldat, dass er nicht vor Schmerz aufschrie. Zwar kniff er die Augen zusammen und Tränen rannen über seine Wangen, aber kein Laut kam über seine Lippen und er liess Ellen auch nicht los. Stattdessen drückte er Ellen noch fester gegen den Baumstamm und hielt ihr den Mund zu, um sie am Schreien zu hindern.

„Ihr werdet mir jetzt zuhören. Ich weiss, dass Ihr ein Geheimnis habt! Und ich weiss auch, dass Ihr lügt, wenn Ihr den hübschen Mund aufmacht. Nun, Mademoiselle Ellen: Mir ist es völlig gleichgültig mit wem Ihr nun verlobt oder nicht verlobt seid oder mit wem Ihr ins Bett. Meinetwegen könnt Ihr es mit dem Teufel selbst treiben, wenn es Euch Vergnügen bereitet!“ Ellen gab einen erstickten Laut von sich und atmete schwer unter seiner Hand, die er unnachgiebig auf ihren Mund presste. Es machte ihm kein Vergnügen einer Frau Schmerzen zuzufügen, also lockerte er seinen Griff und liess die Hand sinken, bevor er eindringlich fortfuhr: „Aber wenn Ihr ein Herz habt, dann besinnt Euch darauf, dass ein unschuldiger Mann Euretwegen hingerichtet wird. Ein guter Mann, der sein Leben dem König gewidmet hat und der Euch nie etwas zu Leide getan hat. Er wird sterben Ellen! Wollt Ihr wirklich diese Schuld auf Euch laden?“

Ihr Blick nahm einen verschlagenen Ausdruck an. „Ist Euch je der Gedanke gekommen, dass ich nicht lüge? Dass Aramis die Tat tatsächlich begangen hat?“

„Nicht einen Moment lang, Ellen. Aramis ist kein Heiliger, bei Gott nicht. Aber er würde nie einen Freund töten. Schon gar nicht wegen einem Mädchen, das den Charme einer Distel besitzt.“

Ellen sah aus, als wolle sie ihm das Gesicht zerkratzen, aber sie beherrschte sich. „Was bildet Ihr Euch ein, dass Ihr es wagt mich zu beleidigen? Ihr seid nicht mehr als ein erbärmlicher Musketier!“

„Nun, Ihr wart die Verlobte eines solchen erbärmlichen Musketiers, Ellen. Oder irre ich mich da etwa?“ Er liess die letzte Bemerkung absichtlich zweideutig klingen und dem schlagartigen Erbleichen ihres Gesichts nach zu schliessen, verstand sie seine Andeutung sehr wohl.

„Droht so viel Ihr wollt, Porthos. Aramis ist so gut wie tot. Und wenn Ihr das nicht könnt, schlage ich vor Ihr springt gleich in die Seine.“

Porthos Temperament drohte auszubrechen und für einen Moment wollte er nichts mehr als diese Frau zu schlagen, die ein so dreckiges Grinsen im Gesicht trug, als könne nichts und niemand sie beeindrucken. Aber er hatte Grundsätze und einer davon war, keine Frau zu schlagen und mochte sie auch noch so ein verdorbenes Geschöpf sein. 

Er stiess sie so heftig von sich, dass sie stolperte. „Ellen, an Eines solltet Ihr denken: Wenn wir in den Fluss stürzen, dann reissen wir Euch mit!“

Und zum ersten Mal sah er so etwas wie Angst in ihren sonst so kühl blickenden Augen.

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„Tréville! Was für ein erfreulicher Anblick! Ich sah Euch in den letzten Tag kaum.“ Hinter den scheinbar so freundlich gesprochenen Worten des Königs steckte eine scharfe Kritik. Louis mochte es nicht sonderlich, wenn er links liegen gelassen wurde und in den letzten Tagen war Tréville zu beschäftigt mit Nachforschungen gewesen, um ihm seine Aufwartung zu machen.

Deshalb fiel seine Verbeugung auch etwas tiefer aus, als sonst. „Eure Majestät.“

Louis sass an seinem Schreibtisch und wie üblich, wenn er gezwungen war, seine Zeit mit Papieren zu verbringen, wirkte er äusserst missgelaunt. Jetzt stand er auf und entliess ihn mit einer gnädigen Handbewegung aus dem Knicks. „Ich höre allerlei Unerfreuliches von Euren Musketieren, Tréville.  Wenn Ihr gekommen seid, um meine Gnade zu erbitten, muss ich Euch enttäuschen. Aramis muss hingerichtet werden, so Leid es mir tut.“

„Ich bin nicht deswegen hier.“ Natürlich nicht. Wenn Tréville geglaubt hätte, dass er den König überreden könnte, die Anklage fallen zu lassen, hätte er sich nicht diesen mehr als nur waghalsigen Plan ausgedacht.

Louis hob verblüfft die Augenbrauen. „Das erstaunt mich allerdings. Momentan scheint mir jeder mit dieser leidigen Angelegenheit in den Ohren zu liegen. Stellt Euch vor, sogar die Königin hat mich darum gebeten, den Musketier zu begnadigen!“

Es war nicht ungewöhnlich für die Königin Partei für die Musketiere zu ergreifen. Sie mochte und schätze ihre Leibgarde sehr und sie besass genug Verstand um zu wissen, dass es klug war sich mit jenen gutzustellen, die ihr Leben beschützten. Aber dass sie den König um etwas bat geschah selten und dass sie für einen Musketier ihren spanischen Stolz überwand, erstaunte Tréville aber doch einigermassen. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich: Was verband Aramis und Anna?

„Sie hatte schon immer ein gutes Herz“, sagte Tréville glatt.

„Nun, wohl wahr. Und sie ist schwanger. Das Kind verleitet sie zu allerlei Gefühlsausbrüchen.“ Wie immer wenn die Rede auf Annas schwellenden Leib kam, wurden Louis‘ Züge weicher.

Tréville nutzte diese gute Stimmung. Bei dem König war diese oft mehr als nur flüchtig. „Majestät, ich mache mir Sorgen um den Kardinal.“

Für einen Moment sah Louis aus, als wolle er lachen, doch er beherrschte sich gerade noch. „Ihr? Sorgen um den Kardinal? Verzeiht, wenn ich Euch so direkt frage aber: Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“

Tréville hatte damit gerechnet, dass er Louis‘ Misstrauen wecken würde. Selbst der sonst so gutgläubige Monarch würde schwer zu überzeugen sein, dass Tréville sich auf einmal um den Kardinal sorgte. Ihre Feindschaft war ja sozusagen legendär. Zudem war er ein grauenhafter Schauspieler. Aber irgendwo musste er sein Anliegen überzeugend vorbringen, davon hing ihr ganzer Plan ab.

„Majestät, ich kann nicht behaupten, dass ich Liebe für den Kardinal empfinde…“ Nein, es ist eher ein leidenschaftlich gepflegter Hass, fügte er in Gedanken hinzu, „aber niemand dient dem Reich mit grösserer Leidenschaft und ich möchte mir ein Frankreich ohne ihn gar nicht vorstellen.“

Er schien auf dem richtigen Weg zu sein. Louis‘ Augen verdunkelten sich, als er an die Sterblichkeit seines engsten Beraters erinnert wurde. Er schluckte schwer. „Da habt Ihr Recht. Gibt es einen konkreten Anlass für Eure Besorgnis?“

„Ja, Eure Majestät. Die Menschen in Frankreich lieben und verehren Euch, aber sie hassen und fürchten den Kardinal…“

„Das braucht Ihr mir nicht zu erzählen, Tréville, das weiss ich…“ unterbrach Louis ihn ungeduldig. Seine Nervosität war ein gutes Zeichen. Er machte sich bereits Sorgen um Richelieu. 

 

Er fuhr also ungerührt fort: „Ich habe beunruhigende Gerüchte gehört. Es scheint, als plane man ein Attentat auf Kardinal Richelieu.“

„Ein Attentat? Wer vom Pöbel würde es wagen, meinen ersten Minister anzugreifen?“, brauste Louis auf.

Diejenigen, die wir darum gebeten haben, dachte Tréville sarkastisch. „Sie sind verzweifelt und voller Hass. Eine gefährliche Mischung.“

Louis legte die königliche Stirn in Falten. „Nun, aber der Kardinal hat seine Rote Garde. Sie wird ihn beschützen.“

Der Captain achtete darauf so lange zu zögern, dass es dem König auffallen musste. „Natürlich. Davon bin ich überzeugt.“

Es war geradezu erstaunlich, wie leicht Louis den Köder schluckte. „Ihr glaubt nicht, dass die Garde ausreicht?“, hakte er sogleich nach.

Die nächsten Worte wägte Tréville sehr sorgfältig ab. „Richelieu ist ein Mann der einsamen Wege. Mir wurde berichtet, dass er in den frühen Morgenstunden gerne eine abgelegene Kapelle aufsucht, um in Ruhe zu beten. Das fordert einen Hinterhalt geradezu heraus. Ich denke, nur die besten Soldaten, sollten den besten Mann im Reich schützen.“

„Und die besten Männer habt Ihr in Eurem Regiment“, schlussfolgerte Louis mit gewohnter Verstandesschärfe. Tréville unterdrückte einen triumphierenden Laut. Er hatte seine Majestät genau dort, wo er ihn haben wollte.

Mit einer scheinbar bescheidenen Geste lüftete der Hauptmann seinen Hut. „Es wäre mir eine Ehre meine Männer in den Dienst des Kardinals zu stellen.“

Für einen Moment glaubte Tréville, er habe zu dick aufgetragen, denn Louis schwieg lange. Dann kam endlich die Erlösung in Form eines knappen, förmlichen Nickens. „Wenn die Gefahr für den Kardinal wirklich so gross scheint, werde ich dafür Sorge tragen, dass er meine Männer an seiner Seite hat. Auch wenn es ihm keine Freude bereiten wird.“

Nun galt es noch die letzte Hürde zu nehmen. „Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Eure Majestät: Versucht ihn zu überrumpeln. Er wird über den Vorschlag nicht erfreut sein. Er traut meinen Musketieren nicht sonderlich.“

Ein halbwegs amüsiertes Lächeln hob Louis‘ Lippen. „Das wäre mir gar nicht aufgefallen. Nun gut,, Tréville. Offeriert Kardinal Richelieu Euren und seid Euch meiner Zustimmung sicher. Hauptsache, Ihr sorgt dafür, dass mein Minister heil bleibt.“

Tréville verliess das Arbeitszimmer des Königs unendlich erleichtert aber in Schweiss gebadet. Intrigieren war verflucht anstrengend, das überliess er in Zukunft mit Freuden Richelieu und den Höflingen. Dennoch, dachte er, während er von einem Spiegel stehen blieb und seinen Hut richtete, sein Ziel war erreicht. Morgen würde Richelieu eine äusserst hartnäckige Eskorte von Musketieren an sich kleben haben.

Er freute sich jetzt schon auf das dumme Gesicht seines ewigen Widersachers.